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Die Kälte des Todes

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am18.12.20151. Auflage
Rocco Schiavone ist nicht gerade das, was man einen vorbildlichen Polizisten nennen würde. Er ist unverschämt, er verabscheut seinen Beruf - und es ist keine gute Idee, ihn vor seinem morgendlichen Joint anzusprechen. Seit der Römer in das verschneite Aosta-Tal strafversetzt wurde, ist seine Laune so düster wie der Himmel über den Bergen. Doch als eine junge Frau erhängt in ihrer Wohnung aufgefunden wird, ist Roccos Spürsinn geweckt. An Selbstmord glaubt er nicht: Blaue Flecken und Schürfwunden legen nahe, dass Ester Baudo gequält wurde. Ein Fall, der dem Ermittler unter die Haut geht. Und ihn zwingt, sich dem zu stellen, was er am meisten fürchtet: seiner Vergangenheit. «Eine außerordentliche Ermittlerfigur!» Andrea Camilleri

Antonio Manzini, geboren 1964 in Rom, ist Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor. Seine im Aosta-Tal angesiedelten Kriminalromane um den charismatischen Ermittler Rocco Schiavone stehen in Italien regelmäßig an der Spitze der Bestsellerlisten und wurden erfolgreich verfilmt.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextRocco Schiavone ist nicht gerade das, was man einen vorbildlichen Polizisten nennen würde. Er ist unverschämt, er verabscheut seinen Beruf - und es ist keine gute Idee, ihn vor seinem morgendlichen Joint anzusprechen. Seit der Römer in das verschneite Aosta-Tal strafversetzt wurde, ist seine Laune so düster wie der Himmel über den Bergen. Doch als eine junge Frau erhängt in ihrer Wohnung aufgefunden wird, ist Roccos Spürsinn geweckt. An Selbstmord glaubt er nicht: Blaue Flecken und Schürfwunden legen nahe, dass Ester Baudo gequält wurde. Ein Fall, der dem Ermittler unter die Haut geht. Und ihn zwingt, sich dem zu stellen, was er am meisten fürchtet: seiner Vergangenheit. «Eine außerordentliche Ermittlerfigur!» Andrea Camilleri

Antonio Manzini, geboren 1964 in Rom, ist Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor. Seine im Aosta-Tal angesiedelten Kriminalromane um den charismatischen Ermittler Rocco Schiavone stehen in Italien regelmäßig an der Spitze der Bestsellerlisten und wurden erfolgreich verfilmt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644535213
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum18.12.2015
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.2
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1595 Kbytes
Artikel-Nr.1699523
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Freitag

Mitte März sandte die Sonne bereits erste Strahlen als Vorboten des nahenden Frühlings. Strahlen, die noch zart und ein wenig flüchtig waren, jedoch die Welt in ein buntes Licht tauchten und Hoffnungen weckten.

Aber nicht in Aosta.

Es hatte bis tief in die Nacht geregnet; noch um zwei Uhr waren dicke, mit Schnee vermischte Tropfen auf die Stadt niedergegangen. Dann war es kälter geworden, der Schnee hatte sich durchgesetzt und bis sechs Uhr früh, in feinen Flocken fallend, Straßen und Bürgersteige komplett zugedeckt. Im Morgengrauen hatte das Licht zart und zögernd die weiße Stadt enthüllt, während letzte verspätete Schneeflocken spiralförmig auf die Bürgersteige hinabschwirrten. Die Berggipfel waren wolkenverhangen, und die Temperatur lag bei ein paar Grad unter null. Dann hatte sich plötzlich ein tückischer Wind erhoben, war wie eine Schar betrunkener Kosaken in die Stadt eingefallen und hatte rücksichtslos an den Menschen und allem anderen gezerrt, was sich in den Straßen befand.

In der Via Brocherel nur an allem anderen, denn die Straße war menschenleer. Das Parkverbotsschild wankte, und die Zweige der am Straßenrand gepflanzten jungen Bäume knirschten wie die Knochen eines Arthrosekranken. Der noch lose Schnee wirbelte umher, und hier und dort krachte ein lockerer Fensterladen gegen eine Hauswand. Und die Böen, die über die Dächer fegten, bliesen Wolken aus pulverisiertem Eis zur Erde hinab.

Als Irina von der Via Monte Emilius in die Via Brocherel einbog, schlug ihr der eisige Wind ins Gesicht. Ihr zu einem Pferdeschwanz gebundenes Haar wurde nach hinten geweht, und sie kniff die blauen Augen zusammen. Hätte man sie in diesem Moment fotografiert, hätte sie ausgesehen wie eine Verrückte im Geschwindigkeitsrausch, die ohne Helm Motorrad fuhr.

Dennoch empfand sie den plötzlichen Windstoß eher wie eine Streicheleinheit. Sie schloss nicht einmal den Kragen ihrer grauen Wolljacke, denn für jemanden, der im weißrussischen Lida, in der Nähe der litauischen Grenze, geboren war, war dieser Wind nicht mehr als eine frühlingshafte Brise. In ihrer Heimat stapfte man um diese Jahreszeit bei zehn Grad minus durch meterhohen Schnee.

Irina ging in ihren falschen Hogan-Stiefeln eilig voran und lutschte ein Honigbonbon, das sie sich nach dem Frühstück in der Bar gekauft hatte. Sie liebte das italienische Frühstück. Cappuccino und Cornetto. Die Geräusche der Kaffeemaschine, die die Milch erhitzte und aufschäumte, bevor sie sich mit dem schwarzen Kaffee mischte und schließlich noch mit ein wenig Kakaopulver bestäubt wurde. Und das noch warme, knusprige, süße im Mund schmelzende Hörnchen. An das Frühstück in Lida mochte Irina nicht einmal denken. Den unsäglichen Hafer- oder Gerstenbrei, dazu Kaffee, der nach Erde schmeckte. Und dann die Gurken, deren sauren Geschmack sie am frühen Morgen nicht ertragen konnte. Ihr Großvater hatte sie mit Schnaps hinuntergespült, während ihr Vater die Butter wie eine Süßspeise direkt vom Teller aß. Als sie das Ahmed erzählt hatte, hatte er sich kaputtgelacht. «Butter? Mit dem Löffel?», hatte er gefragt und beim Lachen seine strahlend weißen Zähne entblößt, um die Irina ihn so beneidete. Ihre waren eher gräulich. «Das liegt am Klima», war Ahmeds Meinung. «In Ägypten ist es warm, und die Zähne sind weiß. Je kälter es ist, desto dunkler werden sie. Es ist genau andersherum als mit der Haut. Ihr habt nicht genug Sonne. Dafür esst ihr die Butter mit dem Löffel.» Er hatte sich ausgeschüttet vor Lachen.

Irina liebte ihn. Sie liebte es, wie er roch, wenn er vom Markt zurückkam. Er duftete nach Äpfeln und Kräutern. Sie liebte ihn, wenn er, Richtung Mekka gewandt, betete, wenn er Süßes aus Honig für sie zubereitete, wenn sie sich liebten. Ahmed war freundlich und aufmerksam, betrank sich nicht, und sein Atem roch nach Minze.

Und nun war ihre Beziehung an einem entscheidenden Punkt angekommen. Ahmed hatte sie gefragt.

Ob sie ihn heiraten wollte.

Allerdings gab es da ein organisatorisches Problem. Um kirchlich heiraten zu können, müsste Irina zum Islam konvertieren oder Ahmed zum orthodoxen Glauben. Aber das war nicht möglich. Sie konnte ihren Eltern schlecht sagen: «Hey Leute, ab morgen werde ich Gott Allah nennen!» Genauso wenig wie Ahmed seinen Vater in Fayum anrufen konnte, um ihm mitzuteilen: «Übrigens, Papa, ab morgen bin ich orthodox!» Obendrein befürchtete Ahmed, dass sein Vater nicht einmal wüsste, was das hieß, und es wahrscheinlich für eine ansteckende Krankheit halten würde. Daher dachten Irina und Ahmed an eine standesamtliche Hochzeit. Sie würden sich schon irgendwie durchmogeln. Zumindest solange sie noch in Aosta waren. Und dann würde Gott, Allah oder wer auch immer für sie entscheiden.

 

Inzwischen war Irina beim Haus Nummer 22 angekommen. Sie nahm den Schlüssel heraus und öffnete die Haustür. Wie schön es hier war! Die Marmortreppe und das polierte hölzerne Geländer. Nicht wie bei ihr zu Hause, mit den kaputten Fliesen und den feuchten Flecken an der Decke. Hier gab es sogar einen Aufzug. In ihrem Haus natürlich nicht. Dort musste sie zu Fuß hinauf in die vierte Etage. Und andauernd war eine Stufe kaputt oder wackelte, wenn sie nicht sogar komplett fehlte. Ganz zu schweigen von der Heizung, die ständig Geräusche von sich gab und nur funktionierte, wenn man ihr einen Tritt verpasste. Wie gern würde sie in einem solchen Haus wohnen! Mit Ahmed und seinem Sohn Helmi, der schon achtzehn Jahre alt war und nie ein Wort Arabisch gelernt hatte. Helmi. Wie sehr hatte sie sich bemüht, nett zu ihm zu sein. Doch es hatte nichts gebracht. «Du bist nicht meine Mutter! Kümmer dich um deinen Kram!», hatte er geschrien.

Irina schluckte und lächelte müde. Und dachte an die Mutter des Jungen. Die zurück nach Ägypten gegangen war, nach Alexandria, um im Geschäft von Verwandten zu arbeiten, und die von ihrem Sohn und ihrem Mann nichts mehr wissen wollte. «Helmi» war das arabische Wort für «Ruhe». Der Gedanke ließ Irina lächeln. Einen weniger passenden Namen konnte es für den Jungen nicht geben. Helmi schien ständig unter Strom zu stehen. Er war dauernd unterwegs, kam nicht zum Schlafen nach Hause, war in der Schule eine Katastrophe, und zu Hause machte er alles schlecht. «Du Versager!», beschimpfte er seinen Vater. «Stehst dir jeden Tag auf dem Markt die Füße platt. So werde ich nicht enden! Eher hol ich mir ne Oma ins Bett!»

«Meine Arbeit ist dir nicht gut genug? Was willst du denn stattdessen machen?», brüllte Ahmed zurück. «Hoffst du auf den Nobelpreis?», meinte er in ironischer Anspielung auf die katastrophalen schulischen Leistungen seines Sohnes. «Du wirst als Arbeitsloser auf der Straße landen! Aber das ist kein Beruf, mein Lieber.»

«Immer noch besser, als Äpfel zu verkaufen oder bei anderen den Dreck aufzuwischen wie deine Putze hier!», sagte Helmi mit einem abschätzigen Blick auf Irina. «Ich werd richtig Kohle machen, während du irgendwann arm sterben wirst. Aber keine Sorge, den Sarg bezahl ich dir!»

Die Auseinandersetzungen zwischen Vater und Sohn endeten für gewöhnlich damit, dass Ahmed Helmi eine Ohrfeige verpasste, der daraufhin türenknallend das Haus verließ, sodass der Riss in der Wand, der ohnehin schon fast die Decke erreicht hatte, noch ein Stückchen weiter nach oben wanderte. Irina war sich sicher, dass der nächste Streit Wand und Decke zum Einsturz bringen würde, schlimmer als beim Erdbeben 2004 in Vilnius.

Die Aufzugtüren gingen auf, und Irina wandte sich nach links in Richtung der Wohnung mit der Nummer 11.

 

Das Schloss öffnete sich nach der ersten Schlüsselumdrehung. Seltsam, sehr seltsam, dachte Irina. Normalerweise war mehrfach abgeschlossen. Sie kam dreimal pro Woche zu den Baudos, und im vergangenen Jahr hatte sie Signor Baudo kein einziges Mal zu Hause angetroffen. Um zehn Uhr morgens war er längst bei der Arbeit; auch freitags verließ er schon am frühen Morgen das Haus, weil er mit dem Fahrrad fuhr. Und die Signora kam normalerweise erst pünktlich um elf vom Einkaufen zurück. Irina hätte die Uhr danach stellen können. Nun schien sie aber zu Hause zu sein. Vielleicht hatte sich Signora Ester die Darmgrippe eingefangen, die in Aosta gerade heftiger wütete als eine Pestepidemie im Mittelalter. Irina trat ein und brachte einen Schwall kalter Luft mit. «Signora Ester, ich bin´s, Irina! Es ist eisig draußen ... Sind Sie zu Hause?», rief sie und legte den Schlüssel auf der Garderobe ab. «Sind Sie nicht zum Einkaufen gegangen?» Ihre heisere Stimme, die sie den zweiundzwanzig Zigaretten am Tag verdankte, hallte von den getönten Scheiben in der Eingangstür zurück.

«Signora?»

Sie zog die Schiebetür zum Wohnzimmer zur Seite und trat ein.

Unordnung. Auf dem Couchtisch vor dem Fernseher stand noch das Tablett mit den Resten des Abendessens. Hühnerknochen, eine ausgepresste Zitrone und etwas Grünliches, Spinat vielleicht. Auf dem Sofa eine zusammengeknüllte smaragdgrüne Decke und ein Dutzend Zigarettenkippen im Aschenbecher. Irina dachte, dass die Signora sicher mit Fieber im Bett lag und Patrizio, ihr Mann, sich am Vorabend das Spiel im Fernsehen angesehen hatte. Ansonsten stünden sicher zwei Teller auf dem Tisch, seiner und der von Signora Ester. Die Seiten des Corriere dello Sport waren gleichmäßig auf dem Teppich verteilt, und auf dem hellen antiken Tisch waren zwei runde Glasabdrücke zu sehen. Kopfschüttelnd betrachtete Irina das Durcheinander. «Signora, sind Sie da? Sind Sie im Bett?»

Keine Antwort.

Sie sammelte Aschenbecher und Flaschen ein und balancierte sie auf einem Tablett in die Küche,...
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Autor

Antonio Manzini, geboren 1964 in Rom, ist Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor. Seine im Aosta-Tal angesiedelten Kriminalromane um den charismatischen Ermittler Rocco Schiavone stehen in Italien regelmäßig an der Spitze der Bestsellerlisten und wurden erfolgreich verfilmt.Anja Rüdiger, geboren in Bonn, hat in Köln, Paris und Santander Übersetzen/Dolmetschen studiert. Fünfzehn Jahre lang hat sie in verschiedenen Verlagen als Lektorin und Programmleiterin gearbeitet. Seit 2011 ist sie als freie Übersetzerin, Lektorin und Literaturscout tätig.