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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am23.09.20152. Auflage
Er betreibt sein Metier in den belebten Straßen Tokios und den überfüllten Wagen der U-Bahn. Er stiehlt mit kunstvollen, fließenden Bewegungen. Der Diebstahl ist der Kick in seinem Leben, das Gefühl, seinem Schicksal zu entrinnen - für den Moment. Doch seine dunkle Vergangenheit holt ihn wieder ein. Ein grandioser Thriller und eine dunkle, abgründige Geschichte über Schicksal und Einsamkeit.

Fuminori Nakamura, geboren 1977 in Tokai, studierte Öffentliche Verwaltung und Staatsverwaltung an der Universität Fukushima. 2002 erschien sein Debüt ?Ju? (?Der Revolver?). Inzwischen hat er in Japan über ein Dutzend Romane veröffentlicht, die in viele Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Fuminori Nakamura lebt in Tokio.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextEr betreibt sein Metier in den belebten Straßen Tokios und den überfüllten Wagen der U-Bahn. Er stiehlt mit kunstvollen, fließenden Bewegungen. Der Diebstahl ist der Kick in seinem Leben, das Gefühl, seinem Schicksal zu entrinnen - für den Moment. Doch seine dunkle Vergangenheit holt ihn wieder ein. Ein grandioser Thriller und eine dunkle, abgründige Geschichte über Schicksal und Einsamkeit.

Fuminori Nakamura, geboren 1977 in Tokai, studierte Öffentliche Verwaltung und Staatsverwaltung an der Universität Fukushima. 2002 erschien sein Debüt ?Ju? (?Der Revolver?). Inzwischen hat er in Japan über ein Dutzend Romane veröffentlicht, die in viele Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Fuminori Nakamura lebt in Tokio.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257607086
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum23.09.2015
Auflage2. Auflage
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1521 Kbytes
Artikel-Nr.1703229
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

[14] 2

Mit diffusem Kopfschmerz überließ ich mich dem Schaukeln des Zuges.

Ich war auf dem Weg zum Flughafen Haneda, der Zug rappelvoll. Die Heizlüftung und Körperwärme der anderen Passagiere brachten mich zum Schwitzen. Während ich in die Landschaft hinausstarrte, bewegten sich in den Taschen meine Finger. Ärmliche Häusergruppen glitten in regelmäßigen Abständen vorüber. Ich dachte an die Bulgari-Brieftasche vom Vortag und blinzelte. Da erschien vor meinen Augen, mit dröhnendem Lärm, ein riesiger Stahlturm. Es war nur ein flüchtiger Moment, aber mein in der Menge eingezwängter Körper versteifte sich instinktiv. Der Turm war sehr hoch; es fühlte sich an, als hätte er mir beiläufig ein Zeichen gegeben.

Ich schaute mich im Wagen um und bemerkte einen Mann, der etwas im Sinn zu haben schien. Er wirkte weniger angespannt oder konzentriert als vielmehr entrückt, die Augen verengt wie in Trance. [15] Er begrapschte den Körper einer Frau. Männer wie er lassen sich in zwei Gruppen einteilen: die gewöhnlichen, die lediglich eine Neigung zu sexueller Perversion verspüren, und die anderen, die von ihren Perversionen verschlungen werden und, gefangen in ihrer Welt, die Grenze zwischen Wunsch und Wirklichkeit nicht mehr erkennen können. Ich vermutete, dass der Typ zur zweiten Gruppe gehörte. Die sexuell Belästigte war, wie man auf einen Blick sehen konnte, eine Mittelschülerin. Ich wand mich durch die Lücken in der Menge und näherte mich den beiden. Außer mir, ihm und dem Mädchen bemerkte niemand etwas.

Von hinten packte ich das linke Handgelenk des Mannes. Alarmiert zuckte jeder Muskel seines Körpers zusammen. Die Kraft wich aus ihm, wie nach einem Schock. Während ich sein Handgelenk umklammerte, fixierte ich mit dem Zeigefinger seine Uhr, öffnete mit dem Daumen das Armband und ließ die Uhr in meinen Ärmel gleiten. Dann fasste ich das Portemonnaie in der rechten Innentasche seines Anzugs mit zwei Fingern meiner rechten Hand. Weil die Gefahr bestand, seinen Körper zu berühren, änderte ich mein Vorhaben, ließ das Portemonnaie im Zwischenraum von Hemd und Jackett fallen und fing es mit der Linken auf. Er war Ende dreißig, sah aus wie ein [16] Firmenangestellter, und aus dem Ring an seinem Finger schloss ich, dass er verheiratet war. Ich packte ihn erneut am Arm, diesmal mit meiner rechten Hand. Sein Gesicht war bleich geworden, das sah ich, als er im hin und her schwankenden Zug versuchte, über seine Schulter zu schauen. Die Mittelschülerin merkte, dass hinter ihr etwas geschah, und bewegte den Kopf, unschlüssig, ob sie sich umdrehen sollte oder nicht. Im Wagen herrschte Stille. Der Mann öffnete den Mund, als wollte er sich mir oder der Welt gegenüber rechtfertigen, als fühlte er, dass etwas Böswilliges ihn in schlechtem Licht erscheinen ließ. Seine Kehle bebte. Schweiß rann ihm von Stirn und Wangen, seine Augen waren weit geöffnet, aber wie ins Leere gerichtet. Würde man mich verhaften, sähe ich vielleicht auch so aus. Ich lockerte meinen Griff und bedeutete ihm mit einer stummen Geste: »Hau ab!« Der Gesichtsausdruck des Mannes veränderte sich nicht. Er hatte Mühe zu begreifen. Ich wies mit dem Kopf zur Tür. Sein Arm zitterte schwach. Er drehte sich wieder um, als hätte er gespürt, dass ich ihn nicht aus den Augen ließ. Da öffnete sich die Tür, und der Mann rannte los. Er warf sich ins Gewühl, stieß panisch die Leute zur Seite, um so schnell wie möglich wegzukommen.

Die Mittelschülerin im Zug starrte mich an. Ich drehte ihr den Rücken zu und versuchte, meinen [17] Missmut zu unterdrücken. Ich hatte eine Uhr und ein Portemonnaie, die mich nicht interessierten, und sowohl von dem Mann als auch von dem Mädchen musste ich mir vorwurfsvolle, fragende Blicke gefallen lassen. Wenigstens war ausgeschlossen, dass der Kerl den Vorfall melden würde.

Lustlos stieg ich beim nächsten Halt aus. Ich nahm die Rolltreppe, wo mein Blick auf einen gelangweilt wirkenden, wohlhabenden Herrn mittleren Alters fiel, verließ dennoch das Bahnhofsgebäude und lehnte mich draußen an die schmutzig-graue Wand. Langsam entspannte ich mich. Die Hände in den warmen Taschen, überlegte ich mir, ein Taxi zu nehmen.

Ich spürte jemanden in meiner Nähe. Als ich zur Seite blickte, stand unmittelbar neben mir ein schmaler Typ. Zu einem schwarzen Anzug trug er schwarze Lederschuhe, beides unbekannter Marke. Tachibana!, blitzte es mir durch den Kopf. Mein Puls fing an zu rasen, aber ich versuchte mit aller Kraft, die Erregung zu unterdrücken. Das einst blonde Haar war jetzt braun gefärbt. Er verzog seine dicken Lippen und fixierte mich mit zusammengekniffenen Augen. Es hätte auch ein Lächeln sein können, aber sicher war ich mir nicht.

»Ich dachte, du hast es nur auf Reiche abgesehen?«, sagte er und wandte sich mir ganz zu.

[18] Tachibana mochte nicht sein wirklicher Name sein, meinen hingegen kannte er wohl. Zwar hatte ich damit gerechnet, ihm eines Tages wiederzubegegnen, aber ich dachte, dass ich derjenige sein würde, der ihn aufstöbert. Alle Erinnerungen kamen wieder hoch. Ich holte tief Luft.

»Hab ich immer noch.«

Ich wollte etwas anderes entgegnen, brachte aber nur diese nichtssagende Antwort über die Lippen.

»Ach ja, großartig. Und überhaupt, glaubst du wirklich, dass Reiche Zug fahren? Du bist ein Ganove. Benimm dich auch wie einer, der den Namen verdient!«

»Ich tu mein Bestes. Du lebst also noch...«

»Hätten wir uns sonst getroffen? Na gut, ich habe dich verfolgt.«

»Seit wann?«

»Schon ´ne Weile. Seit du dem Lüstling die Sachen abgenommen hast. Es wundert mich, dass ich dir unbemerkt folgen konnte.«

Ich lief los, er nebenher. Unter einer Bahnüberführung blieb ich stehen.

»Seit wann bist du hier?«, fragte Tachibana und sah mich dabei mit merkwürdig ernster Miene an.

»Noch nicht lange. In Tokio ist´s halt einfacher... dieses und jenes.«

[19] »Aber so allein, ist das nicht anstrengend? Ich habe Zeit, lass uns zusammen was machen.«

»Nein danke, ich traue dir nicht. Weder deinem Können noch deinem Sinn für Gerechtigkeit.«

Er lachte laut heraus und machte Anstalten weiterzugehen. Sein Gelächter klang unangenehm. Obwohl er das spüren musste, hörte er nicht damit auf. Als wir aus der Unterführung herauskamen, erschienen mir die riesigen Gebäude, die Wolkenkratzer und Kaufhäuser, bedrohlich. Mich schauderte, und da erst bemerkte ich, dass ich unentwegt auf die mageren Gräser starrte, die sich durch den Beton zwängten. Tachibana blieb stehen, lehnte sich an einen Drahtzaun und zündete sich eine Zigarette an.

»Stimmt, ich kann es nicht so gut. Ich hab als Schüler in Läden geklaut, nur so zum Vergnügen, und aus Taschen stehlen war dann noch ein zusätzlicher Kick... So wie du und Ishikawa beherrsche ich es nicht. Du ziehst es raus und lässt es zu Ishikawa wandern, der leert das Ding, und du beförderst es wieder in die Tasche zurück... Außerdem nimmt er nur zwei Drittel. So merkt das Opfer nichts, und wenn doch, kann es nichts beweisen. Euer Teamwork, wie ihr je nach Position die Rollen tauscht, euch nur mit Blicken verständigt... Ich hab zugeschaut und war total fasziniert. Aber [20] heutzutage gibt es kaum mehr japanische Taschendiebe. Wechselst du den Job immer noch so häufig? Wie wär´s, wenn du nebenbei, so wie früher, bei einer professionellen Gang anheuern würdest? Oder dich als Dealer betätigen? Ist die Langfingerei zu deiner Hauptbeschäftigung geworden?«

Der Inhalt unseres Gesprächs zwang mich dazu, näher an ihn heranzurücken.

»Früher waren es mal Fälschungen. Was lohnt sich jetzt?«

»Als es mit den Wucherkrediten nicht mehr klappte, hab ich den Nachwuchs für mich arbeiten lassen. Keiler, die Banküberweisungen erschwindelten. Jetzt sind es Aktien. Natürlich nur als Mittelsmann.«

»Aktien?«

»Ich bin ja kein Grünschnabel mehr. Die Yakuza* [* Kriminelle Banden, die das organisierte Verbrechen kontrollieren. (Anmerkung des Übersetzers)] gibt mir Geld, und ich reiche es an gewisse Typen weiter, damit es sich schön vermehrt. Die kennen sich bestens aus, da staunst du. Kurz gesagt, es geht um Insidergeschäfte. Mittlerweile lebt alle Welt davon.«

Er schnippte die Zigarettenkippe weg.

»Ich verdiene viel mehr als du. Könnte dir Arbeit beschaffen. Du organisierst für die [21] Obdachlosen dieser Gegend billige, schäbige Wohnungen und lässt sie im Gegenzug ein paar Bankkonten eröffnen...«

»Interessiert mich nicht.«

»Ihr seid komische Kerle, auch Ishikawa... Was willst du denn?«

Ich schwieg.

»Nun, dieser Ishikawa... Warum fragst du nicht, was aus ihm geworden ist?«

Tachibana schaute mich an. Mein Herz begann schneller zu pumpen.

»Weißt du etwas?«

»Nein«, antwortete er und lachte.

Das gleißende Licht der Sonne irritierte mich.

»Aber da war doch diese Geschichte. Das war echt krass. Wenn sogar eine Aktion wie diese reibungslos über die Bühne geht... Nur glaube ich, dass damals was passiert ist. Ich geb dir einen Rat: Lass dich in Tokio besser nicht mehr blicken, besonders in dieser Gegend.«

»Warum?«

»Es scheint, als hätten sie wieder was vor.«

Unsere Augen trafen sich. Ich wusste nicht, wie ich seinen Blick erwidern sollte, und schaute zu Boden.

»Besser du verschwindest, bevor du in eine Falle...
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