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Ein Mord den jeder begeht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
371 Seiten
Deutsch
C.H. Beckerschienen am21.12.20162. Auflage
Louison Veik, die jüngste Tochter des Landgerichtspräsidenten Veik, wird ermordet und ihres kostbaren Schmuckes beraubt. Die Such nach dem Mörder bleibt ergebnislos, der Fall muß zu den Akten gelegt werden. Sie ruhen sieben Jahre lang bis zu jenem Tag, da Conrad Castiletz die Schwester der Ermordeten heiratet. Er sieht zum ersten Mal das Bild der Toten, und eine tiefe und unerklärliche Zuneigung zu ihr überkommt ihn. Er versucht nun, von einem seltsamen Zwang getrieben, das Verbrechen aufzuklären, vernachlässigt dabei seine Frau und gefährdet seine Existenz. Aber er ist bereits so tief in den Bann der Toten geraten, dass der Sinn seines Daseins sich nur erfüllen kann, wenn er den Mörder findet. Die Entdeckung schließlich ist furchtbar ...

Heimito von Doderer (1896 - 1966) gilt seit der Veröffentlichung seiner beiden großen Wiener Romane "Die Strudlhofstiege" (1951) und "Die Dämonen" (1956) als einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.
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Produkt

KlappentextLouison Veik, die jüngste Tochter des Landgerichtspräsidenten Veik, wird ermordet und ihres kostbaren Schmuckes beraubt. Die Such nach dem Mörder bleibt ergebnislos, der Fall muß zu den Akten gelegt werden. Sie ruhen sieben Jahre lang bis zu jenem Tag, da Conrad Castiletz die Schwester der Ermordeten heiratet. Er sieht zum ersten Mal das Bild der Toten, und eine tiefe und unerklärliche Zuneigung zu ihr überkommt ihn. Er versucht nun, von einem seltsamen Zwang getrieben, das Verbrechen aufzuklären, vernachlässigt dabei seine Frau und gefährdet seine Existenz. Aber er ist bereits so tief in den Bann der Toten geraten, dass der Sinn seines Daseins sich nur erfüllen kann, wenn er den Mörder findet. Die Entdeckung schließlich ist furchtbar ...

Heimito von Doderer (1896 - 1966) gilt seit der Veröffentlichung seiner beiden großen Wiener Romane "Die Strudlhofstiege" (1951) und "Die Dämonen" (1956) als einer der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783406688997
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Verlag
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum21.12.2016
Auflage2. Auflage
Seiten371 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3131 Kbytes
Artikel-Nr.2182560
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
1;Cover;1
2;Titel;3
3;Zum Buch;2
4;Über den Autor;2
5;Impressum;371
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Leseprobe

13


Zehn Tage etwa nach diesen Ereignissen , gegen Abend, in wenigen Stunden und sozusagen in aller Stille, starb Frau Leontine Castiletz. Das Segel entschwand endgültig unter dem Horizont, es kam nicht wieder. In der verbliebenen Leere des Himmelsrandes zerflossen einige aufgekrauste weiße Windwolken.

Man nannte als Ursache des jähen Todes eine Trombose.

Es gibt in jeder Verwandtschaft Gemütsmenschen, und ein solcher bemerkte denn, daß die Blümerante vielleicht einfach vergessen habe, weiterzuleben, und daher gestorben sei, also aus Zerstreutheit.

Das Unglück für den Gatten und für den Sohn, mit solcher Plötzlichkeit und Unreife in ihr Leben gestürzt, stand wie saures Obst im Munde, verbunden mit dem geheimen Glauben, daß man es wohl noch abwenden könne, wenn man nur mit genügender Kraft sich weigere, es anzunehmen. So hellsichtig und zugleich respektlos durchschaut manchmal der Mensch das Relative aller sogenannten Tatsachen, die unter den Erscheinungen des Lebens gewissermaßen das gemeine Volk bilden, allerdings ein Volk mit derben Fäusten.

In der Castiletzschen Wohnung stand das Ereignis durch vierzehn Tage wie ein überall unsichtbar ausgespanntes Sprungtuch, das von allem und jedem zurückwarf und abhielt, keinen Aufenthalt, keine Tätigkeit möglich ließ.

Vater und Sohn besuchten das Grab mit Blumen, unserer stummen Gebärdensprache den Toten gegenüber, von der wir doch hoffen, daß sie verstanden werde.

Der Himmel dieses ersten Vorfrühlingstages wies jene zerfahrenen und ineinander verwaschenen Wolkengebilde auf, die dem Schwanken der Erde um diese Jahreszeit, zwischen Tod und Leben, entsprechen. An den weißen Wänden der Einsegnungshalle zwischen den Gräberfeldern stand, im Widerspiel zu himmlischen Vorgängen, bald ein klarer Schein, bald ein sanftes Grau.

Conrad hatte, seit einer bestimmten Nacht in seiner Knabenzeit, nicht mehr geweint. Auch der Verlust seiner Mutter erzeugte bei ihm keinen schwächer und stärker schwellenden, warmen und am Ende heißen Ring um die Augen, den dann die Tränen spülen und kühlen. Das Wesentliche des Ereignisses erlebte er wie hinter vielen Wänden, als einen Druck, der in eine bestimmte Richtung deuten wollte. Hier zum erstenmal nämlich - das ahnte ihm - war in seinem Leben wirklich etwas geschehen, stand am Wege ein eingeschlagener Pfahl und zerfällte jenen in ein Vorher und in ein Nachher. Was bisher gewesen, so vermeinte Conrad, hätte alles sich gewissermaßen noch rückgängig machen lassen. Dies hier war endgültig. Diese Endgültigkeit war neu, sie drückte als Fremdkörper.

Er bemerkte jetzt, daß sein Vater, der am Fußende des Grabes stand, in die Krempe seines Hutes biß, ohne es wohl zu wissen, mit einem Gesicht, das klein und naß war, wie das eines schreienden Säuglings.

Einige Wochen später, auf dem roten Diwan, hüllte sich Frau Hedeleg in ein wärmendes Pelzchen der Selbstzerfleischung nach dem anderen, denn von Conrad her zog es empfindlich. Ihr letzter Bericht damals war übrigens mehr als ausführlich gewesen, so daß Conrad das Ende kaum hatte erwarten können, während ihrer Wiederholungen memorierend, schließlich aber Frau Anny unterbrechend, als die Reprisen sich zu häufen begannen. Gleichwohl, die vielen und zum Teile schon recht weitgehenden Einzelheiten, hatten es doch zusammen vermocht, Conrads wach gewordenes Mißtrauen zu lähmen und die ganze Geschichte mit ihrem Wahrheitscharakter neuerlich zu durchtränken.

Ich kann deinem Vater nicht mehr in die Augen sehen , sagte sie.

Er hatte genau beobachtet, daß Anny seit etwa einer Viertelstunde schon an einem Schluchzen präparatorisch arbeitete. Als die Hervorbringung endlich gelang, sagte er:

Du brauchst ihm ja nicht in die Augen zu sehen.

Wie â¦? fragte Frau Anny, für welche hier ein leerer Raum entstand.

Schau in deine Offerte , sagte Conrad.

Nun, diese Sache mit der Hedeleg taugte nichts mehr. Zudem kam jetzt vor Ostern die Zeit der Abschluß- oder Reifeprüfung auf der Handelsakademie (so nannte man die Anstalt), und wenn Conrad für diese Prüfung auch fast nichts zu lernen hatte, so bedurfte er doch einer kleinen Zeit der Sammlung. Er nahm Bedacht darauf, sie reichlich übrig zu behalten, um dann beruhigt sein zu können hinsichtlich dessen, daß nicht irgendwo irgendwas ungeordnet und außer acht gelassen bleibe, welches sich dann bei der mündlichen Prüfung, oder bei der Klausurarbeit gegen ihn in Bewegung setzen könnte. Aber es setzte sich nichts in Bewegung, die Durchführung war ebenso geordnet wie die getroffenen Dispositionen, kurz, er bestand die Prüfung mit Glanz. Lehnder hatte es anders nicht erwartet. Daß deine arme Mutter dies nicht noch erleben konnte! sagte Lorenz Castiletz, umarmte Conrad und weinte. Sein Gesicht schien zusammengeschrumpft und in der letzten Zeit endgültig und wirklich kleiner geworden zu sein. Die Hedeleg war aus Conrads Gesichtskreis entschwunden, da er während der letzten Wochen vor der Prüfung das Büro nicht mehr aufgesucht hatte. Jetzt also, zu den Osterfeiertagen, verließ er als Entlaßschüler für immer jenes neuzeitliche Gebäude mit der großen, hellen Vorhalle, darin die gedrungenen, mattsilbrig glänzenden Heizkörper standen.

Conrad fuhr aufs Land und war dort allein. Denn Tante Berta wohnte jetzt in der Stadt und nahm sich in vorbildlicher Weise des Vaters an, der bei dem bloßen Gedanken, hinauszufahren, über den so friedlichen und heiteren Erinnerungen des letzten Sommers klagend zusammengebrochen war. Als einem jungen Menschen, der die Mutter kürzlich verloren, ward Conrad die natürliche Anteilnahme des Volkes entgegengebracht von den Mägden, Gärtnersleuten und Knechten, und es zeigte sich dabei, was man schon immer gewußt, daß diese Leute alle auf ihre Art Frau Leontine sehr gerne gemocht hatten, mit einer Anhänglichkeit, die jedesmal gleich zu Beginn des Sommeraufenthaltes der Familie hervorgetreten war, durch die Art schon, wie man sie begrüßte, die Nachricht von ihrem Eintreffen weitergab und während der folgenden Wochen dicke bunte Blumensträuße in alle Ecken ihres Zimmers stellte.

Noch waren die Wälder grau, aber nicht tot, sondern von innen glänzend in ihrer Feuchtigkeit, jeder Raum zwischen Baum und Baum stark spürbar als ein Geöffnetes, in dessen hellhörige Stille die Wasser rauschten. Im Zimmer standen die Palmkätzchen. Die Sonne lag im leeren Hause.

Volk läßt die neuen Toten ruhen, scheucht sie nicht auf durch immer wiederholte Erwähnung. Wenn man vom letzten Sommer sprach, genügte es, daß Frau Leontine dabei mitgedacht war. Der alte Gärtner lächelte einmal und sagte, daß übrigens jenes Fräulein aus der Stadt, mit dem der junge Herr im verwichenen Herbst hier viel spazierengegangen sei - wie er sich wohl noch erinnern könne? - vor einigen Wochen gestorben wäre, in Salzburg. Er wisse es von der Frau Rumpler, wo jene gewohnt, die sei auch mit ihr entfernt verwandt gewesen.

Alle sterben , dachte Conrad wörtlich, und dann erschrak er tief, denn er hatte auf solche Weise gleich die Mutter mitgedacht. Gestorben in Salzburg. Freilich wußte er von Lage und Beschaffenheit dieser Stadt aus der Schule, vom Berchtesgadener Land, von Reichenhall. Aber jetzt sah er zuinnerst Salzburg in einer völlig ebenen Gegend, eine Burg von weißer trockener Farbe in einer Steppe, einer Salzsteppe.

Dürfte krank gewesen sein, auf der Brust , meinte der Gärtner.

Conrad verfiel keineswegs auf den Gedanken, sich bei der Wäscherin Rumpler etwa näher zu erkundigen. Jedoch führte ihn ein Spaziergang am Wassersteig entlang, neben dem stark rauschenden Bache, und er wandte sich in das Seitental und ging durch den leeren kühlen Nadelwald leicht bergan. Das Schweigen der durchgebogen hangenden dunklen Äste blieb von dem jetzt lauten Glucksen und Plätschern des kleinen Gerinnes unberührt, das hier dem Bach zueilte, die winzigen Fälle und Becken sprachen ihr vielfältig wechselndes Wort wie auf sich selbst zurückgedrängt, durch den Druck der allseits sie umlagernden Stille.

Conrad gelangte zu der Wasserscheide. Hier traten die Nadelbäume zurück. Er schaute den fallenden Hang hinab, über die noch stumpfen, erdigen Wiesen, zwischen denen Laubgehölz sich hinzog, Bäume und Sträucher kahl, wie wirres Haar, in der Farbe kaum unterschieden von den grauen Brettern einer Bank dort vor den Bäumen, und doch von einem inneren Leuchten gespannt, das dem toten Holze fehlte. Dort unten, im überall tief in den Boden und die verstreuten Dinge sickernden Licht, lag das Sträßlein und daran vereinzelte Gehöfte. Conrad hob den Blick und sah zum Hange gegenüber: strichweis und ganz zart ...
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