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Einer lügt immer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am01.12.20161. Auflage
Manchmal scheint Privatdetektiv Lew Archer das Unheil geradezu anzuziehen: Im Motel, wo er in Ruhe ausschlafen wollte, wird er unversehens Zeuge eines brutalen Mordes. Alle Angestellten wollen weder etwas gehört noch gesehen haben. Der Besitzer droht ihm, lieber nicht zu viele Frage zu stellen. Archer, der wieder mal in ein Wespennest gestochen hat, findet doch noch einen, der das Schweigen bricht.
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Ross Macdonald (1915-1983) zählt zu den besten amerikanischen Kriminalautoren des 20. Jahrhunderts. Er wird in Großbritannien und Amerika und nun auch bei uns wiederentdeckt. Seine Kriminalromane gelten als Spiegel der amerikanischen Gesellschaft. Ross Macdonald war Präsident der Mystery Writers of America. 1964 gewann er den Silver, 1965 den Gold Dagger Award.
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Produkt

KlappentextManchmal scheint Privatdetektiv Lew Archer das Unheil geradezu anzuziehen: Im Motel, wo er in Ruhe ausschlafen wollte, wird er unversehens Zeuge eines brutalen Mordes. Alle Angestellten wollen weder etwas gehört noch gesehen haben. Der Besitzer droht ihm, lieber nicht zu viele Frage zu stellen. Archer, der wieder mal in ein Wespennest gestochen hat, findet doch noch einen, der das Schweigen bricht.
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Ross Macdonald (1915-1983) zählt zu den besten amerikanischen Kriminalautoren des 20. Jahrhunderts. Er wird in Großbritannien und Amerika und nun auch bei uns wiederentdeckt. Seine Kriminalromane gelten als Spiegel der amerikanischen Gesellschaft. Ross Macdonald war Präsident der Mystery Writers of America. 1964 gewann er den Silver, 1965 den Gold Dagger Award.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257607604
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum01.12.2016
Auflage1. Auflage
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse727 Kbytes
Artikel-Nr.2146992
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
{7}Zeugin auf der Flucht

Es war an einem Freitag abend. Ich fuhr in einem hellblauen Cabriolet und in finsterer Laune von der mexikanischen Grenze nach Hause. Ich hatte einen Mann von Fresno bis San Diego verfolgt und ihn im Straßengewirr von Old Town verloren. Als ich seine Spur wiederaufnahm, war sie kalt. Er war über die Grenze gegangen, und meine Instruktionen galten nur für die Vereinigten Staaten.

Gerade oberhalb von Emerald Bay, auf halbem Wege nach Hause, überholte ich den schlechtesten Fahrer der Welt. Er fuhr einen schwarzen Cadillac mit Heckflossen, als ob er mit einem Segelboot kreuzte. Der schwere Wagen schlingerte auf dem Highway hin und her, wobei er zwei und manchmal sogar drei der vier Fahrspuren einnahm. Es war spät, und ich wollte schnell noch ein wenig schlafen. Ich versuchte ihn rechts zu überholen, als er gerade auf der mittleren Doppelspur fuhr. Der Cadillac trieb mir wie eine steuerlose Rakete entgegen und zwang mich mit kreischenden Reifen zum Bremsen.

Ich gab Gas, um links zu überholen. Gleichzeitig beschleunigte der Fahrer des Cadillac sein Tempo. Da konnte ich nicht mithalten. Wir rasten Kopf an Kopf in der Mitte der Fahrbahn. Ich fragte mich, ob er betrunken oder verrückt war oder ob er Angst vor mir hatte. Dann endete der Highway. Ich fuhr im Achtzig-Meilen-Tempo auf der linken Seite einer zweispurigen Fernstraße, als mir auf einer Anhöhe ein Lastwagen wie ein lodernder, doppelter Komet entgegenkam. Ich trat das Gaspedal durch und fuhr scharf nach rechts, wobei ich den Kotflügel des Cadillac und das Leben seines Fahrers bedrohte. Im Licht der näher kommenden Scheinwerfer war sein Gesicht leer und weiß wie ein Stück Papier {8}mit ausgebrannten schwarzen Löchern als Augen. Seine Schultern waren nackt.

Im letztmöglichen Augenblick verlangsamte er das Tempo gerade genug, um mich vorbeizulassen. Der Lastwagen fuhr dicht an der Böschung entlang und hupte ärgerlich. Ich bremste langsam, in der Hoffnung, den Cadillac zum Halten zu zwingen. Er wand sich mit rutschenden Reifen in einem wahnsinnigen Bogen an mir vorbei und wurde von der Dunkelheit verschlungen. Als mein Wagen schließlich stand, mußte ich die Finger gewaltsam vom Lenkrad lösen. Meine Knie waren weich und schlotterten. Nachdem ich eine halbe Zigarette geraucht hatte, wendete ich und fuhr sehr vorsichtig nach Emerald Bay zurück. Aus dem Alter des leichtsinnigen Draufgängers war ich längst heraus. Ich brauchte Ruhe.

Das Schild Zimmer frei und ein Mexikaner aus Neonröhren, der unter einem Sombrero schlief, zierten das erste Motel auf meinem Wege. Ich beneidete den Schläfer und parkte den Wagen auf dem Kiesweg vor dem Büro des Motels. Drinnen brannte Licht. Die verglaste Tür stand offen, ich ging hinein.

Der kleine Raum war geschmackvoll ausgestattet mit Chintz und Möbeln aus Spanischrohr. Ich drückte einige Male die mißtönende Klingel auf dem Empfangstisch. Niemand kam. So setzte ich mich hin und zündete eine Zigarette an. Die elektrische Uhr an der Wand zeigte Viertel vor eins.

Ich mußte ein paar Minuten gedöst haben. Ein Traum raste an der Schwelle zu meinem Bewußtsein vorbei, ein leises Geräusch hinterlassend. Der Tod war in dem Traum. Er fuhr einen mit Blumen beladenen schwarzen Cadillac. Als ich aufwachte, wollte mir die Zigarette gerade die Finger verbrennen. Ein magerer Mann in einem grauen Flanellhemd stand mit mißtrauischem Blick über mir.

Er hatte eine große Nase und ein kleines Kinn. Er war nicht so jung, wie er gern erscheinen wollte. Seine Zähne waren {9}schlecht, und sein sandfarbenes Haar wurde schütter und lichtete sich an der Stirn. Er war einer der typischen Ewig-Jugendlichen, die sich ihren Lebensunterhalt in der Nähe von Autohöfen, Restaurants und Hotels erschnorren und erschmeicheln, einer von denen, die sich verzweifelt an den abgenutzten Rand des Lebens anderer Menschen klammern.

»Was wünschen Sie?« fragte er. »Wer sind Sie? Was wünschen Sie?« Seine Stimme war piepsig und überschlug sich wie bei einem Jüngling mit Stimmbruch.

»Ein Zimmer.«

»Ist das alles?«

Für mich hörte es sich an wie eine Anklage. Ich beachtete es nicht weiter. »Was haben Sie denn sonst noch zu bieten? Tscherkessische Tänzerinnen? Puffmais gratis?«

Er versuchte zu lächeln, ohne seine schlechten Zähne zu zeigen. Das Lächeln war ein ebenso trauriger Fehlschlag wie mein Witz. »Tut mir leid, Sir«, lenkte er ein. »Sie haben mich geweckt. Kurz nach dem Aufwachen bringe ich nie etwas Vernünftiges heraus.«

»Hatten Sie einen Alptraum?«

Seine verschwommenen Augen weiteten sich wie blaue Kaugummi-Blasen. »Warum haben Sie das gefragt?«

»Weil ich gerade einen hatte. Aber lassen wir das. Haben Sie nun etwas frei für mich oder nicht?«

»Doch, Sir. Verzeihung, Sir.« Er schluckte hinunter, was auch immer Bitteres in seinem Mund gewesen war, und nahm eine unpersönliche, unterwürfige Haltung ein. »Haben Sie Gepäck, Sir?«

»Kein Gepäck.«

In seinen Tennisschuhen bewegte er sich lautlos wie der vergängliche Geist des Jungen, der er einmal gewesen war. Er ging hinter den Empfangstisch, schrieb meinen Namen und meine Adresse sowie die Ausweis-Nummer auf und steckte fünf Dollar ein. Dafür gab er mir einen Schlüssel mit der {10}Nummer vierzehn und zeigte mir die dazugehörige Tür. Offenbar hatte er die Hoffnung auf ein Trinkgeld aufgegeben.

Nummer vierzehn unterschied sich mit seiner Andeutung kalifornisch-spanischen Stils in nichts von irgendeinem anderen Zimmer irgendeines anderen mittelmäßigen Motels: künstlich aufgerauhter, ziegelrot gestrichener Putz, rote Vorhänge, Lampenschirm aus imitiertem Pergament auf einem gewundenen schwarzen Eisenständer. An der Wand über dem Bett hing eine Reproduktion von Riveras Schlafendem Mexikaner. Ich erlag umgehend seiner Suggestion und träumte von tscherkessischen Tänzerinnen.

Gegen Morgen wurde eine von ihnen ohne meine Schuld erschreckt und schrie sich ihre kleine tscherkessische Lunge aus dem Hals. Ich setzte mich aufrecht im Bett hin, gab beschwichtigende Laute von mir und wachte auf. Es war fast neun auf meiner Armbanduhr. Das Schreien hörte auf und begann von neuem wie eine Feuersirene vor dem Fenster; der Morgen war mir verdorben. Ich zog mir die Hose über die Unterwäsche, in der ich geschlafen hatte, und ging nach draußen.

Eine junge Frau stand auf dem Weg vor dem nächsten Zimmer. In der einen Hand hielt sie einen Schlüssel, die andere war voller Blut. Sie trug einen weiten, bunten Rock und eine tief ausgeschnittene Bluse nach Zigeunerart. Die Bluse war dem Platzen nahe, und ihr Mund stand weit offen. Sie schrie wie am Spieß. Sie war eine hübsche Brünette, aber ich haßte sie, weil sie mir den Morgenschlaf verdorben hatte.

Ich packte sie bei den Schultern und sagte: »Hören Sie auf.«

Das Schreien hörte auf. Schläfrig sah sie auf das Blut an ihrer Hand. Es war dick wie Wagenschmiere und beinahe ebenso dunkel.

»Woher haben Sie das?«

»Ich bin ausgerutscht und hineingefallen. Ich hatte es nicht gesehen.«

{11}Sie ließ den Schlüssel fallen und zog mit der sauberen Hand den Rock zur Seite. Ihre Beine waren nackt und braun. Hinten war der Rock mit der gleichen dicken Flüssigkeit beschmiert.

»Wo? In diesem Zimmer?«

Sie zauderte. »Ja.«

Entlang der Auffahrt öffneten sich Türen. Ein halbes Dutzend Leute liefen um uns zusammen. Ein Mann mit dunklem Gesicht und zwergenhaftem Wuchs hetzte aus der Richtung des Motel-Büros herüber, seine kleinen, spitzen Schuhe tanzten auf dem Kies.

»Kommen Sie mit rein und zeigen Sie´s mir«, sagte ich zu dem Mädchen.

»Ich kann nicht. Ich will nicht.« Ihre Augen waren benommen, der Schock hatte bläuliche Ringe darunter gemalt.

Der kleine Mann glitt zwischen uns und packte sie am Oberarm. »Was ist los, Ella? Bist du verrückt, die Gäste zu stören?«

Sie sagte: »Blut« und lehnte sich mit geschlossenen Augen an mich.

Mit scharfem Blick versuchte er die Lage zu erfassen. Er wandte sich an die anderen Gäste, die murmelnd einen Halbkreis gebildet hatten. »Es ist alles völlig in Ordnung. Keine Sorge, meine Herrschaften. Meine Tochter hat sich ein klein wenig geschnitten. Es ist alles völlig in Ordnung.«

Er umschlang ihre Hüfte mit seinem langen Arm, stieß sie durch die offene Tür und wollte diese hinter sich zuwerfen. Ich hatte jedoch meinen Fuß dazwischengeklemmt und folgte ihnen.

Das Zimmer war eine Kopie meines eigenen, einschließlich der Reproduktion über dem ungemachten Bett. Aber alles war seitenverkehrt, wie in einem Spiegelbild. Das Mädchen tat ein paar schwankende Schritte und setzte sich auf die Bettkante. Dann bemerkte sie den Blutflecken auf dem Laken. {12}Sie erhob sich schnell und öffnete ihren von weißen Zähnen eingerahmten Mund.

»Tun Sie´s nicht«, sagte ich. »Wir wissen, daß Sie eine kräftige Lunge haben.«

Der kleine Mann wandte sich mir zu. »Was glauben Sie denn, wer Sie sind?«

»Mein Name ist Archer. Ich habe das Zimmer nebenan.«

»Verschwinden Sie bitte aus diesem.«

»Ich glaube nicht, daß ich das tun werde.«

Er senkte seinen fettigen schwarzen Kopf, als ob er mich stoßen wollte. Unter seiner Jacke aus Haifischleder ragte ein Buckel hervor wie ein an die falsche Stelle gerutschter Ellbogen. Er schien sich das mit dem Rammstoß noch einmal zu überlegen und entschied sich dann für Diplomatie.

»Nur keine übereilten Rückschlüsse, Mister. Es ist halb so schlimm, gestern abend hatten wir hier einen kleinen Unfall.«

»Sicher, Ihre Tochter hat sich geschnitten. Bei ihr heilt alles bemerkenswert schnell.«

»Das war es nicht.« Er...
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Autor

Ross Macdonald (1915-1983) zählt zu den besten amerikanischen Kriminalautoren des 20. Jahrhunderts. Er wird in Großbritannien und Amerika und nun auch bei uns wiederentdeckt. Seine Kriminalromane gelten als Spiegel der amerikanischen Gesellschaft. Ross Macdonald war Präsident der Mystery Writers of America. 1964 gewann er den Silver, 1965 den Gold Dagger Award.