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Das stumme Kind

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
381 Seiten
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am15.08.20141. Aufl. 2014
In einem kleinen Dorf in der Lüneburger Heide kommen der Kinderarzt Andreas Joost und der Rechtsanwalt Thomas Wilke auf grauenhafte Weise ums Leben. Rasch ist klar, es gibt eine Verbindung zwischen den beiden Männern: Joosts Tochter Anna, ein autistisches Mädchen, das noch nie ein Wort gesprochen hat. Das Geheimnis, das die Beteiligten miteinander verbindet, führt tief in menschliche Abgründe. Und die Zeit zur Aufklärung des Falles drängt - denn der Täter hat bereits sein nächstes Opfer ins Visier genommen ...mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR7,99

Produkt

KlappentextIn einem kleinen Dorf in der Lüneburger Heide kommen der Kinderarzt Andreas Joost und der Rechtsanwalt Thomas Wilke auf grauenhafte Weise ums Leben. Rasch ist klar, es gibt eine Verbindung zwischen den beiden Männern: Joosts Tochter Anna, ein autistisches Mädchen, das noch nie ein Wort gesprochen hat. Das Geheimnis, das die Beteiligten miteinander verbindet, führt tief in menschliche Abgründe. Und die Zeit zur Aufklärung des Falles drängt - denn der Täter hat bereits sein nächstes Opfer ins Visier genommen ...
Details
Weitere ISBN/GTIN9783838754062
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum15.08.2014
Auflage1. Aufl. 2014
Seiten381 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2189282
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Kapitel 2

SMS von Andreas Joost an Thomas Wilke,
Mittwoch, 04. April
***

»Hallo Thomas. Brauche dringend Deine Hilfe. Melde Dich bitte sofort, wenn Du nach Hause kommst!«

SMS von Thomas Wilke an Andreas Joost,
Karfreitag, 06. April

Hallo Andreas. Habe gestern alles wie besprochen erledigt. Gruß Thomas.
***

Holm-Seppensen,
Wohnhaus von Thomas Wilke,
Dienstag, 10. April, 21:05 Uhr

Nachdenklich musterte Rechtsanwalt Thomas Wilke sein Abbild im Spiegel des Badezimmers. Als er gerade ein Kosmetiktuch auf seine wulstigen Lippen presste, um damit die überschüssige Farbe des Lippenstifts zu entfernen, klingelte es an der Haustür. Das Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken und beschleunigte seinen Herzschlag.

Wilkes Einstimmung auf diesen besonderen Abend hatte bereits heute Morgen im Gerichtssaal begonnen. Er war wie so häufig als Strafverteidiger eines Mannes aufgetreten, der wegen sexuellen Missbrauchs vor Gericht stand. Dieser Fall hatte ihm besonders viel Vergnügen bereitet, da es keine Tatzeugen gab, keine objektiven Beweise und keine aussagekräftigen Indizien. Somit stand die Aussage seines Mandanten gegen die des Opfers. In letzter Minute hatte Wilke seinen Mandanten davon abbringen können, ein Geständnis abzulegen. Eindringlich hatte er ihm bei einem Gespräch unter vier Augen erklärt, was man in einem solchen Fall vor Gericht aussagt und wie man sich dort verhalten sollte. Es war eine wirkliche Genugtuung für Wilke gewesen, als er seinen Mandanten im Rahmen der Vernehmung zur Sache hatte empört ausrufen hören: »Die lügt doch! Ich bin unschuldig!«

Durch diesen überzeugenden Auftritt vor Gericht hatte Wilke sein erstes Ziel erreicht: Nun war die junge Frau zu einer Aussage gezwungen und musste den genauen Ablauf der Tat wiedergeben.

Insgeheim verglich er seine Tätigkeit im Gerichtssaal mit dem Genuss eines kostbaren 1955er Graham's Vintage Porto. Diesen Portwein schätzte er ganz besonders. Erst vor Kurzem hatte sich Wilke davon eine Kiste mit zwölf Flaschen für knapp dreitausendfünfhundert Euro von einem befreundeten Weinhändler aus England schicken lassen. Den kostbaren Tropfen trank er nur bei ganz besonderen Anlässen.

Heute war einer dieser Anlässe: Vor Gericht hatte sich Wilke wie die Spindel eines Korkenziehers mit seinen Fragen tief in die Seele der jungen Frau gebohrt. Ihren Kampf um Glaubwürdigkeit hatte er beglückt verfolgt. Als sie kurz vor Ende der Verhandlung weinend zusammengebrochen war, hatte ein Gefühl tiefer Befriedigung ihn durchströmt. In Gedanken hatte er bereits den Vintage Porto auf seiner Zunge gespürt.

Sein Mandant war freigesprochen worden - für ihn hatte dies nur noch eine nebensächliche Bedeutung. Ein Großteil der Kollegen und Richter, die beruflich mit ihm zu tun hatten, verachteten ihn mittlerweile für seine Auftritte vor Gericht. Hätte man diese Juristen aufgefordert, Wilke mit einem alkoholischen Getränk zu vergleichen, hätten sie wohl eher einen billigen Tafelwein genannt.

Wilkes Einstellung zu Frauen musste man, vorsichtig formuliert, als delikat beschreiben; und die Gründe dafür lagen auf der Hand: Sein Vater hatte früher - ebenfalls als Rechtsanwalt - meist bis tief in die Nacht gearbeitet und war deshalb so gut wie nie für ihn da gewesen, und so hatte seine launenhafte Mutter die Zügel zu Hause fest in ihren Händen gehalten. Hilflos war er ihren Stimmungsschwankungen ausgeliefert gewesen.

Wenn sie gute Laune hatte, ließ sie ihn in Ruhe. Hatte sie dagegen schlechte Laune, machte sie ihm das Leben zur Hölle: Regelmäßig schlug sie ihn und ließ dabei immer erst dann von ihm ab, wenn er seine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Jedes Mal versuchte er zu verstehen, was er falsch gemacht hatte. Damals wie heute fand er keine Erklärungen.

Als er auf das Gymnasium wechselte, traf er eine weitreichende Entscheidung: keine Tränen mehr!

Als sie ihn das nächste Mal schlug, bemühte er sich eisern, weder zu schreien noch zu weinen. Während er seine Lippen aufeinanderpresste, raste sie vor Wut. Sie fummelte an seiner Gürtelschnalle, riss dabei auch die Knöpfe am Hosenschlitz auf und zerrte schließlich den Ledergürtel aus dem Bund. Die Hose rutschte bis auf den Boden und legte sich so um seine Knöchel, dass er seine Beine kaum bewegen konnte. Dann schlug sie mit dem Gürtel zu. Immer wieder. Zuerst auf den Rücken, dann tiefer. Sie schlug so lange auf ihn ein, bis er seine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. In diesem Moment war sein Zorn über sich selbst größer als die Wut auf seine Mutter.

Da er einsehen musste, dass er sich in seinem Alter noch nicht gegen sie wehren konnte, konzentrierte er sich auf etwas, das nur er alleine kontrollierte. Ungezügelt stopfte er alles in sich hinein, was essbar war. Stets aß er so lange, bis seine Mutter ihm sagte, es sei genug. Daraufhin sah er sie kurz stumm an und aß anschließend weiter: Er setzte damit ein Zeichen, er hatte die Kontrolle. Allerdings wuchs er dadurch nicht nur in die Höhe, sondern ebenso in die Breite.

Es dauerte ein weiteres Jahr, bis er endlich schaffte, wonach er so lange gestrebt hatte: Es war egal, wie sehr sie zuschlug, seine Tränen waren versiegt. An dem Tag, an dem er nicht mehr weinte, war sie zunächst irritiert - dann aber schlug sie wie von Sinnen auf ihn ein.

Unvermittelt geschah etwas, womit weder er noch seine Mutter hatte rechnen können: Wilke fühlte mit jedem Schlag eine Art Euphorie, die jede Faser seines Körpers erfasste. Die Schläge versetzten ihn in Ekstase und führten zu einer heftigen Erektion.

Sie zitterte vor Entsetzen, er vor Scham.

Seit diesem Tag schlug Wilkes Mutter ihn nicht mehr. Für ihn war dies aber keinesfalls positiv. Seltsamerweise vermisste er die Schläge, die für ihn in einer höchst befremdlichen Art und Weise auch eine Art von Beachtung darstellten. Stattdessen behandelte sie ihn wie Luft. Für sie existierte er offensichtlich nicht mehr.

Wilkes Mutter war außerordentlich konsequent. Sie bestrafte ihn mit ihrer Missachtung, bis sie etliche Jahre später starb.

Nach dem Abitur zog Wilke nach Hamburg und begann, Rechtswissenschaften zu studieren. Schon bald streifte er regelmäßig über die Reeperbahn und las einschlägige Zeitungsannoncen.

Als eine Domina ihn schließlich zum ersten Mal an ein Andreaskreuz fesselte und mit einer Bullenpeitsche tiefe Striemen auf die Haut seines Rückens schlug, schrie er den angestauten Druck heftig aus sich heraus. Er verspürte trotz der Schmerzen ein unbeschreibliches Wohlgefühl.

Doch je häufiger er sie besuchte, desto seltener fühlte er sich befriedigt. Sie bemerkte dies und herrschte ihn bei einem ihrer Termine an, Frauenkleider überzustreifen. Diese Erfahrung versetzte ihn in Ekstase - seine zitternden Hände waren kaum in der Lage, die Lederriemen der High Heels zu schließen.

Während des Studiums lernte Wilke eine Kommilitonin kennen, die sich in ihn verliebte. Auf ihre Annäherungsversuche reagierte er sehr schüchtern, und es dauerte Monate, bis sie miteinander ins Bett gingen. Es war ein Fiasko. Sie bemühte sich sehr um ihn, doch er bekam keine Erektion. Je länger sie ihn streichelte und küsste, desto wütender wurde er. Schließlich sprang er auf und schlug ihr so heftig ins Gesicht, dass sie rücklings vom Bett stürzte. Während sie benommen auf dem Boden lag, begann er sie zu würgen. Es war wie in einem Rauschzustand: Die Todesangst in ihren Augen führte bei ihm zu einer Erektion. Erst als einer ihrer panischen Fausthiebe ihn im Gesicht traf, realisierte er, was er tat. Schlagartig ließ er von ihr ab und blickte stumm auf seine Hände. Sie starrte ihn ungläubig an und war unfähig zu sprechen. Mit zitternden Händen raffte sie ihre Kleidung zusammen, streifte sie eilig über und verschwand. Er sah sie nie wieder.

Nach diesem Erlebnis vermied er es, sich mit Frauen anzufreunden; stattdessen besuchte er weiterhin in unregelmäßigen Abständen die Domina. Sein Studium beendete er erfolgreich, und im Anschluss an das Referendariat übernahm Wilke die Rechtsanwaltskanzlei, die sich seit Generationen im Familienbesitz befand. Als kurz nach dem Tod seiner Mutter auch sein Vater verstarb, zog er wieder nach Holm-Seppensen in sein Elternhaus.

Thomas Wilke hatte einige Monate vor dem heutigen Abend von seiner Domina erfahren, dass es ein geschlossenes Internetforum gab, in dem sich Gleichgesinnte mit sadistischen und masochistischen Neigungen austauschten. Sofort war er fasziniert davon. Er schaffte es, Teil dieser Gruppe zu werden, und surfte seitdem täglich unter dem Benutzernamen desperate-sadist durch die virtuelle Welt aus Demütigung und Unterdrückung.

Mit zunehmendem Interesse verfolgte desperate-sadist, dass in diesem Forum regelmäßig über eine Lady Pain geschrieben wurde - eine Domina, die ausschließlich Hausbesuche machte. Es gab von ihr keine Fotos, sondern nur vage Beschreibungen. Das Besondere an Lady Pain war, dass sie nicht nur die gestrenge Herrin spielte: Sie war ebenso bereit, in die passive Rolle zu schlüpfen.

Thomas Wilke hatte bei seiner Domina gelernt, dass das Prinzip der Freiwilligkeit eine wesentliche Voraussetzung für sadomasochistische Rollenspiele war. Es galt das ungeschriebene Gesetz, dass ein Rollenspieler seine Zustimmung durch ein sogenanntes Safeword, das vorher vereinbart worden war, jederzeit und bedingungslos widerrufen konnte. Mit der Äußerung dieses Wortes endete das Spiel sofort.

Im Forum wurde einstimmig berichtet, dass Lady Pain in der passiven Rolle bisher niemals das Safeword benutzt...
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