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Häutungen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
160 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.09.20151. Auflage
Ein feministischer Klassiker von Verena Stefan »Häutungen«, berühmt geworden als Bibel der Frauenbewegung, ist der erste deutschsprachige literarische Text einer Feministin der 70er Jahre. Mit unübertroffener Genauigkeit analysiert die Autorin heterosexuelle Herrschaftsverhältnisse und die Aufenthaltsbedingungen, die für Frauen als Kolonisierte in der Welt der Männer gelten. Zu einem Mann zu gehören definiert sie als angelerntes Suchtverhalten, das den Interessen der Männer dient. Frauen bleiben sich selbst und einander fremd. Etappenweise schildert Verena Stefan ihren Ausbruch aus der Abhängigkeit und den Beginn einer lesbischen Liebe. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Verena Stefan, geboren 1947 in Bern, arbeitete als Schriftstellerin, Übersetzerin und Dozentin für kreatives Schreiben viele Jahre in Berlin und (West-)Deutschland. Mit dem Prosaband ?Häutungen? gelang ihr 1975 der literarische Durchbruch. Es folgten u.a. ?Es ist reich gewesen? (1993), ?Rauh, wild und frei. Mädchengestalten in der Literatur? (1997) und ?Fremdschläfer? (2007). ?Häutungen? ist ein in viele Sprachen übersetzter Bestseller feministischer Literatur geworden. Seit 2000 lebt die Autorin in Montreal.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR3,99

Produkt

KlappentextEin feministischer Klassiker von Verena Stefan »Häutungen«, berühmt geworden als Bibel der Frauenbewegung, ist der erste deutschsprachige literarische Text einer Feministin der 70er Jahre. Mit unübertroffener Genauigkeit analysiert die Autorin heterosexuelle Herrschaftsverhältnisse und die Aufenthaltsbedingungen, die für Frauen als Kolonisierte in der Welt der Männer gelten. Zu einem Mann zu gehören definiert sie als angelerntes Suchtverhalten, das den Interessen der Männer dient. Frauen bleiben sich selbst und einander fremd. Etappenweise schildert Verena Stefan ihren Ausbruch aus der Abhängigkeit und den Beginn einer lesbischen Liebe. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Verena Stefan, geboren 1947 in Bern, arbeitete als Schriftstellerin, Übersetzerin und Dozentin für kreatives Schreiben viele Jahre in Berlin und (West-)Deutschland. Mit dem Prosaband ?Häutungen? gelang ihr 1975 der literarische Durchbruch. Es folgten u.a. ?Es ist reich gewesen? (1993), ?Rauh, wild und frei. Mädchengestalten in der Literatur? (1997) und ?Fremdschläfer? (2007). ?Häutungen? ist ein in viele Sprachen übersetzter Bestseller feministischer Literatur geworden. Seit 2000 lebt die Autorin in Montreal.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105605530
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum15.09.2015
Auflage1. Auflage
Seiten160 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse705 Kbytes
Artikel-Nr.1820772
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Kakophonie
Vorwort zur Neuausgabe von 1994

Was machst du dann?

Mittlerweile werde ich als Veteranin der Neuen Frauenbewegung eingeladen, um zu berichten, wie es damals war, wie ich die letzten zwanzig Jahre sehe und ob sich überhaupt irgend etwas geändert hat. Ich werde eingeladen, weil ich zu einer Symbolfigur des Aufbruchs geworden bin, weil ich Häutungen geschrieben habe, weil Häutungen der erste literarische Text aus der Neuen Frauenbewegung war, weil Häutungen Furore gemacht hat.

 

In der Jubiläumsrede, die ich 1990 zum fünfzehnjährigen Bestehen von Lillemor´s Frauenbuchladen in München hielt, reflektierte ich die Epoche, in der es keine Frauenbuchläden, keine Frauenverlage und keine feministischen Texte (und glücklicherweise keinen irreführenden Begriff wie Frauenliteratur) gab:

 

»Ich kann mich gut daran erinnern, wie es war, als es das alles nicht gab, und es war eine schreckliche Zeit. 1967, als ich Abitur machte, war Monique Wittig zweiunddreißig Jahre alt und hatte bereits 1964 für ihr erstes Buch »Opoponax« den prix médicis bekommen, im gleichen Jahr, in dem Christa Reinig mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Bis heute kann aber die eine die andere nicht lesen, weil Christa Reinigs Bücher nicht übersetzt worden sind. Niemand hat uns damals gesagt, daß diese Autorinnen überhaupt existierten. Auch von einer Virginia Woolf hatten wir nie gehört und nicht von einer Marieluise Fleisser. Ich kann mich nicht erinnern, während meiner Schulzeit je von einer farbigen Autorin gehört zu haben. Der Unterricht war klassisch. Danach, nach 1968, rief die Linke den Tod der bürgerlichen Literatur aus. Was zählte, geschah auf der Straße, in den vollen Kneipen, im Kino und in den Protestsongs. Erst 1972 begann ich wieder zu lesen. Und gemeinsam mit anderen Frauen stellte ich fest, wie ausgehungert wir waren, in welcher Mangelsituation wir lebten. Wir wollten vorkommen, als Subjekte, nicht als die Beschriebenen aus männlicher Sicht. Wir wollten wissen, daß Virginia Woolf schon 1928 überlegt hatte, was es für die moderne Literatur bedeutete, wenn in einem Buch zu lesen wäre: Chloe liebte Olivia. Oder daß in einem Roman von Doris Lessing die Protagonistin darüber nachdachte, ob eine menstruierende Frau in einem Buch vorkommen dürfe oder nicht.

Und wo waren die Piratinnen, die Erfinderinnen, die Kämpferinnen, die Staatsgründerinnen? Eines der wichtigsten Wörter, die wir uns Anfang der siebziger Jahre beibrachten, war, so glaube ich, Expertin. Wir stellten fest, eines Tages, daß wir davon ausgingen, von jetzt an, daß wir Expertinnen waren. Expertinnen für unseren Körper, unsere Sexualität und die Interpretation unserer Sexualität, unseren Geist, unsere Psyche, unsere Träume und die Interpretation unserer Träume; Expertinnen für unsere Kreativität und unsere Produkte. So begannen wir miteinander zu sprechen. Wir begannen, die weibliche Welterfahrung neu zu definieren, begannen mit eigenen Worten zu sagen, was Welt für uns bedeutete. Unsere Körper werden benutzt, um Waren zu verkaufen, mit denen Männer Millionen machen, schrieben wir 1972 im FrauenhandbuchNr. 1 von Brot â Rosen. So einen Satz gab es bis dato nur in Texten der amerikanischen Frauenbewegung zu lesen. Wir hatten in einer Welt gelebt, in der solche Sätze nicht vorkamen. Eine öffnete der anderen Augen und Ohren. Eine teilte der anderen mit, welche Wahrnehmungen sie für normal hielt. Jede begann, ihre Existenz als existent zu begreifen, weil sie Sätze hören, lesen und sagen konnte, in denen ihre Wahrnehmungen existierten.

 

Plötzlich gab es wieder Bücher. Jene, die sagten, sie wüßten, was Literatur sei, und nicht aufgehört hatten zu lesen, gaben Geheimtips. Die Glasglocke, Die Fahrt zum Leuchtturm, Ein Zimmer für sich allein. Im alternativen Kino starrten wir nach Mitternacht auf die Leinwand, auf der ein mächtiger Kopf auftauchte mit kurzgeschorenem Haar. Sie sah schon zu Lebzeiten aus wie ein Monument, und sie war Schriftstellerin. Sie schrieb nicht nur, sie lebte jahrzehntelang mit ein und derselben Geliebten zusammen. Der Film hieß: If this you see remember me. Tags darauf klapperte ich die Buchläden ab. Die Ära der Frauenbuchläden hatte noch nicht begonnen. Ein Exemplar von Drei Leben stöberte ich auf. Wochenlang leben wir in den Drei Leben, besonders in Melanchthas Leben, so wie wir wochenlang mit Christa T. leben. Kaum haben wir uns von Sexus und Herrschaft erholt, gibt es bereits den Weiblichen Eunuchen, Die Potenz der Frau, und weiter geht es mit Rubyfruit Jungle, Riverfinger Women und Flying. Auch die neuen Parolen werden von Land zu Land und von Kontinent zu Kontinent gereicht: Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad, heißt es in Frankreich, und mit der Zeile I want a Women´s Revolution like a lover beginnt Robin Morgans Gedicht Monster. Der Satz rollt sich wie ein Banner von der Zunge: I want a Womens Revolution like a Lover. Anfangs sind wir alle Schwestern. Der Anfang ist schnell vorbei. Dann heißt es: Sisterhood is powerful, it can kill you.

 

Häutungen ist die Geschichte eines Buches, das sich ereignet hat. Es ist nicht vom Buchmarkt gemacht, nicht protegiert, nicht lanciert worden. Der Hunger der Leserinnen nach einem solchen Buch hat die Auflagenhöhe mitbestimmt. Die Auflagenhöhe von Häutungen hat den Aufbau des Verlages Frauenoffensive möglich gemacht. Die Geschichte von Häutungen ist eine verkehrte Geschichte.

 

Für mich ist es vor allem die Geschichte der Autorin, die ich geworden bin. 1977 habe ich im zweiten Nachwort zu Häutungen geschrieben: Häutungen ist nicht das erstlingswerk einer literarischen karriere. Ein buch zu schreiben war damals die geeignetste form, für die sache der frauen zu handeln. Es bedeutete nicht, daß zwangsläufig ein zweites buch folgen würde.

 

Nach der Häutung folgt die Identitätskrise. Als die Auflagenhöhe von Häutungen stetig steigt und die euphorischen und wütenden Reaktionen auf die steigende Auflagenhöhe sich mehren, folgt meinerseits die Identitätskrise. Die große innere Lähmung setzt ein. Ich weiß noch nicht, daß ich diese Zeit später so nennen werde. Die Zeit scheint in ein sprachloses, ein unsagbares und unbeschreibbares Vakuum zurückzufallen wie in der Zeit vor Häutungen. Das Unsagbare schmerzt jetzt auf eine andere Weise, weil ich inzwischen weiß, ich kann Teile des Unsagbaren schreiben. Was ich geschrieben habe, hat Aufsehen erregt. Sensation und Erfolg haben Neid, Konkurrenz, Habgier, Intrigen, Korruption, Verrat und Blockaden hervorgerufen. Vor Schreck hat es mir die Sprache verschlagen. Die neue Sprachlosigkeit wirkt wie ein Dauerschmerz, der schließlich jeden schöpferischen Impuls betäubt. Ein Teil meines Bewußtseins ist nur damit beschäftigt zu wünschen, der Schmerz möge nachlassen. Der Schmerz läßt nicht nach. Er wandelt sich gnädigerweise in eine Erstarrung. In mir erstarrt mein gerade zum Leben erwachtes Wissen von fieberhaft durchschriebenen Nächten, von besessenem, nicht nachlassendem Schreiben, vom Gefühl, schreiben zu wollen und zu können. Die Selbstzweifel, die mich periodisch quälten, und die zeitweiligen Ängste vor einer Veröffentlichung konnten das Weiterschreiben nicht aufhalten. Die Erstarrung jetzt scheint mich auszulöschen. Ich schlage um mich und kann sie nicht durchbrechen. Die Verzweiflung von Jahren wird sie nicht aufweichen können. Ich bin zu ungeduldig und zu unerfahren mit Schreiben, um zu begreifen, daß diese Erstarrung notwendig ist, um das Schreiben durch Zerstörung von außen und vor unbedachtem, eilfertigem Verschleiß meinerseits zu schützen. Die Erstarrung schenkt mir Zeit. Meine Gefühle, die mit der neuen Situation nicht fertig werden, brauchen Zeit zum Nachwachsen.

 

Aus dem Brief einer erfahrenen Publizistin habe ich mir 1976 eine Stelle ausgeschnitten, die lebensrettend für mich war: Nur dies noch: Auf keinen Fall würde ich mich an Deiner Stelle unter Publikationsdruck setzen lassen - von niemandem und um keinen Preis. Schreiben: ja - viel ausprobieren. Aber wenig herausgeben. Warten können. Warten, bis das, was du schreibst, so sperrig ist, daß es sich nicht verwursten läßt. Der kapitalistische Markt ist ein Schlachthaus ... Und Mißverständnisse rechts liegen lassen, nicht verbal dagegen zu Feldeziehen. Das schaffst Du nicht. Du brauchst Dich auf darin, und sie haben ihr Futter.

 

Der Schmerz hat nachgelassen. Achtzehn Jahre sind vergangen. Seit drei Tagen schiebe ich Blätter mit Notizen auf meinem Schreibtisch hin und her, lese in alten Briefen, Rezensionen und Tagebüchern, zerreiße und verbrenne einen Stapel Papierballast. Ich will in einfachen Sätzen über jene Zeit berichten und erlebe die Lähmung noch einmal nach, unfähig, den ersten Satz zu schreiben. Mir wird übel, sobald ich es versuche. Die Übelkeit breitet sich im ganzen Körper aus. Es gibt nur eine Möglichkeit, das Übel zu lösen: den ersten Satz zu schreiben, nach dem ersten den zweiten, nach dem zweiten den dritten, ohne abzusetzen, und nach der ersten Seite weiß ich, wie es weitergeht.

 

Es geht weiter in einem Hausflur in einem Haus mitten auf dem flachen Land. Eine Freundin ruft an. Wie...
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