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Die Komödie von Charleroi

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am25.04.2016
Lebenshunger und Todessehnsucht, patriotische Gefühle und Desillusionierung: Pierre Drieu la Rochelles brillante Erzählungen spiegeln die innere Zerrissenheit des streitbaren Autors wider. Einer, der sich romantisch nach Heldentum sehnte, beschreibt hier die Absurdität des Ersten Weltkriegs und die schmerzliche Orientierungslosigkeit der Heimkehrer.
Madame Pragen, eine ehrgeizzerfressene Pariser Witwe, hat 1914 ihren schmächtigen Sohn in den Krieg geschickt, um einen Helden aus ihm zu machen. Er fiel in den ersten Tagen während eines bedeutungslosen Scharmützels im belgischen Charleroi. Im Jahr 1919 nutzt nun seine Mutter einen Besuch des Schlachtfelds, um sich vor den provinziellen Honoratioren der Stadt als Grande Dame zu inszenieren. In «Der Hund der Heiligen Schrift» brüstet sich ein junger Veteran mit Verdun. Doch in der Kinoreihe vor ihm sitzt ein ehemaliger Kamerad ...
Auf Anhieb fasziniert der flirrende Ton des Erzählers. Seine zynische Lässigkeit, sein stetiges Abtasten der Realitäten, die umso drastischer wirkende Überzeichnung einzelner Figuren: Diese Prosastücke bieten einen schillernden Rückblick auf das Schlüsselerlebnis einer irrlichternden Generation.

Pierre Drieu la Rochelle (1893-1945) scheiterte im Politikstudium und nahm dann am Ersten Weltkrieg teil. Danach führte er ein mondänes Leben als Romancier, Essayist und Journalist. Zunächst stand er den Surrealisten und ihren linken Idealen nahe. Während des Vichy-Regimes kollaborierte er mit den Nazis. 2012 wurde er in Frankreichs prestigereichste Klassikerkollektion Bibliothèque de la Pléiade aufgenommen.
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Produkt

KlappentextLebenshunger und Todessehnsucht, patriotische Gefühle und Desillusionierung: Pierre Drieu la Rochelles brillante Erzählungen spiegeln die innere Zerrissenheit des streitbaren Autors wider. Einer, der sich romantisch nach Heldentum sehnte, beschreibt hier die Absurdität des Ersten Weltkriegs und die schmerzliche Orientierungslosigkeit der Heimkehrer.
Madame Pragen, eine ehrgeizzerfressene Pariser Witwe, hat 1914 ihren schmächtigen Sohn in den Krieg geschickt, um einen Helden aus ihm zu machen. Er fiel in den ersten Tagen während eines bedeutungslosen Scharmützels im belgischen Charleroi. Im Jahr 1919 nutzt nun seine Mutter einen Besuch des Schlachtfelds, um sich vor den provinziellen Honoratioren der Stadt als Grande Dame zu inszenieren. In «Der Hund der Heiligen Schrift» brüstet sich ein junger Veteran mit Verdun. Doch in der Kinoreihe vor ihm sitzt ein ehemaliger Kamerad ...
Auf Anhieb fasziniert der flirrende Ton des Erzählers. Seine zynische Lässigkeit, sein stetiges Abtasten der Realitäten, die umso drastischer wirkende Überzeichnung einzelner Figuren: Diese Prosastücke bieten einen schillernden Rückblick auf das Schlüsselerlebnis einer irrlichternden Generation.

Pierre Drieu la Rochelle (1893-1945) scheiterte im Politikstudium und nahm dann am Ersten Weltkrieg teil. Danach führte er ein mondänes Leben als Romancier, Essayist und Journalist. Zunächst stand er den Surrealisten und ihren linken Idealen nahe. Während des Vichy-Regimes kollaborierte er mit den Nazis. 2012 wurde er in Frankreichs prestigereichste Klassikerkollektion Bibliothèque de la Pléiade aufgenommen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641172206
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum25.04.2016
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse549 Kbytes
Artikel-Nr.1869862
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


DER HUND DER HEILIGEN SCHRIFT

I

Unsere Division war seit einem Monat in einem lothringischen Wald in Ruhestellung. Es war das Privileg einer Angriffsdivision wie dieser, die immer nur schwere Einsätze und die Großoffensiven im Frühjahr und Herbst zu bestreiten hatte, sich in den entlegensten und bequemsten Winterquartieren ausgiebig zu erholen. Viele Soldaten zogen diesen Wechsel der langsamen Zermürbung in den in anonymen Frontabschnitten eingepferchten Herden1 vor. Sie wussten, dass diese Vergünstigung teuer bezahlt war, gleichwohl zeigten sie Anfang 1916 mit einer Art bitterem Stolz auf einen Claironbläser , den einzigen Mann, der von 1914 übrig geblieben war. Er war ein fröhlicher und vielleicht ahnungsloser Saufbruder. Mit seinen glasigen Augen, die sich einem klaren Blick auf die Dinge zu verweigern schienen, hatte er seine anfänglich dreitausend Kameraden massenhaft oder schubweise sterben sehen bis zum letzten, und er hatte gesehen, wie sie durch andere ersetzt wurden, von denen die meisten auch nur Passanten auf dem Weg ins Lazarett oder in den Tod waren, denn durch unsere dreitausend Stammrollennummern waren fünfzehntausend Mann gegangen.

In diesem Februar hatte sich das Korps gefräßig wiederhergestellt und strotzte vor Gesundheit mit blutgeschwellten Kompanien. Die Kraft des Waldes, in dem wir uns jeden Tag austobten, schien sich mit der Kraft des Fleisches zu vereinen, um unsere Reihen mit Köpfen, Körpern, Füßen anzufüllen.

Am Tag, als der Oberst, der an der Somme verwundet worden war, wieder zum Regiment stieß und es vollzählig auf der Place des Charmes aufmarschieren ließ, konnte sich jeder an dieser vorübergehenden Wendung des Lebens erfreuen.

Er war beliebt und geachtet, denn er hatte seinen Männern selbst Achtung und Liebe entgegengebracht. Dieser ausgezehrte kleine Mann mit seinen brennenden Augen machte schweigend die Runde durch Schützengräben oder Quartiere. Die Männer spürten, dass er ihre Erfahrung von Grund auf geteilt hatte und in jedem Augenblick mit ihnen das so quälend tiefe, menschlich komplexe Sinnieren darüber fortsetzte. Kleinigkeiten gegenüber war er gleichgültig, streng nur im Wesentlichen. Sein Leiden - denn er litt - hatte seinen Mut gestählt, aber im Innern sein Herz gerührt. Im Kreis seiner Offiziere war er wortkarg und ein wenig hochmütig, wenn er jedoch im Wald einem armen Bauern in erbärmlichem Aufzug begegnete, wurde sein Blick manchmal weich; aber er lächelte nicht, denn genauso gut hätte er sich selbst bemitleiden können. Als Berufsoffizier hatte er nicht erwartet, dass das der Krieg sein würde, diese von eintönigem Blut triefende Kaserne.

Am Abend seiner Rückkehr stand er also in der Dämmerung allein am Straßenrand, fröstelnd und steif, in seinem alten Mantel mit glanzlosen Tressen, und sah zu, wie, beflügelt vom Wunsch zu gefallen, seine drei Bataillone anrückten.

Sie marschierten, angeführt von der Sechsergruppe der Spielleute mit Trommeln und Clairons, diesem schrecklichen Kriegsinstrument. Münder und Hände lassen vor den Männern Eselshaut und Blech erschallen, menschliche Gerätschaften, so alt wie das Schwert, die dunkelstes Grollen, schrillstes Gellen aus der Tiefe der Zeiten heraufbefördern. Und da regt sich im Bauch der Männer die alte, noch immer gierige Brunst. Und doch hatte er, der Oberst, der Krieger, kein Schwert an der Seite, und seine Männer hatten ein Werkzeug geschultert, das nur außerhalb ihrer Sichtweite, in abstrakter Entfernung tötete. Seit im August 1914 durch eine einzige Maschinengewehrsalve fünfhundert seiner rot behosten Leute auf einen Schlag ins Gras gefallen waren, beunruhigte und bedrückte ihn der Kontrast zwischen dem doppelten, dumpfen und schrillen, so körperlichen, so unmittelbaren Ruf der Spielleute und dem unmenschlichen, kalten, unsichtbaren Tod, der auf diesen Ruf antwortete, um ihn zu verhöhnen.

Die kleinen, schmächtigen Männer, die unter der Ausrüstung und dem Helm an Kraft gewannen und durch die Disziplin in einem Moment ewiger Freundschaft vereint waren, entfernten sich schließlich, und er kehrte in sein Büro zurück, um Papierkram zu unterzeichnen.

Jeden Tag rückten wir mit unseren Kompanien in den Wald aus. Keine Übung, was alle freute, denn der Soldat hasst nichts so wie die Übung, die der Parade vorausgeht, dieser Falle für sein Männerherz. Da er nicht über seine Nasenspitze hinaussieht, die in der Unausweichlichkeit feststeckt, liebt er auch den Landdienst oder das Schießen nicht, bei denen er lernt, dem Tod zu trotzen. Man hatte Holzfäller aus uns gemacht. Wir fällten Bäume, und aus den Stämmen schnitten wir Stützpfähle für die Stacheldrahtverhaue.

Wir verteilten uns gruppenweise im Dickicht und zerstörten nach so vielen anderen Schätzen nun auch noch den Wald des Landes. Auf unseren improvisierten Holzplätzen bemerkte ich eine gewisse dämonische Freude am Plündern und in unseren Herzen die geheime Erregung einer unerwarteten Rückkehr zur Natur, zum Lebensquell, nachdem wir doch seit Monaten im Eisendschungel erstickten. Ob Landbewohner oder Städter, unser Marschlied schwoll an, wenn wir in der Morgenfrühe den Wald betraten, und später wurden unsere Stimmen seltsam gedämpft, wenn wir uns im Grau des Vormittags zwischen den Säulen des gewaltigen, vergessenen Heiligtums zerstreuten.

Beim Mittagessen entluden sich all diese erneuerten dunklen Kräfte. Wir hatten uns rustikale Bänke und Tische gebaut, und auf dem rohen Holz richteten wir einen herrlichen Fraß her aus Sardinen und Würsten, gegrilltem Fleisch und gebratenen Kartoffeln, Käse und Brot, das Ganze begleitet von unzähligen Vierteln Wein, dünnem Kaffee und Schnaps. Die Reden, die wir keuschen Männer führten, waren von albernster Obszönität. Manchmal hob ein Mann in seinem unendlich banalen Redeschwall den Becher oder die Pfeife, und ich träumte von dem unbekannten und rudimentären Gott, von dem bleichen und rotgesichtigen, von einem bäuerlichen Misthaufen und einem Fabrikschlot inspirierten Dionysos, dem dieses treuherzige Trankopfer galt.

II

Eines Tages kam mitten in einem dieser Festmähler eine letzte Verstärkung bei uns an. Die Eskadronen der Division waren aufgelöst worden, und einige dieser Dragoner, die wir lange Zeit verachtet und um ihre eitlen Kavalkaden fern der Schützengräben beneidet hatten, stießen zu uns.

Es entstand ein Schweigen, um das gerechte Unglück dieser Adelsbürschchen auszukosten. Sie erschienen, nobel in ihren langen, weiten Mänteln und gespornten Stiefeln, Bauern und Herren.

Ja, jeder vermerkte es mit einem Schauder, es gab einen Herrn in diesem kleinen Trupp. Alles deutete darauf hin. Obwohl er nur Maréchal des logis - jetzt Sergeant - war, trug er unter dem Mantel so feines Tuch wie einer jener reichen, in unserer Infanterie nur selten anzutreffenden Offiziere. Sein Auftreten war ungezwungen und lässig. Und er schien höchst angewidert, in unseren unadeligen Haufen zu geraten. Er wurde von zwei Dragonern eskortiert, die als seine Knappen fungierten und von denen einer später respektvoll die elegante Tasche in Empfang nahm, die er ablegte, als er sich an den Tisch der Unteroffiziere setzte.

Ich saß an diesem Tisch. Ich blickte erstaunt in die Gesichter meiner Kameraden um mich herum. Sie waren alle gleich verdutzt und eingeschüchtert. Der Feldwebel, der uns anführte, ein Landvermesser aus den Vogesen, deutete eine ungeschickte Geste an, wie um die Honneurs zu machen.

«Maréchal des logis Grummer», stellte sich der Neuankömmling da knapp vor und schlug leicht die Hacken zusammen.

Apropos, etwas an dieser in den Salons der Bourgeoisie noch immer geschätzten Art, die Hacken zusammenzuschlagen, muss auf den verschlungenen Wegen des Snobismus wohl eher aus der deutschen als aus der englischen Aristokratie zu uns gekommen sein.

«Gut, setzen Sie sich.»

Es dauerte eine Zeit, bis die Unterhaltung wieder in Gang kam, und die laute Fröhlichkeit, die bisher bei unseren Mahlzeiten geherrscht hatte, kehrte erst am nächsten Tag in ihrem ganzen Ausmaß zurück.

«Grummer! Sieh an, ein Grummer!», sagte ich mir sofort. «Ist er ein Cousin oder ein Bruder von Frédéric Grummer?»

Die Familie Grummer, in der Schweiz, im Elsass und in Baden beheimatet, hat einen kräftigen Zweig in Paris ausgebildet. Sie ist alt, groß, und im Allgemeinen sehr reich. An der Sorbonne kannte ich einen Grummer, der keinerlei Ähnlichkeit mit diesem hier hatte. Ein zarter Junge, der Musik und der Philosophie verschrieben und so dunkelhaarig wie dieser hier blond.

Während ich weiter mit meinem Nebenmann plauderte, meinem gewohnten Kumpel, einem Elektriker aus Nancy, musterte ich mit amüsierter Neugier den abgestiegenen Reiter. Er hatte ein feines, hochmütiges Gesicht. Schöne Haut, schöne Zähne, schönes Haar, eine gute Figur. Er schien entsetzlich gelangweilt und bemühte sich in keiner Weise, es zu verbergen oder sich seinem neuen Milieu anzupassen. Seine Tischnachbarn sprachen nicht mit ihm, nicht aus erklärter Feindschaft, denn sie wagten nicht, ihm den Rücken zuzudrehen, sondern aus Schüchternheit. Schließlich wurde der Kaffee getrunken, dann löste sich die Tischgesellschaft auf. Ich weihte eine kleine Pfeife ein, die ich mit meinem letzten Paket erhalten hatte, und als Grummer an mir vorbeiging, bemerkte er die englische Marke und musterte mich plötzlich interessiert. Ich sah ihn meinerseits an, dachte aber gewiss nicht daran, mein etwas ironisches Amüsement zu verbergen. Seine Beobachtung machte ihn ratlos, denn mein Aufzug war vorschriftsmäßig, mein Kopf geschoren und mein Bart...

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Pierre Drieu la Rochelle (1893-1945) scheiterte im Politikstudium und nahm dann am Ersten Weltkrieg teil. Danach führte er ein mondänes Leben als Romancier, Essayist und Journalist. Zunächst stand er den Surrealisten und ihren linken Idealen nahe. Während des Vichy-Regimes kollaborierte er mit den Nazis. 2012 wurde er in Frankreichs prestigereichste Klassikerkollektion Bibliothèque de la Pléiade aufgenommen.