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Der Tod wohnt nebenan

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Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am15.10.20101. Aufl. 2010
Eine Abrissparty in Barcelonas Armenhaus, dem Poble Sec. Die gesamte Nachbarschaft versammelt sich, um die alten Zeiten ein letztes Mal aufleben zu lassen. Doch ein grausiger Fund sprengt das Fest, denn die ersten Gäste stolpern über eine Leiche. Das Motiv für den Mord liegt tief in der Vergangenheit: Vor dreißig Jahren starb ein Kind bei einem Banküberfall. Der Haupttäter konnte damals fliehen - und liegt nun tot vor aller Augen. Für Inspector Méndez ist klar, dass der Vater des kleinen Jungen späte Rache genommen hat. Nun muss er Beweise finden und außerdem weiteres Blutvergießen verhindern. Denn das Opfer hatte Komplizen ...



Bestseller in Spanien und Italien, ausgezeichnet mit dem renommierten Krimipreis 'Premio de Novela Negra' 2008
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Produkt

KlappentextEine Abrissparty in Barcelonas Armenhaus, dem Poble Sec. Die gesamte Nachbarschaft versammelt sich, um die alten Zeiten ein letztes Mal aufleben zu lassen. Doch ein grausiger Fund sprengt das Fest, denn die ersten Gäste stolpern über eine Leiche. Das Motiv für den Mord liegt tief in der Vergangenheit: Vor dreißig Jahren starb ein Kind bei einem Banküberfall. Der Haupttäter konnte damals fliehen - und liegt nun tot vor aller Augen. Für Inspector Méndez ist klar, dass der Vater des kleinen Jungen späte Rache genommen hat. Nun muss er Beweise finden und außerdem weiteres Blutvergießen verhindern. Denn das Opfer hatte Komplizen ...



Bestseller in Spanien und Italien, ausgezeichnet mit dem renommierten Krimipreis 'Premio de Novela Negra' 2008
Details
Weitere ISBN/GTIN9783838704982
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2010
Erscheinungsdatum15.10.2010
Auflage1. Aufl. 2010
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2195640
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
10

Ich kann mich noch sehr genau an das Haus erinnern, in dem ich angefangen habe, mit den Mädchen mein Geld zu verdienen. Es lag in der Francia Chica, wie sie heute heißt, es ging nach Westen hinaus, wie das jetzige Haus auch. Das heißt, die Abendsonne legte sich träge auf die Fenster und wollte nicht weichen, sie ließ die Polster verbleichen, schluckte die Farbe aus den Vorhängen, und löschte die Bilder aus, die ich an den Wänden aufgehängt hatte, ländliche Szenen, wie sie die Mädchen so gerne hatten. Sie liebten das Grün, weil sie fast alle aus halb verdorrten Dörfern kamen. Eine schleppte sogar eine Urkunde für Chorgesang und Tanz an, Abteilung C, Mädchen. Die hatte man ihr verliehen, weil sie bei dem Fest des Schutzheiligen vor dem Bischof ein Solo getanzt hatte. Mal sehen, was für Erinnerungen ich, Madame Ruth, Spezialistin bei der Suche nach Freiern, sonst noch habe.

Von diesem ersten Etablissement und seinen Frauen ist nichts mehr übrig, nichts, nur die Sonne ... Die Sonne hat die armen Zimmer mehr und mehr erstickt, seit Barcelona erfunden wurde. Sie hat die Männer dazu gebracht, an den Fenstern nach einem kühlen Lufthauch zu suchen, und die Frauen dazu, dass sie sich breitbeinig auf die Stühle setzten, im einzig schattigen Winkel des Hauses, nur um festzustellen, dass mit der Hitze ihr Schoß zu riechen begann. Und ich muss sagen, es rochen auch die Küchen und die Betten. Obwohl all das - ich erinnere mich noch gut - in meinem Haus längst nicht so schlimm war wie anderswo im Viertel, denn ich hatte überall Ventilatoren aufgestellt, und nach jeder Benutzung wurde die Bettwäsche gewechselt. Außerdem aßen die Mädchen nicht dort, und die Küche war immer blitzblank, auch wenn sie in einem Arbeiterviertel lag.

Diese Etage mit den Spiegeln in den Zimmern wurde in jener Zeit bereits verändert, und sie wird bald ganz verschwunden sein, denn das Haus wird abgerissen. Das Haus, in dem ich jetzt lebe, diese Luxusbehausung, das alte Landhaus, das dem Marqués gehörte, wird ebenfalls von der Sonne durchflutet. Klar, wenn die Reichen früher in die Sommerfrische gingen, suchten sie die Sonne. Ich würde sogar sagen, es ist schlimmer als in Francia Chica, denn das jetzige Haus liegt in einer schmaleren Straße, und es gibt keine anderen Gebäude als Schutzschild gegen die Sonnenstrahlen. Von meinem Fenster aus sehe ich Bäume, ich höre das Geschrei der Kinder, die in einem Vorgarten spielen. Auch damals, in dem alten Haus, habe ich sie gern gehört. Und weil ich früher noch laufen konnte, lehnte ich mich aus dem Fenster und vertrieb mir die Zeit damit, ihnen zuzuschauen, obwohl ich den Müttern, die mich kannten, ein Dorn im Auge war. Jetzt kann ich das nicht mehr, jetzt kostet es mich schon enorme Anstrengung, aus dem Sessel aufzustehen, und manchmal denke ich, wenn mich niemand sieht, hasst mich auch niemand.

Aber weit gefehlt.

Mabel hasst mich, und Mabel ist ausgerechnet die Person, die mich pflegen soll. Sie hat kein Mitleid, auch jetzt nicht, da sie weiß, dass ich sterben werde, dass der Krebs mich auffressen wird, bis keine Brüste und keine Lippen, kein Fleisch und kein Blut mehr übrig sind. Ich weiß das nur zu gut, und das Einzige, was ich mir wünsche, ist ein barmherziger, schneller Tod. Ich habe den Arzt schon hundertmal darauf angesprochen, aber der kommt immer wieder mit der alten Leier von der Wissenschaft: Heutzutage würden wahre Wunder vollbracht, das Gewebe regeneriert sich, es gibt Transplantationen, so starke und wirkungsvolle Bestrahlungen, dass sie am Kopf ein- und am Hintern wieder austreten.

Und weil ich weiß, dass es bei dem Arzt zwecklos ist, habe ich an jemand anderen gedacht. Mal sehen, ob eine Frau, die Geld hat - und die darüber hinaus Marquesa ist und schon zweimal in der Hola abgelichtet war - nicht auf würdige Art zu sterben versteht.

Doch meine Gedanken - die keine Gedanken sind, sondern Erinnerungen - reißen plötzlich ab, und ich fühle mich auf einmal wieder entsetzlich gefangen.

Mabel ist gerade hereingekommen.

Mabel schaut mich an wie immer, voller Genugtuung und Hass.

Aber sie hat ihre Geschichte.

Ich muss es ja wissen.

Als ich das Haus in Francia Chica hatte, mit einer fast schon zur Familie gehörenden Handwerker-Klientel, wo sich Bettgenossen und -genossinnen gegenseitig die Bilder ihrer Kinder zeigten, tauchte dort der Marqués de Solange auf, der die Luxushuren satthatte und dem es nach Arbeiterhintern gelüstete. Und als er zufällig durch die Straße ging, fiel ihm eines meiner Mädchen auf, er folgte ihr und sah sie hineingehen. Aber er vergaß Nati sogleich, als er mich sah, damals war ich jung, groß, stark und ich hatte das Gesicht einer Jungfrau aus römischer Zeit. Ich gebe zu, ich hatte damals schon mehrere Freunde gehabt - einer davon hatte mir das Etablissement eingerichtet -, aber das sah man mir nicht an. Vielmehr sah ich aus, als wäre ich gerade aus einem Kloster in Ávila weggelaufen. Der Marqués hatte eine sehr katholische Mutter mit einer spitzen Zunge, die immer zu ihm sagte, er solle nicht mit verkommenen Frauen mit Flittchengesicht herummachen, aber er hörte nicht auf sie und machte mit verkommenen Frauen mit Mädchengesicht herum. Wir gingen in das beste Zimmer, obwohl ich ihm hundertmal sagte, ich würde nicht mit Freiern schlafen - was auch stimmte - und er hundertmal erwiderte, er würde mir die Einkünfte eines ganzen Monats zahlen, was er auch tatsächlich tat. Ich schlug ihm ein paar Sachen vor, die er noch nicht kannte, obwohl er aus einer großen Familie aus fruchtbaren Mönchen und lüsternen vornehmen Herren stammte.

Er war begeistert.

Die untergehende Sonne war so lange Jahre meine Begleiterin, dass ich manchmal das Gefühl habe, die Zeit sei unwirklich, sie sei nicht vergangen. Es fällt mir schwer, mich zu erinnern - und manchmal auch zu begreifen -, wie der Marqués sich nach der anfänglichen Begeisterung in mich verlieben konnte, obwohl es so viele Jungfrauen gab, so viele friedliche Muschis und so viele hingebungsvolle Mütter, die zu allen Schandtaten bereit waren. Ich weiß sehr wohl, dass die Faszination des Bettes, die Entdeckung der Frau des Lebens, nicht von langer Dauer ist, doch im Falle des Marqués währte sie ein ganzes Leben.

Gut, sein Leben war kurz.

Mein Gott, die Sonne fällt jetzt mit einer solchen Kraft ein, dass sie bis tief in meinen Kopf vordringt und einen Schwindel erzeugt, von dem ich mich nicht befreien kann, nur weil Mabel nie die Vorhänge vorzieht oder das Fenster ein wenig öffnet, damit die Hitze entweichen kann. Mabel sollte wissen, wie weh das tut.

Mabel hat unter vielen Männern geschwitzt.

Aber alles fing mit dem Marqués de Solange an, ohne den Marqués wäre das alles nicht geschehen. Ich wusste lediglich, dass er viel Geld hatte, dass seine Mutter bald sterben würde (nicht ohne vorher - vergeblich - zu versuchen, ihr Vermögen einem Stiftsherrn zu vermachen) und dass er selbst nicht im Geruch der Heiligkeit sterben wollte, ohne je einen Harem besessen zu haben. Deshalb hat er, obwohl er mich stets vorgezogen hat, jedes meiner Mädchen ausprobiert, alle, die ich hatte, und eine, die nicht zu mir gehörte: Mabel.

Mabel kam von der Straße, blond, zerbrechlich, arm, sie hatte die üppigen Rundungen einer wollüstigen Frau, einen reinen Blick, und sie war erst fünfzehn Jahre alt. Mabel.

Ich hatte mich schon oft als Kupplerin betätigt - das war schließlich mein Geschäft -, aber ich war keine Kupplerin, die suchte, sondern eine, die empfing. Die Mädchen selbst läuteten vom Hunger getrieben an meiner Tür. Ich zeigte ihnen das Etablissement, sprach mit ihnen über die Preise, gab ihnen ein wenig Nachhilfe in Sachen Eleganz (darauf verstehe ich mich, jedenfalls tat ich das damals), und dann weihte ich sie in das Metier ein, nicht mit einem x-beliebigen, sondern mit einem Freier meines Vertrauens.

Eine Minderjährige hätte ich niemals akzeptiert. Nie. Mehr noch, zu meiner Zeit waren die Gesetze härter als heutzutage, heute kann ein Mädchen mit achtzehn auf den Strich gehen, damals erst mit dreiundzwanzig, obwohl man schon mit einundzwanzig volljährig war. Erst mit dreiundzwanzig, das wusste ich. Natürlich wusste ich auch, dass es immer sechzigjährige Männer auf fünfzehnjährigen Mädchen geben würde, solange Geld winkt. Aber damit hatte ich nichts zu tun.

Na ja, einmal eben doch.

Der Marqués hatte Mabel oft auf der Straße gesehen, er wusste, dass sie arm wie eine Kirchenmaus war, und bat mich, ein letztes Mal als Kupplerin tätig zu werden, ein letztes Mal, ein allerletztes Mal. Er sagte, ein letztes Mal, dabei wusste ich, dass es im Grunde das erste Mal war. »Es kann doch nicht so schwer sein, ein Mädchen aus dem Viertel zu überreden. Komm Ruth, tu es, bitte, bitte, bitte ...«

Und ich tat es.

Und von da an scheint die Zeit stillzustehen, und doch ist sie vergangen.

Und hier ist Mabel.

Schön, Ruth, hier sehen wir also Mabel, die Frau, die dich pflegt und deine einzige Verbindung zu dieser Welt ist. Mabel war groß, sie hatte ausladende Hüften, die jetzt nicht mehr in Mode sind, weil die großen Gurus der Welt, die Diätspezialisten, diese Hüften in Verruf gebracht haben. Das muss man sich mal vorstellen - sagte mal eine gebildete Hure -, dreitausend Jahre Malerei und Bildhauerei, und jetzt das: die Entdeckung der geraden Linie an der Frau.

Mabel hat eine sehr feine Haut im Gesicht und am Dekolleté - dachte Ruth -, die Zungen und Gebisse der Freier haben dort keinerlei Spuren hinterlassen. Die Beine sind etwas dick geworden, und man könnte sagen, sie hat ein wenig Zellulitis an den Schenkeln, aber das ist eben das...
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