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Seelenangst

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
414 Seiten
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am13.08.20131. Aufl. 2013
Clara Vidalis, Expertin für Pathopsychologie am LKA Berlin, hat gerade die Folgen ihrer Hetzjagd auf den Serienkiller 'Der Namenlose' verkraftet, als die Hauptstadt von einer neuen, noch perfideren Mordserie erschüttert wird. Ein Mann, der sich 'Der Drache' nennt, ist von einer grausamen Mission erfüllt: Er tötet Menschen, die nur nach außen hin eine vorbildliche gesellschaftliche Funktion ausüben. Und mit seinem satanistischen Hintergrund, seiner absoluten Besessenheit weist er Clara den Weg nach Rom: zum Chef-Exorzisten des Vatikans...mehr

Produkt

KlappentextClara Vidalis, Expertin für Pathopsychologie am LKA Berlin, hat gerade die Folgen ihrer Hetzjagd auf den Serienkiller 'Der Namenlose' verkraftet, als die Hauptstadt von einer neuen, noch perfideren Mordserie erschüttert wird. Ein Mann, der sich 'Der Drache' nennt, ist von einer grausamen Mission erfüllt: Er tötet Menschen, die nur nach außen hin eine vorbildliche gesellschaftliche Funktion ausüben. Und mit seinem satanistischen Hintergrund, seiner absoluten Besessenheit weist er Clara den Weg nach Rom: zum Chef-Exorzisten des Vatikans...
Details
Weitere ISBN/GTIN9783838725925
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum13.08.2013
Auflage1. Aufl. 2013
Reihen-Nr.2
Seiten414 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2188198
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
3

Das Böse, dachte Clara Vidalis, kommt immer wieder.

Für Clara kam es fast jeden Tag. Auf ihrer Netzhaut war noch das Bild eines der beiden Vergewaltiger eingebrannt, der ihr vorhin gegenübergesessen hatte, grinsend und feixend, eine umgedrehte Schirmmütze auf dem Kopf. Genau wie sein Mittäter hatte der Mann bei der Vergewaltigung unter dem Einfluss von Psychopharmaka gestanden.

Vergewaltigung und Drogen konnten für die Schuldigen ein zweischneidiges Schwert sein. Einerseits konnten Drogen die Zurechnungsfähigkeit reduzieren. Doch wenn es sich um aufputschende Mittel wie LSD oder Amphetamine wie Kokain handelte, wurden sie meist eingenommen, um noch einen größeren Kick zu haben, um noch öfter zu können.

Clara und Hermann hatten diesen Fall auf den Tisch bekommen, nachdem sie gerade den »Inkubus« gefasst hatten, einen hochgradig geistesgestörten Täter, der sich in seiner Anfangszeit darauf beschränkt hatte, als Stalker Frauen zu verfolgen und vor ihren Wohnungen die Mülleimer zu durchwühlen. Aus den Mülleimern hatte er die benutzten Tampons entwendet und sich daraus eine Art Tee gekocht, von dem er behauptet hatte, dass die Frauen ihm ganz von selbst zu Willen seien, nachdem er davon getrunken hatte.

Inkubus. Ein passender Name, den sich Dr. Martin Friedrich, Chef der Abteilung für operative Fallanalyse, ausgedacht hatte. Ein Inkubus war ein Geist, der besonders schöne Frauen im Schlaf aufsucht, ihre Träume stört und sexuelle Handlungen an ihnen vornimmt. Und das hatte Manfred Heyer, der »Berliner Inkubus«, dann schließlich auch getan. Denn als er feststellen musste, dass sein Tampon-Tee nicht die erwünschte Wirkung bei den Damen seines Herzens entfaltete, hatte er sich wieder »auf die gute alte Vergewaltigung« beschränkt, wie er es Hermann im Verhör beinahe freundschaftlich anvertraut hatte.

Und heute hatten wieder zwei Vergewaltiger gestanden. Der Prozess würde stattfinden - drei bis vier Verhandlungstage -, und das Urteil wurde verkündet. Wieder würden zwei Täter ins Gefängnis gehen, ihre Strafe absitzen, irgendwann wieder freikommen und vielleicht genauso weitermachen wie zuvor. Oder schlimmer.

Ad plures ire. Zu den vielen gehen. Zu den Toten.

Clara blickte zum Himmel. Würde die riesige Welt der Toten dadurch kleiner werden? Sie sah all die Schatten vor sich, denen es nicht erlaubt gewesen war, weiterzuexistieren. Was wäre aus all den Männern und Frauen geworden, hätten sie weitergelebt? Und was wäre vor allem aus den Kindern geworden? Kinder, die in einem kleinen Sarg bestattet wurden und vom Antlitz der Welt gefegt worden waren, als hätten sie nie existiert? Die nur in den Erinnerungen weiterlebten und immer mehr verblassten, je stärker die Zeit die Wunden zudeckte, aber niemals ganz heilte? Was hätten all diese Menschen werden können? Was hätten sie bewirken oder erfinden können? Sie sah all die Namen vor sich in einer nahen Zukunft - Ärzte, Erfinder, Unternehmer. Es waren Namen, die kurz aufblitzten, um dann von einer nuklearen Druckwelle hinweggefegt zu werden, die zu Eis erstarrten und sich dann in Staub auflösten. Namen, die etwas hätten werden können, die aber nichts werden durften. Namen, deren Träger jetzt einen Meter achtzig unter der Erde lagen oder sich in einem Krematorium zu grauer Asche verwandelt hatten, während ihre Mörder im Gefängnis die Zeit absaßen, freikamen und weitermachten.

»Mein Sohn ist für alle Zeiten tot«, hatte eine Mutter einmal zu Clara gesagt, »aber andere Kinder leben noch.« Die Frage war, wie lange.

Half es, wenn sie einen oder zwei der Mörder einbuchtete? Half es den Angehörigen oder den Eltern, die vor Verzweiflung fast wahnsinnig wurden? Oder den Toten selbst? Würden die Ermordeten und Erschlagenen, die in ihren Träumen auftauchten und ihr mit bleichen Gesichtern und blutumrandeten Augen entgegentaumelten, dadurch ihren Frieden finden? Oder sie?
*

Der Inkubus und die beiden Vergewaltiger waren beinahe harmlos im Vergleich zu den Fällen, die Clara und ihre Abteilung im LKA in den Wochen zuvor in Atem gehalten hatten.

Denn bei den letzten beiden wirklich harten Fällen, mit denen Clara sich befassen musste, hatte es keine Verhöre gegeben. Einen Täter hatte sie erschossen, der andere hatte sich selbst in die Luft gesprengt. Und Clara und ihre Kollegen waren dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen.

Es war im Oktober des Vorjahres gewesen. Sie hatten Bernhard Trebcken gejagt, den »Werwolf«, einen grausamen Vergewaltiger, der die Frauen nicht nur missbrauchte, nicht nur tötete, sondern die Leichen vor und nach der Vergewaltigung in psychotischer Raserei zerhackte. Clara und die Beamten des MEK hatten Trebcken in der Wohnung seiner letzten beiden Opfer erwischt, einem lesbischen Paar. Dass zwei Frauen sich miteinander vergnügten, während er selbst leer ausging, hatte Trebcken auf schreckliche Weise ausrasten lassen. Er hatte eine der Frauen vor den Augen der anderen vergewaltigt, getötet und dann mit einer Axt zerhackt.

Clara hatte dem abgrundtief Bösen ins Auge geschaut, als Trebcken die Überlebende als Geisel an sich gedrückt hatte, mit einer Geflügelsäge am Hals. Clara hatte die Heckler & Koch auf Trebckens Stirn gerichtet. Sie hatte die Waffe einem der MEK-Beamten abgenommen, nachdem Trebcken ihm die Nase gebrochen und ihm beinahe den Kehlkopf zerschmettert hatte.

Was passiert, wenn ich nicht schieße?, hatte Clara sich gefragt. Lässt er die Frau dann frei?

Unwahrscheinlich. Er würde ihr über kurz oder lang die Halsschlagader durchsägen und dann, als selbsternannter Märtyrer, im Kugelhagel der Polizei sterben. Also hatte Clara abgedrückt. Weil sie wusste, dass es manchmal nur die Wahl zwischen schlechten und sehr schlechten Entscheidungen gab. Weil sie wusste, dass es manchmal besser war, das Falsche zu tun als gar nichts. Und weil sie wusste, dass Hochgeschwindigkeitsprojektile schneller sind als Nervenimpulse.

In dem Sekundenbruchteil, als der Werwolf seiner Geisel den Hals durchsägen wollte, hatte die Kugel seinen Kopf in eine blutige Ruine verwandelt, deren eine Hälfte noch auf dem Rumpf steckte, während die andere sich über fünf Quadratmeter weißer Wand und einem Kunstdruck von Jackson Pollock verteilt hatte.

Die Augen des Bösen. Clara hatte sie wieder einmal gesehen. Und sie hatte Bernhard Trebcken, als sie abdrückte, ein Einmalticket direkt in die Hölle verschafft.

Der zweite Fall, der das LKA nur anderthalb Wochen später in Alarmbereitschaft versetzt hatte, war weit schwieriger gewesen. Denn der Killer, der sich »Der Namenlose« nannte, war keine wild gewordene Kettensäge wie Bernhard Trebcken, sondern ein eiskalt gesteuertes Projektil, das leise und gezielt direkt ins Nervensystem traf. Der Namenlose, der in den Medien bald auch »Facebook-Ripper« genannt wurde, hatte eine Vorliebe für schöne junge Mädchen, die er mit falscher Identität über Social-Network-Plattformen und Dating-Webseiten kontaktierte, ihre Adresse herausfand, sie aufsuchte und umbrachte.

Clara und den Facebook-Ripper hatte ein dunkles Geheimnis geeint. Und es war dieses Geheimnis gewesen, das der Killer genüsslich und sadistisch vor Clara enthüllt hatte, ehe er gestorben war.

Clara war froh und dankbar, dass es manchmal Phasen der Ruhe gab. Und Kollegen, auf die man sich verlassen konnte. Die einen nicht hängen ließen. Die einem im Haifischbecken der Bürokratie den Rücken freihielten.

Sie hörte schwere, vertraute Schritte, die näher kamen. Es war einer der Kollegen, ohne die Clara nicht wäre, wo sie nun war. Und vor allem, nicht dort geblieben wäre.

Die große Gestalt, die langen Schritte, das dumpfe Pochen der Hacken, die Adlernase zwischen den stahlblauen Augen und die große Hand, die soeben die Krawatte lockerte, gehörten Kriminaldirektor Walter Winterfeld, Claras direktem Vorgesetzten und Chef der Mordkommission des LKA. Clara war Winterfeld damals aufgefallen, als sie sich auf Forensik und Pathopsychologie spezialisierte, und er hatte sie unter seine Fittiche genommen. »Die schlimmsten Verbrecher laufen hier drinnen herum«, hatte er gesagt und damit nicht das LKA gemeint, sondern vor allem die Justiz und ihren Beamtenapparat. »Also sehen Sie zu, dass Sie gleich an den Richtigen geraten, dann haben wir beide mehr davon.«

»Und Sie sind der Richtige?«, hatte Clara in naiver Direktheit gefragt.

»Nein. Aber auch nicht der Falsche. Und das ist hier mehr als genug.«

Bei Winterfeld war das kein leeres Gerede. Er lebte für seinen Job. War nach zwei Ehen geschieden. Nach einer schweren privaten Krise hatte er mehrere üble Gewaltverbrecher und Mörder hinter Gitter gebracht. Gleich nach deren Verhaftung hatte er - damals noch in Hamburg - seine Theorie von der »Präventiven Physiognomie des Verbrechens« aufgestellt, die besagte, dass man allein am Gesicht einer Person erkennen könne, ob sie ein Verbrecher sei oder nicht.

Die Presse war sofort über ihn hergefallen. Eine Hamburger Lokalzeitung zeigte eine Fotomontage mit dem Gesicht Winterfelds und der Uniform Heinrich Himmlers.

Doch seine Aufklärungsquote sprach für ihn. Und das Buch, das er dann schrieb, wurde ein Bestseller. Er hielt Vorträge bei Scotland Yard, in Quantico, Virginia, bei Interpol und an sämtlichen Landeskriminalämtern Deutschlands. »Sichten und vernichten« lautete sein Wahlspruch. Wenn Winterfeld hinter einem Mörder her war, blieb der meist nicht mehr lange in Freiheit.

Dann kam das Angebot vom Innenministerium, eine Abteilung aufzubauen, die die Bekämpfung von Kapitalverbrechen auf deutscher und europäischer Ebene koordinieren sollte....
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