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Das Frostmädchen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am14.11.2016
Als ihr Freund Gideon bei einem Streit handgreiflich wird, flieht die zwanzigjährige Neve hinaus in die klirrend kalte Nacht des kanadischen Winters und verirrt sich. Glücklicherweise wird sie rechtzeitig von dem jungen Künstler Lauri gefunden, der sie in seiner abgelegenen Blockhütte gesund pflegt. Bei Lauri fühlt sich Neve vom ersten Augenblick an geborgen, und zwischen den beiden entspinnt sich eine zarte Liebesgeschichte. Doch in der Nacht im Wald ist etwas mit Neve geschehen - etwas, das die uralte Wintermagie in ihr entfesselt hat ...

Stefanie Lasthaus wuchs im Ruhrgebiet auf. Nach dem Studium zog es sie nach Australien, England sowie in die Schweiz. Zurück in Deutschland, widmete sie sich zunächst dem Dokumentationsfilm und schließlich ganz dem Schreiben - ob für Zeitungen, Zeitschriften, Onlinespiele, dem PR-Bereich oder als Autorin ihrer Romane. Da sie nur noch temporär durch die Welt reisen kann, besucht sie in ihren Büchern Gegenden, die sie faszinieren. Stefanie Lasthaus schreibt auch unter dem Pseudonym Hannah Luis und lebt in Essen.
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Produkt

KlappentextAls ihr Freund Gideon bei einem Streit handgreiflich wird, flieht die zwanzigjährige Neve hinaus in die klirrend kalte Nacht des kanadischen Winters und verirrt sich. Glücklicherweise wird sie rechtzeitig von dem jungen Künstler Lauri gefunden, der sie in seiner abgelegenen Blockhütte gesund pflegt. Bei Lauri fühlt sich Neve vom ersten Augenblick an geborgen, und zwischen den beiden entspinnt sich eine zarte Liebesgeschichte. Doch in der Nacht im Wald ist etwas mit Neve geschehen - etwas, das die uralte Wintermagie in ihr entfesselt hat ...

Stefanie Lasthaus wuchs im Ruhrgebiet auf. Nach dem Studium zog es sie nach Australien, England sowie in die Schweiz. Zurück in Deutschland, widmete sie sich zunächst dem Dokumentationsfilm und schließlich ganz dem Schreiben - ob für Zeitungen, Zeitschriften, Onlinespiele, dem PR-Bereich oder als Autorin ihrer Romane. Da sie nur noch temporär durch die Welt reisen kann, besucht sie in ihren Büchern Gegenden, die sie faszinieren. Stefanie Lasthaus schreibt auch unter dem Pseudonym Hannah Luis und lebt in Essen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641180614
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum14.11.2016
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3204 Kbytes
Artikel-Nr.1941904
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


 

1

Die Welt bestand aus Nacht und Helligkeit, aus Kälte und zarten Berührungen auf den Wangen. Und aus Schmerz.

Neve wollte rennen, stattdessen taumelte sie durch den kniehohen Schnee. Sie legte alle Kraft in die Beine und kämpfte sich mit geballten Fäusten vorwärts, so als würde sie dadurch schneller vorankommen. Doch sie war nicht schnell. Quälend langsam zog sie eine Schneise, weg von dem Gelächter und der Musik aus der Bar. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Geräusche leiser wurden.

Irgendwo vor ihr brach ein Ast unter dem Gewicht des Schnees. Angst? Nein, sie spürte keine Angst. Nicht einmal ein wildes Tier würde sie so erschrecken wie die Erinnerung an Gideons Fratze. Kein Gesicht. Sie konnte es nicht mehr Gesicht nennen, dieses hassverzerrte Abbild des Mannes, der bis vor wenigen Augenblicken noch ihr Freund gewesen war.

Etwas tropfte auf die weiße Fläche vor ihr, dunkle Flecken im Licht der fernen Lampen. Blut. Ihre Lippe musste aufgeplatzt sein, vielleicht auch ihre Augenbraue. Ihr Gesicht brannte, und die Eisluft stach mit kleinen Nadeln in die Wunden. Es war das einzig Lebendige an ihr, der Körper fühlte sich dagegen taub an. Sie hatte die Kälte nie gemocht, doch nun war sie ihr beinahe eine Verbündete geworden.

Ihre Arme und Beine zitterten, so als gehörten sie längst nicht mehr ihr. Sie hatte es nicht einmal bis zu den Bäumen geschafft, als sie ihre Füße nicht mehr spürte. Warum hatte sie nicht zumindest eine Jacke angezogen, oder Schuhe? Ihre Hausschlappen aus Filz waren vollkommen durchnässt. Aber sie musste Abstand zu Gideon schaffen. Selbst jetzt, da der Schnee unter ihren Pulli und in ihre Jeans kroch, würde sie nicht mehr umkehren. Ihre Kehle war so eng, dass sie bei jedem Schritt zu ersticken fürchtete. Tränen schwammen in ihren Augen, doch sie wagte nicht zu weinen. Es würde ihr nur Kraft stehlen, und die durfte sie nicht verschwenden. Sie musste weg, weiter weg. Noch konnte Gideon sie sehen, wenn er aus dem Fenster blickte: eine Gestalt in einem Feld aus Weiß, das an einer Seite vom Schatten der Bäume begrenzt wurde. Noch würde er innerhalb kurzer Zeit bei ihr sein und sie womöglich noch einmal schlagen. Er konnte sie ohne Probleme verfolgen, wenn der Alkohol es zuließ, doch wenn sie die Baumstämme erreichte, würde sie sich vielleicht sicherer fühlen. Dort war es dunkler.

Wind kam auf, wirbelte die oberste Schicht Pulverschnee in die Luft und vermischte sie mit den fallenden Flocken. Neve kniff die Augen zusammen und lief die nächsten Schritte blind. Ihre Haare hatten sich zu harten Strähnen verklebt und schlugen ihr ins Gesicht. Ihre Oberschenkel schmerzten, wurden schwerer und schwerer. Der Schnee verwandelte sich in eine Wand, die ihr verriet, dass sie hier nicht hingehörte.

Sie hatte es gewusst, von Anfang an. Das Longtree-Resort mit den rauen Männern, die sich hier draußen eine Auszeit von ihren Familien nahmen, war kein Ort für sie. Trotzdem war sie mit Gideon hergekommen, in der Hoffnung, dass sich die Risse der letzten Monate kitten ließen. Sie hatte sich diese Reise zum Geburtstag gewünscht, für sie beide, und sich wie ein kleines Kind gefreut, als Gideon ihr den ersehnten Umschlag wirklich überreichte. Die gemeinsamen Pläne hatten ihr Hoffnung geschenkt, und für einen winzigen Moment hatte sie geglaubt, dass alles wieder so werden würde wie früher. Es war eine dumme Idee gewesen. Kälte ließ sich nicht mit Kälte bekämpfen. Das, was einst zwischen ihr und Gideon existiert hatte, war in den letzten Jahren nach und nach gestorben.

Mittlerweile war sie komplett durchnässt. Ihre Zähne schlugen aufeinander, und sie biss sich die Zunge und das Innere einer Wange blutig. Sie schmeckte nichts, spürte nur den Hauch Wärme, der in ihre Mundhöhle kroch. Krampfhaft schluckte sie die wenigen Tropfen, weil sie etwas anderes waren als kalt.

Beim nächsten Schritt stürzte sie. Die Schneedecke gab nach und verwandelte sich in eine weiche Masse, die Neve einhüllte und in eine feuchte Umarmung zog. Kleine Rinnsale krochen über ihren Hals und Nacken bis unter ihren Pullover. Die Kälte verscheuchte die Taubheit und spickte ihre Haut mit Schmerzen, schüttelte sie wie eine Puppe und fand ihren Weg bis in ihr Inneres.

Neve wurde schwindelig. Sie kämpfte mit sich selbst, mit den Gliedmaßen, die ihr nicht mehr gehorchten, und als sie sich endlich aufrappelte, fiel ihr Blick auf ihre Hände: Sie waren rötlichblau verfärbt, die Finger geschwollen. Neve versuchte, sie zu strecken und wollte sich die Kälte aus dem Gesicht wischen, doch sie schlug gegen ihre Wangen, da sie die Finger nicht mehr krümmen konnte.

Weit hinter ihr wurde die Musik lauter. Jemand musste die Tür der Bar aufgestoßen haben, die in der Mitte des Komplexes stand, wahrscheinlich, um sich im Schnee zu erleichtern. Die öffentlichen Toiletten wurden von den Männern nur selten genutzt. Jemand brüllte etwas, das Neve nicht verstand, aber sie hörte den Alkohol in jeder Silbe. Es war nicht Gideon, aber auch er konnte jeden Moment rufen. Nach ihr.

Vorhin in ihrer Hütte hatte er nicht geschrien. Es wäre ihr lieber gewesen. Alles wäre ihr lieber gewesen als sein Schweigen, weil so seine Schläge das einzige Geräusch neben ihren Bitten gewesen waren.

Nun schluchzte Neve doch.

Vor ihr ragten die ersten Baumstämme des Waldgebiets in die Höhe, das Longtree an einer Seite gegen Wind und Wetter abschirmte. Früher hatten hier vielleicht mehr Bäume gestanden, als es die Urlaubshütten noch nicht gegeben hatte. Als es sie selbst oder Gideon noch nicht gegeben hatte.

Neve hob einen Arm und versuchte, einen der Äste zu greifen. Es gelang ihr erst beim dritten Versuch, und ihre Hand klatschte auf das Holz wie totes Fleisch. Sie spürte es nicht, aber sie zog sich vorwärts, und ihr Körper folgte. Als sie zwischen die Winterskelette der Bäume tauchte, ließ sie einen Teil der Geräuschkulisse zurück.

Hier war es stiller. Keine unheimliche Stille, nein, im Gegenteil. Sie beruhigte, hielt Töne ab wie eine Schutzwand oder dämpfte sie, sodass sie klangen wie mit Puderzucker bestäubt. Töne für eine Welt aus Weiß.

Zwischen den Baumstämmen nahm die Höhe der Schneewehen ab, obwohl die Äste sich nackt in das Schwarzgrau des Himmels streckten und den Flocken nur wenig Widerstand boten. Hin und wieder erahnte Neve Pfotenabdrücke, wohl von Hasen. Wie schafften es die Tiere nur, nicht zu versinken? Überhaupt, wie überlebten sie in dieser Kälte?

Die Spuren verschwanden, als Neve dem letzten Schimmer der Außenbeleuchtungen Longtrees den Rücken kehrte. Hier, im Wald, herrschte Dämmerlicht. Der Mond speiste die Schneedecke mit zartem Blau, das Weiß schien fast zu leuchten. Etwas flog vor Neve auf, ein Schatten zwischen Himmel und Erde, und der Schrei eines Tiers gellte durch die Nacht. Hoffentlich nur ein Vogel, doch andererseits war es ihr auch egal. Sie hatte es beinahe geschafft, sie war fast in Sicherheit.

Lief sie noch? Sie sah nach unten, wo ihr Fuß soeben ein Loch in den Schnee stanzte. Die Baumwipfel wogten hin und her, dabei ging kein Wind. Vielleicht war sie es selbst, die schwankte, da sie so sehr zitterte. Wenngleich die Kälte ein wenig nachgelassen hatte. Neve tastete nach ihrer Kleidung, um festzustellen, wie schlimm es war - vielleicht war die Nässe gar nicht so weit vorgedrungen, wie sie glaubte. Sie konnte nichts fühlen, weder Feuchtigkeit noch Wärme noch irgendetwas anderes. Aber sie lief noch immer, Schritt für Schritt, und jeder brachte sie weiter weg von der Angst und der Leere. Wenn sie das alles doch nur hinter sich lassen könnte wie die Holzhütten! Stattdessen schleppte sie diese Gefühle mit sich herum. Sie war oft allein gewesen, aber noch nie so sehr wie jetzt. Gideon war nicht mehr Teil ihres Lebens, also wusste sie nichts anderes zu tun außer laufen. Immer weiter.

Der Wald hieß sie willkommen. Zwischen den Baumstämmen schimmerten Lichter in einem sanften Tanz. Neve blinzelte. Ihre Beine zitterten nicht mehr, sie musste sich wohl warmgelaufen und an die Kälte gewöhnt haben. Die Schmerzen in ihrem Körper waren beinahe verschwunden, nun musste diese Winternacht nur noch das Eis aus ihrem Herzen vertreiben. Wobei es überall saß, dieses Eis, in ihrem Bauch und ihrem Kopf und ihrem Hals. Ganz besonders dort. Sie versuchte, Gideons Namen zu flüstern, doch es ging nicht.

Als sie sich noch einmal umdrehte, waren die Hütten endlich verschwunden, und mit ihnen die Bäume. Sie mischten sich mit dem Weiß und färbten es dunkel, dann kehrte das Gleißen zurück. Neve bemerkte zu spät, dass die Welt sich drehte. Dieses Mal landete sie auf dem Rücken und sank in den Schnee. So weich. Und zart, endlich.

Gideon?

Nein, sie war noch immer draußen, zumindest waren Äste über ihr, dahinter der Mond. Auf einmal war sie wieder traurig, ihr Herz so unendlich schwer, und einen Moment lang war sie verwirrt. Wie war sie hergekommen?

Sie wollte eine Hand heben, um sich das Kitzeln von ihren Wangen zu wischen, doch ihr Arm war viel zu schwer. Nicht so schlimm, die Schneeflocken störten ja nicht wirklich. Sie schmerzten nicht.

Neve summte leise. Warum hatte sie stets geglaubt, dass sie den Winter nicht mochte? Ihr Leben lang hatte sie sich gewünscht, Kanada zu verlassen und an einem wärmeren Ort zu leben, einem Ort voller Sonne und Gold. Dabei war an dem, was sie hier hatte, nichts auszusetzen. Alles war so friedlich. War sie etwa zu Hause, in ihrer kleinen Wohnung in Squamish?

Neve schaffte es, den Kopf zu drehen, und ihr Mund füllte sich mit Schnee, der augenblicklich...

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Stefanie Lasthaus wuchs im Ruhrgebiet auf. Nach dem Studium zog es sie nach Australien, England sowie in die Schweiz. Zurück in Deutschland, widmete sie sich zunächst dem Dokumentationsfilm und schließlich ganz dem Schreiben - ob für Zeitungen, Zeitschriften, Onlinespiele, dem PR-Bereich oder als Autorin ihrer Romane. Da sie nur noch temporär durch die Welt reisen kann, besucht sie in ihren Büchern Gegenden, die sie faszinieren. Stefanie Lasthaus schreibt auch unter dem Pseudonym Hannah Luis und lebt in Essen.