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Schweige nun still

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am19.02.2018
Eine junge Frau wird in die Station für Koma-Patienten des St. Catherine Hospital eingeliefert, nachdem man sie bewusstlos in einem Straßengraben gefunden hat. Ein tragischer Unfall mit Fahrerflucht? Im Bett neben Cassie liegt Frank, der am Locked-in-Syndrom leidet: Er nimmt alles wahr, kann sich aber nicht mitteilen. Die Menschen um ihn herum verhalten sich so, als wäre Frank gar nicht da. Und so ist er es, der als einziger die Puzzleteile von Cassies Vergangenheit zusammensetzt und erkennt, dass sie noch immer in tödlicher Gefahr schwebt. Denn jemand aus ihrer nächsten Nähe würde alles tun, damit das Schweigen gewahrt bleibt, niemals ans Licht kommt, was wirklich geschehen ist ...

Emily Elgar verbrachte mehrere Jahre als Reiseschriftstellerin in Südafrika. Später war sie von New York und Istanbul aus für eine internationale NGO tätig. Heute lebt sie mit ihrem Mann in der Nähe von London, arbeitet für eine Wohltätigkeitsorganisation - und schreibt an ihrem nächsten Spannungsroman.
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Produkt

KlappentextEine junge Frau wird in die Station für Koma-Patienten des St. Catherine Hospital eingeliefert, nachdem man sie bewusstlos in einem Straßengraben gefunden hat. Ein tragischer Unfall mit Fahrerflucht? Im Bett neben Cassie liegt Frank, der am Locked-in-Syndrom leidet: Er nimmt alles wahr, kann sich aber nicht mitteilen. Die Menschen um ihn herum verhalten sich so, als wäre Frank gar nicht da. Und so ist er es, der als einziger die Puzzleteile von Cassies Vergangenheit zusammensetzt und erkennt, dass sie noch immer in tödlicher Gefahr schwebt. Denn jemand aus ihrer nächsten Nähe würde alles tun, damit das Schweigen gewahrt bleibt, niemals ans Licht kommt, was wirklich geschehen ist ...

Emily Elgar verbrachte mehrere Jahre als Reiseschriftstellerin in Südafrika. Später war sie von New York und Istanbul aus für eine internationale NGO tätig. Heute lebt sie mit ihrem Mann in der Nähe von London, arbeitet für eine Wohltätigkeitsorganisation - und schreibt an ihrem nächsten Spannungsroman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641213749
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum19.02.2018
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3021 Kbytes
Artikel-Nr.2363729
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Alice

Ich setze mich zu ihm, auf den gewohnten Stuhl. Sein Kopf ist mir zugewandt, und er wartet geduldig darauf, dass ich beginne. Mit einer Begrüßung rechne ich nicht, und das ist auch gut so, denn von ihm kommt nie eine. Er wartet einfach ab, profimäßig, denn früher oder später fange ich stets an zu reden.

»Hallo, Frank. Frohes neues Jahr. Ich hoffe, Sie haben Weihnachten gut überstanden. Es ist schön, Sie wiederzusehen.« Ich lächle ihn an.

Er regt sich nicht, zuckt mit keiner Miene.

»Es kommt mir vor, als wäre ich eine Ewigkeit weg gewesen.« Ich blicke mich um, sein spärliches kleines Abteil sieht aus wie immer. Nach all dem Regen ist das helle Januarlicht, das durch das Fenster hereinströmt und die Staubpartikel in der Luft einfängt, eine wahre Erholung.

»Weihnachten war ganz nett. Ich hatte Ihnen doch erzählt, dass David und ich nach New Forest fahren würden, um meine Familie zu besuchen, nicht wahr? Also, Claire, meine Schwester, hat unsere Eltern in die ausgebaute Scheune umgesiedelt, damit Martin und sie und die Kinder ins Haupthaus ziehen können. Ich dachte, es würde mir nichts ausmachen, aber es war doch ziemlich merkwürdig, das Haus, in dem wir aufgewachsen sind, voll mit anderen Sachen zu sehen. Na ja, David meinte, dass meine Eltern glücklich über das neue Arrangement wirken, und das ist ja schließlich die Hauptsache.«

Der Plan war von meiner anderthalb Jahre jüngeren Schwester Claire ausgebrütet und dann zielstrebig ausgeführt worden. Sie hatte verkündet, es sei doch absurd, dass unsere Eltern in ihrem großen georgianischen Haus mit vier Schlafzimmern herumgeisterten, während sie sich mit ihrer Familie in einer engen Mietwohnung drängen müsse. Der Umbau der alten, rußgeschwärzten Scheune war von meinem Mann David, der Architekt ist, entworfen und innerhalb eines knappen halben Jahres fertiggestellt worden. Meine Eltern hatten ihre Vogelbücher, ihre Teebecher und ihren alten Eichentisch genommen, an dessen einer Längsseite immer noch »Alice Taylor« eingeritzt steht, und waren in ihrer gewohnt bescheidenen Art in ihr neues Zuhause hinübergeschlurft. Für den Rest hatte Claire einen Container gemietet.

Frank wartet darauf, dass ich weitererzähle.

Ich rutsche auf meinem Stuhl herum. »Die Kinder waren süß. Harry, mein fünfjähriger Neffe, hat vor Kurzem Kopfläuse gehabt und entdeckt, dass in Alice lice wie Läuse steckt. Daraufhin hat er mich die ganze Weihnachtszeit über Bäh-lice oder Alice im Läuseland gerufen. David fand das todkomisch. Ich habe Martin gegenüber angedeutet, dass er das Harry mal verbieten könnte, aber entweder hat er es nicht verstanden, oder er wollte nicht. Bei Martin weiß man nie so genau.«

Ich habe mir immer noch kein endgültiges Urteil über meinen phlegmatischen, achselzuckenden Schwager gebildet. Entweder ist er ein stilles Genie oder alles andere als eine Leuchte. David meint, er hätte einfach einen Weg gefunden, sich das Leben leicht zu machen, und dann wäre er allerdings ein Genie, denn er ist immerhin mit meiner Schwester verheiratet.

»Claire und ich sind uns zum Glück nicht allzu sehr auf den Wecker gegangen, aber einen kleinen Zwischenfall gab es doch, ausgerechnet am Weihnachtstag.« Ich beuge mich vertraulich zu Frank vor. Mit den meisten Leuten kann ich nicht so über die Kinder reden, deshalb genieße ich es jetzt regelrecht. »Ich hatte Harry gerade beim Baden beaufsichtigt und war hinunter in die Küche gegangen, wo ich Claire doch tatsächlich dabei ertappte, wie sie Weintrauben für Elsa schälte ... Trauben schälen, also ehrlich! Ich meine, für ein Baby, okay, aber für eine Dreijährige? Claire hat mir offenbar angesehen, was ich dachte, denn sie fühlte sich sofort bemüßigt zu erklären, dass Elsa sie mit Schale nicht essen würde. Kurz darauf ist zum Glück David hereingekommen und hat mich davon abgehalten, ihr die Meinung zu sagen.«

Letzteres stimmt nicht ganz. Davids Gegenwart hat zwar einen ausgewachsenen Streit verhindert, aber ich hatte mich zuvor nicht davon abhalten können zu murmeln: »Sie hat dich um den kleinen Finger gewickelt«, als Claire sich über ihren neuen Küchentisch beugte und mit dem Fingernagel eine Traube bearbeitete, während Elsa in ihrem Hochstuhl saß und gegen die Tischkante trat wie ein kleiner Diktator.

Claire sah mich scharf an. »Was hast du gesagt, Ali?«

Elsa hatte aufgehört, gegen den Tisch zu treten, ihre Wangen rotfleckig von Traubensaft, und schien ungehalten über meine Einmischung, wo doch alles gerade so schön glatt für sie lief.

»Also wirklich, Claire, du schälst immer noch Trauben für sie?«

Claire war mit der Traube fertig und gab sie Elsa, die sie sich schnappte, ohne mich aus den Augen zu lassen, und mit ihrer pummeligen Faust gierig in den Mund schob.

»Ich möchte einfach, dass sie mehr Obst isst, und das ist die einzige Möglichkeit«, erklärte meine Schwester mühsam beherrscht. Elsa saugte an der Traube herum und versuchte, ihre glitschige, hautlose Oberfläche mit den Zähnen zu fassen zu bekommen. Claire trank einen Schluck Wein. »Lass mich einfach machen, Alice, ja?«, sagte sie, was im Klartext hieß: »Du hast keine Kinder, also kannst du das nicht verstehen.« In dem Moment kam David herein, perfektes Timing wie immer. Sein Weihnachts-Papierhütchen war unten ausgerissen, und seine früh ergrauten Haare quollen wirr darunter hervor. Er merkte sofort, dass ich angetrunken und müde genug war, um einen kleinlichen Streit vom Zaun zu brechen.

»Komm mit, Alice, und hilf deinem Dad und mir, Martin und deine Mum zu schlagen.« Sie hatten begonnen, Brettspiele im Wohnzimmer zu spielen, während ich Claire mit den Kindern geholfen hatte. David kann Streitereien nicht ertragen, also folgte ich ihm hinüber, Elsas Hochstuhl ausweichend, um Trivial Pursuit zu spielen. Beim Hinausgehen sah ich etwas, das an einen hellgrünen Augapfel erinnerte, aus Elsas Mündchen hervorlugen. Später ist David dann auf die geschälte Traube getreten, und ich habe mich bei Claire entschuldigt, und wir haben über die Traubenspur gelacht, die David über die Schieferfliesen gezogen hatte.

An dieser Stelle meiner Geschichte würde ein Therapeut vielleicht fragen: »Und was hat die Bemerkung Ihrer Schwester für Gefühle in Ihnen ausgelöst?« Aber nicht Frank, das ist nicht sein Stil.

Also erzähle ich weiter. »Aber sonst war es wirklich schön. Mum und Dad waren lieb und still wie üblich. Immer noch total vernarrt in Harry und Elsa. Sie finden es wunderbar, sie ganz in ihrer Nähe zu haben. Das war wohl früher das Normale: Die Großeltern halfen mit bei der Kindererziehung und brachten ihren Enkeln Sachen bei, erzählten ihnen, wie es war, als sie noch Kinder waren, und so weiter.« Ich unterbreche mich und schlucke, nicht sicher, wie ich in dieses Bild einer heilen Großfamilie hineinpasse. Rasch wechsle ich das Thema und frage mich flüchtig, ob Frank es merkt. »Danach hatten wir Simon, Davids Dad, für ein paar Tage zu Besuch, und an Silvester waren wir bei Jess und Tim - das ist das befreundete Paar aus der Nachbarschaft, von dem ich Ihnen erzählt habe -, also alles ganz ruhig und gemütlich, noch mehr Brettspiele und Wein.« Ich zucke die Achseln. »Es war nett.« Simon, der Witwer ist, seit Davids Mutter Marjorie vor fünf Jahren ihrem Brustkrebs erlag, hat eine neue Liebe namens Golf gefunden und wirkt recht zufrieden. Mehr fällt mir nicht zu erzählen ein. Frank scheint jedoch zu ahnen, dass ich ihm etwas verschweige - ein Versprechen, das ich jüngst gegeben habe und ständig aus meinen Gedanken zu verscheuchen versuche wie eine lästige Fliege.

Ich lehne mich auf dem Besucherstuhl zurück. Frank hat sich in der Weihnachtspause nicht verändert. Sein Kopf mit dem ausgemergelten Gesicht ruht schwer auf dem Kissen und wird halb von dem Beatmungsgerät verdeckt. Ein dicker blauer Plastikschlauch verbindet ihn damit und erinnert an den Tentakel eines Kraken, der brutal aus dem Luftröhrenschnitt in seiner Kehle ragt. Sein Körper ist zusammengeschrumpft, nur noch eine Strichzeichnung, aber sein Kopf wirkt hart und kompakt wie eine Marmorbüste. Der Beatmungsapparat und die Monitore hinter ihm klicken und piepen endlos die Sekunden hinweg. Sie kommen mir heute lauter und aufdringlicher vor als sonst.

Lucy, Franks Tochter, hat mir einmal erzählt, dass er einen breiten südenglischen West-Country-Akzent hat. Ich habe eine Schwäche für Akzente. Schade, dass ich ihn wahrscheinlich nie werde sprechen hören. Er ist nur noch ein Schatten des alten Frank, den ich von Fotos kenne. Seine Haut ist fahl von der Krankenhausluft, und seine Haare liegen weiß und dünn wie gezupfte Baumwolle um seinen Schädel.

Als er vor zwei Monaten hier aufgenommen wurde, waren sie noch kastanienbraun, so wie meine. Ich erinnere mich, dass eine meiner Kolleginnen, Carol möglicherweise, gesagt hat, wir könnten Geschwister sein. Vielleicht war es diese Bemerkung, die mich dazu bewogen hat, viel mit ihm zu sprechen. Vielleicht tue ich es aber auch, weil er schon so lange hier ist und die Wochen vergehen, ohne dass er Besuch bekommt, oder einfach deshalb, weil er ein so guter Zuhörer ist.

Mein Gefühl sagt mir, dass Frank mehr bei Bewusstsein ist, als seine Gehirnscans und Testergebnisse zeigen, aber Gefühl und Erfahrung zählen nichts hier auf 9B, alles muss durch Apparate und Kurvendiagramme belegt werden, bevor etwas unternommen wird. Als Frank hier ankam, war es, wie mit einer leeren Kiste zu reden - er war weit weg, keine Ahnung, wo -, aber wenn ich jetzt bei ihm sitze, spüre ich seine Gegenwart. Ich weiß, dass er mir zuhört. Ohne einen Muskel zu bewegen oder ein Wort...

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Emily Elgar verbrachte mehrere Jahre als Reiseschriftstellerin in Südafrika. Später war sie von New York und Istanbul aus für eine internationale NGO tätig. Heute lebt sie mit ihrem Mann in der Nähe von London, arbeitet für eine Wohltätigkeitsorganisation - und schreibt an ihrem nächsten Spannungsroman.