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Übertragung - Gegenübertragung

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
96 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.09.20161. Auflage
Professor Dr. Uwe H. Peters stellt die beiden psychoanalytischen Grundbegriffe Übertragung und Gegenübertragung im Rahmen der psychotherapeutischen Beziehung zwischen Psychotherapeut und Patient dar und macht an Beispielen klar, welche Formen wechselseitige Verständnis- und Identifikationsvorgänge bei beiden Partnern annehmen können. In diesem Zusammenhang werden auch die Phänomene der Regression, der Wiederholung, der Affekte und ungelösten Konflikte der infantilen Neurose behandelt sowie übertragungsähnliche Beziehungen im täglichen Leben, wo menschliche Beziehungen unter dem Gesichtspunkt früher Vater-, Mutter-, Bruder- oder Schwester-Imagos verlaufen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Uwe Henrik Peters, 1930 in Kiel geboren, ist Psychiater und Neurologe.
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Produkt

KlappentextProfessor Dr. Uwe H. Peters stellt die beiden psychoanalytischen Grundbegriffe Übertragung und Gegenübertragung im Rahmen der psychotherapeutischen Beziehung zwischen Psychotherapeut und Patient dar und macht an Beispielen klar, welche Formen wechselseitige Verständnis- und Identifikationsvorgänge bei beiden Partnern annehmen können. In diesem Zusammenhang werden auch die Phänomene der Regression, der Wiederholung, der Affekte und ungelösten Konflikte der infantilen Neurose behandelt sowie übertragungsähnliche Beziehungen im täglichen Leben, wo menschliche Beziehungen unter dem Gesichtspunkt früher Vater-, Mutter-, Bruder- oder Schwester-Imagos verlaufen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Uwe Henrik Peters, 1930 in Kiel geboren, ist Psychiater und Neurologe.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105613542
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum15.09.2016
Auflage1. Auflage
Seiten96 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2090797
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Beziehungen zwischen Exorzisten und Besessenen

Eine frühe und enge Beziehung zwischen Heiler und Krankem tritt im Exorzismus deutlicher zutage. Exorzismus setzt die Krankheitslehre der Besessenheit voraus, die bei vielen Völkern in vielen Teilen der Welt (allerdings nicht überall) und vom Altertum bis ins 19. Jahrhundert eine fast universelle Gültigkeit besaß und somit eine der dauerhaftesten und offenbar auch brauchbarsten Krankheitstheorien darstellt. Erst durch die Einwirkung der Aufklärung verschwanden die Besessenheitsvorstellungen allmählich, ohne doch bis in die Gegenwart ganz ohne Bedeutung zu sein. Nach dieser Krankheitstheorie ist Krankheit (körperliche oder psychische) auf böse Geister zurückzuführen, die in den Körper des Kranken eingedrungen sind. Der Kranke erlebt die Krankheit selbst als eine Art intrapsychischen Parasitismus (T.K. ÖSTERREICH, 1921). Als eine der denkbaren Therapieformen kann die Austreibung der eingedrungenen Geister mit geistigen Mitteln gelten. Tatsächlich ist dieses Vorgehen - neben anderen Methoden - seit dem Altertum und bei vielen Völkern üblich gewesen und hat in der katholischen Kirche als Exorzismus eine offiziell anerkannte Funktion gehabt. Es darf davon ausgegangen werden, daß die exorzistische Technik im Laufe der Jahrhunderte - obwohl im Kern gleichbleibend - verschiedene Wandlungen durchgemacht hat, daß aber das jeweilige Verfahren sich am besten auf die jeweilige soziokulturelle Situation einstellt und damit auch den Bedürfnissen des Einzelindividuums (zeitgebunden wie es ist) am meisten entgegenkommt. An dieser Stelle interessiert hauptsächlich die sich dabei ergebende Beziehung zwischen Exorzist und Besessenem. Es wird dabei sichtbar, daß der Exorzismus bereits eine gut strukturierte Form der Psychotherapie darstellt. Ihre grundlegenden Merkmale sind nach ELLENBERGER (1973) folgende:


»Der Austreiber spricht gewöhnlich nicht in seinem eigenen Namen, sondern im Namen eines höheren Wesens. Er muß zu diesem höheren Wesen und zu seinen eigenen Fähigkeiten absolutes Vertrauen haben, ebenso muß er von der Realität der Besessenheit und des besitzergreifenden Geistes absolut überzeugt sein. Im Namen des höheren Wesens, das er vertritt, spricht er den Eindringling feierlich an. Dem Besessenen spricht er Mut zu; seine Drohungen und Ermahnungen richtet er nur an den Eindringling. Die Vorbereitung des Austreibers auf seine Aufgabe ist schwierig und dauert lange, oft muß er auch beten und fasten. Die Austreibung soll, wenn irgend möglich, an einem heiligen Ort, in einer strukturierten Umgebung und in Gegenwart von Zeugen stattfinden, zugleich muß man Ansammlungen Neugieriger vermeiden.

Der Austreiber muß den Eindringling zum Sprechen bringen, und nach langem Hin- und Herreden wird manchmal ein Handel abgeschlossen. Die Austreibung ist ein Kampf zwischen Austreiber und dem eingedrungenen Geist - oft ein langer, schwieriger und verzweifelter Kampf, der manchmal tage-, wochen-, monate- oder sogar jahrelang fortgesetzt werden muß, bevor ein vollständiger Sieg erreicht werden kann. Nicht selten erlebt der Austreiber eine Niederlage; er ist ständig in Gefahr, selbst von dem Geist besessen zu werden, von dem er den Patienten eben befreit hat ...« (S. 37f.).


Aus heutiger Sicht erscheint es als wesentlich, daß sich eine eventuell über Jahre dauernde Beziehung zwischen Exorzist und Besessenem herstellen konnte. Dabei ermöglicht die Teilung der Beziehung auf zwei verschiedene Ebenen einen Austausch von Gefühlen und Gedanken ohne die Hemmungen und Beschränkungen der jeweiligen Konvention. Der Besessene spricht einerseits als vernünftiges soziales Wesen, hat aber mit Hilfe des vermeintlich in seinem Leibe wohnenden bösen Geistes eine zweite Stimme, die keinen Beschränkungen unterliegt. Aber auch der Exorzist redet mit der einen Stimme dem Besessenen Mut zu und kann zugleich mit anderer Stimme auf die Gedanken und Gefühle des Besessenen (vermeintlich: der eingedrungenen Geister) Einfluß nehmen. Es wird auch dem heutigen Psychotherapeuten einleuchten, daß diese sich aus der Theorie ergebende technische Möglichkeit ungeheuere Vorteile bietet. Verständlicherweise ist dieses System nur funktionsfähig, wenn Besessener und Exorzist fest von der Realität (der zugrunde liegenden Krankheitstheorie) überzeugt sind, und allein aus diesem Grunde heute nicht mehr anwendbar. Eine der eindrucksvollsten Beschreibungen bezieht sich zwar schon auf die Neuzeit, läßt aber vielleicht deswegen Strukturelemente der Beziehung zwischen Psychotherapeut und Patient deutlicher sichtbar werden. Es handelt sich um den berühmten Exorzismus, der über zwei Jahre hin und am Ende erfolgreich (1842/43) vom Pastor JOHANN CHRISTOPH BLUMHARDT (1805-1880) an der GOTTLIEBIN DITTUS vorgenommen wurde.[1] Pastor BLUMHARDT hatte erst vier Jahre vor der Austreibung, als er 33 Jahre alt war, die Pfarre in Möttlingen im Schwarzwald übernommen. Es wird berichtet, daß die GOTTLIEBIN DITTUS schon in dieser Zeit sein beliebtestes Pfarrkind war. Als er die Pfarre antrat, war sie 24 Jahre alt. Die Besessenheit der Gottliebin ist aus heutiger Sicht als hysterische Symptomneurose zu klassifizieren. Die »besondere Beziehung« wird schon im Vorfeld des Exorzismus durch die Bezeichnung »liebstes Pfarrkind« deutlich. Sie bleibt dauernd erhalten, denn die Gottliebin trat später »an Kindes Statt« lebenslang in die Familie von Pfarrer BLUMHARDT ein, was schon V. V.WEIZSÄCKER (1926) zu der Bemerkung veranlaßte: »Diese Auflösung bedeutet einen Sieg BLUMHARDTs über die Hysterie, einen Sieg der Gottliebin über BLUMHARDT.« Der Preis für die Heilung war die lebenslängliche Bindung, allerdings hier mit gegenseitigen Vorteilen, da BLUMHARDT aus dem gelungenen Exorzismus außerordentliches Ansehen als Geistlicher gewann.

Man kann ferner darauf hinweisen, daß die »Beziehung« zwischen einem gerade in den mittleren Jahren befindlichen Manne und einem hysterischen Mädchen hergestellt wurde, bei der beide auch die darin enthaltene sexuelle Note offensichtlich übersahen und darum arglos vor der Öffentlichkeit ausbreiteten. Solche Beziehungen ergeben sich nicht eben selten im Bereich der dynamischen Psychiatrie. Wir finden sie auch bei der Beziehung CHARCOTs zu seinem bevorzugten Demonstrationsobjekt BLANCHE WITTMANN, »Königin der Hysterikerinnen« genannt. Aber auch BREUERs Beziehung zu Anna O. entspricht dem gleichen Modell, wie später im einzelnen zu zeigen sein wird. Schließlich ist auch innerhalb der gegenwärtigen Antipsychiatrie die Beziehung zwischen R.LAING beziehungsweise J.BERKE und ihrem »berühmtesten Fall« MARY BARNES deutlich nach dem Muster eines nicht durchschauten Übertragungs-Gegenübertragungs-Verhältnisses zwischen Therapeut und hysterischer Patientin, die sich hier zeitgemäß in die Rolle einer Schizophrenen eingelebt hat, geformt (U.H. PETERs, 1977). Die Natur solcher Beziehungen wird nach diesen Vorbemerkungen ohne weitere Kommentare in dem anschaulichen Bericht BLUMHARDTs deutlich.

»Gottliebin Dittus ist ledig, ohne Vermögen, 28 Jahre alt, und bewohnt seit vier Jahren gemeinschaftlich mit drei gleichfalls ledigen Geschwistern, unter welchen ein halbblinder Bruder, sämtlich älter als sie, ein geringes Parterrelogis in Möttlingen.« Dort war BLUMHARDT am 31. 7. 1838 Pfarrer geworden. Es kam schon bald zu merkwürdigen Erscheinungen. Die Gottliebin hörte manches Unheimliche im Haus und fiel beim Tischgebet bei den Worten »Komm, Herr Jesus« bewußtlos zu Boden. Als sie Dezember 1841 bis Februar 1842 krank war, begann ihr besonderes Verhältnis zu BLUMHARDT, »indem sie, wenn sie mich sah, beiseite blickte, meinen Gruß nicht erwiderte, wenn ich betete, die vorher gefalteten Hände auseinanderlegte«. Also eine Provokation, die bereits des jungen Pfarrers Aufmerksamkeit und Ehrgeiz erregte. Dann wurde von Visionen erzählt, welche die Gottliebin hatte. Es traten Ohnmachten auf, in denen sie wie gestorben wirkte, schließlich kamen Krämpfe, offensichtlich hysterische Anfälle: »Ihr ganzer Leib zitterte, und jeder Muskel am Kopf und an den Armen war in glühender Bewegung, wiewohl sonst starr und steif. Dabei floß häufig Schaum aus dem Mund.« Ein anderes Mal: »Sie verdrehte die Arme, beugte den Kopf seitwärts und krümmte den Leib hoch empor, und Schaum floß abermals aus dem Munde.« Der junge Pfarrer kam öfter und sah in Begleitung anderer »den schrecklichen Konvulsionen zu«. Eines Tages sprach er der Bewußtlosen ins Ohr, sie solle beten »Herr Jesu, hilf mir«. Sie erwachte nach wenigen Augenblicken, tat wie geheißen und war sofort ohne Krämpfe und Beschwerden. Dieser Augenblick des völlig unerwarteten Erfolgserlebnisses des Pfarrers entschied über das weitere Leben beider. »Dies war der entscheidende Zeitpunkt, der mich mit unwiderstehlicher Gewalt in die Tätigkeit für die Sache hineinwarf. Ich hatte vorher auch nicht den geringsten Gedanken daran gehabt.« Er hinterließ beim Fortgehen, man solle ihn rufen, wenn die Krämpfe wiederkehren sollten. Das war bereits denselben Abend um zehn Uhr der Fall. Dasselbe Verfahren wurde mit demselben Erfolg angewendet, jedoch wurde es immer häufiger notwendig. Dann...
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