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The other Girl

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am26.02.2016Auflage
»Alle hielten uns für tot. Wir wurden seit fast zwei Monaten vermisst. wir waren zwölf Jahre alt. Was sonst hätten sie denken sollen?« Lois Als Lois und Carly May in das Auto eines Fremden steigen, fühlt sich zunächst alles wie ein großes Abenteuer an. Endlich gibt ihnen jemand das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein. Der Mann bringt die beiden in eine abgelegene Waldhütte und lässt sie nicht aus den Augen. Langsam dämmert den Mädchen, dass noch etwas Schreckliches geschehen wird. Zwei Jahrzehnte später: Lois ist Literaturprofessorin und Autorin. Carly May schlägt sich als erfolglose Schauspielerin durch. Ein Drehbuch, das ihre Geschichte erzählt, bringt sie wieder zusammen. Ihre Geschichte ist noch nicht vorbei. »Der Roman fragt: Wovor haben wir Angst? Dieses Buch müssen Sie entdecken!« New York Daily News

Maggie Mitchell unterrichtet englische Literatur an der Universität von West Georgia und lebt dort mit ihrem Ehemann und ihren Katzen. Sie hat bereits zahlreiche Kurzgeschichten in Literaturmagazinen veröffentlicht. 'The other Girl' ist ihr erster Roman.
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Produkt

Klappentext»Alle hielten uns für tot. Wir wurden seit fast zwei Monaten vermisst. wir waren zwölf Jahre alt. Was sonst hätten sie denken sollen?« Lois Als Lois und Carly May in das Auto eines Fremden steigen, fühlt sich zunächst alles wie ein großes Abenteuer an. Endlich gibt ihnen jemand das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein. Der Mann bringt die beiden in eine abgelegene Waldhütte und lässt sie nicht aus den Augen. Langsam dämmert den Mädchen, dass noch etwas Schreckliches geschehen wird. Zwei Jahrzehnte später: Lois ist Literaturprofessorin und Autorin. Carly May schlägt sich als erfolglose Schauspielerin durch. Ein Drehbuch, das ihre Geschichte erzählt, bringt sie wieder zusammen. Ihre Geschichte ist noch nicht vorbei. »Der Roman fragt: Wovor haben wir Angst? Dieses Buch müssen Sie entdecken!« New York Daily News

Maggie Mitchell unterrichtet englische Literatur an der Universität von West Georgia und lebt dort mit ihrem Ehemann und ihren Katzen. Sie hat bereits zahlreiche Kurzgeschichten in Literaturmagazinen veröffentlicht. 'The other Girl' ist ihr erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843712552
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum26.02.2016
AuflageAuflage
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3180 Kbytes
Artikel-Nr.1861924
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Lois

Alle hielten uns für tot. Wir wurden seit fast zwei Monaten vermisst und waren zwölf Jahre alt. Was sonst hätten sie denken sollen?

Natürlich waren sie froh, als sie uns wiederhatten. Trotzdem war nichts mehr so wie früher. Es war, als wären wir von den Toten zurückgekehrt und nun in irgendeiner Weise befleckt. Dass wir gegen jede Chance überlebt hatten, machte uns schuldig. Ich sah ihnen an, was sie dachten: Bestimmt hatten wir unsere Seelen verkauft - oder Schlimmeres. Sicher, das Ganze war nicht unsere Schuld gewesen (jedenfalls nicht ausschließlich) - aber trotzdem. Wir waren nicht mehr dieselben.

Und sie hatten recht damit, wenn auch nicht so, wie sie dachten. Für uns zählte, dass wir auserwählt worden waren. Aus der Menge herausgegriffen. Wir hatten seit jeher den Verdacht gehabt, dass wir anders waren; endlich hatte es sich bestätigt. Es war zwecklos, so zu tun, als wäre dem nicht so - und zu unserer Erleichterung erwartete das auch niemand mehr von uns. Die Welt hatte erkannt, dass wir außergewöhnlich waren - und hielt Abstand zu uns, als wären wir scharf gemachte Bomben, die eines Tages ohne jede Vorwarnung explodieren könnten.

Wenn ich schon darauf bestehe, dass wir auserwählt worden waren, sollte ich ehrlicherweise auch zugeben, dass er mich als Zweite gewählt hat. Carly May war die Erste. Ich rede mir ein, dass das purer Zufall war, allein ein Umstand der Geographie: dass er uns beide gleichermaßen wollte, nur eben zum fraglichen Zeitpunkt näher an Nebraska war als an Connecticut. Aber ich weiß, dass es bei ihm keine Zufälle gab. Ich war die Zweite. Carly die Erste. Bis in alle Ewigkeit.

Unsere Fotos waren überall, auch wenn wir es nie auf eine Milchtüte schafften. Meistens hatten wir diesen todgeweihten Ich-wurde-längst-in-Stücke-gehackt-und-im-Wald-verscharrt-Gesichtsausdruck. Im Fernsehen und in den Tageszeitungen sah man oft Schulporträts von uns, auf denen wir vor rauchblauem Hintergrund verträumt und tragisch lächelten. Aber es wurden auch Pressefotos von uns veröffentlicht: Carly mit funkelnden Diademen auf ihren goldblonden Locken, den geschminkten Mund zu einem Lächeln verzogen, in dem etwas beunruhigend Verheißungsvolles lag. Ich, Lois, dagegen ernster, meine Buchstabierpokale in der Hand, die Anziehungskraft eines feindseligen Kätzchens ausstrahlend. Zumindest kommt es mir so vor.

Als Carly May achtzehn war, verschwand sie erneut, diesmal aus eigenem Antrieb. Sie hinterließ eine Nachricht. »Sucht nicht nach mir, ihr findet mich sowieso nicht«, hatte sie auf eins der Porträts in ihrer Pressemappe gekritzelt. Sie hatte sich auch einen Schnurrbart gemalt und das Weiße ihrer Augen geschwärzt. Das weiß ich deshalb, weil ihre Stiefmutter Gail mich zwei Jahre später anrief, während sie gerade an ihren Memoiren arbeitete. Sie dachte, ich wüsste vielleicht, wo Carly May steckte. Aber ich wusste es nicht, ich hatte seit Jahren nichts mehr von Carly gehört. All das kann man in Gails Buch nachlesen, wobei sie den Schwerpunkt natürlich auf ihr eigenes Leiden und ihren zupackenden Charakter legte. Sie schickte mir ein Exemplar, ich warf das Buch von einer Brücke.

Als Carly wieder in mein Leben trat, war sie nicht mehr Carly May Smith, und wir waren fast dreißig.
Carly May

Es ist immer schon schwierig gewesen, darüber zu reden, ohne total melodramatisch zu klingen. Und sobald das passiert, komme ich mir verlogen vor, als würde ich versuchen, jemandem die Idee für ein TV-Drama zu verkaufen. »Nach einer wahren Geschichte« - was nicht gleichbedeutend ist mit der Wahrheit. Ehrlich gesagt habe ich seit Jahren nicht mehr über die Sache gesprochen. Mit keiner Menschenseele.

Dabei war es in Wirklichkeit kein bisschen melodramatisch. Das ist ja das Erschreckende daran, wenn man mich fragt: mit welcher Ruhe wir alles hingenommen haben. Am helllichten Tag auf der Hauptstraße eines kleinen Kuhkaffs in Nebraska entführt zu werden war in meinen Augen längst nicht das Abgefahrenste, was mir an jenem Tag hätte passieren können.

Ich kam gerade vom Ballett und ging langsam die Straße runter zum House of Beauty, wo meine Stiefmutter Gail sich die Nägel und weiß der Geier was sonst noch alles machen ließ. Die Frau bedurfte ziemlich umfangreicher Instandhaltungsarbeiten. Ich trug Radlerhosen und ein Oversized-T-Shirt, hatte die Tasche mit den Tanzklamotten über der Schulter und schleppte mich mit meinen zwölf Jahren über den heißen, breiten Gehsteig der Hauptstraße von Arrow, Nebraska. Ich dachte gerade darüber nach, wie ich Gail das Leben zur Hölle machen könnte, als der Wagen neben mir anhielt. Irgendein grauer Wagen, ich kannte mich mit Autos nicht besonders aus. Aber ich wusste gleich, dass der Typ am Steuer von weit her kam. In Arrow sah man ziemlich selten Fremde. Er lehnte sich herüber und kurbelte auf der Beifahrerseite das Fenster herunter. Wahrscheinlich hat er sich verfahren, dachte ich. Ich vermutete, dass er mich nach dem Weg zurück in die Zivilisation fragen wollte, also blieb ich abwartend stehen, mehr oder weniger gewillt, ihm zu erklären, wie man von hier zum Highway kam. Ich wette, ich hatte diesen pampigen Gesichtsausdruck, wie nur Zwölfjährige ihn draufhaben.

Aber er wollte gar nicht nach dem Weg fragen, und er hatte genügend Fotos von mir gesehen, um zu wissen, dass er das richtige Mädchen vor sich hatte. »Steig ein«, sagte er mit einem Lächeln. »Ich nehm dich ein Stück mit.«

Also stieg ich ein. Ohne zu zögern. Weiß der Himmel, warum. Wenn ich mich an einer Erklärung versuche, läuft es früher oder später immer auf seinen Blick hinaus. Er sah mich an, als würde er mich in- und auswendig kennen, als könnte er meine Gedanken lesen, als wäre ich der einzige Mensch auf der Welt, der für ihn wichtig war. Will nicht jeder so angesehen werden?

Später studierte ich die Fotos, die er von mir in seiner Akte hatte. Auf einigen hatte ich ein breites, künstliches Lächeln aufgesetzt. Auf anderen sah ich ein bisschen eingeschnappt aus, weil ich versucht hatte, die Schmollgesichter der Models aus den Zeitschriften nachzumachen. Ich wollte dahinterkommen, woher er es gewusst hatte - ich meine, wie er sich so sicher hatte sein können, dass er nichts weiter tun musste, als die Wagentür zu öffnen, und ich würde einsteigen. Ich suchte nach einem verräterischen Aufblitzen von Leichtsinn in meinen noch kindlichen Augen, nach einem Zeichen von unterschwelliger Verdorbenheit. Ich bin sicher, die Polizei hat auch danach gesucht. Später dann. Aber ich habe nie etwas finden können, nicht einmal rückblickend. Ich hatte bereits diesen leicht abgehobenen Blick, den man normalerweise mit schönen Mädchen assoziiert. Soweit ich es beurteilen kann, gab er absolut nichts preis.

Wir fuhren und fuhren. Ich wusste nur, dass wir in östlicher Richtung unterwegs waren. Während der ersten Stunden sagte er kaum ein Wort, ging nur gelegentlich die Radiosender durch, wobei er allerdings nie etwas fand, das ihm gefiel. Mariah Carey, Nirvana, Beck - bei allem verzog er den Mund. Johnny Cash ließ ihn einmal kurz innehalten, aber selbst da drückte er schon nach wenigen Sekunden ungeduldig auf den Knopf, um zum nächsten Sender zu wechseln. Mir drängte sich die Frage auf, wonach er eigentlich suchte und wieso er sich die ganze Prozedur immer wieder antat, wenn er doch schon vorher wusste, dass das Radio ihm nichts zu bieten hatte. Wann immer es ausgeschaltet war, hatte er die Hände locker am Lenkrad, das konnte ich aus dem Augenwinkel beobachten. Irgendwie gab mir das ein Gefühl von Sicherheit. Hin und wieder schaute er zu mir herüber und schenkte mir ein kleines Lächeln: Ein Onkel-Lächeln, dachte ich, oder vielleicht das Lächeln eines Lehrers, wobei ich gar keinen Onkel hatte und meine Lehrer bislang größtenteils Lehrerinnen gewesen waren, nervöse junge Frauen mit Dauerwellen und peinlichen Blümchenblusen. Er war eher ein Phantasielehrer, gutaussehend und ein bisschen geheimnisvoll. Wann immer er sich zu mir umdrehte, gab ich genau auf seine Augen acht, und dabei fiel mir auf, dass er nur mein Gesicht anschaute - sein Blick driftete nie zu meinen braungebrannten, schlanken Beinen oder zu den zwei kleinen Wölbungen unter meinem pinkfarbenen T-Shirt, die sich seit einiger Zeit dort abzeichneten.

Das beruhigte mich. Ich machte es mir bequem und sah zu, wie draußen Nebraska vorbeizog, als hätte es nichts mit mir zu tun. Ich war noch nie aus meinem Heimatstaat rausgekommen und freute mich riesig, als wir die Grenze zu Iowa passierten, obwohl es da mehr oder weniger genauso aussah. Mir gefiel die Vorstellung, meine Welt hinter mir zu lassen. Irgendwann fuhren wir von der Interstate ab und hielten an einer Tankstelle, wo er aus einer Reisetasche auf dem Rücksitz eine dunkelbraune Perücke holte. Er überreichte sie mir, wie man ein Geschenk überreicht, so als wüsste er bereits, dass es mir Spaß machen würde, mich zu verkleiden. Er wartete draußen vor der ungewohnt sauberen Damentoilette und studierte eine Karte, während ich drinnen meine langen Haare unter die Perücke stopfte und sie zurechtzog, bis mir die Ponyfransen gerade in die Stirn fielen. Die Perücke muss billig gewesen sein - die Haare waren steif wie Puppenhaar und hatten diesen Plastikglanz. Ich hatte noch nie eine Perücke getragen, aber es gefiel mir auf Anhieb. Ich rubbelte mir den Lipgloss und den hellrosa Lidschatten weg, die ich zum Ballett getragen hatte, und danach fühlte ich mich wie ein anderes Mädchen. Im beschlagenen, rissigen Spiegel experimentierte ich mit meinem neuen Look. Ich würde scheu und unschuldig sein, beschloss ich. Arglos, auch wenn ich...


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Autor

Maggie Mitchell unterrichtet englische Literatur an der Universität von West Georgia und lebt dort mit ihrem Ehemann und ihren Katzen. Sie hat bereits zahlreiche Kurzgeschichten in Literaturmagazinen veröffentlicht. "The other Girl" ist ihr erster Roman.