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Das Gewicht des Wassers

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am17.10.20161. Auflage
Der Segeltörn der Fotoreporterin Jean mit ihrer Familie, ihrem Schwager und dessen Freundin sollte eigentlich der Recherche eines über 100 Jahre zurückliegenden Mordes an zwei jungen Norwegerinnen dienen. Doch schon bald entsteht an Bord des Bootes eine Atmosphäre von erotischer Spannung und Eifersucht, die unweigerlich in einer dramatischen Katastrophe endet ...

Anita Shreve, geboren 1946 in Massachusetts, verbrachte einige Jahre als Journalistin in Afrika und bereiste weite Teile Kenias, bevor sie in die USA zurückkehrte und Schriftstellerin wurde. 'Die Frau des Piloten' und der für den Orange Prize nominierte Roman 'Das Gewicht des Wassers' waren große internationale Erfolge. Es folgten zahlreiche weitere Romane, die weltweit millionenfach verkauft wurden. Anita Shreve verstarb Ende März 2018 im Alter von 71 Jahren in New Hampshire.
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Produkt

KlappentextDer Segeltörn der Fotoreporterin Jean mit ihrer Familie, ihrem Schwager und dessen Freundin sollte eigentlich der Recherche eines über 100 Jahre zurückliegenden Mordes an zwei jungen Norwegerinnen dienen. Doch schon bald entsteht an Bord des Bootes eine Atmosphäre von erotischer Spannung und Eifersucht, die unweigerlich in einer dramatischen Katastrophe endet ...

Anita Shreve, geboren 1946 in Massachusetts, verbrachte einige Jahre als Journalistin in Afrika und bereiste weite Teile Kenias, bevor sie in die USA zurückkehrte und Schriftstellerin wurde. 'Die Frau des Piloten' und der für den Orange Prize nominierte Roman 'Das Gewicht des Wassers' waren große internationale Erfolge. Es folgten zahlreiche weitere Romane, die weltweit millionenfach verkauft wurden. Anita Shreve verstarb Ende März 2018 im Alter von 71 Jahren in New Hampshire.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492974370
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum17.10.2016
Auflage1. Auflage
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2443 Kbytes
Artikel-Nr.2099740
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
2

Es ist meine Aufgabe, zu rufen, wenn ich etwas sehe, ein Felsenriff, eine Insel. Ich stehe am Bugspriet und starre in den Nebel. Angestrengt spähend, beginne ich Dinge zu sehen, die in Wirklichkeit gar nicht da sind. Zuerst winzige, sich bewegende Lichter, dann ungemein feine Schattierungen von Grau. War das ein Schatten? War das eine feste Form? Und dann, so überraschend, daß ich ein paar wichtige Sekunden lang keinen Ton herausbringe, ist alles da: Appledore und Londoner᾿s und Star und Smuttynose - Felsen, die aus dem Nebel auftauchen. Smuttynose in seiner unverwechselbaren Gestalt, flach, mit gebleichten Felssimsen, abschreckend, still.

Ich rufe. Land, sage ich wahrscheinlich.

Manchmal überkommt mich auf dem Boot ein Gefühl von Klaustrophobie, selbst wenn ich allein am Bugspriet stehe. Das habe ich nicht erwartet. Wir sind vier Erwachsene und ein Kind, die freundschaftlich zusammenleben müssen, und das auf einem Raum, der nicht größer ist als ein kleines Zimmer und beinahe immer feucht. Die Leintücher sind feucht, meine Unterwäsche ist feucht. Rich, der das Boot seit Jahren besitzt, sagt, das sei beim Segeln immer so. Er vermittelt mir den Eindruck, daß es ein Zeichen von Charakter ist, die Feuchtigkeit zu akzeptieren, sie sogar in gewisser Weise erheiternd zu finden.

Rich hat eine neue Frau mitgebracht, die Adaline heißt.

Rich gibt Anweisungen. Das Segelboot ist alt, ein Morgan 41, aber gut gepflegt, das Teakholz frisch gefirnißt.

Rich ruft nach den Bootshaken, brüllt Thomas zu, er soll sich die Boje schnappen. Rich drosselt den Motor, schaltet in den Rückwärtsgang, gibt etwas Gas, manövriert das lange, schlanke Boot - diesen Raum, der sich durch Wasser bewegt - an den Liegeplatz. Thomas beugt sich hinaus, wirft das Seil um die Boje. Adaline sieht von ihrem Buch auf. Es ist unser dritter Tag auf dem Boot: Hull, Marblehead, Annisquam und jetzt die Isles of Shoals.

Die Isles of Shoals, eine Inselkette, liegen im Atlantischen Ozean, zehn Meilen südöstlich von Portsmouth vor der Küste von New Hampshire. Die Inseln messen von Norden nach Süden dreieinhalb Meilen und von Osten nach Westen anderthalb. Bei Flut sind es neun Inseln, bei Ebbe acht; White and Seavey᾿s sind miteinander verbunden. Die größte Insel sah in den Augen ihrer ersten Bewohner aus wie ein dickes Schwein, das sich im Meer suhlt, daher der Name Hog, das englische Wort für Hausschwein. Smuttynose, Schmutznase, unser Ziel, erhielt seinen Namen von einem Büschel Seetang an einer Felsnase, die in den Ozean hinausragte. Es war immer ein abstoßender Name, wenn sich auch die anderen in einem Schiffslogbuch sehr poetisch lasen: »Heute haben wir die Inseln Star, Malaga, Seavey᾿s und Londoner᾿s passiert und mit Erfolg den gefährlichen Felsen Shag sowie Eastern und Babb᾿s und Mingo umschifft.«

Im Jahr I635 wurden die Isles of Shoals amtlich aufgeteilt zwischen der damaligen Massachusetts Bay Colony, zu der Maine gehörte, und jenem Gebiet, das später den Namen New Hampshire erhielt. Duck, Hog, Malaga, Smuttynose und Cedar fielen an Maine; Star, Londoner᾿s, White und Seavey an New Hampshire. Diese Teilung ist bis heute gültig geblieben. I635, als die Verfügung erlassen wurde, flohen fast alle Bewohner von Star nach Smuttynose, weil in Maine der Genuß von Alkohol noch erlaubt war.

Den Reiseführern entnehme ich erstaunliche Dinge: Auf der Insel Star versteckte sich im Jahr I724 eine Frau namens Betty Moody mit ihren drei Kindern vor Indianern in einer Höhle. Sie kauerte tief auf der Erde und hielt eines ihrer Kinder, ein Mädchen im Säuglingsalter, fest an ihre Brust gedrückt. Mrs. Moody wollte ihr Kind stillhalten, damit es ihr Versteck nicht verriet, aber als die Indianer wieder weg waren, entdeckte sie, daß sie das kleine Mädchen erstickt hatte.

Rich sieht aus wie ein Ringer: Er ist muskulös und kompakt. Sein Kopf ist kahlrasiert, und er hat tadellose Zähne. Ich finde, er hat überhaupt keine Ähnlichkeit mit Thomas - ein seltsamer genetischer Streich; die beiden trennen zehn Jahre. Rich kitzelt Billie gnadenlos, selbst im Zodiac. Sie kreischt, als würde sie gefoltert, und beschwert sich dann, wenn er aufhört. Rich geht mit der Anmut eines Athleten auf dem Morgan umher und macht den Eindruck eines Mannes, für den noch nie irgend etwas kompliziert war.

Wir sind bloß von Annisquam herübergefahren und kommen am frühen Vormittag an. Ich beobachte Thomas, wie er sich über das Heck beugt, um den Anker aufzuholen. Seine Beine sind blaß, mit Wirbeln braunen Haars über den Kniekehlen. Über seiner Badehose trägt er ein blaues Hemd, die Ärmel bis zu den Ellbogen aufgekrempelt. Es ist merkwürdig, Thomas, der seit fünfzehn Jahren mein Mann ist, mit Bootsarbeiten beschäftigt zu sehen, Schiffsjunge seines jüngeren Bruders. Ohne seinen Stift und seine Bücher scheint Thomas entwaffnet, verwirrt durch körperliche Arbeit. Während ich ihn beobachte, denke ich, wie so oft, daß mein Mann zu groß wirkt für seine Umgebung. Es ist, als müsse er ständig den Kopf einziehen, selbst im Sitzen. Sein Haar, das er ziemlich lang trägt und das jetzt beinahe farblos ist, fällt ihm in die Stirn, und er schiebt es mit einer Geste weg, die ich liebe und tausendmal gesehen habe. Mir fällt manchmal auf, daß Thomas trotz seiner altersmäßigen Überlegenheit, oder vielleicht gerade ihretwegen, von der Anwesenheit Richs und Adalines irritiert ist, wie vielleicht ein Vater in Gesellschaft eines erwachsenen Sohns und einer Frau.

Woran denkt Adaline, wenn sie Thomas beobachtet? Mein Mann ist ein Dichter ersten Ranges, schon jetzt so etwas wie ein Emeritus an der Universität, obwohl er erst siebenundvierzig ist. Adaline ist keine Dichterin, scheint aber Thomas᾿ Arbeiten sehr zu bewundern. Es würde mich interessieren, ob sie Thomas᾿ Gedichte schon früher gekannt oder sie eigens für die Fahrt studiert hat.

Wenn Zeit ist, lese ich über die Inseln nach. Ich schleppe pfundweise Papiere in meiner Kameratasche mit - Reiseführer, Artikel über die Morde, ein Prozeßprotokoll -, Materialien von Research, wo man zu glauben scheint, daß ich die Reportage schreiben werde. Als die Morde I873 verübt wurden, berichteten die Zeitungen über das Verbrechen, und später sprachen dieselben Zeitungen vom »Jahrhundertprozeß«. Das ist ein vertrauter Ausdruck in diesem Sommer, in dem wir Zeugen eines Gerichtsspektakels sind, das selbst die begierigsten Beobachter fast sprachlos macht. Mein Verleger meint, daß es zwischen den beiden Ereignissen Parallelen gibt: ein Doppelmord, mit einem scharfen Instrument begangen, ein aufsehenerregender Prozeß, Indizienbeweise, die an winzigsten Tatsachendetails hängen. Ich selbst sehe kaum Ähnlichkeiten, aber eine Zeitschrift macht eben aus jeder Kleinigkeit, was sie kann. Ich werde dafür bezahlt, die Bilder zu schießen.

Mein Spesenkonto ist großzügig bemessen, aber Rich, der technische Fachzeitschriften verlegt, will von Geld nichts hören. Ich bin froh, daß Thomas an seinen jüngeren Bruder und dessen Boot gedacht hat: Ich würde nicht gern mit einem fremden Bootsführer und einer fremden Mannschaft auf so beengtem Raum hausen.

Wie lange, überlege ich, ist Rich schon mit Adaline zusammen?

Ich lese viele Berichte über die Morde. Am meisten frappiert mich die Relativität von Fakten.

Wenn ich über die Morde nachdenke, versuche ich, mir vorzustellen, was in dieser Nacht geschehen ist. Ich denke mir, es war schwerer Sturm, und der Wind vom Meer rüttelte an den Scheiben. Manchmal kann ich diesen Wind hören und das Holzhaus unter den hohen Federwolken einer Vollmondnacht sehen. Maren und Anethe werden auf dem Rücken liegend nebeneinander in dem Doppelbett geschlafen haben - oder könnte es sein, daß sie einander berührt haben? -, und im Nebenzimmer wird Karen plötzlich erschreckt aufgeschrien haben.

Oder hat zuerst der Hund gebellt?

Manchmal stelle ich mir vor, die Morde wären ein Geschehen subtiler Anmut und Schönheit gewesen, schlanke Arme in weißen Nachtgewändern, gegen den Schrecken erhoben, weiße Nachtgewänder im Kontrast zu Schnee, scharfkantige Felsen und Sturm, der das dünne Leinen bauscht wie Laken auf einer Wäscheleine. Ich sehe einen Arm, emporgereckt an einem Fenster, auf dessen Scheiben der Mond dunkle Flecken wirft, und höre eine Frau, die einer anderen und noch einer anderen etwas zuruft, während unter ihnen, am Ufer, die Wellen schnell und hart gegen das kleine Boot klatschen.

Ich liebe es, meine Tochter zu beobachten, wenn sie in ihrem Badeanzug, der ihr, ausgeleiert und lappig, weit über den Po hochrutscht, auf dem Boot umherläuft. Ihr kleiner Körper ist rund und schön, oft salzig, wenn ich ihren Arm ablecke. Billie mit ihren fünf ...
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Autor

Anita Shreve, geboren 1946 in Massachusetts, verbrachte einige Jahre als Journalistin in Afrika und bereiste weite Teile Kenias, bevor sie in die USA zurückkehrte und Schriftstellerin wurde. "Die Frau des Piloten" und der für den Orange Prize nominierte Roman "Das Gewicht des Wassers" waren große internationale Erfolge. Es folgten zahlreiche weitere Romane, die weltweit millionenfach verkauft wurden. Anita Shreve verstarb Ende März 2018 im Alter von 71 Jahren in New Hampshire.