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Arbeiterroman

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
576 Seiten
Deutsch
Hoffmann und Campe Verlagerschienen am17.02.2017
Der siebte Band der Martin-Schlosser-Chronik 'Eine Zeitreise von proust'schen Ausmaßen.' NDR Oldenburg im Frühjahr 1988: Martin Schlosser jobbt als Hilfsarbeiter in einer Spedition und versucht sich als Schriftsteller zu etablieren. Vorläufig langt es allerdings nur zu kleinen Beiträgen für das Stadtmagazin Diabolo und die Literaturzeitschrift Der Alltag, deren Berliner Redakteur Michael Rutschky dem jungen Autor wohlgesinnt ist. Martins Freundin Andrea plagt sich währenddessen als Praktikantin in einem Jugendzentrum ab und träumt von einem freieren und lustigeren Leben in einer schöneren Wohnung, die zur Abwechslung auch mal ein Badezimmer haben sollte. In Meppen, wo Martin aufgewachsen ist, setzt sich ungemildert der Ehekrieg zwischen seinen Eltern fort. Aber dann kommt vieles in Bewegung - in Meppen, in Oldenburg und nicht zuletzt in der Weltpolitik. Nach gut zwei Jahren hat sich das Leben des Erzählers zu seiner Verblüffung grundlegend geändert.

Gerhard Henschel, geboren 1962, lebt als freier Schriftsteller in der Nähe von Hamburg. Sein Briefroman Die Liebenden (2002) begeisterte die Kritik ebenso wie die Abenteuer seines Erzählers Martin Schlosser, die mit dem Kindheitsroman 2004 ihren Anfang nahmen. Henschel ist außerdem Autor zahlreicher Sachbücher. Er wurde unter anderen mit dem Hannelore-Greve-Literaturpreis, dem Nicolas-Born-Preis und dem Georg-K.-Glaser-Preis und dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor ausgezeichnet.
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Produkt

KlappentextDer siebte Band der Martin-Schlosser-Chronik 'Eine Zeitreise von proust'schen Ausmaßen.' NDR Oldenburg im Frühjahr 1988: Martin Schlosser jobbt als Hilfsarbeiter in einer Spedition und versucht sich als Schriftsteller zu etablieren. Vorläufig langt es allerdings nur zu kleinen Beiträgen für das Stadtmagazin Diabolo und die Literaturzeitschrift Der Alltag, deren Berliner Redakteur Michael Rutschky dem jungen Autor wohlgesinnt ist. Martins Freundin Andrea plagt sich währenddessen als Praktikantin in einem Jugendzentrum ab und träumt von einem freieren und lustigeren Leben in einer schöneren Wohnung, die zur Abwechslung auch mal ein Badezimmer haben sollte. In Meppen, wo Martin aufgewachsen ist, setzt sich ungemildert der Ehekrieg zwischen seinen Eltern fort. Aber dann kommt vieles in Bewegung - in Meppen, in Oldenburg und nicht zuletzt in der Weltpolitik. Nach gut zwei Jahren hat sich das Leben des Erzählers zu seiner Verblüffung grundlegend geändert.

Gerhard Henschel, geboren 1962, lebt als freier Schriftsteller in der Nähe von Hamburg. Sein Briefroman Die Liebenden (2002) begeisterte die Kritik ebenso wie die Abenteuer seines Erzählers Martin Schlosser, die mit dem Kindheitsroman 2004 ihren Anfang nahmen. Henschel ist außerdem Autor zahlreicher Sachbücher. Er wurde unter anderen mit dem Hannelore-Greve-Literaturpreis, dem Nicolas-Born-Preis und dem Georg-K.-Glaser-Preis und dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783455814095
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum17.02.2017
Reihen-Nr.7
Seiten576 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2150324
Rubriken
Genre9200
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Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
CoverTitelseiteArbeiterroman»Fernsehzeitung brauch ich aber [...]Im Zweiten kuckten wir [...]»Was du brauchst, das [...]Pastor Schildt verlas etwas [...]Über Gerhard HenschelImpressummehr
Leseprobe

»Fernsehzeitung brauch ich aber keine«, sagte ich.

Das Lächeln verschwand. »Suchen Sie sich das Fernsehprogramm etwa aus der Tageszeitung zusammen? Da braucht man ja ne Lupe! Man will doch Informationen haben und alles in Farbe, wenn im Fernsehen -«

»Fernseher hab ich keinen.«

»Keinen Fernseher?«

»Nein.«

»Ach, Scheiße«, murmelte der junge Mann, entriß mir das Probeheft, drehte sich maulend um und zog ab.

 

Aus bunten Glasscherben stellte Andrea mit einem Lötkolben etwas her, das sie »Tiffany-Schmuck« nannte.

Ich konnte diesen Objekten nichts abgewinnen. Doch ich hielt meine Zunge im Zaum. Gebranntes Kind scheut das Feuer! Und es gab ja wahrlich Schlimmeres als kunsthandwerkliches Privatgestümper. Wenn alle Sklavenhändler, Rüstungslobbyisten und Mafiosi der Welt auf das Zusammenlöten von Tiffany-Schmuck umgestiegen wären, hätte ich ihnen keine Steine in den Weg gelegt.

 

Ein Anruf aus Meppen von Mama, die ausgekurt hatte: Volker und Vera hätten sich getrennt.

»Und warum?«

»Die hat jetzt n andern â¦«

Nach neun Jahren!

»Und was ist bei euch so los?« fragte Mama.

»Wir haben Besuch von Hermann und seiner Freundin gehabt und ne Ente gebraten, und der Backofen ist immer noch fettig. Den muß ich gleich saubermachen. Und Andrea und ich haben uns zu nem Italienischkurs hier an der Volkshochschule angemeldet.«

»Ich hör wohl nicht recht? Du und Italienisch?«

 

Es war die lautere Wahrheit. Wir fragten uns beim Frühstück gegenseitig die Vokabeln ab.

»Guten Morgen?«

»Bon giorno.«

»Guten Abend?«

»Buona sera.«

»Gute Nacht?«

»Buona notte.«

»Wie geht es Ihnen?«

»Come sta?«

»Wie heißen Sie?«

»Come si â¦ äh â¦ chiamo?«

»Falsch. Chiama. Bäckerei?«

»Ähm â¦ warte mal â¦ pasticceria?«

Andrea wollte ihr Italienisch später mal im Urlaub nutzen. Mir hingegen ging es nur darum, das eine oder andere Libretto besser zu verstehen.


Il dolce suono

Mi colpi di sua voce! Ah! quella voce â¦


Sowas in der Art.

 

Die Zeitschriftendrücker schienen vor unserer Wohnungstür ein morphogenetisches Feld gebildet zu haben, in dem sich immer neue Klingelgangster materialisierten.

Diesesmal kamen sie zu zweit - ein schwitzender Dickwanst mit Aknekratern im Gesicht und ein Spargeltarzan mit einem vogelhäuschenartig vom Hals abstehenden Adamsapfel. Er und sein Kollege, sagte der Dicke und zückte einen Stoß Formulare, machten hier eine Umfrage im Auftrag von »Kinder in der Not«. Ob ich daran teilnehmen wolle?

»Soll mir dabei denn auch ganz bestimmt kein Zeitschriftenabo angedreht werden?«

Er spreche doch wohl eine klare und deutliche Sprache, ereiferte sich der Dicke, und der schweigsame Dünne glotzte an mir vorbei in unseren Wohnungsflur.

»Na dann«, sagte ich. »Wenn s nicht zu lange dauert â¦«

Da wären zunächst die statistischen Angaben, sagte der Dicke. Familienstand, Alter, Beruf.

Als das erledigt war, verneinte ich die Frage, ob mir die Stiftung »Kinder in der Not« bekannt sei.

Der Dicke machte ein Kreuzchen und fragte, ob ich für oder gegen die Errichtung eines Kinderhauses in meiner Nachbarschaft sei.

»Ist mir egal«, sagte ich wahrheitsgemäß.

Für diese Antwort schien auf dem Formular kein Kästchen zu existieren. Der Dicke murrte, schrieb irgendwas an den Rand und kratzte sich dann selbstvergessen am Sack.

Es folgte die Frage, ob ich für oder gegen die Einführung eines Kummertelefons für Kinder sei.

»Ist mir egal«, sagte ich.

Nun hatte es der Dicke satt. »Wenn Ihnen sowieso alles scheißegal ist, kann ich mir die Mühe ja auch sparen«, sagte er und zerknüllte das Formular. Nachdem sie mir noch sieben bis acht feindselige Blicke zugeworfen hatten, verließen die beiden Kinderfreunde das Haus und nahmen das Geheimnis, ob sie nicht doch noch versucht hätten, mir ein Abo anzudrehen, wenn ich kooperativer gewesen wäre, für immer mit sich hinaus in die kalte und kinderfeindliche Welt.

 

Es schneite, schnob und fror, und im Keller war der Abfluß verstopft. Ich schöpfte ihn mit einem Becher aus, während Frau Morgenstern hinter mir stand, einer Panik nahe, und ihren schlesischen Kehrreim ausstieß: »Nu? Nu? Nu?«

 

An Arthur Koestlers Buch »Die Nachtwandler. Das Bild des Universums im Wandel der Zeit« - einem Flohmarktschnäppchen - hatte ich meine Freude, bis ich auf Seite 431 lesen mußte:


Zu meinen frühesten und lebhaftesten Eindrücken aus der Geschichte gehören die Massenverbrennungen lebender Ketzer durch die spanische Inquisition, die kaum dazu angetan sind, zärtliche Gefühle gegenüber dieser Institution zu wecken. Andererseits finde ich die Persönlichkeit Galileis auch nicht sehr anziehend â¦


Galileo Galilei sei nämlich eitel, intrigant und verlogen gewesen und deshalb mitschuldig am »tragischen Konflikt« zwischen Kirche und Kosmologie.

Eine seltsame Gegenüberstellung - auf der einen Seite die Massenmorde einer mörderischen, verbohrten Sekte, die sich in naturwissenschaftlichen Fragen nicht nur ein Mitspracherecht, sondern die letzte Entscheidung anmaßte, und auf der anderen ein großer Astronom mit kleinen Charakterfehlern. Und zwischen diesen zwei Parteien stand Arthur Koestler und konnte sich nicht entscheiden?

 

Am 2. Dezember legte ich die einhundertste handgeschriebene Romanseite zu den Akten.

Und wenn es auch mit diesem Buch nicht klappte? Was dann, Herr Schlosser?

 

Bei Rhenus arbeitete ein Neuer, Johs, ein blonder Bauernjunge aus der Wesermarsch, und er hatte bald raus, daß Matthias und ich nur zum Fußvolk zählten.

Wir kamen ja schandbarerweise auch immer mit dem Fahrrad zur Arbeit. Selbst bei Regen. Ein untrügliches Hilfsarbeitermerkmal. Als Radfahrer hätten sich die normalen Werktätigen sofort ins soziale Aus manövriert.

 

Im Gebrauchtwarenladen Zimmermann kaufte ich einen altertümlichen Adventskalender für Andrea und zwei kleine Weihnachtsgeschenke, einen Stoffpapagei, auf der Stange sitzend, für Nantje, und einen Nußknackermann für Renate und Olaf, und in dem großen Second-Hand-Möbelgeschäft in der Innenstadt hielt ich nach einem Doppelbett Ausschau, doch da standen bloß Schlachtschiffe im Gelsenkirchener Barockstil herum. Oder groteske Furzmulden aus den siebziger Jahren.

 

Andrea zählte ihr Geld.

Es rührte mich, wie sie da so am Küchentisch vor ihren Münzentürmchen saß. Als Geliebte eines Großindustriellen oder eines Schlagerstars hätte sie sich in Marbella zwölfmal täglich pediküren lassen können. Aber ihre Wahl war auf mich gefallen. Auf ein armes Würstchen ohne Doktortitel, Kapital und Reputation, und diesen Vorzug oder Mangel hatte ich allen anderen Männern voraus.

 

Ich bestellte mir Antiquariatskataloge aus dem gesamten Bundesgebiet. Vielleicht war ja einmal etwas Erschwingliches dabei?

 

Wie es in Mexiko am Vorabend der spanischen Eroberung zugegangen war, konnte man in Jacques Soustelles Werk »Das Leben der Azteken« nachlesen. Die Priester hatten ihren Opfern mit Obsidianmessern die Brust aufgeschlitzt und ihnen das noch schlagende Herz herausgerissen. Andere Opfer waren lebend gehäutet worden.

Aber die Spanier hätten sich auf ihre zivilisatorische Überlegenheit nichts einzubilden brauchen. Sie hatten marodiert, geplündert, gefoltert, gehenkt, vergewaltigt und manchen Azteken teils die Daumen, teils die ganzen Hände abgehackt. Und in welcher Maßeinheit hatte der Eroberer Cortés Entfernungen angegeben? In Armbrustschußweiten!

 

Im Casablanca begann eine Laurel-and-Hardy-Reihe. Der Himmel auf Erden!

»Perfect Day«: Da wollten sie picknicken fahren und versanken nach dutzenderlei Startschwierigkeiten mit ihrem Wagen in einem Wasserloch â¦

Es saßen bloß zehn oder zwölf Leutchen im Kino. Ich hätte es vorgezogen, 1929 bei der Premiere dieses Films dabeizusein, unter Hunderten von Amerikanern, die sich vor Lachen ausschütteten.

 

Um acht Uhr morgens mußte ich wieder zum Eishacken raus, damit sich die Fußgänger und die Radfahrer vor dem Haus nicht das Genick oder die Haxen brachen, und ich ärgerte mich über die Autofahrer, die bei laufendem Motor ihre Windschutzscheibe freikratzten.

Andrea hatte vorsorglich ein großes Stück Pappe unter die Scheibenwischer ihrer Karre geklemmt.

 

Der Literaturkritiker Horst Köpke besprach in der Frankfurter Rundschau Kempowskis »Hundstage« von oben herab und kam zu dem Schluß:


Es muß auch solche Käuze geben.


Wie gnädig! Martin Walser, Peter Weiss, Uwe Johnson, Peter Handke, Günter Grass und Christa Wolf hofierte das FR-Feuilleton wie Hoheiten, und Walter Kempowski mußte mit einem Platz am Katzentisch vorliebnehmen, als Sonderling, den man duldete, obwohl er eigentlich nicht so richtig dazugehörte, weil man ihn irrtümlich irgendwo zwischen Ludwig Ganghofer und Utta Danella verortet hatte.

 

Wir kündigten Oma Jever unseren Besuch an und trafen pünktlich zum Mittagessen ein: Schweinefilets mit Kartoffeln und Bohnen.

Oma schimpfte über Johannes Mario Simmel - bei dem sei »alles so negativ« -, und sie klagte über Kopfschmerzen und übers Altsein, aber an Andrea hatte sie einen Narren...
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Autor

Gerhard Henschel, geboren 1962, lebt als freier Schriftsteller in der Nähe von Hamburg. Sein Briefroman Die Liebenden (2002) begeisterte die Kritik ebenso wie die Abenteuer seines Erzählers Martin Schlosser, die mit dem Kindheitsroman 2004 ihren Anfang nahmen. Henschel ist außerdem Autor zahlreicher Sachbücher. Er wurde unter anderen mit dem Hannelore-Greve-Literaturpreis, dem Nicolas-Born-Preis und dem Georg-K.-Glaser-Preis ausgezeichnet.