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Rosalie

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
DuMont Buchverlag GmbHerschienen am17.11.20161. Auflage
Ein Dorf, eine erste Liebe - und ein Geheimnis, an dem alles zerbricht Nach vielen Jahren kehrt Konstantin in den Ort seiner Kindheit zurück, nach Praam an der Schwarzen Laaber, tief in der bayrischen Provinz. Er hat immer unter der Enge gelitten, aber auch seine erste große Liebe hier erlebt - zu Rosalie, einer Außenseitergestalt wie er. Plötzlich ist alles wieder da: die Erinnerungen an das Erwachsenwerden auf dem Land. Und an die Schatten dieser Zeit, denn neben der magischen ersten Romanze gab es auch ein düsteres Ereignis, das sein Leben tief erschüttert hat. Berni Mayer erzählt von einer heimlichen Liebe, die immer mehr zur Verschwörung wird gegen die autoritäre Welt der Eltern und der Kirche. Und er erzählt, wie ein Leichenfund in einem heruntergekommenen Wasserschloss alles verändert. Denn die Geschichte, die hinter diesem Toten steckt, führt tief hinein in die Vergangenheit und offenbart die Verstrickung der alteingesessenen Dorfbewohner in ein sorgfältig verdrängtes NS-Verbrechen. Am Ende müssen Konstantin und Rosalie sich entscheiden: für jeweils eine Seite und für oder gegen das Schweigen. »Ein wunderbares Buch, lakonisch, zart - Heimat, Jugend, Liebe. Es ist, wie es ist - grausam und schön.« BR CAPRICCIO

Berni Mayer, geboren 1974 in Mallersdorf, Bayern, hat Germanistik und Anglistik studiert, war Redaktionsleiter bei MTV und VIVA Online und hat für das Label Mute Records gearbeitet. Berni Mayer lebt mit seiner Familie in Berlin. Er ist Autor und Journalist und arbeitet für diverse Podcasts. Bei DuMont sind seine Romane >RosalieEin gemachter Mann< (2019) erschienen.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextEin Dorf, eine erste Liebe - und ein Geheimnis, an dem alles zerbricht Nach vielen Jahren kehrt Konstantin in den Ort seiner Kindheit zurück, nach Praam an der Schwarzen Laaber, tief in der bayrischen Provinz. Er hat immer unter der Enge gelitten, aber auch seine erste große Liebe hier erlebt - zu Rosalie, einer Außenseitergestalt wie er. Plötzlich ist alles wieder da: die Erinnerungen an das Erwachsenwerden auf dem Land. Und an die Schatten dieser Zeit, denn neben der magischen ersten Romanze gab es auch ein düsteres Ereignis, das sein Leben tief erschüttert hat. Berni Mayer erzählt von einer heimlichen Liebe, die immer mehr zur Verschwörung wird gegen die autoritäre Welt der Eltern und der Kirche. Und er erzählt, wie ein Leichenfund in einem heruntergekommenen Wasserschloss alles verändert. Denn die Geschichte, die hinter diesem Toten steckt, führt tief hinein in die Vergangenheit und offenbart die Verstrickung der alteingesessenen Dorfbewohner in ein sorgfältig verdrängtes NS-Verbrechen. Am Ende müssen Konstantin und Rosalie sich entscheiden: für jeweils eine Seite und für oder gegen das Schweigen. »Ein wunderbares Buch, lakonisch, zart - Heimat, Jugend, Liebe. Es ist, wie es ist - grausam und schön.« BR CAPRICCIO

Berni Mayer, geboren 1974 in Mallersdorf, Bayern, hat Germanistik und Anglistik studiert, war Redaktionsleiter bei MTV und VIVA Online und hat für das Label Mute Records gearbeitet. Berni Mayer lebt mit seiner Familie in Berlin. Er ist Autor und Journalist und arbeitet für diverse Podcasts. Bei DuMont sind seine Romane >RosalieEin gemachter Mann< (2019) erschienen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783832189327
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum17.11.2016
Auflage1. Auflage
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1923032
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

KREUZWEG

Das erste Mal traf ich sie auf dem Kreuzweg, der Via Dolorosa, dem Weg der Schmerzen, wie es in der Kirchengeschichte heißt. Ich erinnere mich, wie gelblich und warm das Wetter an jenem Karfreitag war und wie es seit Tagen nicht geregnet hatte. Wäre da nicht schon morgens das erbarmungslose Hämmern der Holzschlaberln von draußen gekommen, man hätte nach dem Aufwachen aus dem Fenster auf die stille und sonnige Praamer Hauptstraße geschaut und eher die Sommer- als die Osterferien vermutet.

Der Karfreitag war aber per Definition alles andere als ein idyllischer Tag in Praam an der Schwarzen Laaber. Er war der Höhepunkt der Fastenzeit, es gab im gesamten Ort nichts zu essen, noch nicht einmal bei uns im Gasthaus Wolff. Meinen Eltern fehlte zwar die letzte Demut gegenüber den kirchlichen Gebräuchen, aber selbst sie hätten sich nicht getraut, die Wirtsstube aufzusperren. Sie kochten noch nicht einmal etwas Warmes für mich und meine Schwester. Während wir Kinder also hungerten oder in weiser Voraussicht schon eine Dose mit eingelegten Mirabellen ins Zimmer geschmuggelt hatten, lärmten den ganzen Vormittag die Ministranten mit den Holzklappen durch den Ort und peitschten die Leute so auf das Grande Finale der Fastenzeit ein. Am Abend das Hochamt, wenn die Altäre wieder enthüllt wurden, aber noch wichtiger: der Kreuzweg um die Mittagszeit, an dem sich der Pfarrer Parzefall besonders delektierte und der fast zwei Stunden dauerte.

Für mich hatte der Karfreitag etwas Magisches an sich. Die Kreuzigung von Jesus hatte natürlich mit siebzehn längst an Faszination eingebüßt, aber dieser Moment des Innehaltens vor der Auferstehung hat mir immer imponiert.

Diese Verpflichtung zu einem Tag Trauer und Nichtstun, bevor am Samstag wieder alle ins Leben zurückkehren, war jedes Jahr eine kurze Erlösung von meinem schlechten Gewissen, denn plötzlich fand man sich mit seiner miesen Laune mitten im Mainstream wieder. Mein vorherrschendes Lebensgefühl war ohnehin ein Davonausgehen, dass nichts ein gutes Ende nimmt, ein permanentes Karfreitagsgefühl, wenn man so will. Deshalb kam mir diese programmatische Tristesse über dem gesamten tiefen Süden sehr entgegen. Es war ein spiegelverkehrter Fasching, ein schwarzer Maskenball, die Eleganz der hängenden Köpfe. Jeder, der einem am Karfreitag in Praam begegnete, brachte kaum ein stilles Nicken zustande, und endlich konnte man grußlos durch den Ort gehen, ohne dass die Nichtgegrüßten sich bei den Eltern beschwerten. Und nie waren die Leute in Praam besser gekleidet. Ein ganzer Tag, ein ganzer Landstrich ging in Schwarz. Wie eine gigantische Beerdigung auf siebzigtausend Quadratkilometern. Es war undenkbar, dass am Karfreitag irgendetwas Angenehmes passierte.

Mir gefiel auch das Verhüllen der drei Kirchenaltäre und das Verstummen der Glocken. Ich stellte mir dann immer vor, jemand hätte von einem Tag auf den anderen den Katholizismus verboten. Staatlich verboten, ab sofort. Polizei kommt und sperrt die Kirche zu, verhängt die Ikonen. Das hätte augenblicklich die Auflösung der Praamer Eliten eingeläutet. Dieser Ort definierte sich ja fast ausschließlich über sein Verhältnis zur Kirche. Handelte es sich bei dem Verhältnis eher um eine flüchtige Bekanntschaft ohne große Verpflichtungen wie bei meinen Eltern, musste man als Kind mit dem Argwohn der Praamer leben, außer man entspannte die Lage durch eine Tätigkeit als Ministrant, was aber für mich wegen der ungnädigen Aufstehzeiten an einem Sonntag nicht infrage gekommen wäre.

Ein Katholizismusverbot hätte die gesellschaftliche Ordnung auf jeden Fall vollkommen auf den Kopf gestellt, es gab ja seit der Gebietsreform keinen Bürgermeister mehr, und wer hätte der Gemeinde voranschreiten sollen, wenn nicht der Pfarrer Parzefall. Der Großbauer Schranner oder der Fabrikbesitzer Reichelt waren dafür viel zu obrigkeitsfeindlich, das waren die reinsten Anarchisten. Die Religion und der Staat standen ihren wirtschaftlichen Bemühungen immer nur im Weg. Sie machten sich ihre eigenen Regeln und gingen eher als formelle und nicht ganz ernst gemeinte Entschuldigung am Sonntag in die Kirche. Den vollen Respekt der Praamer genoss wirklich nur der Parzefall. Danach kam mit großem Abstand der Vorstand vom Schützenverein.

Doch das von Rom aus verordnete Stimmungstief und die verstummten Glocken erinnerten zusammen mit dem Klappern der Holzschlaberln den ganzen Tag nur noch mehr daran, dass die Kirche für immer die Deutungshoheit in Praam an der Schwarzen Laaber besaß. Und das gemeine Hämmern schien zu morsen: Was auch immer du am Karfreitag vorhast, das dir Freude machen könnte, lass es. Und wehe, du isst was.

Auf jenem Kreuzweg Ende März 1986, am mildesten Karfreitag, den ich bis heute erlebt habe, verspürte ich bereits bei der fünften Station einen unbändigen Hunger und musste zudem dringend aufs Klo, weil ich zuhause eine ganze Flasche von der grünen Waldmeisterlimonade ausgetrunken hatte, die in der gesamten Fastenzeit niemand bei uns in der Wirtschaft kaufte. Die Limonade hatte erst wieder ab Ostersonntag Konjunktur. Ausgelassen sprudelndes grünes Getränk: vorher undenkbar.

An der fünften Station las der Pfarrer Parzefall über ein Mikrofon aus dem Matthäus-Evangelium. Aus dem tragbaren, einem Megafon ähnelnden Lautsprecher, den der Chefministrant transportierte, klang seine Stimme blechern wie die Durchsagen des Bademeisters im Schyrener Freibad:

»Auf dem Weg trafen sie einen Mann aus Zyrene namens Simon. Ihn zwangen sie, Jesus das Kreuz zu tragen. Und zum hundertsten Mal: nicht vom Beckenrand springen! Herrgott, wie oft habe ich euch Bagage das schon gesagt!«

Nun wurde es umständlich, denn der Pfarrer gab sein Mikro an einen anderen Ministranten ab, nahm dafür ein mannshohes braunes Holzkreuz entgegen und schulterte es. Danach setzte sich der Zug aus etwa dreißig Andächtigen wieder in Bewegung, und wir warteten, bis wir uns ganz hinten einreihen konnten, um nicht weiter aufzufallen. Der Andi Radlmeier, ein schon reichlich kaputter Mensch für seine knapp neunzehn Jahre, zündete sich einen Zigarillo an und haute mir im Vorbeigehen mit der flachen Hand in den Nacken. Ich ignorierte ihn.

Am Kreuzweg nahmen nie alle Praamer teil. Gut die Hälfte der Gemeinde war bereits um halb fünf Uhr früh zu Fuß zu einer Wallfahrt nach Altötting aufgebrochen. Das war ein Gewaltmarsch, bei dem man nach einer Übernachtung in Massing an der Rott am Samstagnachmittag seltsam glückserfüllt in Altötting ankam, nur um dort sofort wieder in die Kirche zu gehen und auf ein Wunder der Schwarzen Madonna zu hoffen. Es musste am Sauerstoffmangel liegen.

Ein einziges Mal war ich dabei gewesen, obwohl mich niemand gezwungen hatte. Überhaupt schickten mich meine Eltern schon seit ein paar Jahren nicht mehr in die Messe. Leider war der Sonntagsgottesdienst das alleinige wöchentliche Großereignis, bei dem alle Mädchen aus Praam auf einem Fleck versammelt waren, während sie bei der Oblaten-Verteilung an einem vorbeihuschten, in vollendeter Beherrschung ihres sakralen Laufstegs durch die Mitte des Kirchenschiffs hin zum Parzefall mit seinem Kelch und wieder zurück zum Platz. Nur deshalb ging ich freiwillig hin.

Wenn man es schlau anstellte, informierte man sich bereits längst vorm Karfreitag beim Organisten Werner über die Teilnehmerliste der Karfreitagswallfahrt und konnte so planen, welches Mädchen man auf der Wanderung näher kennenlernen wollte, immerhin hatte man beinahe zwei Tage Zeit, sofern man sie vorübergehend von den Eltern oder Großeltern isolieren konnte. Bei meiner bis dato einzigen Wallfahrt war ich leider umsonst mitgefahren, denn Karin Zellmair war kurzfristig krank geworden, und ich hatte es erst nach zwei Kilometern realisiert.

Bei Station sechs sah ich Rosa zum ersten Mal. Station sechs war die Stelle, an der sich die heilige Veronika aus der Menge der Schaulustigen löst und einem geschundenen Jesus ein Schweißtuch reicht. Der Pfarrer ließ sich an dieser Stelle einen großen weißen Schnäuzlappen von seinem Mesner geben, mit dem er sich das Gesicht abtupfte. Der Mesner war der sich fast im Krebsgang vorwärts bewegende Ehrenpräsident vom Veteranenverein Gerd Jolisch. Der Jolisch sah so alt und zerbrechlich aus, dass man gar nicht hinschauen konnte, wenn er am Sonntag in der Messe mit seiner Löschstange die Kerzen ausmachte, an die man sonst nicht herankam. Als könne er jeden Moment in mehrere Teile zerspringen.

Der Praamer Kreuzweg war nicht besonders lang, er erstreckte sich lediglich von der St. Ignatius Kirche und dem riesigen Schranner-Hof mit der Taubenburg die Hauptstraße über den ehemaligen Marktplatz, wo sich der Gasthof Hauner - unsere schärfste Konkurrenz - und der Bäcker befanden, bis hinunter zu Ziegelei und Sägewerk. Station sechs lag genau dazwischen, vor dem Ausstellungshof von Ford Sedlec. Während die jungen Männer sich die Autos anschauten, darunter ein in der Sonne schwarz blitzender Ford Capri, den der Bogdan Sedlec selbst fuhr, blickte ich hinüber zum Kriegerdenkmal. Vor der Mauer des alten Wasserschlosses stand ein blass schimmerndes Wesen mit dunkelbraunen, kompliziert geflochtenen Haaren und starrte stumm auf unseren Zug.

Weil sie sich keinen Millimeter bewegte, wirkte sie mit ihrer vorwurfsvollen Blässe geradewegs wie in den Ort hineingesetzt. Ein Fremdkörper, eine Geistererscheinung. Erst als der Zug sich in Bewegung setzte und Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen anstimmte, wandte sie den Blick langsam ab und setzte ihren Weg in die Gegenrichtung am Bach entlang fort. Es war nicht so, dass mich sofort ihre besondere Schönheit ergriffen hätte, auch fand ich sie nicht besonders ansprechend gekleidet,...
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Autor

Berni Mayer, geboren 1974 in Mallersdorf, Bayern, hat Germanistik und Anglistik studiert, war Redaktionsleiter bei MTV und VIVA Online und hat für das Label Mute Records gearbeitet. Berni Mayer lebt mit seiner Familie in Berlin. Er ist Autor und Journalist und arbeitet für diverse Podcasts. Bei DuMont sind seine Romane >RosalieEin gemachter Mann