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Wildeule

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am11.08.2017Auflage
Die ehemalige Kommissarin Gesine Cordes hatte sich nach dem Tod ihres kleinen Sohns aus ihrem alten Leben zurückgezogen. Erst in der Arbeit als Friedhofsgärtnerin fand sie Trost. Doch ihre geliebte Idylle wird jäh gestört, als während einer Beerdigung entdeckt wird, dass der Sarg nicht richtig geschlossen ist. Und nicht der erwartete Leichnam im Sarg liegt, sondern ein bekannter Bestattungsunternehmer - er wurde ermordet. Gesine ermittelt undercover auf dem Friedhof und kommt skandalösen Praktiken im Bestattergewerbe auf die Spur. Bald gerät ausgerechnet ihr bester Freund, der Bestatter Hannes, unter Verdacht. Als sie zögert, ihn in ihre Ermittlungen einzuweihen, verschwindet er spurlos. Gesine muss sich entscheiden: Wird sie sich weiter vor der Welt verstecken? Oder kann sie Hannes retten, den Mord aufklären und womöglich sogar in ihr altes Leben zurückkehren?

Annette Wieners, geboren in Paderborn, hat für ARD, ZDF und WDR als Drehbuchautorin gearbeitet. Sie lebt als Autorin und Journalistin in Köln.
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Produkt

KlappentextDie ehemalige Kommissarin Gesine Cordes hatte sich nach dem Tod ihres kleinen Sohns aus ihrem alten Leben zurückgezogen. Erst in der Arbeit als Friedhofsgärtnerin fand sie Trost. Doch ihre geliebte Idylle wird jäh gestört, als während einer Beerdigung entdeckt wird, dass der Sarg nicht richtig geschlossen ist. Und nicht der erwartete Leichnam im Sarg liegt, sondern ein bekannter Bestattungsunternehmer - er wurde ermordet. Gesine ermittelt undercover auf dem Friedhof und kommt skandalösen Praktiken im Bestattergewerbe auf die Spur. Bald gerät ausgerechnet ihr bester Freund, der Bestatter Hannes, unter Verdacht. Als sie zögert, ihn in ihre Ermittlungen einzuweihen, verschwindet er spurlos. Gesine muss sich entscheiden: Wird sie sich weiter vor der Welt verstecken? Oder kann sie Hannes retten, den Mord aufklären und womöglich sogar in ihr altes Leben zurückkehren?

Annette Wieners, geboren in Paderborn, hat für ARD, ZDF und WDR als Drehbuchautorin gearbeitet. Sie lebt als Autorin und Journalistin in Köln.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843715355
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum11.08.2017
AuflageAuflage
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3032 Kbytes
Artikel-Nr.2146505
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Vom Dach der Kapelle hing Eis. Blanke Spitzen, in denen sich die Morgensonne brach. Der Wind schnitt scharf um die Ecke, und in den Nischen der Fensterbänke wirbelte trockener Reif.

Gesine lehnte rücklings an der Mauer. Sie mochte den Winter auf dem Friedhof. Der Frost vertrieb die Nebensachen und zeigte das Wesen der Dinge. Die Erde zog blank, und an den Gräbern standen nur noch die Leute, die es unbedingt brauchten.

Oder?

Sie hob den Kopf zum Fenster. Ein Spalt war offen, und der Wind fauchte am Rahmen, aber sie konnte auch die Stimme des Pfarrers in der Kapelle hören. Er dozierte, laut und inbrünstig, als wüsste er, dass sie lauschte.

Es wäre ja auch kein Wunder. Drinnen sah es aus wie in der Grabkammer eines Königs. Der Sarg hatte Beschläge aus echtem Silber. Rechts und links türmten sich Nelken wie dorische Säulen, und auf dem Boden davor, auf dem grauen Schieferimitat, lag ein zwei Meter breites Herz aus frischen Rosen. Und erst die Trauerkränze und Gestecke: kein Gebinde unter vierhundert Euro. Selbst der Pfarrer hatte gestaunt, als Gesine die Ware in die Kapelle schleppte.

Aber es waren fast keine Trauergäste erschienen. Nur ein einzelner klappriger Herr saß drinnen in der Bank. War das nicht suspekt?

Jetzt stimmte der Pfarrer ein Lied an, »Großer Gott wir loben dich«, und Gesine entfernte sich vom Kapellenfenster. Sie sollte sich nicht einmischen, sondern lieber den klaren Tag hier draußen genießen. Die Kälte schmeckte nach Wacholder.

Oder vielleicht war es auch die Jacke, die nach Wa­cholder roch, denn beim Dekorieren vorhin hatte sie bis zu den Ellbogen im Grün gesteckt. Sie hatte sich beeilt. In der Annahme, es müsse sich um eine Prominenten-Bestattung handeln, hatte sie die Kränze mit Kraft und Präzision an ihren Platz gewuchtet. Die Leute würden doch in Scharen heranstürmen, Fotografen, Showbusiness, Geldadel, und sie wollte nicht stören. Aber dann war es still geblieben.

Der Pfarrer hatte so getan, als sei alles normal oder als müsse er nur noch ein wenig länger im Gebetbuch blättern, bis sich der Raum füllen würde. Dabei lag es auf der Hand, dass etwas nicht stimmte. Auf dem Parkplatz schlugen keine Autotüren, auf dem Vorplatz scharrten keine Schuhe. Erst recht klickten keine Fotoapparate. Nichts, nur Winterstille.

Bis der einzelne ältere Herr erschienen war. Fast lautlos, auf billigen weichen Sohlen, hatte er die Kapelle betreten und sich an den Bänken entlanggehangelt. Den Blick hielt er auf den Sarg und die Blumenpracht geheftet, und dann setzte er sich in die zweite Reihe, ohne den Pfarrer, Gesine oder auch die leeren Plätze ringsum zu beachten.

Der Pfarrer hatte das Gebetbuch zugeklappt und Gesine ein Zeichen gegeben, den Raum zu verlassen, und kaum war die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen, hatte er lauthals mit der Zeremonie begonnen.

War das in Ordnung? Wurde es dem Leichnam im Sarg gerecht? Und wo war eigentlich der Bestatter? Er musste doch während der Beisetzung nach dem Rechten sehen und dem älteren Herrn, vermutlich seinem Kunden, durch die schwere Stunde helfen.

Gesine streckte sich nach einem der Eiszapfen, die in der Sonne glitzerten. Die zarte Spitze brach ab.

Also gut. Im Grunde wusste sie Bescheid. Für die Beisetzung heute war Carsten Schellhorn vom Bestattungsinstitut Schellhorn zuständig, und natürlich passte es bestens zu ihm, seinen Kunden alleinzulassen. Schellhorn liebte das ganz große Ding auf dem Bestellzettel, den allerdicksten Auftritt auf den Friedhöfen der Region, aber fürsorglich war er nicht.

Wobei die Leute das nicht zu bemerken schienen. Ja, sie rannten ihm förmlich die Bude ein. Sie hörten, dass es bei ihm etwas Exklusives gab, und wussten nicht, dass die Betreuung jäh zu Ende war, sobald man alles unterschrieben hatte. Würde Schellhorn einen einsamen, älteren Herrn in der Kapelle auf dem Ostfriedhof trösten? Wozu, wenn es nicht explizit auf der Rechnung stand?

Gesine horchte. »Großer Gott« hatte viele Strophen, sie ging weiter um die Kapelle herum. Dahinten, in der Nische am Brunnen, hockten die Sargträger, die Schellhorn engagiert hatte, und warteten auf ihren Einsatz. Männer in Phantasie-Uniformen, Mietpersonal, das man in all den Jahren auf diesem Friedhof noch nicht gesehen hatte und das sich mit den Gepflogenheiten vor Ort selbstverständlich nicht auskannte.

War das zu fassen? Sie rauchten und tranken und lungerten herum wie vor einem Baumarkt. Einer von ihnen winkte mit einer Thermoskanne herüber: »Auch einen Schluck?«

Sie lehnte natürlich ab. Der Kaffee war mit Cognac versetzt. Sie hatte die leere Flasche vorhin im Rhododendron gefunden.

Außerdem war es unglaublich, wie die Sargträger herausgeputzt waren. Die Uniformen saßen spack wie bei Bodybuildern. Auf den Schirmmützen leuchtete eine kleine rote Stickerei, fast wie Schmuck, aber Gesine wusste, dass es ein Emblem war. Dieselben roten, ineinander verschnörkelten Buchstaben hatte sie auf den Plakaten gesehen, die neuerdings an den Bushaltestellen hingen. BCS. Bestattungsinstitut Carsten Schellhorn. Effektvoll, knallig, wiedererkennbar. Doch seit wann wurde bei einer Beisetzung Werbung getragen?

Die Sargträger lachten rau. Gesine beschloss, eine kleine Runde um die Gräber zu drehen, um sich ein wenig zu beruhigen.

Schellhorn war ein Reizthema, und zwar für alle, die seit Jahren auf dem Ostfriedhof arbeiteten. Für die örtlichen Bestatter, die sich von dem großen Konkurrenten bedroht fühlten, aber auch für die Gärtner, die den neuen Zeiten mit dem überkandidelten Blumenschmuck skeptisch entgegensahen.

Für Gesine allerdings war Schellhorn leider auch noch ein privates Problem. Ein Ärgernis, eine Peinlichkeit, die sie quälte wie ein kratzendes Etikett im Nacken.

Sie hatte Schellhorn zwar noch nie persönlich getroffen, aber sie hatte sich seinetwegen schon ganz furchtbar mit Hannes gestritten, ihrem besten Freund. Weil sie beschwipst gewesen war. Und weil sie für einen kleinen Moment außer Acht gelassen hatte, unter welchem Stress Hannes als traditioneller Bestatter stehen musste.

Es war zu Silvester gewesen. Sie hatten zu zweit gefeiert. Hummus, Bagels und Bleigießen im Wohnwagen, in aller Freundschaft. Und es gab Sekt, und nach dem Essen war das Gespräch wie so oft auf den Job gekommen, und Hannes hatte Schellhorn als Raubvogel bezeichnet, der über dem Ostfriedhof schwebe, um ihnen allen die Aufträge wegzureißen.

Gesine hatte sich sorglos nachgeschenkt und einen großen Schluck genommen. »Keine Angst vor Wettbewerb, Hannes. Qualität setzt sich durch.«

»Ach ja?«, hatte er erwidert, schon leicht gereizt. »Wo geht es denn noch um echte Qualität, Gesine?«

Und dann waren die verhängnisvollen Worte gefallen. »Ich meine ja nur«, hatte sie gesagt und auf seine Lippen geschaut. »Vielleicht solltest du im neuen Jahr auch einmal etwas wagen, Hannes.«

Grauenvoll. Einfach nur schlimm. Sie hatte sogar ihre Wange an ihr Sektglas geschmiegt, plötzlich angetrieben von einer heftigen Lust, Hannes zu provozieren. Ihn! Aus dem Nichts heraus! Hatte sie sich in Zweideutigkeiten begeben.

Während er natürlich vor Schreck die Augen aufriss. Vollkommen entgeistert, was musste er hören und sehen, nach all den Jahren der Freundschaft? Er explodierte und warf ihr vor, ihn zu veralbern und seine beruflichen Sorgen nicht ernst zu nehmen. Sie ließ das Sektglas sinken, denn ihr dämmerte sehr wohl, dass sie drauf und dran war, alles kaputtzumachen. Aber es war längst zu spät. Denn Hannes fragte sie schon allen Ernstes, ob sie ihn für einen Schwächling halte und ob sie das Arschloch Schellhorn für seine Raffgier heimlich bewundere. Ihr Herz geriet aus dem Tritt. Sie hatte nicht antworten können.

Klar, dass die Silvesternacht dann nur noch einsam und lang gewesen war, ein Auftakt zu der höflichen Eiszeit, die seitdem herrschte. Auch von ihrer Seite aus, zugegeben, aber bei ihr war es doch nur schlichte Scham, wohingegen er vermutlich in allen Facetten wütend war.

Und wie könnte sich alles wieder einrenken? Möglichst bald? Könnte Gesine ihr Geplapper irgendwie ungeschehen machen und demonstrieren, wie fest Hannes sich auf sie verlassen konnte?

Ja. Denn vielleicht ergab sich heute die Gelegenheit dazu, bei der pompösen Trauerfeier aus dem Hause Schellhorn. Wenn Gesine es geschickt anstellte, könnte sie Erkenntnisse über das Geschäftsgebaren der Konkurrenz sammeln und Hannes später davon berichten. Zur Not übers Handy.

Sie kehrte zur Vorderseite der Kapelle zurück. Die Sträucher zitterten im Wind. Das Licht, das eben noch im Eis gefunkelt hatte, loderte über dem Giebel. Drinnen hatte der Pfarrer aufgehört zu singen.

Gesine zog sacht an der Kapellentür, um einen Blick ins Innere zu werfen. Es war still. Der Pfarrer hielt die Hände gefaltet und das Gesicht gen Decke gehoben. Der ältere Herr saß reglos und krumm in der zweiten Reihe, noch immer allein, aber als Gesine die Tür schon wieder schließen wollte, drehte er sich plötzlich um.

»Die Toilette?«, fragte er laut.

Der Pfarrer runzelte die Stirn. Der ältere Mann jedoch stieg aus der Bank, und Gesine blieb nichts anderes übrig, als ihn mit nach draußen zu nehmen.

»Mein Beileid«, sagte sie.

Er drängte zur Eile. Dünn war er und blass. Sein Mantel bauschte sich, war zu weit in den Schultern und zu lang in den Ärmeln, und auch die schwarze Hose flatterte um die Waden, als sei sie ausgeliehen.

Als Gesine das WC-Haus aufschloss, drückte er...


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