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Wasser zu Wein

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
352 Seiten
Deutsch
Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppeerschienen am27.04.20151. Auflage
Der zweite Fall für Stark und Bremer: Paul Bremer erbt überraschend zwei Weinberge in Wingarten am Rhein. Jahrelang hat er nicht an seinen alten Heimatort gedacht. Doch Wingarten hat sich verändert: Hinter der gemütlichen Fassade herrscht eine feindselige Atmosphäre. Und dann kommen zwei Weinkritiker ums Leben. Ein Fall für Rechtsanwältin Karin Stark und Hauptkommisar Gregor Kosinski...

Anne Chaplet ist ein Pseudonym von Cora Stephan. Unter diesem Pseudonym veröffentlich die Autorin Kriminalromane.
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Produkt

KlappentextDer zweite Fall für Stark und Bremer: Paul Bremer erbt überraschend zwei Weinberge in Wingarten am Rhein. Jahrelang hat er nicht an seinen alten Heimatort gedacht. Doch Wingarten hat sich verändert: Hinter der gemütlichen Fassade herrscht eine feindselige Atmosphäre. Und dann kommen zwei Weinkritiker ums Leben. Ein Fall für Rechtsanwältin Karin Stark und Hauptkommisar Gregor Kosinski...

Anne Chaplet ist ein Pseudonym von Cora Stephan. Unter diesem Pseudonym veröffentlich die Autorin Kriminalromane.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783955306700
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum27.04.2015
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.2
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1709324
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

4

Klein-Roda in der Rhön

Bremer liebte sein Dorf und das ganze grelle stinkende laute Landleben. Was konnte ein gerade mal fünfzehn Familien umfassender Weiler bloß für ein Spektakel veranstalten! Aus einem langgestreckten Stall drei Höfe weiter, auf der linken Straßenseite, kam eine Wolke von Ammoniak herübergeweht - und durchdringendes Schreien. Bauer Knöss fütterte seine hysterischen Mastschweine. Ein Haus weiter heulte die Töle der Tröllers. Der Terrier hatte schon die ganze Nacht hindurch geklagt. Hoffentlich war das Vieh bald heiser.

Bremer hatte sich im Laufe der Jahre an alles gewöhnt: an Lärm, Gestank und Tod. In Klein-Roda wurde immer irgend etwas vergiftet oder sonstwie umgebracht. Und es wurde immer irgendwas gebrüllt. Gottfried, dessen Hof etwas oberhalb lag und der deshalb Bremers Haus voll unter Kontrolle hatte, brüllte ihm jeden Tag einen Morgengruß zu. Die Bekkers von nebenan brüllten nach ihren ungezogenen Kindern. Alle brüllten nach Bello, dem Bernhardiner, der gerne auf Trebe ging, um in jedem zugänglichen Garten riesige Krater für seine Geschäfte auszuheben. Und am meisten mußte man brüllen, wenn Erwin auf seinem Bulldog vorbeigedieselt kam, auf dem alten Lanz, einem Trecker, der gebaut worden war, bevor die Welt Lärmschutzverordnungen kannte.

Von rechts, von der Hauptstraße her hörte Bremer jetzt ein vertrautes Hämmern und Wummern, das sich zu einem rhythmischen Crescendo steigerte. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er zu, wie sein Nachbar Willi versuchte, den Zigarettenautomaten zur Freigabe eines Päckchens Zigaretten zu überreden. Dramatische Szenen hatten sich hier schon abgespielt, der Automat war getreten, geschüttelt, geschlagen worden. Ein völlig frustrierter Raucher hatte vor zwei Monaten eine Flasche Bier daran zertrümmert. Und ein Ferienbesucher aus dem Ruhrpott hatte ihn mit Handkantenschlägen traktiert.

»Gib's auf, Willi«, rief er ihm zu. Aber Willi hatte seine eigenen Methoden und deshalb heute schon nach etwa drei Minuten Erfolg. Resigniert sah Bremer dem Unausweichlichen entgegen: die Zellophanhülle um das Zigarettenpäckchen herum, die Willi jetzt herunterriß, würde unter Garantie wieder da landen, wo sie immer landete. Oder? Willi schien zu zögern. Aber dann holte seine Hand zu einer eingespielten Bewegung aus. Die Zellophanhülle landete in den Rosen in Bremers Vorgarten. Wie immer. Damit du was zu tun hast, schien Willis Gesichtsausdruck zu sagen, eine Mischung aus Unschuld und Unverfrorenheit. Bremer mußte gegen seinen Willen lachen.

Willi grinste zurück und schlurfte auf ihn zu, in grünen Gummistiefeln über dem ebenfalls olivgrünen Overall. Er hatte sich die erste Zigarette schon zwischen die Lippen gesteckt, das Feuerzeug aus der Tasche geholt.

»Und wie?« sagte er zur Begrüßung.

Bremer wunderte sich zum zigsten Mal, warum sein um ein Jahr jüngerer Nachbar zu jeder Jahreszeit ein farbloses, lappiges Hütchen auf den dunklen Locken trug. Das Kleidungsstück war kreisrund, hatte eine mit sechs Steppnähten in Form gehaltene schmale Krempe und ein mit einem Druckknopf verschlossenes Täschchen, das Willi meist an der rechten Seite trug. Oben war der Hut ein bißchen eingedellert, wie ein ausgebeulter Kochtopf. Das formlose Gebilde, wie es auch Angler und deutsche Touristen in Italien tragen, schien keine sichtbare Funktion zu erfüllen. Außer, vielleicht, etwaige kahle Stellen an Männerhinterköpfen zu verdecken. Unwillkürlich fuhr Bremer sich über den eigenen Kopf, durch die knisternden, kurzgeschnittenen Haare. Sie waren zwar weiß - schon seit er 28 war -, aber flächendeckend.

»Und selbst?« Er schlug mit der Hand nach den Zigarettenrauchschwaden.

»Bess hat geworfen«, sagte sein Nachbar. Plötzlich sah der Mann wie ein junger Vater aus, der vor Stolz fast platzte. »Ganz allein!«

»Herzlichen Glückwunsch!« Bremer wußte manchmal nicht genau, ob er seinen Nachbarn rührend oder ein bißchen spinnert finden sollte. Bess und Blume und Zeus, Zottel, Liesel und Brezel waren die Sterne an Willis Firmament. Bauer Knöss hatte ihm deshalb schon mal hinter seinem Rücken den Vogel gezeigt - Bremer hatte es gesehen - und »Der tickt doch nicht richtig, der Willi« gesagt. Vielleicht stimmte das ja - aber Bremer war als ehemaliger Städter der festen Überzeugung, es könne gar nicht schaden, wenn auch ein knüppelharter Bauersmann mal ein bißchen Gefühl für die Kreatur entwickelte.

»Man kann zugucken, wie es wächst.« Willi richtete den Blick in unbekannte Fernen. Genau das wird er getan haben, dachte Paul und klopfte seinem Nachbarn auf die Schulter. Bauern haben keine Zeit. Und Willi schon mal gar nicht. Nur für seine kleine Herde hatte er alle Zeit der Welt. Gestern früh um sechs war Bremer mit dem Rennrad an der Koppel vorbeigefahren und hatte ihn gesehen, wie er, die Arme aufs Gatter gelegt, seinen Tieren dabei zuschaute, wie sie mit ihren weichen Mäulern die Gräser und Kräuter aus der Wiese rupften.

Willi war in Ordnung. Daß seine Frau dauernd an ihm herumnörgelte, hielt Bremer für ungerecht. »Und dann ist er wieder mit der Bierflasche in der Hand vor der Glotze eingeschlafen«, hatte Marianne vor ein paar Tagen geschimpft, »und jetzt hab ich die ganze Sauerei in den Sofapolstern.« Paul fand seine Nachbarin und ansonsten gute Freundin in diesem Punkt kleinlich. Willi arbeitete wie ein Pferd, hatte Humor und sah auch noch gut aus mit seinem gebräunten Gesicht und den dunklen Locken, mit den sehnigen Armen und der immer noch ansehnlichen Figur - wenn man vor Augen hatte, welche Mengen der Bauer morgens, mittags und abends zu verdrücken pflegte. Und zum Saufen kam er offenbar gar nicht erst - er schlief ja, Marianne zufolge, schon vorher ein.

Nur die Hände, dachte Paul, als er Willi zusah, wie er die Kippe mit Daumen und Zeigefinger an den Mund hob und mit zusammengekniffenen Augen inhalierte - nur die schwieligen, rissigen, fleckigen Hände, die würde Willi nie mehr sauber kriegen. Hände, die Katzen und Hühnern das Genick umdrehen, die Mistforke in Rekordtempo schwingen und Kälbchen aus dem Mutterleib ziehen konnten. Und die verblüffend zärtlich waren, wenn er bei seinen Hochlandrindern stand und ihnen die Stirnlocken zwischen den Hörnern kraulte. Er guckte auf seine eigenen Hände. Die waren ein bißchen verkratzt, von den Rosen, aber sahen im wesentlichen noch so aus wie damals, als er in Frankfurt und nur am Schreibtisch arbeitete. Und das war auch besser so. Gigantische Pranken, die auf keine Tastatur mehr paßten, konnte er sich nicht leisten.

»Und die anderen?« Er drehte sich so, daß der Zigarettenqualm an ihm vorbeizog.

»Blume ist in drei Wochen dran.« Willis Augen glänzten.

Was für eine Wandlung. Willi, der Unsentimentale. Für den das Wort »Öko« ein Schimpfwort gewesen war. Der seinen Mastschweinen in ihrem stinkenden Stall ein kurzes Leben zumutete, wie es fürchterlicher kaum vorstellbar war. Denselben Willi hatten ein paar wuschelige Rinder plötzlich in einen Tierfreund verwandelt. Noch vor eineinhalb Jahren war Willi der Kopf des Widerstands gegen den grünen Ortsbeirat Moritz gewesen, der einsam und mit wachsender Verzweiflung versucht hatte, wenigstens ein Minimum an Umweltbewußtsein im Dorf zu schaffen. Und jetzt das.

Zugegeben: Bremer mochte Moritz nicht. Wer sich jenseits der vierzig noch immer die ergrauten Haare zum Pferdeschwanz band, war in seinen Augen lächerlich. Außerdem hielt er ihn für einen Besserwisser. Und am meisten störte ihn, daß er in Moritz eine Karikatur seiner selbst erkannte - des hundertfünfzigprozentig zum Landleben Bekehrten.

Aber damals hatte der grüne Über-Öko einfach recht gehabt. »Es wird nachts Gülle gefahren«, hatte Moritz in der Ortsbeiratssitzung mit ganz ruhiger Stimme begonnen. Kein Bauer durfte den Inhalt von Vieh- und Hausgruben zu jeder Jahreszeit und in jeder Menge auf die Felder bringen. Aber einige Dickköpfe ließen sich von keinerlei Vorschrift davon abhalten, genau das zu tun. Es ließ auf immerhin eine Spur von Schuldbewußtsein schließen, daß sie es wenigstens nicht mehr am hellichten Tag taten.

Moritz guckte vorsichtshalber niemanden an, als er anfügte: »Und ganz offenkundig wurde Gülle in der Flußaue abgelassen.« Im naturgeschützten Sumpfgebiet am Streitbach. Also dort, wo das Übermaß an Stickstoffverbindungen am verheerendsten wirkte.

»Na und?« hatte Willi geantwortet und gegrinst dabei. »Ist doch alles Öko!«

»Außerdem ist mir aufgefallen, daß sich auf dem Brandplatz am Auwiesenweg auffällig viele Blechdosen in der Asche befinden. Es ist nicht gestattet ...«

»Und wo steht das geschrieben?« war Willi, immer noch lächelnd, dazwischengegangen.

»In der Gemeindesitzung vom Donnerstag zur Sondermüllverordnung wurde noch einmal bekräftigt ...«

»Wo?« fragte Willi, lächelte noch sanfter und sagte dann ganz leise: »Hier hat nur einer was zu sagen: ich. Wir. Sonst keiner.« Alle hatten zugesehen, wie Moritz' Gesicht sich langsam rötete - es war gar nicht so einfach, einem gestandenen Bauern Aug' in Aug' zu widersprechen. »Und so«, fügte Willi hinzu, »so ist es immer schon gewesen. Verstehste?«

Willis Vorstellung von Recht und Gesetz ließ sich in einem Satz zusammenfassen: Grund und Boden, Flora und Fauna sind dem individuellen bäuerlichen Willen untertan. Um so verblüffender, daß dieser sortenreine Vertreter bäuerlicher Sturheit vor einem Jahr auf den Ökotrip gegangen war. Auf der Landwirtschaftsausstellung in Pfaffenheim hatte er sie kennengelernt, die Wundertiere aus Schottland: kleine, gehörnte Rinder...

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