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Quicksand

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
144 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.06.20161. Auflage
Jo, eine junge amerikanische Collegeprofessorin, muß bei ihrem Aufenthalt auf der Nordseeinsel Neuwerk feststellen, daß Tote im Watt keine Seltenheit sind. Aber nicht jede Leiche ist ein Opfer des Meeres ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Christa Hein, Autorin und Übersetzerin, wurde 1955 in Cuxhaven geboren. Sie studierte Literaturwissenschaft in Kiel. Von 1982 bis 1990 lebte sie in den USA und unterrichtete an der Indiana University in Bloomington.
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Produkt

KlappentextJo, eine junge amerikanische Collegeprofessorin, muß bei ihrem Aufenthalt auf der Nordseeinsel Neuwerk feststellen, daß Tote im Watt keine Seltenheit sind. Aber nicht jede Leiche ist ein Opfer des Meeres ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Christa Hein, Autorin und Übersetzerin, wurde 1955 in Cuxhaven geboren. Sie studierte Literaturwissenschaft in Kiel. Von 1982 bis 1990 lebte sie in den USA und unterrichtete an der Indiana University in Bloomington.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105611012
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum15.06.2016
Auflage1. Auflage
Seiten144 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1955525
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

»Wir müssen noch etwa zwanzig Minuten in der Luft bleiben«, sagte die Stimme im Lautsprecher. Jo sah aus dem kleinen ovalen Fenster. Morgendunst lag milchig über der Küste, eine noch blasse Sonne schien von oben auf die Dunstschwaden.

Es mußte Ebbe sein. Weit zogen sich die hellen Wattflächen ins Meer hinaus. Darin sich verästelnde Wasseradern, die Priele; ähnlich den großen Flüssen in Amerika, über die sie noch vor Stunden geflogen war. Keine der Inseln, die sie besuchen wollte, war von hier aus zu sehen.

Sie nahm noch einmal ihre Notizen hervor. Die Karte von der Küste South Carolinas. Pawley´s Island. Hier war sie zum ersten Mal auf die Legende vom »Grey Man« gestoßen. Einer Gestalt, von der es hieß, sie tauche immer dann an den Stränden auf, wenn ein Hurrikan im Anzug war. Solche Stürme konnten ganze Häuser in die Luft heben. Wohnzimmer mit erleuchteten Kristalllüstern durch den Himmel wirbeln lassen. Wenn sie den Grauen Mann gesehen hatten, zogen die Küstenbewohner aus ihren Häusern ins Binnenland um, bis alles vorbei war.

Sie packte auch die Karte vom Wattengebiet an der Elbmündung aus, mit den Inseln Trischen, Scharhörn, Neuwerk. Auch hier sollte es eine solche Legende geben. The Grey Man und der Graue Mann. 6000 Meilen Atlantik dazwischen.

»Was haben Sie in Hamburg vor?« Ihr Nachbar war aufgewacht. Gleich nach dem Abflug in Chicago hatte er sich eine schwarze Schlafmaske aufs Gesicht gesetzt und war in Träume versunken. Jetzt schien er sehr munter.

»Vorbereitungen für mein Landeskundeseminar«, antwortete sie. »Ich unterrichte Deutsche Literatur und Landeskunde an einem College in Virginia.«

Ihr Deutsch war gut, aber ein wenig zu glatt. Auch das war einer der Gründe für ihre Reise.

»Sie sprechen erstaunlich gut, wirklich akzentfrei«, sagte der Mann neben ihr.

Genau das ist es, was mich ärgert, dachte Jo.

Sie hangelte nach ihren Schuhen und setzte sich aufrecht hin, um Reißverschluß und Knopf ihrer Jeans zuzumachen. Jeans waren für diese langen Reisen denkbar unbequem. Jedesmal nahm sie sich vor, auf dem nächsten Flug ein Kleid zu tragen.

Sie räumte ihre Sachen zusammen, ihre Brille, das in helle chinesische Seide gebundene Notizbuch, das sie extra für diese Reise gekauft hatte; die Bordzeitung mit der Adresse der Redaktion, der sie ihren Artikel über die Inseln auch schicken wollte, und das Buch mit Geschichten von der Nordseeküste. Eine Erzählung darin handelte von Neuwerk. Während der Kontinentalsperre war die Insel Zentrum ausgedehnten Schmuggels mit englischen Waren - Tee, Stoffen und Jamaika-Rum - gewesen; sie lag der damals noch britischen Insel Helgoland am nächsten. Wegen Schleichhandels und Spionage hatte ein französischer Offizier mit vierzig Dragonern die Insel besetzt und sie binnen vier Tagen von allen dreiunddreißig Bewohnern und ihrem Vieh räumen lassen.

Die Stewardeß kam ein letztes Mal vorbei. »Bitte stellen Sie Ihre Sitzlehnen aufrecht«, bat sie. Jo gab ihr die Plastiktasse zurück, die nach schlechtem Kaffee roch, und die zerknüllte Tüte »cholesterol-free peanuts«. Wenigstens hatte sie in Heathrow ein gutes Frühstück gehabt. Da ihre Vorbestellung für ein vegetarisches Gericht offenbar verlorengegangen war, bekam sie einen Scheck über fünf englische Pfund. Damit war sie zum Frühstücksbuffet gegangen. Vegetarierin war sie eigentlich nicht, aber das normale Essen im Flugzeug war furchtbar. Sie versuchte, weniger Fleisch zu essen, aber nicht unbedingt aus Prinzip. Ralph hatte ihr zum Abschied ein Steak gegrillt. Dazu hatte es die ersten frischen Maiskolben gegeben und kalifornischen Rotwein. »So was bekommst du doch nicht in Deutschland!« hatte er gesagt.

Der Abschied von Ralph war schwierig gewesen. Beide hatten in den vergangenen Monaten das Gefühl gehabt, daß sich zwischen ihnen etwas verändern müßte. Es war ihr Vorschlag gewesen, sich auf ein paar Monate zu trennen.

Die Maschine neigte sich jetzt, das Land draußen vor den Fenstern verrutschte. Schräge Felder auf einer Wolldecke. Sie hatten endlich Landeerlaubnis.

 

Es regnete erwartungsgemäß, als sie am Flughafen in den Bus einstieg. Genau, wie man es ihr prophezeit hatte. Du fährst also in das Land des ewigen November, hatte Ralph gemeint.

Sie sah aus dem Busfenster mit den schrägen Wasserstreifen. Menschen mit aufgespannten Schirmen hasteten vorbei. An den Mietshauswänden leckten schwarze Regenzungen herab. Noch war alles kahl. In Virginia hatten schon vor zwei Monaten die Bäume geblüht - Magnolien, Kamelien und Kirschen.

Sie stieg am Bahnhof aus und suchte die Treppen zur U-Bahn, die sie zum Hafen bringen sollte. Sie trat in Hundekot. »Damn«, fluchte sie leise vor sich hin. »This is disgusting.« In Amerika hieß es doch immer, Deutschland sei so sauber. Drüben beseitigten die Hundebesitzer die Häufchen wenigstens sofort.

»Hello, beautiful young lady«, sagte plötzlich jemand neben ihr mit einem starken Akzent. Sie drehte sich um und stand einem kleinen, gedrungenen Mann gegenüber. Er hatte einen Lodenmantel an, die Hände in den Taschen vergraben.

O nein, dachte Jo, das fehlt mir grad noch.

»Hau ab«, sagte sie in ihrem besten Umgangsdeutsch und ging fort. Er kam ihr nicht hinterher. Wieso hatte dieser Kerl ihre Nationalität erkannt?

Es hörte auf zu regnen, als sie am Hafen ankam. Ein starker Wind trieb die Wolken auseinander, Wellen blitzten in der Sonne auf.

Jo fragte eine junge Frau nach dem Schiff. Sie zeigte auf einen großen weißen Dampfer hinten an den Landungsbrücken.

»Hier, nehmen Sie dies zu lesen mit.« Die Frau hielt ihr ein orangefarbenes Flugblatt hin. »Es geht um den Ausbau des Hamburger Hafens.« Jo steckte es ein und lief los. Sie hatte gerade noch Zeit, ein Mineralwasser zu kaufen.

Die Beine auf die Reling gelegt, eine Wolldecke über den Knien, saß sie auf dem Oberdeck, als hätte sie eine Ozeanfahrt vor sich. Vor ihr der Hafen, die Docks, die Kräne. Schlepper kreuzten das Wasser, eine Barkasse legte ab zu einer Hafenrundfahrt.

Sie holte sich ihren Wollpullover von L.L. Bean aus dem Rucksack. Es war kalt hier oben. Aber unter Deck stank es ihr zu sehr nach Bier und Zigarettenrauch.

Die Schiffssirene dröhnte, dreimal laut und tief. Das Zeichen für Rückwärtsfahren galt offenbar auch hier. Auf dem Kai lösten Männer die Trossen von den Pollern. Der Spalt zwischen Kaimauer und Schiffswand begann sich zu vergrößern.

Eine ungeheure Vorfreude auf die nächsten Tage überkam sie plötzlich.

Sie fuhren die Elbe hinab, vorbei an den Hügeln von Blankenese mit den teuren Villen. Dort hatten die Großeltern gelebt, bevor sie Anfang der dreißiger Jahre in die USA auswanderten. Grandma Annchen als junges Mädchen im weißen Kleid, an der Promenade von Blankenese flanierend.

Das erste Mal war Jo als Kind in Deutschland gewesen. Eine ihrer wenigen Erinnerungen: die hohen dunklen Räume eines alten Hauses. Große Spiegel, geheimnisvolle Ecken. Der Raum, auf dessen Parkettfußboden sie mit ihren Lackschuhen ausrutschte. In einem Mahagonyschrank hatte sie ein violettes Samtkleid gefunden, mit Pailletten besetzt, einen schwarzen Hut mit Pfauenfedern, schwarze, elegante Handschuhe, die bis zum Ellbogen reichten. Sie hatte nicht widerstehen können und die Sachen übergezogen, die ihr natürlich viel zu groß waren. Als sie sich im Spiegel begegnete, hatte sie es mit der Angst bekommen: Eine Fremde starrte sie an. Gar nicht schnell genug konnte sie alles wieder abstreifen.

 

Sie war eingenickt und wachte auf, als jemand direkt neben ihr einen Liegestuhl aufstellte. Im ersten Moment wußte sie nicht, wo sie war. Aber jedenfalls nicht in den Staaten. Dort würde niemand auf die Idee kommen, ihr so nah auf die Pelle zu rücken.

Der Fluß hatte sich geweitet, am südlichen Ufer kamen silbrig glänzende Bauten von Industrieanlagen in Sicht. Ein Atommeiler, mehrere hohe Schlote. Sie angelte nach ihrem Rucksack mit dem Fernglas. Die kleinen schwarzen Plastikhüllen vor den Gläsern nahm sie vorsichtig ab und legte sie in den Kasten zurück. Das hatte sie noch nie getan. Ralph machte es immer so bei seinem Glas, sie hatte sich oft darüber mokiert. DOW Chemical, las sie, Alu Swiss, ICI.

 

»Entschuldigen Sie, haben Sie Feuer?« Die Frau im Liegestuhl nebenan hielt eine Zigarette zwischen ihren langen Fingern mit den rotlackierten Nägeln und lächelte sie über das Gestell ihrer Sonnenbrille hin an.

Impertinent, dachte Jo, jetzt wird sie mir im Abstand von einem Meter auch noch den Rauch ins Gesicht blasen.

»Sorry, ich bin Nichtraucherin.«

Die Dame seufzte gequält auf. Aus der Wolldecke sahen nur ihre nackten, braungebrannten Füße hervor, die sie auf die Reling gelegt hatte. Um die Fessel trug sie ein goldenes Kettchen mit einer Muschel aus Elfenbein daran.

Ein junger Mann kam vorbei. Die Dame schälte sich aus der Decke und streckte die Hand mit der Zigarette nach vorn.

Der Mann holte ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche. Sie schnippte mit dem Daumen, eine unmißverständliche Geste, aber er gab ihr das Feuerzeug in die Hand. Sie schien enttäuscht. Dreimal ließ sie den Deckel aufspringen, ehe die Zigarette brannte.

Jo erhob sich und ging auf die andere Seite des Schiffes. Hier lag alles im Schatten, und der Wind war kalt. Hier würde niemand sie stören.

Im Fernglas tauchte eine Insel auf. Ein flacher, gewölbter Streifen. Sie sah auf ihre Karte.

»Das ist die Insel Krautsand.« Es war also doch jemand da. »Früher mal Bombenabwurfplatz für die Tommies, heute Vogelschutzgebiet.«

»Auf der...
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