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Das Blut der Freiheit

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
382 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.06.20151. Auflage
Eine umfassende und lebendige Darstellung der Französischen Revolution: Rolf Reichardt skizziert zunächst die bäuerlichen Erhebungen im ländlichen Frankreich, bevor er die Verhältnisse in den Provinzstädten und vor allem in Paris schildert. Die Französische Revolution war nicht nur ein gewaltsamer Umbruch, sie war auch zugleich eine »Kulturrevolution« und bewirkte den Durchbruch zur modernen politischen Freiheit. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Rolf Reichardt, geboren 1940, Dr. phil., studierte Geschichte, Romanistik und Politikwissenschaft in Heidelberg, Dijon und Marburg.
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Produkt

KlappentextEine umfassende und lebendige Darstellung der Französischen Revolution: Rolf Reichardt skizziert zunächst die bäuerlichen Erhebungen im ländlichen Frankreich, bevor er die Verhältnisse in den Provinzstädten und vor allem in Paris schildert. Die Französische Revolution war nicht nur ein gewaltsamer Umbruch, sie war auch zugleich eine »Kulturrevolution« und bewirkte den Durchbruch zur modernen politischen Freiheit. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Rolf Reichardt, geboren 1940, Dr. phil., studierte Geschichte, Romanistik und Politikwissenschaft in Heidelberg, Dijon und Marburg.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105604083
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum15.06.2015
Auflage1. Auflage
Seiten382 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1729254
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Kämpfe um Selbstbestimmung: Die Bauernrevolution in der Corrèze

Das Bas-Limousin war im späten 18. Jahrhundert ein ausgeprägtes »Bauernland«. Während die Kirche kaum mehr als 2 %, Adlige nur knapp 16 % und wohlhabende Bürgerliche 26 % des Grund und Bodens besaßen, verfügten die Bauern der Corrèze mit ihrem Bodenanteil von 55 % über mehr eigenes Land als in den meisten anderen Regionen Frankreichs. Da sie allerdings fast alle Zwergbauern waren (nur etwa 18 % der Landbevölkerung besaßen überhaupt kein Land), die von ihren oft weniger als 5 ha Splitterbesitz keine Familie ernähren konnten, mußten sie Äcker dazupachten und allerlei Nebenverdienste suchen, etwa als Saisonarbeiter in Aix oder Limoges. War ihre Lebenslage so schon prekär genug, wurde sie noch prekärer durch den Kirchenzehnt sowie die Natural- und Geldabgaben an die Grundherren, die - vor Abzug der staatlichen Steuern - ein Fünftel ihrer kargen Ernte auffraßen. Die Folge war, daß die Bauern sich bei Unwetter-, Frost- und Dürreschäden und den damit verbundenen Teuerungen hoffnungslos verschuldeten.

Selbst in diesem traditionsgebundenen Land jenseits der großen Verkehrswege, in dem weder - wie anderswo - skrupellose Großpächter noch übermächtige, tendenziell kapitalistische Grundherren die soziale Polarisierung zwischen Reichen und Armen vorantrieben, gelang der Revolution eine kurze, aber fundamentale Mobilisierung der bäuerlichen Massen. 1789 brach von außen die neue politisch-soziale Legitimität in die Dörfer ein und versetzte die Landbevölkerung in Aufruhr. Die revolutionären Volksaufstände in Paris fanden mit der Verzögerung von einigen Wochen oder Monaten Widerhall in einer bäuerlichen Protestbewegung. Ausgangspunkte neuer Ideen und revolutionärer »Funken« waren zwar die Städte, doch zeigte auch die Landbevölkerung Ansätze eines bewußten Egalitarismus, artikuliert von eigenen Sprechern und halb alphabetisierten »Schriftführern«. Das gilt insbesondere für den südwestlichen Teil des Departements Corrèze mit dem Städtedreieck Uzerche - Tulle - Brive. Von den Bauernrevolten des späten 16. Jahrhunderts (Croquants) bis zu den Agrarunruhen von 1814, 1830 und 1848 besteht hier eine lange regionale Tradition kollektiver Verstöße gegen die »öffentliche Ordnung«. Sie waren Ausdruck latenter Protest- und Gewaltbereitschaft gegen Ansprüche besonders der staatlichen Obrigkeiten.

Trügerische Ruhe vor dem Sturm (1789)

Nach einer schlechten Getreideernte greifen im Frühjahr 1789 Lebensmittelknappheit und damit verbundene Feindseligkeit, Haß gegen Getreidehändler und Bäcker um sich - gerade als die Gemeinden sich versammeln, um für die Generalstände ihre Gravamina aufzuschreiben und ihre Abgeordneten zu wählen. Soweit die Beschwerdehefte der Landgemeinden für die Generalstände (cahiers de doléances) erhalten sind, belegen sie eine deutliche Unzufriedenheit mit der Grundherrschaft und eine verbreitete Kritik am Zehnten. Ende Juli streifen Ausläufer der Grande Peur, einer kollektiven Panik, die Region; die Panik löst keine Revolte aus, mobilisiert aber große Teile der Bevölkerung: Während sich in den Städten Bürgerwehren bilden, versammeln sich auf dem platten Lande provisorisch bewaffnete Bauernhaufen - teils von ihren Pfarrern oder Grundherren geführt - gegen den imaginären Feind. In Ussel läuft das Volk auf dem Marktplatz zusammen und fordert, daß die Edelleute entwaffnet werden und sich »dem Dritten Stand unterordnen«. Die Bauern verstoßen offen gegen das adelige Jagdprivileg, verweigern die Zahlung des Zehnten und der Feudalabgaben. Die halbherzigen Antifeudaldekrete der Nationalversammlung im August bringen die Gemüter vollends in Gärung.

Wie sich mancherorts der Zündstoff ansammelte, illustriert ein sich schrittweise verschärfender Konflikt zwischen dem adeligen Schloßherrn de La Porte und seinen Bauern im Gebiet der Kleinstadt Brive. Geführt von dem Wirt Pierre Durieux, künftiger Tambourmajor der Nationalgarde und Mitglied des Bürgerkomitees von Brive, ziehen die abhängigen bäuerlichen Kleinpächter um den 10. August, also wenige Tage nach der Grande Peur, zum Schloß Lissac und fordern die Rückgabe einer gemeindlichen Mühle, die de La Porte sich wegen ausstehender Pachtzinsen angeeignet hatte. Dieser weist das Ansinnen brüsk zurück. Darauf werden Abordnungen seiner Grundholden bis Anfang Dezember mehrfach erneut vorstellig und erhöhen dabei von Mal zu Mal ihre Forderungen: Rückerstattung okkupierter Gemeindeländereien, eines Brunnens und einer Scheune, keine Betrügereien mehr bei der Grundsteuer! Schließlich besetzt am 4. Dezember ein Trupp Bauern das Schloß, zerstört den umstrittenen Brunnen, richtet vor dem Schloß einen Maibaum (mai) auf und daneben einen Galgen mit der drohenden Schrifttafel: »Hier wird der erste Einwohner gehängt, der dem Seigneur die Grundrente bezahlt. Hier wird der Grundherr selber gehängt, wenn er die Rente annimmt.«[2]


Ausbruch des Bauernsturms (1790)

Um den Jahreswechsel brechen in einem Dutzend Landgemeinden südlich von Brive Unruhen aus. Die Bauern ziehen zum Schloß der Leymoneyrie in Végennes, lassen sich bewirten und ersetzen den Schandpfahl der grundherrlichen Gerichtsbarkeit durch einen Maibaum. In Saint-Chamant zerstören sie die Familiengruft des lokalen Grundherrn in der Kirche, holen die Uhr vom Giebel seines Schlosses herunter, pflanzen einen Maibaum und beschließen, dieses und zwei weitere Schlösser in Brand zu stecken (was sie aber nicht ausführen). In der zweiten Januarhälfte weiten sich die Unruhen aus und gewinnen an antifeudaler Schärfe: In Chanteix und Saint-Mexant verschaffen sich die aufständischen Bauern Zutritt zu den Teichen der sich heftig wehrenden Kartäusermönche von Glandier, fischen sie leer und treiben Schwarzhandel mit ihrer Beute; nachdem die Landpolizei drei von ihnen verhaftet, befreien die übrigen sie - im Anschluß an die sonntägliche Messe - aus dem Gefängnis.

In der Kleinstadt Allassac reißen die Bauern am 24. Januar nach der letzten Messe die Ehrenbänke dreier Seigneurs samt der Loge des örtlichen Grundherrn und Generalleutnants des Gerichtsbezirks Uzerche, Pradel de Lamase, aus dem Gotteshaus, um sie auf dem Kirchplatz in einem Freudenfeuer öffentlich zu verbrennen. Sie läuten die Sturmglocke und rufen damit die Bauern der Umgebung zu Hunderten in den Ort, während die Notabeln unter Protest fliehen; bis zum Abend brechen die Aufständischen in zehn Herrenhäuser ein und lassen sich schriftlich bescheinigen, daß sie ihre ausstehenden Abgaben geleistet hätten. Bei der dreistündigen Belagerung des Schlosses des amtsadeligen Kronbeamten Pradel de Lamase kommen vier Bauern zu Tode. Die Nationalgarde von Brive sorgt am folgenden Tag zwar kurze Zeit für Ruhe, doch ihr Befehlshaber Durieux sympathisiert heimlich mit den Aufständischen; sobald er abgezogen ist, formiert sich die bäuerliche Truppe am 26. Januar erneut, umrundet mit Trommeln und Pfeifen die Stadtmauern, zieht auf den Marktplatz, verlangt Essen und Trinken, erzwingt, daß die adeligen Wetterfahnen von den Giebeln der Herrenhäuser entfernt werden, ersetzt einen Schandpfahl, Wahrzeichen der grundherrlichen Gerichtsbarkeit, durch einen Maibaum. Worum es ihnen bei alldem geht, fassen »die armen Einwohner« von Allassac am 10. Februar in einer Beschwerdeschrift an die Nationalversammlung zusammen, die deutlich radikaler ist als ihr ein knappes Jahr zuvor verfaßtes Cahier für die Generalstände: Sie prangern den »feudalen Despotismus« und die »Grausamkeit« ihrer Grundherren an, von denen sie wie »Sklaven« und »Vieh« behandelt würden; sie fordern das allgemeine Jagdrecht und freie Nutzung des Waldes; sie wollen eine menschenwürdige Grundherrschaft, nicht deren Abschaffung. Bis Ende Januar erfassen gleichartige Unruhen über 30 Gemeinden des Bas-Limousin, so daß dessen Abgeordnete in der Nationalversammlung bestürzt ausrufen, in ihrer Heimat seien Anarchie und Willkür ausgebrochen.

In Wirklichkeit sind jene Unruhen von 1790, an denen sich vom Landarbeiter über den Kleinbauern bis zum dörflichen Handwerker fast alle bäuerlichen Gruppen beteiligen, keineswegs blindwütige Ausbrüche roher Gewalt, sondern den Regeln von Kirchen- und Dorfgemeinde verpflichtete Bewegungen, geregelte Symbolhandlungen, die sich eindeutig gegen die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fundamente der Grundherrschaft richten. Ohne wie anderswo die seigneurialen Archive zu verbrennen, sind die meist nur mit Stöcken, Hacken und Sicheln bewaffneten Bauern überall bestrebt, ihren vorausgegangenen Steuerstreik sanktionieren und sich künftige Abgabenfreiheit bescheinigen zu lassen. Mindestens ebenso wichtig ist ihnen jedoch, daß die öffentlichen Zeichen des Dünkels und des sozialen Vorrangs des Schwert- und Amtsadels - von der Ehrenbank in der Kirche bis zu der Lehensbesitzern vorbehaltenen Wetterfahne - verschwinden. Ihre Wortführer verkünden: »Es soll keinen Edelmann und keinen Bürger mehr geben [...]. Wir sind alle gleich! «[3] In diesen radikalen Egalitarismus mischt sich ihre Genugtuung, nach Jahrhunderten der Unterordnung nun ihrerseits obenauf zu sein. Als sichtbares Wahrzeichen ihrer »Machtergreifung« errichten...

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