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Ein Rentner kommt selten allein

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
367 Seiten
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am11.03.20161. Aufl. 2016
Rentner Hans hat die Nase voll von seiner Familie und dem Leben. Seit seine Frau Hilde ihn verlassen hat, verdämmert er die Tage am liebsten im Bett. Selbst die Nachricht, dass er in Brandenburg geerbt hat, überzeugt ihn nicht, das Haus zu verlassen. Dafür bedarf es erst eines tüchtigen Schwipses und der Beharrlichkeit seiner Nachbarin Martha Spielvogel, die nicht nur sein Leben mächtig auf Trab bringt ...mehr

Produkt

KlappentextRentner Hans hat die Nase voll von seiner Familie und dem Leben. Seit seine Frau Hilde ihn verlassen hat, verdämmert er die Tage am liebsten im Bett. Selbst die Nachricht, dass er in Brandenburg geerbt hat, überzeugt ihn nicht, das Haus zu verlassen. Dafür bedarf es erst eines tüchtigen Schwipses und der Beharrlichkeit seiner Nachbarin Martha Spielvogel, die nicht nur sein Leben mächtig auf Trab bringt ...
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732514960
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum11.03.2016
Auflage1. Aufl. 2016
Seiten367 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2190868
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
2.

Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit.
Erich Kästner

Mann, Mann, Mann. Jetzt singt der wieder! Soll das etwa bis Brandenburg so weitergehen? Nervös wendet Jannik Nittenwilm den Blick von der dunklen Autobahn ab und seinem schmächtigen Beifahrer zu. Kantor i. R. Krusewitz schläft. Und singt. Dabei heißt i. R., soweit er das weiß, doch »im Ruhestand« oder »in Rente« oder so.

Trotzdem summt und singt Opas alter Kumpel nahezu ununterbrochen oder dirigiert unsichtbare Chöre. Und das seit dem Kreuz Köln-Nord. Also seit exakt, Jannik schielt zum Entfernungsmesser, 442 Kilometern und 300 Metern! Krusewitz gehört als zweibeiniger Musikantenstadl und Weltmeister im Marathonsingen ins Guinessbuch der Rekorde. Gerade krächzt er was von »su-hu-hu-che Freud«. Rechter Hand dirigiert der kahle Kantor mit seinem knochigen Zeigefinger, linker Hand spielt er dazu ein unsichtbares und - logisch - unhörbares Klavier. Das hält Krusewitz allerdings nicht davon ab, sich zu beschimpfen, wenn er falsche Tasten erwischt.

»Der Mensch ist ein Universum, und der Kantor ist ein sehr gewitzter und einzigartig origineller Mensch«, behauptet Frau Spielvogel.

Das Universum des Kantors macht einen leider wirr im Kopf, denkt Jannik. Und einen wirren Kopf kann er sich als Fahranfänger nicht leisten. Schon gar nicht als Fahranfänger mit leichter Orientierungsschwäche. In dieser Hinsicht ist in seinem Hirn irgendetwas falsch verkabelt. Das haben schon Dutzende von Neurologen seit seiner Kindheit festgestellt und nicht ändern können. Rasch wendet Jannik den Blick wieder der Fahrbahn zu.

Davon abgesehen ist mit seinem Hirn alles vollkommen in Ordnung, sagt Frau Spielvogel.

Anders als bei Krusewitz, findet Jannik.

»G-Dur, nicht C-Dur, du alter Esel!«, tadelt der Kantor sich gerade. Der hat wirklich eine Macke. Nicht nur musikalisch.

»Alle alten Leute haben eine Macke«, behauptet sein Kumpel Wolodja, genannt Wodka oder zuweilen auch Gorbatschow, »erst recht in Nievenhoven - Schrägstrich - Deppendorf. Wer aus unserem verstrahlten Kuhkaff nicht rechtzeitig rauskommt, muss auf Dauer einfach durchdrehen!«

Jannik fährt sich nachdenklich durch die hochgegelte Stachelfrisur. Dann nickt er grimmig dem im Scheinwerferlicht aufglänzenden Asphalt zu. Könnte hinkommen. Sein Großvater Hans, genannt »der Schweiger«, ist mental ebenfalls ein Wackelkandidat, seit er pensioniert ist und Oma Hilde ihn verlassen hat.

Den Kantor hat´s natürlich schlimmer erwischt, schiebt Jannik hastig hinterher. Verglichen mit seinem alten Kumpel Krusewitz ist Opa Hans nur leicht verstört. Allenfalls! Was Frau Spielvogel ändern will. Gestern Abend auf der Kirmes hat sie damit angefangen.

Jannik fühlt ein Grinsen in sich hochsteigen. Opas Besuch auf dem Schützenfest war ein Knaller. Eine Auferstehung von den Toten.

»Schon wieder daneben, du Trottel!«, jault neben ihm der Kantor auf.

Jannik verreißt vor Schreck das Lenkrad, fasst sich wieder und bringt den Wagen zurück auf Spur. Mann, Mann, Mann! Krusewitz ist heute Nacht gemeingefährlich originell. An dem beißt sich selbst eine Therapeutin wie Frau Spielvogel die Zähne aus.

»Der hat sich zu viel Kirchenmusik reingeorgelt«, lautet Wodkas Diagnose.

Gut möglich. Darum ist Krusewitz auch halb taub. Fast wie Beethoven. Meistens jedenfalls. Die Taubheit könnte natürlich auch ein Trick sein, argwöhnt Jannik manchmal, weil Krusewitz nicht immer hören will, was man ihm sagt. Dazu eine Überdosis Nievenhoven bei Dormagen, das war´s dann wohl in Sachen geistige Frische. Außerdem ist Krusewitz zweiundachtzig. Oder war´s dreiundachtzig?

Jannik zuckt mit den Schultern. Auch egal. Hauptsache, der Kantor i. R. bleibt bei Laune und geht ihm nicht stiften, bevor sie Brandenburg erreicht und Frau Spielvogel getroffen haben. Genau das aber tut Krusewitz gerne mal. Darum verriegelt Jannik auf Rastplätzen alle Autotüren, wenn er tanken muss, und geht auch nur gemeinsam mit dem Kantor zur Toilette. Wenn er Krusewitz nicht wohlbehalten in Brandenburg abliefert, gibt´s sicher kein Geld von Frau Spielvogel. Die zahlt die Reise nämlich. Für tausend Euro cash plus Spesen soll er Opa Krusewitz und irgendwelche anderen Irren, mit denen Frau Spielvogel später nachkommen will, zehn Tage durch Deutschland-Ost karren. Genauer gesagt, muss er ab Brandenburg meist nur das Gepäck der Irren chauffieren. Die wollen oder sollen nämlich wandern - aus therapeutischen Gründen, behauptet Frau Spielvogel.

»Mit Krückstock und Rollator?« Sein Kumpel Wodka hat sich vor Lachen beinahe weggeschmissen, als Jannik kurz nach Mitternacht mit Krusewitz und Frau Spielvogel bei ihm an der Tankstelle vorgefahren ist, damit er Opa Hans´ betagten Mercedes checkt.

»Na, Hauptsache, du musst nicht mitwackeln«, hat Wodka nachgeschoben und persönlich den Tankstutzen bedient, während Frau Spielvogel im Shop den Reiseproviant für Jannik und Krusewitz zusammengestellt hat.

»Warum sollst du denn mitten in der Nacht losfahren?«, hat Wodka gefragt, während er den Ölstand kontrollierte.

»Damit Krusewitz die Fahrt verschläft und entspannt in seiner alten Heimat Brandenburg ankommt. Urlaub von Anfang an oder so. Außerdem sind nachts die Autobahnen leerer«, hat Jannik flüssig Frau Spielvogels offizielle Erklärung zitiert. Wodka hat´s geschluckt, weshalb Jannik zwei, drei Hintergrundinfos für sich behalten konnte. Vor allem die, dass er seit vier Monaten selbst Patient von Frau Spielvogel ist.

Es wäre ihm verdammt unangenehm, wenn Wodka glauben würde, er habe einen Riss in der Fuge. Wodka selbst ist nämlich kerngesund. Sein Lebensmotto lautet: »Probleme gibt´s nicht, außer man macht sich welche.« Klingt nach einem verdammt guten Motto. Nur leider funktioniert es bei Familie Nittenwilm so gar nicht. Na ja, umgekehrt schon. Er selbst, Opa und Mama sind Weltmeister darin, sich selbst und einander Probleme zu machen. Früher war das mal anders. Ganz anders.

Ach, egal. Frau Spielvogel hat ihm erklärt, dass die Reise nach Brandenburg auch ein Teil seiner Therapie ist, sozusagen der krönende Abschluss. Jannik soll sein Verantwortungsbewusstsein unter Beweis stellen. Wofür er eine Therapie nie nötig hatte. Egal, was Mama meint.

Dass Frau Spielvogel die Reise gestern völlig überraschend angesetzt hat, musste Wodka auch nicht wissen. Ebenso wenig, dass Krusewitz angesäuselt war, als er verlangt hat, vom Kirmesplatz umgehend in seine alte Heimat gebracht zu werden. Krusewitz war sogar so betüddelt, dass er Jannik befohlen hat, die Pferde vom Nievenhovener Reiterkorps einzuspannen.

Was Wodka mit Sicherheit brüllkomisch gefunden hätte.

Noch voller als Kantor Krusewitz war allerdings Opa Hans, der Jannik die Reise in nüchternem Zustand nie im Leben erlaubt hätte. Weil er das heute unter Garantie bereuen wird, war eine sofortige Abreise bei Nacht die beste Lösung. Sozusagen alternativlos.

Beim Überprüfen der Zündkerzen ist Wodka zu dem Schluss gekommen, dass Frau Spielvogel eine noch größere Macke als ihre komplette Kundschaft haben muss. »Warum setzt die sich nicht selbst ans Steuer, statt an ´nen kompletten Fahranfänger wie dich tausend Euro abzudrücken? Finde ich verdächtig.« Wodka spinnt gerne Verschwörungstheorien nach dem Muster »Aliens leben unter uns« oder »Kanzlerin Merkel verseucht das Trinkwasser mit Verdummungsdrogen«. Völlig verstrahltes Zeug eben.

»Vielleicht hat sie mit Krusewitz ein krummes Ding gedreht und will ihn in Brandenburg auf Nimmerwiedersehen loswerden?«, hat Wodka diese Nacht gemutmaßt und munter weiterspekuliert: »Damit der sich nicht verplappert. Oder er hat ihr irgendwas vermacht. Wäre ein guter Grund, ihn bei Nacht und Nebel unauffällig in die Walachei zu schaffen, um ihm da dann irgendwo ...« An diesem Punkt ist sich Wodka mit gestreckter Handkante wie mit einem Messer - zack - an der Kehle entlanggefahren. »Besser, ich überprüfe mal die Bremsschläuche.«

Das war natürlich vollkommener Schwachsinn. Wodkas abschließende Bemerkung in der Angelegenheit klang allerdings nicht ganz so hirnverbrannt: »Okay, die Bremsen sind in Ordnung, aber jetzt mal ehrlich, Alter: Welche Therapeutin zahlt ihren Bekloppten auf eigene Kosten eine Spritztour nach Brandenburg? Da zahlt die doch gewaltig bei drauf. Was soll denn das für ein Geschäftsmodell sein?«

Diese Frage konnte Jannik natürlich nicht beantworten, und zum Glück musste er das auch nicht, weil in diesem Moment Frau Spielvogel mit dem Proviant aufgetaucht war: wabbelige Sandwiches mit Scheibletten und Milky Ways für den Kantor, weil er Gebiss trägt und man Scheibletten notfalls lutschen kann; Bifis in Teigrolle, Traubenzucker und ein Sixpack Monsterblood Kirsch/Guarana für Jannik, damit er am Steuer nicht einnickt.

Apropos. Jannik greift nach einer Büchse des Energydrinks und gönnt sich einen großen Schluck. Wenn seine Mutter das wüsste, würde sie ausflippen. Die hält Monsterblood für eine gefährliche Droge und ihn für ein Kleinkind. Ein minderbemitteltes Kleinkind, das keinen Zucker und kein Koffein verträgt.

Mann, Mann, Mann.

Nur gut, dass sie gestern Morgen selbst in Urlaub gefahren ist, sonst hätte er Brandenburg mit oder ohne Opas Erlaubnis knicken können. Darauf noch eine Dosis Monsterblood! Jannik prostet sich grinsend im Rückspiegel zu. Ist ja genug da, und die Verpflegung während der Reise ist inklusive. Zahlt alles Frau Spielvogel. Ist der Job hier cool oder cool?

Jannik beantwortet sich die Frage gleich selbst: Der Job ist obercool! So obercool, wie er selbst ab sofort ebenfalls sein wird. Auf immer und...
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