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Im ersten Licht des Morgens

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
432 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am12.12.2016
Kraftvoll und berührend erzählt Virginia Baily von Liebe und Rettung, Schuld und Verantwortung vor der atmosphärischen Kulisse Roms
Bevor an einem Morgen im Jahr 1943 die Sonne aufgeht, tritt Chiara im besetzten Rom auf die Straße. Noch ahnt sie nicht, dass sie an diesem Tag einem kleinen Jungen das Leben retten wird. Doch als sie Daniele begegnet, verbinden sich ihre Schicksale unwiderruflich miteinander. Chiara nimmt ihn allen Widrigkeiten zum Trotz an wie einen Sohn. Aus Liebe tut sie fortan alles, um ihn zu schützen - und aus Liebe begeht sie nach Kriegsende einen folgenschweren Verrat ...

Virginia Baily studierte Italienisch, Französisch und Englisch und leitet eine Zeitschrift für Kurzgeschichten, die sie mitbegründete. Neben dem Schreiben gilt ihre Leidenschaft Reisen nach Afrika und Italien. Im ersten Licht des Morgens schrieb sie während eines langen Aufenthalts in Rom. Der Roman wurde in England zum Bestseller und erscheint in zwölf Ländern. Heute lebt die Autorin im südenglischen Exeter.
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Produkt

KlappentextKraftvoll und berührend erzählt Virginia Baily von Liebe und Rettung, Schuld und Verantwortung vor der atmosphärischen Kulisse Roms
Bevor an einem Morgen im Jahr 1943 die Sonne aufgeht, tritt Chiara im besetzten Rom auf die Straße. Noch ahnt sie nicht, dass sie an diesem Tag einem kleinen Jungen das Leben retten wird. Doch als sie Daniele begegnet, verbinden sich ihre Schicksale unwiderruflich miteinander. Chiara nimmt ihn allen Widrigkeiten zum Trotz an wie einen Sohn. Aus Liebe tut sie fortan alles, um ihn zu schützen - und aus Liebe begeht sie nach Kriegsende einen folgenschweren Verrat ...

Virginia Baily studierte Italienisch, Französisch und Englisch und leitet eine Zeitschrift für Kurzgeschichten, die sie mitbegründete. Neben dem Schreiben gilt ihre Leidenschaft Reisen nach Afrika und Italien. Im ersten Licht des Morgens schrieb sie während eines langen Aufenthalts in Rom. Der Roman wurde in England zum Bestseller und erscheint in zwölf Ländern. Heute lebt die Autorin im südenglischen Exeter.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641170080
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum12.12.2016
Seiten432 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1835 Kbytes
Artikel-Nr.1941950
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

ROM, OKTOBER 1943

Eine junge Frau marschiert mit energischen Schritten die Straße entlang. Ihr Mantel ist eng gegürtet, sie hat einen Schal um den Kopf geschlungen und trägt eine große Stoffumhängetasche. An ihrem Arm baumelt eine kleinere Tasche, die ihren Geldbeutel mit ein paar Lira und ihren Dokumenten enthält, ihren Ausweis und ihre Lebensmittelkarte. Chiara Ravello, ledig, Via dei Cappellari 147, Wohnung Nummer 5 steht in ihren Papieren. Kein Schirm schützt sie vor dem strömenden Regen aus pechschwarzem Himmel. Es schüttet gnadenlos und das seit Stunden, als hätte sich das Wetter mit den Ereignissen dieses Tages gegen sie verbündet.

Keine Viertelstunde nach dem Anruf hat sie das Haus verlassen. »Mamma ist krank«, hatte Gennaro gesagt. Wenn man weiß, wie eilig sie es hat, grenzt es an ein Wunder, dass sie überhaupt einigermaßen anständig angezogen ist. Noch dazu war ihre Schwester Cecilia ihr ständig nachgerannt, hatte ihr im Weg gestanden und ermüdende Fragen gestellt.

»Wer hat angerufen?«, wollte sie an der Badezimmertür wissen, als Chiara sich gerade Wasser ins Gesicht spritzte. »Warum ziehst du dich an? Es ist erst Viertel vor sechs«, als Chiara ihre Strümpfe vom Ofengriff nahm und die feuchten, starren Dinger über ihre kalten Beine streifte.

Der Regen war in die Wohnung gedrungen, ein leichter Nebel schien in der Küche zu hängen.

»Du kannst nicht ohne Unterrock vor die Tür«, als sie sich das rote Wollkleid über den Kopf zog und den Gürtel schloss. Um dann fürsorglich hinzuzufügen: »Soll ich dir einen Kaffee machen?«

Als Cecilia die Kanne an der Spüle auswusch, hatte Chiara endlich kurz Zeit zu überlegen, worauf es im Augenblick ankam: Mantel und Schal anziehen und nach der extragroßen Tasche suchen. Für den Fall, dass noch etwas zu retten war. Sie fragte sich, ob sie das Rad nehmen sollte, verwarf die Idee aber, weil es zu lange dauerte, es die Treppe hinunterzutragen. Laufen ging schneller. Bis zu Gennaros Bar an der Via del Portico d´Ottavia waren es keine tausend Meter.

An der Küchentür drehte sie sich um und sagte, sie müsse jetzt los. Cecilia hielt mit offenem Mund inne, die Kaffeekanne in der schlaff herabhängenden Hand.

Chiara begriff, was Cecilia gerade eingefallen war. Es war kein Kaffee im Haus. Schon seit über zwei Monaten gab es keinen Kaffee mehr. Sie begriff auch, dass diese Erkenntnis sämtliche damit verbundene Erinnerungen wieder wachrief. Die Bomben, das Sterben, die Besetzung durch die Nationalsozialisten. Alles, was Chiara im Stillen als »Trümmerhaufen« bezeichnete. An jedem anderen Tag hätte sie ihre Schwester getröstet, aber nicht heute.

»Ich bin gleich wieder da.«

»Nicht fortgehen«, flehte Cecilia mit ihrer Kleinmädchenstimme.

»Also bitte!«, rief Chiara und war schon aus der Tür. Ihre Stiefel stapften über die steinernen Stufen, allerdings nicht laut genug, um das Weinen ihrer Schwester zu übertönen.

Unten auf der Straße überlegte sie es sich anders und rannte die zwei Stockwerke wieder nach oben. »Zieh dich an. Pack eine Tasche mit warmen Sachen.«

Cecilias schönes rehäugiges Gesicht nahm einen ängstlich-leidenden Ausdruck an, sodass Chiara ihr am liebsten eine Ohrfeige verpasst hätte, um sie zur Besinnung zu bringen. »Fahren wir in Urlaub?«, fragte ihre Schwester.

»Ja. Wir fahren weg. Pack auch einen Koffer für mich. Ich werde in wenigen Stunden wieder zurück sein.« Sie zeigte auf die Uhr. »Ich bring dir eine Überraschung mit.«

»Soll ich meine Nähsachen mitnehmen?«

»Alles, was reinpasst. Nur nicht die Nähmaschine.«

»Ich stecke für jeden von uns eine Decke ein.«

»Entschuldige, dass ich dich vorhin so angeschrien habe.«

»Ich sag´s nicht weiter.«

Wem Cecilia etwas weitersagen sollte, ist ihr ein Rätsel.

Draußen auf der Straße ist es dunkel. Es herrscht Ausgangssperre, und die Straßenbeleuchtung ist ausgeschaltet. Chiara hat nasse Füße. Die Stiefel sind undicht, und sie rutscht auf den nassen Pflastersteinen aus. Als sie den Campo dei Fiori erreicht, bleibt sie stehen. Das erste Licht der Morgendämmerung, die noch nicht bis in den schmalen Schacht der Via dei Cappellari vorgedrungen ist, erhellt einen verlassenen Platz. Es ist sechs Uhr früh an einem Samstagmorgen. Normalerweise würde hier gerade der Markt aufgebaut. Die Statue von Bruno Giordano ist die einzige menschliche Gestalt weit und breit. Sie schaut zu ihm auf, zu dem ernsten, Unheil verkündenden Kapuzenmann, als könnte er sie trösten. Sie fröstelt.

Sie überquert den Platz, bleibt dabei aber an seinen Rändern im Schutz der Gebäude. Die Straßen sind leerer, seit die Nationalsozialisten an der Macht sind. Wie bei einer Warnung vor Unwetter, Schnee oder einem Erdbeben bleiben die Römer in ihren Häusern und verlassen sie nur, wenn es unbedingt notwendig ist. Nachts sind ab und zu einzelne Schüsse zu hören. Man erzählt sich von Leuten, die willkürlich angehalten, an die Wand gestellt und abgeführt werden. Dann verhört man sie in besetzten, entsprechend umgebauten Gebäuden, aus denen Schreie nach draußen dringen. Später bestellt man ihre Angehörigen ein, sie sollen die verstümmelten Leichen abholen. Neu ist das nicht, das war schon während des gesamten Faschismus so, hat aber jetzt, wo Rom zur offenen Stadt erklärt wurde, beängstigende Dimensionen angenommen. Es genügt nicht mehr, den Kopf einzuziehen, um sich zu schützen. Niemand weiß mehr, wer auf welcher Seite steht, wer mit wem verbündet ist.

In der Mitte der Via dei Giubbonari biegt Chiara in eine noch schmalere Gasse ein und wählt damit einen Weg weit abseits der Hauptstraße. Sie weiß nicht, was sie erwartet, nur, dass ihre Hilfe gebraucht wird, und dass sich das neue Problem, was immer es sein mag, im alten jüdischen Viertel abspielt. Gäbe es nicht die Goldabgabe, die die deutsche Kommandantur der jüdischen Gemeinde Roms vor ein paar Tagen auferlegt hat, wäre sie sich jetzt nicht so sicher, dass der Ort, an dem sich Gennaros Bar befindet, nämlich an der Hauptdurchgangsstraße des Gettos, eine wichtige Rolle dabei spielt.

Fünfzig Kilo Gold. Chiara hat beim Organisieren und Sammeln der Spenden geholfen - Ringe, Medaillons, alte Münzen und Manschettenknöpfe. Sie hätte sogar den Siegelring ihres Vaters gespendet, aber der lag nicht in der Schmuckschatulle, in der sie ihn aufbewahrt hatte. Nachdem die Beamten das Gold gewogen und für ausreichend befunden hatten, hatte sie den Ring in einer Ritze ihres Schminktischs entdeckt. Sie war froh, den Ring nicht hergegeben zu haben, der ihrem vor fünf Jahren gestorbenen, geliebten Vater gehört hatte.

Babbo, denkt sie und sucht in ihrem Gedächtnis nach einem tröstlichen Erlebnis mit ihm. Doch stattdessen sieht sie Carlo vor sich, ihren Verlobten, der nur einen Monat später ums Leben gekommen ist. Trauer steigt in ihr auf, die so stark ist, dass sich ihr ein Wimmern entringt. Einsamkeit geht ihr wie die Kälte durch Mark und Bein. Sie schüttelt den Kopf, spürt den klatschnassen Schal im Nacken.

Sie hatten gehofft, mithilfe der Goldkollekte weiteren Ärger abwenden, den Juden Roms eine Verschnaufpause erkaufen zu können. Was, wenn wir uns verrechnet haben, denkt sie, während sie ihre Schritte wegen des strömenden Regens verlangsamt. Was, wenn die Nazibeute zehn Gramm zu wenig wiegt, genau um einen Ring zu wenig?

Sie beschleunigt ihre Schritte wieder. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, vielleicht sind ihre Sorgen völlig unbegründet. Auf jeden Fall wird sie bei Gennaro einen anständigen Kaffee bekommen.

Sie erreicht eine kleine Kreuzung mit einer Rasenfläche, auf der eine kleine Platane steht. Sie überlegt, sich dort unterzustellen und noch einmal nachzudenken. Aber da gibt es nichts zu überlegen, beziehungsweise mit Überlegen allein ist ihr auch nicht geholfen. Die Hauptstraße, Via Arenula, liegt still und menschenleer vor ihr. Sie bleibt unter dem Baum stehen, will seinen Schutz nicht verlassen. Sie befindet sich nach wie vor auf »ihrer« Seite. Wenn sie den Bürgersteig verlässt und die Straße überquert, betritt sie eine andere Welt. Es ist, als hätte man erneut die Mauern hochgezogen, die das Getto bis vor einem halben Jahrhundert umgeben haben. Sie sind unsichtbar, aber es gibt sie trotzdem.

Noch hat sie die Möglichkeit kehrtzumachen.

Sie denkt an Cecilia, stellt sich vor, wie ihre Schwester leichte Musik im Radio hört, während sie packt, und es wieder ausstellt, wenn die üblichen behördlichen Durchsagen kommen. Wie sie stattdessen das Grammophon einschaltet und ihre Koffer zum Lied der Stunde füllt, das von ihrem neusten Leinwandhelden Gino Bechi gesungen wird. Sie haben sich den Film mit ihm dreimal angeschaut, als er im März in die Kinos kam. La strada del bosco heißt das Lied, das überall in Rom gespielt wird, während die Leute ihre Koffer packen, ihre Häuser verriegeln und aus der Stadt fliehen. Warum sollten Cecilia und sie es anders halten? Sie haben es besser als viele andere. Ihre Nonna lebt in den umliegenden Hügeln.

Ein fernes Donnern wird lauter. Sie bleibt bei dem Baum und entdeckt ein Militärfahrzeug. Dann fährt ein Bus mit beschlagenen Fenstern vorbei, der bis auf den Fahrer leer zu sein scheint. Ein Hund trottet die Straße entlang und bleibt stehen, um an dem seltsam geformten, durchweichten Müllberg im Rinnstein zu schnuppern. Die Stadtverwaltung funktioniert nicht mehr, und die Straßen sind seit Wochen nicht gereinigt worden. Der Hund läuft auf den Bürgerstein und hebt sein Bein am...

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Virginia Baily studierte Italienisch, Französisch und Englisch und leitet eine Zeitschrift für Kurzgeschichten, die sie mitbegründete. Neben dem Schreiben gilt ihre Leidenschaft Reisen nach Afrika und Italien. Im ersten Licht des Morgens schrieb sie während eines langen Aufenthalts in Rom. Der Roman wurde in England zum Bestseller und erscheint in zwölf Ländern. Heute lebt die Autorin im südenglischen Exeter.