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Ehescheidung in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
282 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.09.20151. Auflage
Dirk Blasius untersucht die Geschichte des Scheidungsproblems vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1945, indem er die Methoden der Rechts- und Sozialgeschichte gemeinsam anwendet und miteinander in eine fruchtbare Beziehung setzt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Dirk Blasius, geboren 1941, Dr. phil., Professor em., lehrte von 1974 bis 2006 Rechts-, Verfassungs- und Sozialgeschichte an der Universität/GHS Essen. Autor zahlreicher Bücher, u. a. »Der verwaltete Wahnsinn. Eine Sozialgeschichte des Irrenhauses« (1980), »Ehescheidung in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert« (1992) und »Zerbrochene Geschichte. Leben und Selbstverständnis der Juden in Deutschland« (als Hg., 1991).
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Produkt

KlappentextDirk Blasius untersucht die Geschichte des Scheidungsproblems vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1945, indem er die Methoden der Rechts- und Sozialgeschichte gemeinsam anwendet und miteinander in eine fruchtbare Beziehung setzt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Dirk Blasius, geboren 1941, Dr. phil., Professor em., lehrte von 1974 bis 2006 Rechts-, Verfassungs- und Sozialgeschichte an der Universität/GHS Essen. Autor zahlreicher Bücher, u. a. »Der verwaltete Wahnsinn. Eine Sozialgeschichte des Irrenhauses« (1980), »Ehescheidung in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert« (1992) und »Zerbrochene Geschichte. Leben und Selbstverständnis der Juden in Deutschland« (als Hg., 1991).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105603963
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum15.09.2015
Auflage1. Auflage
Seiten282 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1222 Kbytes
Artikel-Nr.1820780
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1. Wandlungen des Eherechts in der Frühen Neuzeit

Die Wende in der Geschichte des Eherechts ist eng mit dem Namen Martin Luther verknüpft. Sein Protest gegen das äußere Gebaren der Kirche weitete sich zur Infragestellung von Glaubensprinzipien aus, die zur Substanz der katholischen Lehre gehörten. Luther verwarf die Ehe als Sakrament und gab damit den alten kirchenrechtlichen Grundsatz ihrer Unauflöslichkeit preis. Die weltliche Obrigkeit, nicht mehr die Kirche selbst, sollte zukünftig der Garant der christlichen Grundlagen der Ehe sein.

Die Reformation sprengte das seit dem Hochmittelalter von der Kirche und ihren Gerichten für Eheschließung und Eheauflösung festgelegte Regelsystem. Sie öffnete damit langfristig das im göttlichen Recht verankerte Institut der Ehe für Zwecke, die mit den Besonderheiten irdischer Ordnungspolitik zusammenhingen. Luther selber hat diese Entwicklung freilich noch nicht vor Augen gestanden. Trotz allen theologischen Kampfeseifers hielt er an den christlichen Grundlagen der Ehe fest. Dennoch sind besonders die Schriften Luthers zu Wegmarken eines neuen Eheverständnisses geworden. Sie bezeichnen den Punkt, von dem die Säkularisation der Ehe als Rechts- und Sozialkomplex ihren Ausgang genommen hat.

Für Luther war die Ehe »eyn eußerlich leyplich ding wie andere weltliche hanttierung« (Vom ehelichen Leben; 1522); es könne ja »niemand leucken, das die ehe ein eußerlich weltlich ding ist wie kleider und speise, haus und hoff, weltlicher obrigkeit unterworfen wie das beweisen so viel keiserliche rechte daruber gestellet« (Von Ehesachen; 1530). Hier ging es um mehr als theologische Streitfragen; letztlich waren auch Machtfragen angeschnitten, denn die These von der Ehe als »weltlich ding« hatte große Folgen für den Bereich der kirchlichen Jurisdiktion. Auch hier zog Luther die Konsequenzen aus seiner Ablehnung der katholischen Sakramentenlehre. Die Ehe als ein »weltlich ding« bedinge auch in bezug auf Hochzeit und Ehestand ein »weltlich geschefft«, aus dem sich die Geistlichen herauszuhalten hätten. Ihre Aufgaben wollte er auf den inneren Bereich, den Bereich des Gewissens beschränkt wissen: »Hier wil ichs beschließen und auff dis mal lassen, und wie droben also auch itz meinen lieben herrn und brueder, den pfarhern und seelsorgern raten, das sie die Ehesachen, als weltliche hendel ynn weltlichen Rechten verfasset, von sich weisen und sich der entschlahen so viel sie immer muegen. Und lasset die Oberkeit oder Officialen damit umbgehen, Ausgenomen, das wo man yhres rats yhm gewissen bedarff, Als wo etliche ehesachen fur fielen, darinn die Officialen odder Rechtslerer die gewissen verstrickt und verwirret hetten odder sonst etwa widder die rechte eine Ehe volnbracht were, das sie daselbst yhr ampt uben und die gewissen troesten und nicht yhm zweivel odder irthum stecken lassen.« (Von Ehesachen; 1530).[59] Was Luther hier postuliert, die Trennung zwischen kirchlichen Aufgaben und Rechtsaufgaben, die aus der staatlichen Regelungskompetenz für eheliche Verhältnisse erwachsen, sollte erst im späten 19. Jahrhundert, in einem für das Verhältnis von Staat und Kirche besonders gelagerten Geschichtsabschnitt verwirklicht werden.

Sowohl auf dem Gebiet der Ehegesetzgebung wie der Ehegerichtsbarkeit hat die Reformation einen entscheidenden Macht- und Geltungsverlust der katholischen Kirche eingeleitet. In gewisser Weise ist das vom Tridentiner Konzil beschlossene Dekret »Tametsi« v.J. 1563 als eine Art Gegenzug der verunsicherten Kirche anzusehen. Es brachte eine Bekräftigung des kanonischen Eherechts, und hier besonders des Eheschließungsrechts.[60] Die tridentinische Ehekonzeption ist zum festen Haltepunkt der katholischen Kirche in den nachfolgenden Jahrhunderten geworden; allerdings konnte sie nur in der katholischen Staatenwelt verwirklicht werden. Die Gebiete, in denen eine protestantische Tradition wurzelschlagen konnte, waren die Einbruchstelle für den zähen Versuch des neuzeitlichen, von den Theorien der Aufklärung beeinflußten Staates, die kirchenrechtlichen Ursprünge des Eherechts zu löschen und dieses Recht voll in sein Rechtssystem zu integrieren.

Die frühneuzeitlichen Wandlungen des Eherechts, die hier nur kurz angesprochen wurden, gehören in den Vorraum einer Entwicklung, an deren Ende der moderne bürgerliche Rechtsstaat steht. Das Reformationszeitalter bildet das Schwungrad in einem langen historischen Prozeß, der letztlich den Staat die Herrschaft über das gesamte Eherecht von der Eheschließung bis zur Ehescheidung erlangen ließ. Man würde freilich an der historischen Tiefenproblematik dieses Prozesses und damit an seinen inneren Widersprüchen und Gegenläufigkeiten vorbeisehen, hätte man nur jene Grundtendenz im Auge, die im Begriff der Säkularisation so treffend eingefangen zu sein scheint.[61]

Es waren zwei diplomatische Akte, die in der Frühen Neuzeit zu einer Gabelung der modernen Eherechtsgeschichte geführt haben. Die konfessionellen Auseinandersetzungen, die in den Jahrzehnten nach der Reformation immer wieder die Gefahr kriegerischer Verwicklungen heraufbeschworen hatten, fanden im Jahre 1555 mit dem Abschluß des Augsburger Religions- und Landfriedens eine reichsrechtliche Regelung. Die Konfessionseinheit des Reiches, Erbe des mittelalterlichen christlichen Universalismus, fiel einer Politik zum Opfer, für die die innere Befriedigung des Reiches Vorrang hatte. Das bisherige, oft gewaltsame Gegeneinander von Katholiken und Protestanten sollte in ein rechtlich eingehegtes Nebeneinander überführt werden. »Cuius regio, eius religio«, wem das Land gehört, der bestimmt auch die Religion, dieser interpretierende Rechtssatz faßt formelhaft die Kompromißlösung des Augsburger Friedenswerks, in dem die schon auf dem Speyerer Reichstag v.J. 1526 erkennbare Linie ihre Fortsetzung fand, zusammen. Bekräftigt und präzisiert wurden die Regelungen bezüglich der Religionshoheit durch den Westfälischen Frieden v.J. 1648. 1624 wurde als Stichjahr für den jeweiligen konfessionellen Besitz- und Bekenntnisstand festgelegt. Die Konfession des Territorialherrn war, wenn auch nicht ausschließlich, die Richtgröße für die Konfessionszugehörigkeit der Bevölkerung. Mit dem Jahr 1624 waren die konfessionellen Grenzen im Reich endgültig gezogen. Die Reformationsbewegung, die vom Wirken Luthers ihren Ausgang genommen hatte, war zum festen Bestandteil eines neuen Staatskirchenrechts geworden.

Diese geschichtlichen Zusammenhänge, also die Entstehung von zwei Konfessionskulturen, sind der Hintergrund, vor dem auch die Territorialisierung des Eherechts in der Neuzeit zu sehen ist. Die in Deutschland bestehenden Staaten geschlossenen, aber unterschiedlichen Bekenntnisses bildeten große Unterschiede in der Handhabung von Ehesachen aus. Ein gutes Beispiel für die Rechtsverhältnisse in einem katholischen Territorium bildet der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis für Bayern v.J. 1756.[62] Das kanonische Recht, wie es durch das Tridentiner Konzil festgelegt war, findet in diesem Gesetzgebungswerk eine säkulare Stütze. Die Schließung wie die Trennung einer Ehe werden ausschließlich der geistlichen Obrigkeit anheimgegeben; ihr will der Staat in keiner Weise vorgreifen . In katholischen Territorien verbleibt das Eherecht sowohl materiell wie formell in der Kompetenz von kirchlichen Instanzen.

Eine andere Richtung nahm die Entwicklung in den dem Protestantismus zugehörigen Territorien. An der Spitze des Kirchenregiments stand hier als weltliche Obrigkeit der Landesherr. Seine Interessen, die nicht primär kirchlicher Natur waren, drängten im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts den kirchlichen Einfluß auf Ehe und Ehegestaltung immer mehr zurück. Die Traditionsbestände des Kirchenrechts wurden im Zeitalter des Absolutismus zu Elementen einer weltlichen Strategie, die auf die Stabilisierung und Formierung von Sozialverhältnissen aus war. So verstärkte sich im 17. Jahrhundert die Tendenz, das Eherecht mit seinen Eheschließungs- und Scheidungsbestimmungen in die Stadt- und Landrechte einzugliedern. Ursprünglich hatten auch die protestantischen Obrigkeiten die Eigenständigkeit des kirchlichen Eherechts in eigenen Kirchen- oder Konsistorialordnungen gewahrt. Die Entstehung des frühneuzeitlichen Staates aber war begleitet und letztlich wohl auch abhängig von seiner Fähigkeit, über administrative Rationalität die krisenhaften Erscheinungen des Gesellschaftslebens in den Griff zu bekommen. Und das Eheleben zählte zu dieser Zeit nicht zu den geordnetesten Bereichen des Gesellschaftslebens. Den kirchlichen Gerichtsorganen mangelte es an gesellschaftlicher Steuerungs- und Gestaltungskompetenz; sie begriffen die Ehe ja auch in erster Linie in ihrer Beziehung zur Ordnung der Kirche, weniger zur Ordnung der Gesellschaft. Hier nun setzte die staatliche Ehegesetzgebung an. Sie stand unter den Geboten der Staatsraison und der öffentlichen Nützlichkeit.

Die protestantischen Territorien waren Wegbereiter einer Entwicklung, die zur Ehe als Institution einer profanen Rechtsordnung geführt hat. In den staatlichen Eheverboten des 17. und 18. Jahrhunderts, die übrigens in den katholischen Territorien - nach anfänglicher Zurückhaltung beim Zugriff auf das Eheband  - nicht weniger scharf ausfielen, dokumentiert sich am nachdrücklichsten das Prognostische, das in Luthers bündiger Formulierung von der Ehe als einem »eußerlich leyplich...
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Dirk Blasius, geboren 1941, Dr. phil., Professor em., lehrte von 1974 bis 2006 Rechts-, Verfassungs- und Sozialgeschichte an der Universität/GHS Essen. Autor zahlreicher Bücher, u. a. »Der verwaltete Wahnsinn. Eine Sozialgeschichte des Irrenhauses« (1980), »Ehescheidung in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert« (1992) und »Zerbrochene Geschichte. Leben und Selbstverständnis der Juden in Deutschland« (als Hg., 1991).