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Die Ketzer

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
526 Seiten
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am09.09.20161. Aufl. 2016
VON DER MACHT DES WORTES, DER LIEBE UND DES GLAUBENS

Deutschland, am Beginn der Reformation. Mit letzter Kraft haben Kristina und Witter ihre Häscher abgeschüttelt. Zuflucht finden die beiden Täufer in Giebelstadt, dem Heimatdorf von Lud, der ihnen schon einmal das Leben rettete. Auch hier schlägt ihnen, den 'Ketzern', Hass entgegen. Gefahr droht jedoch nicht nur von innerhalb des Dorfes: In Würzburg schmiedet Prinz Konrad Pläne, sich Giebelstadt und seine Ländereien unter den Nagel zu reißen, solange es herrenlos ist. Damit das nicht passiert, begeben Lud und Witter sich auf die gefährliche Reise nach England, um den Erben von Giebelstadt nach Hause zu holen: Florian Geyer, den Mann, der Jahre später zum Helden einer ganzen Region werden wird ...
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Produkt

KlappentextVON DER MACHT DES WORTES, DER LIEBE UND DES GLAUBENS

Deutschland, am Beginn der Reformation. Mit letzter Kraft haben Kristina und Witter ihre Häscher abgeschüttelt. Zuflucht finden die beiden Täufer in Giebelstadt, dem Heimatdorf von Lud, der ihnen schon einmal das Leben rettete. Auch hier schlägt ihnen, den 'Ketzern', Hass entgegen. Gefahr droht jedoch nicht nur von innerhalb des Dorfes: In Würzburg schmiedet Prinz Konrad Pläne, sich Giebelstadt und seine Ländereien unter den Nagel zu reißen, solange es herrenlos ist. Damit das nicht passiert, begeben Lud und Witter sich auf die gefährliche Reise nach England, um den Erben von Giebelstadt nach Hause zu holen: Florian Geyer, den Mann, der Jahre später zum Helden einer ganzen Region werden wird ...
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732522996
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum09.09.2016
Auflage1. Aufl. 2016
Reihen-Nr.2
Seiten526 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2192969
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2.
Witter

Es war Wochen her, seit Witter in diesem Bauerndorf gestrandet war, diesem kleinen Ort mit seiner jämmerlichen Burg und seinen rechtlosen Hörigen, diesen von Krieg und Pocken gebeutelten, des Lesens und Schreibens unkundigen Bewohnern.

Manchmal fand Witter sich im Traum zwischen den düsteren Bäumen im nächtlichen Wald wieder. Getrennt von den anderen, rannte er blindlings durch die Finsternis, Kristina an der Hand. Sie war die Einzige aus der Gruppe der Täufer, die ihm etwas bedeutete. Hinter ihnen erklangen die wütenden Schreie der Ketzerjäger und das Bellen ihrer Bluthunde.

Wieder flüchtete Witter vor den Jägern in die Dunkelheit, wieder versuchte er, Kristina zu retten, wieder sah er die große schwarze Bestie, die sich auf sie stürzen wollte, und stellte sich ihr in den Weg, ohne nachzudenken. Der kleine Dolch flog ihm aus der Hand, als er die Zähne des Hundes spürte und das erschreckende Gewicht des Tieres ihn zu Boden riss. Er roch den heißen Raubtieratem, und die roten Augen der Bestie starrten ihn an wie die eines Dämons ...

Witter warf sich stöhnend auf seinem Strohlager in der Hütte herum, als er wieder einmal gegen den erschreckend realen Traum kämpfte, bis er hochschrak und ihm bewusst wurde, dass er in Sicherheit war, zumindest für den Augenblick. Und die Bisswunden, die ihm der Bluthund beigebracht hatte, waren inzwischen verheilt.

Mein Leben ist eine einzige Flucht.

Sein ganzes bisheriges Erwachsenenleben hatte Witter wie ein Verbrecher verbracht, unter falschem Namen, immer wachsam und auf der Hut, oft voller Schlichen, manchmal voller Lügen. Von einer Stadt zur anderen, wo er immer wieder in neue Rollen geschlüpft war, um nicht entdeckt zu werden und keine Spuren zu hinterlassen. Eine Arbeit hier, eine Arbeit dort. Schlafen in Verstecken mit zuvor geplanten Fluchtwegen. Früher oder später erschien immer jemand, der ihn fragte, wer er wirklich sei. Woher er wirklich käme. Wo er so viele Sprachen gelernt und ein solches Geschick in den Künsten erworben habe. Wo er so viel über Bücher und das Leben erfahren habe.

Oft sehnte Witter sich nach der Wärme und Sicherheit, die er als Kind daheim in Córdoba als selbstverständlich empfunden hatte, im palastähnlichen Haus seines Vaters mit den vielen Dienern. Stundenlang hatte er in der Bibliothek gelesen, der verhätschelte Sohn des Judah, des berühmten jüdischen Philosophen und Gelehrten, bewundert von seiner schönen Mutter, die ihn in seinen Studien ermutigt hatte in der Hoffnung, er würde Rabbi werden.

Eine weitere Ironie des Schicksals: Hier, in diesem hinterwäldlerischen Dorf und unter aller Augen war er unsichtbarer, als er es im brodelnden Stadtleben jemals hätte sein können. Witter war jetzt ein Höriger von vielen.

Hörige galten nicht viel mehr als Vieh. Sie waren Arbeitstiere, rechtlos, stets verfügbar und ihrem Herrn auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Tiefer konnte man nicht sinken. Es kam vor, dass man ihnen nicht einmal einen Blick gönnte, wenn ihnen schwere Arbeit zugewiesen wurde. Deshalb hatte Witters relative Sicherheit einen hohen Preis: unerbittliche Plackerei.

Zuerst waren seine weichen Künstlerhände vom Schaufeln und Hacken aufgesprungen. Aus Blasen waren blutige Löcher geworden, doch er hatte seine geschundenen Hände in Lappen gewickelt und weitergeschuftet. Jeden Abend vor dem Schlafengehen hatte Grit ihm Schmalz auf die rohe Haut geschmiert. Schließlich waren die Handflächen hart geworden, so wie sein ganzer Körper kräftiger und widerstandsfähiger wurde von der schweren Arbeit.

Lud war der neue Vogt, und er war unerbittlich.

»Sobald ihr eure Füße sehen könnt, fangt an«, befahl er.

Und so standen die Hörigen in der Dunkelheit und warteten. Als kurz darauf der erste blutrote Streifen Sonnenlicht am Horizont erschien, begann der beschwerliche Arbeitstag. Schon nach kurzer Zeit war der Verstand nahezu ausgeschaltet von mühseliger Plackerei und stumpfsinniger Gewohnheit; die Monotonie wurde nur unterbrochen, wenn etwa eine Maus aus ihrem Loch gescheucht wurde oder ein Kaninchen die Flucht ergriff.

Ringsum brachen die Pflüge das widerspenstige Erdreich um, während Männer fluchten und Ochsen ächzten. Manchmal arbeitete Witter mit der Schaufel, manchmal schwang er einen Hammer, um Erdklumpen zu zertrümmern, die von den Pflügen nur umgedreht, aber nicht aufgebrochen worden waren. Wenn die Erschöpfung und die Schmerzen kamen, versuchte er sich durch Flucht in seine Gedanken davon abzulenken. Salziger Schweiß rann ihm in den Mund, und seine Zunge wurde trocken. Kinder brachten Wasser, das sie in Eimern von Feld zu Feld schleppten. Noch nie hatte Witter Brunnenwasser so gut geschmeckt, besser noch als Wein.

Die schwitzenden Hörigen hielten mit ihrer Arbeit inne, um das Wasser weiterzureichen, und lachten, wenn die Kinder mit Steinen nach Ratten warfen oder aufgeschreckte Kaninchen verfolgten.

Noch nie hatte Witter so schwer geschuftet, noch nie so tief und fest geschlafen. Seit Wochen träumte er einen immer wiederkehrenden Traum von einer Arche auf dem Meer, und er war an Bord. Dann sank die Arche, und er strandete auf einer Insel, nackt und hilflos. Das Meer ringsum war gefährlich, voller gefräßiger Kreaturen. Doch Witter war dem Tod entkommen, vorerst jedenfalls, und solange er auf der Insel blieb, war er in Sicherheit.

Jedes Mal kurz vor dem Aufwachen erkannte er, dass die Insel ein Dorf mit Namen Giebelstadt war. Das Meer war der große Wald jenseits des Geyer´schen Gutsbesitzes, auf dem Hörige schufteten, die durchs Gesetz an den Grund gebunden waren, den sie beackerten.

Die Raubtiere jedenfalls - Magistrate und fanatische Mönche - schienen das Interesse an Witter verloren zu haben, zumindest für den Augenblick.

Witter wohnte in einer kleinen Hütte, die der Kerzenmacherin Ruth gehörte. Er schlief dort zusammen mit Rudolf und Simon auf dünnen Strohsäcken. Grits Schlaflager war auf dem Dachboden. Oft stießen die Knie und Ellbogen der anderen Witter in den Rücken, doch sein Schlaf war meist so tief, dass er nicht davon erwachte.

Was ihn hochschrecken ließ, waren allein seine Träume. Vor allem die, in denen Kristina vorkam.

Kristina ...

Sie besuchte sie häufig abends in der Hütte, schlief aber nicht dort, sondern in der Burg, was für Witter alles noch schlimmer machte. Er wollte nicht an sie denken, nicht einen Augenblick. Manchmal, im Halbschlaf, überkam ihn ein unglaubliches Gefühl, sinnlicher und süßer als alle anderen; es überfiel ihn wie ein Dieb in der Nacht, ohne Vorwarnung und deshalb umso heftiger. Er dachte an die erotischen Visionen des Hohelieds Salomos.

Deine Lippen ziehen sich wie ein purpurnes Band aus Samt, deine Wangen schimmern wie die Scheiben eines Granatapfels, und deine Brüste sind wie zwei Zicklein, Zwillingsjunge der Gazelle, die auf Blumenwiesen weiden ...

Für Witter handelten sie von nur einer Frau: Kristina.

Er hasste es, in der primitiven Hütte aufzuwachen und als Erstes Rudolf und Simon zu erblicken, während er immer noch erregt war von seinen köstlichen Träumen. Hatte er im Schlaf über Kristina geredet? Er wusste es nicht. Manchmal dachte er den ganzen Tag an sie. Er kämpfte dagegen an, jedoch vergebens. Es trieb ihn nur dazu an, noch härter zu arbeiten, um sie wenigstens eine Zeit lang aus seinen Gedanken zu verdrängen.

Es war Jahre her, dass Witter sich im Schlaf so verletzlich, so ungeschützt gefühlt hatte, ohne Hoffnung auf ein Entkommen. Einmal war er nach draußen gegangen und hatte versucht, in einem Heuschober zu übernachten, wo er ungestört war und die nötige Ruhe hatte, seine jüdischen Gebete zu sprechen, zu trauern, zu weinen und seinen sehnsuchtsvollen Gedanken an Kristina nachzuhängen. Doch in dem Schober, halb vergraben im feuchten, modrigen Heu, war es zu kalt zum Schlafen, und in der nächtlichen Kühle schmerzten seine verheilenden Wunden.

Hier jedoch, im Innern der kleinen Hütte, in der er gemeinsam mit den anderen wie ein Tier in einem Bau hauste, herrschten wohltuende Wärme und freundschaftliche Herzlichkeit. Witter wurde inzwischen akzeptiert. Die Täufer hatten ihn als einen der ihren bei sich aufgenommen - eine Erkenntnis, die Witter zugleich tröstete und überraschte. Er brauchte dieses Gefühl der Zugehörigkeit und Geborgenheit, fürchtete sich aber auch davor, ihm zu vertrauen.

Die Dorfbewohner dagegen beäugten Witter und die anderen misstrauisch, oft feindselig. Witter konnte es ihnen nicht verübeln - er wusste, welche schlimmen Geschichten man sich über Andersgläubige erzählte, über Muselmanen, Juden, Täufer. Woher sollten diese Menschen wissen, dass das Wenigste davon der Wirklichkeit entsprach?

Witter war nie bewusst gewesen, wie leidensfähig und zäh die Hörigen waren. Wie wenig sie vom Leben erwarteten. Wie unermüdlich sie sich abrackerten. Lag es daran, dass sie über die Welt draußen so wenig wussten? Aber vielleicht war es besser so, schließlich waren sie hier gefangen.

*

Eines Abends kam Ruth zu ihnen in die Hütte, setzte sich und aß mit ihnen gemeinsam. Witter schlang hungrig seinen Anteil hinunter, wobei er Ruth im Auge behielt. Es musste einen Grund geben, dass sie an diesem Tag zu ihnen gekommen war. Was hatte sie im Sinn?

»Nicht dass ihr glaubt, ihr bekommt das Essen jetzt immer umsonst«, begann sie schließlich. »Ihr bekommt es, weil ich eure Arbeitskraft brauche.«

»Unsere Arbeitskraft?«, fragte Grit verwundert. »Aber wir schuften doch schon jeden Tag auf den...

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