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Streichquartett

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am12.10.2015
Kann Musik uns zu besseren Menschen machen?
In einem Streichquartett kommt es auf jeden Einzelnen an, aber auch auf die Beziehungen untereinander. Und die vier Freunde, die abends auf einem Hausboot in Amsterdam zusammenkommen, um zu musizieren, kennen sich schon lange. Die Musik von Mozart oder Schubert hilft ihnen, ihr Leid kurz zu vergessen, den zuweilen tristen Alltag zu erhöhen oder zumindest vorübergehend auszublenden. Doch dann holt sie die Wirklichkeit eines Tages grausam ein ...
Die Ärztin Carolien, ihr Mann Jochem, die Krankenschwester Heleen und Hugo, Leiter des örtlichen Musikzentrums, kommen regelmäßig auf Hugos Hausboot zusammen. Sie kennen sich schon lange, haben das Einstudieren klassischer Musik und das gesellige Beisammensein stets genossen. In letzter Zeit fällt es ihnen jedoch immer schwerer, den Alltag hinter sich zu lassen. Carolien und Jochem können kaum noch miteinander reden, seit sie bei einem tragischen Verkehrsunfall beide Söhne verloren haben, Hugo sieht keinen Sinn mehr in seiner Arbeit, und Heleen, deren besonderes Engagement der Altenpflege gilt, kann nicht umhin zu realisieren, dass das Gesundheitswesen immer unsozialer und rigider wird. Auch die Spannungen in der Gruppe sind unübersehbar. Trotzdem üben sie unbeirrt weiter. Als sie beim fünfzigsten Geburtstag eines Freundes Mozarts Dissonanzenquartett aufführen, scheint es, als hätte das Blatt sich gewendet, als könnte die Musik wie einst wieder heilen und trösten, ja sogar Glück schenken. Doch gerade in diesem Augenblick wird die Idylle gesprengt, denn ein flüchtiger Mörder sucht ausgerechnet auf dem Hausboot Schutz vor der Polizei ... Anna Enquist erweist sich mit ihrem neuen Roman einmal mehr als Meisterin des psychologischen Romans wie der musikalischen Komposition, als europäische Erzählerin höchsten Ranges.

Anna Enquist wurde 1945 in Amsterdam geboren, ist ausgebildete Konzertpianistin und arbeitete lange Jahre als Psychoanalytikerin. Seit 1991 veröffentlicht sie Gedichte, Romane und Erzählungen. Ihre Werke wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet und in fünfzehn Sprachen übersetzt. Anna Enquist lebt in Amsterdam.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextKann Musik uns zu besseren Menschen machen?
In einem Streichquartett kommt es auf jeden Einzelnen an, aber auch auf die Beziehungen untereinander. Und die vier Freunde, die abends auf einem Hausboot in Amsterdam zusammenkommen, um zu musizieren, kennen sich schon lange. Die Musik von Mozart oder Schubert hilft ihnen, ihr Leid kurz zu vergessen, den zuweilen tristen Alltag zu erhöhen oder zumindest vorübergehend auszublenden. Doch dann holt sie die Wirklichkeit eines Tages grausam ein ...
Die Ärztin Carolien, ihr Mann Jochem, die Krankenschwester Heleen und Hugo, Leiter des örtlichen Musikzentrums, kommen regelmäßig auf Hugos Hausboot zusammen. Sie kennen sich schon lange, haben das Einstudieren klassischer Musik und das gesellige Beisammensein stets genossen. In letzter Zeit fällt es ihnen jedoch immer schwerer, den Alltag hinter sich zu lassen. Carolien und Jochem können kaum noch miteinander reden, seit sie bei einem tragischen Verkehrsunfall beide Söhne verloren haben, Hugo sieht keinen Sinn mehr in seiner Arbeit, und Heleen, deren besonderes Engagement der Altenpflege gilt, kann nicht umhin zu realisieren, dass das Gesundheitswesen immer unsozialer und rigider wird. Auch die Spannungen in der Gruppe sind unübersehbar. Trotzdem üben sie unbeirrt weiter. Als sie beim fünfzigsten Geburtstag eines Freundes Mozarts Dissonanzenquartett aufführen, scheint es, als hätte das Blatt sich gewendet, als könnte die Musik wie einst wieder heilen und trösten, ja sogar Glück schenken. Doch gerade in diesem Augenblick wird die Idylle gesprengt, denn ein flüchtiger Mörder sucht ausgerechnet auf dem Hausboot Schutz vor der Polizei ... Anna Enquist erweist sich mit ihrem neuen Roman einmal mehr als Meisterin des psychologischen Romans wie der musikalischen Komposition, als europäische Erzählerin höchsten Ranges.

Anna Enquist wurde 1945 in Amsterdam geboren, ist ausgebildete Konzertpianistin und arbeitete lange Jahre als Psychoanalytikerin. Seit 1991 veröffentlicht sie Gedichte, Romane und Erzählungen. Ihre Werke wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet und in fünfzehn Sprachen übersetzt. Anna Enquist lebt in Amsterdam.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641152949
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum12.10.2015
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2055 Kbytes
Artikel-Nr.1705013
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


6âEs ist in der Solanderlaan abends schwer, einen Parkplatz zu finden, doch sie hat Glück. Nicht weit vom Haus ihres Cellolehrers fährt gerade ein dickes Auto weg. Carolien kann mühelos einparken. Sie begleicht die Gebühren per Handy und zerrt das Cello von der Rückbank. Der Kasten sieht aus wie mit feuchten Schuppen besetzt, glatt und schimmernd, eine Fischhaut. Er hat Riemen, so dass sie ihn wie einen Rucksack tragen kann.

Bei van Aalst sind die Vorhänge geschlossen, aber als sie auf das Haus zugeht, hat sie den Eindruck, dass sich am Fenster etwas bewegt - hält er Ausschau? Ja, bestimmt, er erwartet sie gespannt, seine liebste, seine einzige Schülerin. Oder er ist misstrauisch wie alle alten Leute und will wissen, wer klingelt, bevor er die Tür öffnet.

Vor einem Vierteljahrhundert hat sie drei Jahre lang bei ihm am Konservatorium studiert, bis sie sich entschloss, dem Medizinstudium den Vorrang zu geben. Die Arbeitsbedingungen für Musiker wurden von Jahr zu Jahr schlechter, und eine Kehrtwende war nicht in Sicht. Sie wollte Sicherheit. Sie wollte Geld, eine Familie. Sie wollte etwas tun, was einen Nutzen hat, was den Menschen dient, wofür sie dankbar sind. Jochem bestärkte sie darin. Er ist vorausschauend, weiß meist, was kommen wird. Es werde immer Menschen geben, die an irgendwas erkrankten, an irgendwas litten, sagte er, aber ob es immer jemanden geben werde, der sich Cellosuiten anhören wolle, sei ungewiss. Er hat recht bekommen. Trotzdem hat er selbst unbeirrbar an seinem Instrumentenbau festgehalten, taub für seinen eigenen Ratschlag.

Sie klingelt, und sofort geht die Tür auf, und sie blickt in das schmerzverzerrte Gesicht ihres Lehrers. Er scheint an ihr vorbei auf die dunkle Straße hinauszuschauen, wo sich die Äste der hohen Bäume sanft im Abendwind wiegen.

»Hallo«, sagt Carolien. »Du hast doch mit mir gerechnet?«

Ein Schauder durchläuft den alten Mann; dann ist er wieder bei sich und sieht sie an.

»Natürlich, ich habe mich auf dein Kommen gefreut. Tritt ein. Ich gehe hinter dir her. Mein Knie macht mir heute zu schaffen.«

Sie geht ins Musikzimmer und stellt den Cellokasten auf seiner Seite halb unter den Flügel. Im Flur hört sie das Stampfen des Stocks. Langsam. Das Geräusch entfernt sich an der Zimmertür vorbei Richtung Küche. Muss ich etwas machen, denkt sie, sagen, dass er sich setzen soll, helfen, das Teeritual übernehmen? Keine Lust. Ich lass es geschehen. Wie ist es möglich, dass ich jetzt hier bin, dass sich alles verändert hat, aber er und ich hier zusammen sind? Mit Cellos. Die Aufregung vor fünfundzwanzig Jahren - ich achtzehn und er in der Blüte seines Erwachsenenlebens! Die Verliebtheit, um ehrlich zu sein. Die Musik als so wichtig zu empfinden, dass alles andere auf der Welt wegfiel. Ich war kein besonderes Talent, eher mittelmäßig. Aber ich arbeitete hart, und ich war nicht dumm. Das gefiel ihm. Er hatte so ein schönes Quartett, wir saßen mit der Celloklasse im Saal und schwelgten, wenn sie irgendwo auftraten. Sie gingen oft auf Tournee, dann übernahm sein Assistent den Technikunterricht. Die gesamte Konservatoriumszeit war ein Rausch, ein Traum. Kammermusik, Orchester, Vorspielen. Dass außerhalb davon eine andere Welt existierte, eine Welt mit Problemen, Pflichten und Verantwortungen, wusste ich zwar, aber es gelang mir, sie auszublenden und so zu tun, als würde ich in einem gesonderten Himmelreich zur Musikerin ausgebildet, wie ein Kind, das eine Zeitlang völlig in seiner Phantasie leben kann. Ich kam erst zur Besinnung, als ich Jochem kennenlernte. Ärztin werden. Das beschloss ich gleichsam mit einem anderen Hirn, war fast ein anderer Mensch. Das Cello stand verlassen in seinem Kasten. Die Saiten sprangen, das Haar des Bogens trocknete ein. Zerstörung im Verborgenen. Ich wollte nicht mal, dass Jochem es sich ansah. Ich bewegte mich nur noch zwischen Praktikums- und Operationssälen. Die Abende waren kurz, denn um sechs Uhr früh klingelte wieder der Wecker.

Sie hört Gepolter und das Klirren von Geschirr aus der Küche. Er kann mit diesem Stock in der Hand kein Tablett tragen, sie muss zu ihm. Ich lasse ihn im Stich, denkt sie, genau wie damals. Von einem Tag auf den anderen verwandelte ich mich von der leidenschaftlichen, besessenen Musikerin, die bereit war, ihren Geliebten mit dessen Karriere und dessen Ehefrau zu teilen, in eine Frau, die gesellschaftliche Verantwortung übernahm, mit ihrem Freund zusammenzog, um Kinder zu bekommen, und einen richtigen Beruf erlernte. Auf einen Schlag war alles vorbei: die Verliebtheit, die Illusion vom Musikerdasein, die Seifenblase, in der sie drei Jahre lang gelebt hatte.

Sie geht in die Küche. Er hat dort durchaus das eine und andere hinbekommen, Tassen auf einem Tablett, eine Teekanne, aus der Dampf aufsteigt. Ohne ein Wort hebt sie das Tablett von der Arbeitsplatte und bringt es ins Zimmer.

Nach ihrem brüsken Abschied sahen sie sich nicht mehr, lebten in verschiedenen Welten. Sie konnte es nicht ertragen, an ihre Konservatoriumszeit erinnert zu werden, der Verlust war so schmerzlich, dass sie van Aalst lieber aus dem Weg ging. Das war leicht, denn natürlich wurde sie von ihrer Ehe, Schwangerschaften, der Ausbildung in Anspruch genommen. Hin und wieder las sie etwas über ihn in der Zeitung, zum Beispiel dass sich sein Quartett getrennt hatte, dass er seine Privatdozentur an den Nagel gehängt hatte, dass er mit den Cellosuiten um die Welt reiste. Zu Konzerten ging sie nicht mehr.

Als sie endlich sitzen, blicken sie sich schweigend an. Im gelblichen Lampenlicht sieht sie den Mann von früher hinter den Furchen und Falten des Greisengesichts. Sie würde gern lächeln, doch ihre Wangen fühlen sich steif an. Er beugt sich vor, um zu seinem Tee zu greifen. Der Stock, den er an seinen Stuhl gelehnt hat, fällt klappernd auf den Boden.

Was will ich, denkt sie in einem unvermittelten Anflug von Panik - reden, wirklich reden? Will ich wissen, was in ihm vorgeht, würde es mich erleichtern, wenn ich erzählen könnte, wie ich mich fühle? Ich könnte gar nicht die Worte dafür finden, wüsste keine Haltung einzunehmen. Ich würde mich von außen betrachten, missbilligend. Würde mich peinlich berührt fühlen, wenn er anfinge, über sein Leben zu jammern, und auch ohnmächtig. Aber trotzdem. Wie anfangen?

»Du siehst überanstrengt aus. Willst du denn noch dünner werden?«

Sie lacht, endlich.

»Leicht möglich«, sagt sie. »Ich lebe in einem permanenten Wettlauf. Ist schon gut so, ich würde es gar nicht anders wollen. Können.«

Er schüttelt den Kopf.

»Leere ist schwierig. Da beginnt man zu grübeln. Ich weiß, wovon ich spreche, ich grüble mir hier so einiges zurecht. Ich bewundere dich, euch beide. Aber du begehst Raubbau an dir selbst. Den Anschein hat es jedenfalls. Weißt du, Mädchen, es mag dir so vorkommen, als ob dein Leben ein Trümmerhaufen geworden ist, das denke ich auch mit unangenehmer Regelmäßigkeit über mein eigenes Leben, aber du kannst auch versuchen zu akzeptieren, dass es nun mal so gelaufen ist, und zufrieden damit sein, wie du die Situation meisterst. Du hast keine Schuld an den Widrigkeiten, und du kannst nichts wiederherstellen oder ungeschehen machen. Als ich noch gearbeitet habe, hätte ich es nie für möglich gehalten, dass unsere Art von Musik verschwindet, dass den Leuten eines Tages nichts mehr daran liegt und die Regierung kein Geld mehr dafür erübrigen will. Dass es mit einem Mal etwas Weltfremdes, Verdächtiges an sich haben könnte, wenn man den Tag damit verbringt, auf seinem Instrument zu üben. Und doch ist es so gekommen. Ich empfinde das als Schlag ins Gesicht, als Kränkung. Aber das sind die Wellenbewegungen der Zeit, ich kann nichts daran ändern, es steht außer meiner Macht. So versuche ich es zu sehen.«

Er ist einen Moment still.

»Aber ich darf mich nicht mit dir gleichsetzen. Musiker sind so egozentrisch. Ehe ich michs versehe, habe ich den ganzen Abend von mir selbst geredet. Ich wollte nur ein Beispiel anführen, mehr nicht.«

Carolien rutscht unbehaglich in ihrem Sessel herum. Er meint es gut, denkt sie, er möchte mir helfen. Soll er mir doch lieber Fingersätze für diese DvoÅák-Partie geben, davon hab ich was. Er ist mein Cellolehrer und nicht mein Therapeut oder so was.

»Ist es mit deinem Knie so viel schlimmer geworden? Voriges Mal, als ich hier war, konntest du noch wesentlich besser laufen. Hast du Schmerzen?«

Van Aalst nickt und fasst sich ans Knie.

»Nachts?«

»Ja, meistens nachts. Tagsüber kann ich es ganz gut handhaben. Ich darf das Knie nicht belasten, das ist alles. Mit Stock geht es.«

»Welches Schmerzmittel nimmst du? Bekommst du etwas von deinem Hausarzt?«

»Ich betreibe Selbstmedikation. Aspirin. Vertrage ich gut.«

»Aber du brauchst was anderes. Was Stärkeres. Lass dir was verschreiben!«

»Ich gehe nicht zum Hausarzt. Da wirst du den Hilflosen zugeordnet, wenn du nicht mehr laufen kannst. Darauf kann ich verzichten.«

»Vielleicht lässt es sich beheben, operativ - ein neues Kniegelenk, eine Stabilisierung. Auf jeden Fall kannst du was Effektiveres gegen die Schmerzen bekommen.«

»Kannst du mir nicht etwas verschreiben?«

Sie sieht ihn forschend an. Er muss ziemlich viel Angst haben, wenn er sie als Ärztin in Anspruch nehmen möchte. Er sieht sie am liebsten als Musikerin, eine feige, gescheiterte Musikerin vielleicht, aber zumindest eine, die sich ihre Leidenschaft bewahrt hat. Von ihren medizinischen Abenteuern wollte er nie viel wissen. Wie alt mochte er jetzt sein? Wahrscheinlich um die achtzig....

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Autor

Anna Enquist wurde 1945 in Amsterdam geboren, ist ausgebildete Konzertpianistin und arbeitete lange Jahre als Psychoanalytikerin. Seit 1991 veröffentlicht sie Gedichte, Romane und Erzählungen. Ihre Werke wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet und in fünfzehn Sprachen übersetzt. Anna Enquist lebt in Amsterdam.