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Tote Liebe

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
519 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am06.12.2015Deutsche Erstausgabe
Der Abschluss der Barcelona-Trilogie rund um Inspektor Héctor Salgado Ein Paar, das sich zwischen vertrockneten Blüten in den Armen liegt - nackt und mit eingeschlagenen Schädeln. Daneben ein Rucksack voller Geld ... Das ist es, was Inspektor Héctor Salgado zu Gesicht bekommt, als er in das verlassene Haus am Stadtrand von Barcelona gerufen wird. Die Opfer gelten seit sieben Jahren als vermisst, wie vom Erdboden verschluckt, seitdem ihre Ménage-à-trois mit einem Freund in die Brüche ging. Schlug der sie einfach tot? Aus Eifersucht, aus Wut? Salgado macht ihn in der geschlossenen Psychiatrie ausfindig - ein Wrack, vollgepumpt mit Medikamenten -, doch trotzdem ist nach dem Verhör eines ganz sicher: Nicht nur er hatte damals guten Grund auszurasten. Vater, Bandkollege, Jugendfreundin, sie alle wurden von den Opfern bitter enttäuscht ...


Antonio Hill, geboren 1966 in Barcelona, arbeitete nach dem Psychologiestudium als Übersetzer. Seine Barcelona-Trilogie ist die erfolgreichste Krimireihe der letzten Jahre in Spanien. Er lebt und arbeitet in Barcelona.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDer Abschluss der Barcelona-Trilogie rund um Inspektor Héctor Salgado Ein Paar, das sich zwischen vertrockneten Blüten in den Armen liegt - nackt und mit eingeschlagenen Schädeln. Daneben ein Rucksack voller Geld ... Das ist es, was Inspektor Héctor Salgado zu Gesicht bekommt, als er in das verlassene Haus am Stadtrand von Barcelona gerufen wird. Die Opfer gelten seit sieben Jahren als vermisst, wie vom Erdboden verschluckt, seitdem ihre Ménage-à-trois mit einem Freund in die Brüche ging. Schlug der sie einfach tot? Aus Eifersucht, aus Wut? Salgado macht ihn in der geschlossenen Psychiatrie ausfindig - ein Wrack, vollgepumpt mit Medikamenten -, doch trotzdem ist nach dem Verhör eines ganz sicher: Nicht nur er hatte damals guten Grund auszurasten. Vater, Bandkollege, Jugendfreundin, sie alle wurden von den Opfern bitter enttäuscht ...


Antonio Hill, geboren 1966 in Barcelona, arbeitete nach dem Psychologiestudium als Übersetzer. Seine Barcelona-Trilogie ist die erfolgreichste Krimireihe der letzten Jahre in Spanien. Er lebt und arbeitet in Barcelona.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518742372
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum06.12.2015
AuflageDeutsche Erstausgabe
Reihen-Nr.3
Seiten519 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1701110
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1

Um das System zu überleben, muss man es überlisten. Für Héctor ist der Satz schon zu einem Mantra geworden. Er weiß nicht mal genau, woher er ihn hat, ob er ihn in einem Film gehört hat oder ob es ein Slogan ist, den jemand in diesen Zeiten der friedlichen Empörung losgelassen hat, aber der Spruch passt perfekt zu seiner Situation, und mangels eines besseren oder originelleren hat er ihn sich in den letzten Tagen zu eigen gemacht, denn er bringt es auf den Punkt; der einzige Satz, der ihm noch über die Lippen kommt, die These, die rechtfertigt, was er gleich tun wird.

Auf seinem unbequemen Stuhl, in diesem beleidigend leeren Raum hat sein Verstand nichts, womit er sich ablenken könnte, außer der Uhr an der Wand. Auf dem billigen Plastik, weiß wie die Wände, bewegen sich die Zeiger so langsam, dass es schon wehtut. Er weiß, das Warten ist Teil des Spiels. Er selbst ist auf der anderen Seite von Türen gewesen, die genauso aussahen wie die, die er jetzt am linken Ende des Raums vor sich hat, und ganz bewusst hat er die Vernehmung der Verdächtigen länger hinausgezögert als nötig. Das Warten irritiert, die Irritation schürt Nervosität, die Nervosität macht unvorsichtig, und dann bricht auf einmal die Wahrheit hervor.

Und genau das darf er sich heute nicht erlauben. Was er erzählen wird, könnte die Wahrheit sein. Und sie wird es sein, wenn man ihm nur glaubt. Davon hängt es ab: von seiner Standhaftigkeit, von seinem überzeugenden Auftritt, von der Selbstsicherheit, mit der er die Geschichte erzählt. Denn die Wahrheit ist kein absoluter Wert. Sie war es einmal, nicht lange her; jetzt nicht mehr. Er möchte sich einreden, dass die einzige wirkliche Wahrheit die ist, die man ihm glaubt, auf etwas anderes können Sünder ohnehin nicht bauen. Er muss lächeln und fragt sich, wieso ihm dieses Wort in den Sinn kommt, »Sünder«, wo er nie ein gläubiger Mensch war. Wenn er in seinem Leben je an etwas geglaubt hat, dann an das, was er gleich verraten wird. An die Notwendigkeit, den Dingen auf den Grund gehen, die Tatsachen auszugraben und ins kalte Licht des Tages zu zerren. Er wünscht sich, dass die Vernehmungsbeamten nicht so sind wie er, der Inspektor, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit gesagt hat, da die Justiz nun mal unvollkommen sei, sei der einzige echte Trost, die Taten aufzudecken.

Nicht dass er seine Prinzipien aufgegeben hätte. Nur weiß er jetzt, dass eine solche Katharsis manchmal wenig Tröstliches mit sich bringt. Eine Verurteilung, einen Fluch. Und vor allem kann sie unterm Strich sehr viel ungerechter sein als eine nützliche Lüge.

Er räuspert sich, und sein Blick fällt erneut auf die Uhr, die in ihrem eigenen Rhythmus vorrückt, frei von Wünschen oder Zwängen. So sollte die Ermittlungsarbeit sein, denkt er: ein Automatismus, ausgeführt mit ruhiger Beständigkeit, in sich stimmig. Aseptisch und unbelastet von Gefühlen. Doch die Wirklichkeit könnte unterschiedlicher nicht sein. Sie rückt stoßweise vor, bewegt von plötzlichen Eingebungen, die zuweilen einen Rückschritt bedeuten oder in einer Sackgasse enden. Danach geht es langsam wieder voran, man versucht, eine Lehre daraus zu ziehen, doch dann packt einen wieder die Leidenschaft und reißt einen mit. Manchmal, und mit etwas Glück, schafft man es nach einem solchen Sprint ins Ziel, mit schmerzendem Körper und benebeltem Kopf.

Deshalb passieren solche Dinge. Deshalb stirbt jemand. Deshalb ist er jetzt dort, wo er ist.

Das System zu überlisten, denkt Héctor, ist die einzige Möglichkeit, es zu überleben. Er holt tief Luft und hält sie in der Lunge zurück, um den nötigen Mut zu schöpfen, um sich dem zu stellen, was ihn erwartet. Er hat noch nie gut lügen können, aber jetzt muss er es versuchen. Das Dumme ist, dass Rache für ihn nie ein Thema war. Alles wäre so viel einfacher, könnte er sich sagen, dass Ruths Mörder den Tod verdient hat. Aber so ist es nicht, das denkt er nicht, nie würde er für dieses »Auge um Auge« plädieren, es scheint ihm allzu vereinfachend, irrational, einem zivilisierten System nicht angemessen. Natürlich hat auch die Wut eine Rolle gespielt, aber sie gibt einem nicht das Recht auf Rache, nur auf Gerechtigkeit.

Dass der Mann tot ist, tut ihm nicht leid, nur bereut er, dass er es nicht vorausgesehen hat, dass er den Ereignissen nicht zuvorgekommen ist, dass er die Katastrophe nicht geahnt hat, bevor es so weit kam.

Deshalb, und auch aus ein paar anderen Gründen, ist seine Strafe klar. Er muss lügen und die Einsamkeit auf sich nehmen, die mit der Lüge stets einhergeht. Einfach auszupacken, diese befreiende Katharsis, ist ihm verwehrt. Nur eine Person wird ihn auf seiner Reise begleiten, wenngleich aus der Distanz. Ja, auch das ist klar, und es schmerzt ihn mehr als sein eigenes Schicksal. Er muss noch mal Luft holen bei dem Gedanken an Leire Castro, an ihren felsenfesten Entschluss und ihre Hartnäckigkeit, die ihn am Ende angesteckt hat, und er bemüht sich, jede Verbundenheit aus seinem Kopf zu vertreiben. Aber es ist unerlässlich, entscheidend auch, das alles zu tilgen, noch die kleinste Erinnerung daran, dass er für ein paar Tage nicht nur ihr Chef gewesen ist. Also muss er vergessen, muss aus seiner Stimme diesen zärtlichen Ton verbannen, der ungewollt hervorbricht und die Gefühle verrät. Sie haben nicht darüber gesprochen, es war nicht nötig. Aber er ist sich sicher, dass sie zu demselben Schluss gelangt ist. Vielleicht ist es ohnehin das Beste. Vielleicht war alles nur dem Frühling geschuldet, oder dem Fall, in dem sie gerade ermittelten und der geprägt war von Leuten, die sich den ungeschriebenen Gesetzen der Liebe entzogen, jenseits aller Vernunft. Aber darauf kommt es nicht mehr an. Die erste Strafe für die Lüge heißt: Leire zu vergessen.

Die Tür geht auf, und er zuckt zusammen. Die Zeiger der Uhr scheinen ebenfalls stillzustehen. Er erhebt sich, ganz langsam, täuscht die Ruhe vor, die es braucht, damit ihm das Publikum, das ihn auf der anderen Seite erwartet, seinen Auftritt abnimmt. Es wird nicht einfach sein. Aber darum geht es: das System zu überlisten.

Zu überleben.

Sowenig sie die Sommersonne verträgt, so sehr braucht sie sie heute. Sie hat einfach nicht in der Wohnung bleiben können, ihr fiel schon die Decke auf den Kopf, und da ihre Mutter für ein paar Tage bei ihr ist und auf Abel aufpassen kann, hat Leire sich entschlossen, hinauszugehen. Kaum auf der Straße, war ihr nicht mehr nach Spazieren zumute, und so hat sie sich einen freien Tisch in einem Straßencafé gesucht, wo sie nun seit einer Weile den Leuten zuschaut, ohne sie wirklich zu sehen. Das Einzige, was sie interessiert, das Einzige, woran Leire jetzt denken kann, ist Héctor und wie er die Fragen pariert. So wie sie gestern. Verfängliche Fragen, bohrend, nachbohrend. Die immer gleiche Frage, formuliert aus unterschiedlichen Blickwinkeln, bis einem jeder Zeitbegriff abhandenkommt und alles wie ein Déjà-vu erscheint. Fragen und Antworten verbinden sich zu einer eintönigen, fast freundlichen Sinfonie, mit plötzlichen Missklängen, auf die man zum Glück vorbereitet ist. Oder auch nicht. Wer weiß das schon.

Die Menschen ziehen über den Boulevard, die Sagrada Familia schiebt sich langsam vor die Sonne. Leire hat einen Kaffee bestellt, aber der ist noch nicht da, und für einen Moment ist sie versucht, sich davonzumachen. Aber nicht nur aus diesem Café, sondern aus der Stadt. Entgegen ihrer Gewohnheit verspürt sie einen heftigen Drang, ihre Familie um sich zu wissen, ihre Eltern, sich zu ihnen zu flüchten wie ein kleines Kind, das mitten in der Nacht aufgewacht ist, bestürmt vom schlimmsten aller Albträume. Wirklich absurd. Sie hat nie nachts Angst gehabt, hat sich immer über ihren Bruder lustig gemacht, der, obwohl zwei Jahre älter, nächtens zu den Eltern ins Bett schlüpfte. Sie nicht. Nie hat sie unters Bett geguckt, ob da vielleicht ein Monster ist, hat keine Angst vor dem Butzemann gehabt, sich im Dunkeln keine Gespenster ausgemalt. Doch so anders ist es heute gar nicht; beunruhigend ist allein die Wirklichkeit. Was sie getan haben. Was sie gestern erzählt hat. Was Héctor jetzt gerade wahrscheinlich vorträgt. Was sie beide immer wieder werden sagen müssen, gemeinsam und jeder einzeln, bis der Fall ein für alle Mal abgeschlossen ist. Trotzdem hat sie kein schlechtes Gewissen. Sie ist überzeugt, dass sie getan hat, was sie tun musste, und damit verschwindet aus ihrem Kopf auch jede Angst vor allem, was nicht real ist. Nicht greifbar. Nicht von dieser Welt.

»Ich habe es für dich getan, Ruth«, murmelt sie, und auch wenn sie nie an Geister oder übernatürliche Einflüsse geglaubt hat, ist sie sicher, dass diese Frau ihren Segen geben wird. Langsam macht sich die Hitze bemerkbar, und sie schließt die Augen zu einem Spalt. Atmet ein. Wenn sie bloß entspannen könnte, aber Yoga oder Meditation war in ihren Augen immer albernes Zeug für Neurotiker. Was gäbe sie darum, könnte sie sich jetzt einen Bach vorstellen, einen blauen Himmel oder eine Quelle, aber in ihrem Kopf sind nur Bilder aus dem Haus, wo man die Leichen gefunden hat. Es ist Wochen her, aber sie kann es nicht vergessen, und so begibt sie sich in Gedanken noch einmal dort hinein. Um sich an jedes Detail zu erinnern, jede Sekunde. Alles besser, als an das andere zu denken: den Schuss aus dem Nichts, wie eine Bombe; das Blut, diesen roten Fleck, der so klein war, dass er unmöglich das Leben eines Menschen enthalten konnte, ein Fleck, der den Boden fast schon ungehörig beschmutzte.

Noch immer kann sich ihre Fantasie nicht zu Sonnenaufgängen und plätschernden Bächlein durchringen, also hält sie sich an die anderen Toten. »Die Geliebten von Hiroshima« hat jemand sie...
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Autor

Antonio Hill, geboren 1966 in Barcelona, arbeitete nach dem Psychologiestudium als Übersetzer. Seine Barcelona-Trilogie ist die erfolgreichste Krimireihe der letzten Jahre in Spanien. Er lebt und arbeitet in Barcelona.