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Anders

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am15.08.2016
Wie gut kennen wir die, die uns am nächsten sind, wirklich?
Alma Meester, ihr Mann Linc und die beiden Kinder Iris und Sander sind eine ganz normale, glückliche Familie. Bis zu dem Tag, als der elfjährige Sander zusammen mit einem Freund während eines Ferienlagers spurlos verschwindet. Der andere Junge wird kurz darauf tot aufgefunden, doch Sander bleibt wie vom Erdboden verschluckt. Sechs Jahre später meldet sich ein junger Mann bei einer deutschen Polizeistation. Er sei der verschwundene Sander Meester. Die Familie ist überglücklich, doch nach und nach kommen der Mutter Zweifel. Ist der Junge wirklich ihr Sohn? Und was ist in der Nacht damals tatsächlich passiert?

Die niederländische Schriftstellerin Anita Terpstra, geboren 1975, studierte Journalismus und Kunstgeschichte und arbeitete danach als freie Journalistin für einige Zeitschriften. Nach »Anders« und »Die Braut« ist »Unsere dunkle Seite« ihr dritter Roman bei Blanvalet.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextWie gut kennen wir die, die uns am nächsten sind, wirklich?
Alma Meester, ihr Mann Linc und die beiden Kinder Iris und Sander sind eine ganz normale, glückliche Familie. Bis zu dem Tag, als der elfjährige Sander zusammen mit einem Freund während eines Ferienlagers spurlos verschwindet. Der andere Junge wird kurz darauf tot aufgefunden, doch Sander bleibt wie vom Erdboden verschluckt. Sechs Jahre später meldet sich ein junger Mann bei einer deutschen Polizeistation. Er sei der verschwundene Sander Meester. Die Familie ist überglücklich, doch nach und nach kommen der Mutter Zweifel. Ist der Junge wirklich ihr Sohn? Und was ist in der Nacht damals tatsächlich passiert?

Die niederländische Schriftstellerin Anita Terpstra, geboren 1975, studierte Journalismus und Kunstgeschichte und arbeitete danach als freie Journalistin für einige Zeitschriften. Nach »Anders« und »Die Braut« ist »Unsere dunkle Seite« ihr dritter Roman bei Blanvalet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641171520
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum15.08.2016
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1751 Kbytes
Artikel-Nr.1869757
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


2

Der Wind wurde stärker. Gras und Moos knirschten unter Almas Schuhen, die Blätter raschelten, und der Wind heulte. Die Geräusche des Waldes schienen ohrenbetäubend, und sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.

Unzählige Male waren sie sonntags hier spazieren gegangen, vor allem als die Kinder noch kleiner waren. Der Wald lag kaum zwei Kilometer von ihrem Haus entfernt. Die beiden machten sich einen Sport daraus, vorauszurennen und sich zu verstecken. Vor allem Sander war sehr gut darin, sich mucksmäuschenstill zu verhalten. Sobald Alma die Kinder nicht mehr sehen konnte, geriet sie in Panik.

Sogar im Supermarkt passierte ihr das.

Aber das hier war mit nichts zu vergleichen, war um das Tausendfache schlimmer. Ihr Herz raste wie wild, ihr Magen fühlte sich wie ein Stein an, und das Zähneklappern wollte einfach nicht aufhören.

Von einer Lehrerin hatte sie erfahren, man habe Maarten mit bis zu den Knöcheln heruntergezogener Hose und Unterhose aufgefunden, aber sicher wusste Alma das nicht. Keiner der Polizeibeamten wollte sich näher äußern. Bei Almas Ankunft befanden sich alle in einem leicht hysterischen Zustand. Nicht nur die Kinder, auch die Lehrer und die ehrenamtlichen Helfer.

Die Erwachsenen. Dabei sollten die doch den Überblick behalten und Ruhe bewahren, oder?

Die Kinder und Jugendlichen hatten bleich und still in dem großen kahlen Gemeinschaftsraum gesessen, in dem sich früher der Stall befunden hatte. Manche trugen noch ihre Playback-Kostüme, andere waren im Schlafanzug. Ein paar weinten und wurden von ihren Freunden getröstet.

Alma hatte noch nicht einmal den Fuß über die Schwelle gesetzt, da war eine Lehrerin mit rotem verweintem Gesicht auf sie zugekommen. »Wir beten alle für Sander«, sagte sie, während Alma mit den Blicken den Raum nach Iris absuchte.

Die saß neben Christiaan auf einem verschlissenen, durchgesessenen Sofa. Ihre Augen wirkten in dem blassen Gesicht groß und dunkel, und das Muttermal, das einen Großteil ihrer rechten Wange bedeckte, stach dadurch noch deutlicher hervor. Die beiden hielten sich so fest an den Händen, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, und schauten einander voller Verzweiflung an. Als Alma vor ihnen in die Hocke ging, wagte Iris kaum, ihre Mutter direkt anzusehen. Diese widerstand dem Drang, ihre Tochter tröstend in den Arm zu nehmen.

»Wir finden ihn«, sagte sie. »Mach dir keine Sorgen.«

»Es tut mir leid, Mama. Wir konnten nichts machen, auf einmal waren sie weg und ...«

»Wie konnte das denn passieren?«

Sie merkte selbst, dass ihre Stimme irgendwie vorwurfsvoll klang. Dabei gab sie den beiden wirklich keine Schuld. Warum aber war kein Erwachsener bei den Gruppen im Wald geblieben, fragte sie sich. Welcher Idiot hatte es für eine gute Idee gehalten, zwei Fünfzehnjährigen die Verantwortung für zwei jüngere Kinder zu übertragen?

Iris starrte auf ihre Hände. »Ich weiß es nicht.«

Kurz nach Alma waren weitere Eltern eingetroffen. Sie wusste nicht, wer sie informiert hatte: die Polizei, die Organisatoren des Ferienlagers oder die Kinder selbst. Jedenfalls war ihnen die Sorge um die Sicherheit ihrer Söhne und Töchter anzumerken. An ihren Blicken konnte Alma erkennen, dass sie Bescheid wussten. Aber sie drängte die Tränen mit aller Gewalt zurück. Zum Weinen gab es schließlich gar keinen Grund. Sander konnte jeden Moment gefunden werden.

Einige Eltern reagierten aufgebracht, als sie erfuhren, dass sie ihre Kinder nicht sofort mit nach Hause nehmen durften. Alma konnte es ihnen nicht verübeln, denn an ihrer Stelle hätte sie dasselbe tun wollen. Nur weg von diesem Ort, an dem so Entsetzliches geschehen war. In die Wärme und Sicherheit des eigenen Zuhauses, wo man sie zumindest vor dem Bösen schützen konnte.

Aber erst mussten die Kinder befragt werden.

Sie fing ein paar Gesprächsfetzen auf: zwischen Kindern und Polizisten, zwischen Kindern und Eltern sowie zwischen den Kindern untereinander.

Hatten sie etwas Ungewöhnliches gesehen?

War seit ihrer Ankunft jemand in der Gegend gewesen, den sie nicht kannten?

Mehrere Kinder erklärten, sie hätten zwar niemanden gesehen, wohl aber jemanden gehört. Eine Person, die ihnen gefolgt sei. Die sich versteckt und sie beobachtet habe.

Ein Mädchen behauptete, einen Mann gesehen zu haben. Von hinten. Nein, keinen von den Betreuern, da war sie sich ganz sicher. Einen Fremden.

Auf der einen Seite wollte Alma alles hören, was geredet wurde, auf der anderen Seite ihre Ohren davor verschließen. Je mehr Einzelheiten sie erfuhr, desto größer wurde der Druck auf ihrer Brust. Am liebsten hätte sie laut aufgeschrien.

Der Täter sei geflohen, verkündete die Polizei. Möglich, dass er Sander mitgenommen habe. Die Nachricht traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel, und beinahe wäre sie zusammengebrochen. Es hielt sie keine Minute länger in diesem Raum.

Sie war nach draußen gelaufen, Iris kam ihr nach. Entsetzt und wie betäubt hatten beide dem Treiben zugesehen. So viele Autos. So viele Menschen, die laut durcheinanderriefen. Die plötzliche Helligkeit. Wie Tageslicht, aber als Alma den Blick nach oben richtete, sah sie den pechschwarzen Himmel über sich.

Niemand achtete auf sie.

Alma kam es vor, als befänden sie und Iris sich im Auge eines Orkans, und alles um sie herum würde sich drehen. Ohne Richtung, ohne Ziel. Alle rannten nur herum, um überhaupt etwas zu tun. Als bekämen sie das Chaos so in den Griff. Aber auch sie waren der zerstörerischen Kraft ausgeliefert, die Leben ohne Vorwarnung von einer Minute zur anderen zugrunde richtete. Solche Überlegungen schossen ihr durch den Kopf. Alles war besser, als an Sander zu denken. Daran, dass er allein war und Angst hatte. Dass er auf sie wartete.

Aus den Augenwinkeln heraus sah sie Lex, Maartens Vater. Genau wie Linc war er als Betreuer mit ins Camp gefahren. Jetzt wurde er von zwei Polizisten zu einem Auto geführt, das mit laufendem Motor wartete. Er war leichenblass. Einen kurzen Moment lang trafen sich ihre Blicke. Eigentlich hätte sie zu ihm gehen, ein paar Worte sagen, ihn vielleicht umarmen und trösten müssen, sofern das überhaupt möglich war. Doch sie fühlte sich wie gelähmt.

Alma schlug als Erste die Augen nieder - sie konnte den Schmerz in seinen nicht ertragen.

»Was machen wir jetzt?«, wollte Iris wissen.

»Ich gehe ihn suchen.«

»Nein, bleib hier.«

Iris klammerte sich an sie. So etwas tat sie sonst nie.

Alma kannte niemanden, der so unabhängig war wie ihre Tochter, und fragte sich immer wieder, ob Iris ohne das Muttermal anders geworden wäre. Sie würde nie vergessen, wie schockiert ihr Gynäkologe und die Krankenschwestern in den ersten Sekunden nach Iris´ Geburt ausgesehen und welch bedauernde Blicke sie gewechselt hatten. War das Kind tot, war Almas erster Gedanke gewesen. Oder behindert und missgebildet? Später hatte sie, das Neugeborene fest im Arm, den Kinderarzt gefragt, ob das Mal weggehen würde. Das wisse man nicht so genau, wahrscheinlich eher nicht, lautete die Antwort.

Jedenfalls schien Iris von Anfang an zu spüren, dass es ratsam war, sich gegen die Außenwelt zu wappnen und hart gegen sich selbst zu sein. Sie weinte nie, ließ sich nie trösten und wurde schnell selbstständig. Während andere Kinder, wenn sie auf dem Spielplatz hinfielen, heulend zu ihrer Mutter rannten, wartete man darauf bei Iris vergeblich. Sie fraß alles in sich hinein und bemühte sich, ihre Probleme allein zu lösen. Alma erinnerte sich noch lebhaft an den ersten Tag im Kindergarten. Ein Junge hatte lachend auf ihr Gesicht gezeigt und sie als hässlich bezeichnet - sie versetzte ihm sofort einen heftigen Stoß.

Alma hatte einem vorbeilaufenden Polizeibeamten mitgeteilt, sie wolle sich an der Suche beteiligen. Als er ihr erklärte, da müsse er erst seinen Vorgesetzten fragen, war sie explodiert. Wollte man ihr etwa verbieten, nach ihrem eigenen Kind zu suchen?

Iris ließ sie in der Obhut einer Lehrerin zurück. Das Mädchen weinte hysterisch und schrie, die Mutter solle nicht weggehen, sie nicht alleinlassen. Obwohl es Alma schmerzte, hatte sie keine Wahl. Ihr Sohn brauchte sie in diesem Moment dringender als ihre Tochter.

Ein tief hängender Ast schlug ihr ins Gesicht und riss sie aus ihren Gedanken.

Sie schaute sich nach den anderen um. Polizisten, Soldaten und Freiwillige, die man aus ihren warmen Betten geklingelt hatte, durchkämmten Seite an Seite die Gegend. Die Hunde liefen vorweg. Alma verstand nicht, warum die Tiere ihren Jungen nicht längst gefunden hatten. Schließlich waren sie dafür ausgebildet worden, vermisste Personen ausfindig zu machen, sobald sie entsprechend Witterung aufgenommen hatten. Warum also klappte das bei Sander nicht?

Er konnte ja nicht vom Erdboden verschwunden sein.

Sie beschloss, den Mann, der den Suchtrupp anführte, danach zu fragen, konnte ihn aber nicht einholen. Mit Linc hatte sie bislang nicht gesprochen. Er beteiligte sich natürlich ebenfalls an der Suche. Es gab so viele unbeantwortete Fragen. Aber zuerst mussten sie Sander finden. Alles andere war unwichtig.

Mit viel Lärm flog ein Hubschrauber über ihre Köpfe hinweg. Das grelle Licht der Suchscheinwerfer machte Alma für ein paar Sekunden blind, und sie kniff die Augen zusammen. Sander würde sich vielleicht vor dem Licht fürchten, kam ihr unwillkürlich in den Sinn. Er würde sich wegducken, sich verstecken.

Das sollte sie einem Polizisten erklären, überlegte sie und lief etwas schneller. Sie holte ein paar Leute ein, sah jedoch nirgends jemanden in...

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Autor

Die niederländische Schriftstellerin Anita Terpstra, geboren 1975, studierte Journalismus und Kunstgeschichte und arbeitete danach als freie Journalistin für einige Zeitschriften. Nach »Anders« und »Die Braut« ist »Unsere dunkle Seite« ihr dritter Roman bei Blanvalet.