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Zurück auf Los!

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am22.04.20171. Auflage
Glück ist völlig normal für Franka und Phinus Vanmeer. Solange alles in Ordnung ist, ergänzen sie sich gut. Vor allem Phinus geht in seiner Vaterrolle auf. Jem ist ein strahlender Junge, der mit seinen Eltern vieles teilt. Da sehen sie gerne über so kleine Details wie die unverzichtbare Baseballkappe - natürlich mit Schirm im Nacken - hinweg. Die brauchen offensichtlich alle Fünfzehnjährigen. Doch Glück kann durch eine sinnlose Tat zerstört werden: Jem wird bei seinem ersten Diskobesuch von einem Jugendlichen erschossen. Einfach so, weil der betrunken ist und wütend über ein verlorenes Baseballspiel. Dieser Zufall platzt wie eine Bombe in das Leben der Eltern, die sich in der Folge fremd werden. Während Phinus geradezu besessen die Bestrafung des Täters verfolgt, will Franka trauern, will die Erinnerung an Jem pflegen. Erdrückt von Schuldgefühlen, kann Phinus nicht erkennen, dass die Spielregeln, denen er das Leben zu unterwerfen gewohnt ist, nicht mehr greifen. Immer tiefer verstrickt er sich und Franka in ein Labyrinth der Missverständnisse, in dem Glück und Trauer, Wut, Hass und Liebe oft nahe beieinander liegen. Dabei könnte alles einfacher sein: wenn Phinus nur den selbstkritischen Blick in den Spiegel wagte.

Renate Dorrestein, 1954 in Amsterdam geboren, ist eine niederländische Autorin, Journalistin und Feministin.
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Produkt

KlappentextGlück ist völlig normal für Franka und Phinus Vanmeer. Solange alles in Ordnung ist, ergänzen sie sich gut. Vor allem Phinus geht in seiner Vaterrolle auf. Jem ist ein strahlender Junge, der mit seinen Eltern vieles teilt. Da sehen sie gerne über so kleine Details wie die unverzichtbare Baseballkappe - natürlich mit Schirm im Nacken - hinweg. Die brauchen offensichtlich alle Fünfzehnjährigen. Doch Glück kann durch eine sinnlose Tat zerstört werden: Jem wird bei seinem ersten Diskobesuch von einem Jugendlichen erschossen. Einfach so, weil der betrunken ist und wütend über ein verlorenes Baseballspiel. Dieser Zufall platzt wie eine Bombe in das Leben der Eltern, die sich in der Folge fremd werden. Während Phinus geradezu besessen die Bestrafung des Täters verfolgt, will Franka trauern, will die Erinnerung an Jem pflegen. Erdrückt von Schuldgefühlen, kann Phinus nicht erkennen, dass die Spielregeln, denen er das Leben zu unterwerfen gewohnt ist, nicht mehr greifen. Immer tiefer verstrickt er sich und Franka in ein Labyrinth der Missverständnisse, in dem Glück und Trauer, Wut, Hass und Liebe oft nahe beieinander liegen. Dabei könnte alles einfacher sein: wenn Phinus nur den selbstkritischen Blick in den Spiegel wagte.

Renate Dorrestein, 1954 in Amsterdam geboren, ist eine niederländische Autorin, Journalistin und Feministin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783688101825
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum22.04.2017
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse665 Kbytes
Artikel-Nr.2364875
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Erster Teil Schachmatt

Was Jem immer sagte

«Papa, jetzt sei doch mal ernst!», sagte Jem. «Wie viele Finger halt ich hoch?»

«Elf?», sagte er. «Glaub mir, ich kann wirklich nichts sehen.»

Jem lief um ihn herum und zog den Knoten der Augenbinde noch einmal fester zu. Seine nackten Füße patschten über den Küchenfußboden. Man hörte das Zischen einer Sprudelflasche, die geöffnet wurde. Und wie etwas in ein Glas gluckerte.

Es war Sonntagmorgen, sieben Uhr. Sogar mit verbundenen Augen wusste man, dass der Garten draußen in voller Blüte stand und das Sonnenlicht schon in den Felgen des Kinderrades funkelte, das ins Gras geworfen worden war, neben einen umgedrehten Eimer und einen Tennisball. Es war Hochsommer. Und über allem lag diese spezielle Stille, die nur dann herrscht, wenn die Erwachsenen fast alle noch schlafen. Nicht mehr lange, und es würde wieder losgehen mit dem Reden, Analysieren und Organisieren, es würden wieder Beschlüsse gefasst und Fragen angeschnitten werden, die keinen Aufschub duldeten, es würden Pläne gemacht und Aufgaben verteilt werden. Aber jetzt noch nicht.

Mit einem Knall landeten zwei Gläser auf dem Tisch, und Phinus drehte das Gesicht in die Richtung, in der er Jem vermutete. Er fragte: «Hast du dir gemerkt, was du in welches Glas getan hast?»

«Ja, Coca in Bert und Pepsi in Ernie.»

«Okay, ich bin bereit.» Er streckte die rechte Hand aus.

Doch sofort schlossen sich Jems Finger um sein Handgelenk. «Warte. Um was wetten wir? Heute Nachmittag ins Schwimmbad?»

«Schon wieder?»

«Ja, und diesmal nicht gleich wieder aus dem Wasser raus. Du musst zehnmal ganz auf und ab. Sonst lernst du´s nie, und dann ertrinkst du eines Tages.»

«Ich neige von Haus aus nicht dazu, ins kalte Wasser zu springen, Jemmie. Und außerdem ist deine Mutter eine hervorragende Rettungsschwimmerin.»

«Dich schafft Mama nie und nimmer.»

«Mama schon.»

Jem ließ das Thema fallen. «Na los, probier!»

Phinus langte nach den Gläsern, und für einen kurzen, desorientierten Moment schwebten seine Hände im Leeren. Dann klammerten sie sich an der Tischkante fest wie am rettenden Ufer. Sonntagmorgen, zehn nach sieben, und auf einmal wurde ihm mit Bestürzung der natürliche Lauf der Dinge bewusst: Jem würde ihn eines Tages verlieren, Jem würde selbstverständlich sowohl ihn als auch Franka überleben. Wo und bei wem konnte man genügend Zeit dafür erbitten, ein Kind behütet großzuziehen? Aber wann waren sie groß? Wenn sie keine Apfelsinenschalengebisse mehr machten oder wenn sie ...

«Du traust dich nicht!», rief Jem.

«Ich konzentriere mich.»

Jem prustete vor Lachen. «Ich zähle bis drei.»

Sonntagmorgen, zwölf nach sieben. Er nahm ein Glas. Kohlensäure sprudelte ihm an die Nase. Er stellte das Glas hin und griff zu dem anderen. Noch viel mehr Bläschen. Fade Bläschen. Lasche Bläschen. Ein wenig fettig auch.

Neben ihm atmete Jem vor Aufregung stoßweise ein und aus.

Zusehends animierter trank er mal aus dem einen, mal aus dem anderen Glas. Süßer? Weniger süß? Geschmacklich war der Unterschied minimal. Die Kohlensäure gab den Ausschlag. «Ha!», sagte er. «Soll ich dir was sagen?» Er setzte sich auf. «Das hier hat das markantere Prickeln. Explosiv, aber dennoch stetig, ein Sprudel mit Persönlichkeit, distinguiert und prägnant, ein ausgeklügeltes Produkt. Während das hier» - er fand das andere Glas - «viel muffiger ist, mit einem labbrigen Schlaffisprudel ohne Sex-Appeal. Jem, mein Junge: Ich wette alles drauf, dass das erste Coca ist und das zweite Pepsi.»

«Oh! Du hast gelinst!» Jem ging mit trommelnden Fäusten auf ihn los.

Phinus nahm die Schläge willig hin, während er sich die Augenbinde herunterzog. «Bert! Ich hab gewonnen!»

Hinter ihm erklang Frankas verschlafene Stimme. «Na, Männer, was führt ihr denn im Schilde?»

«Nur ein Spielchen», sagte er, sich umdrehend.

Sie stand blinzelnd in der Küchentür, in einem alten T-Shirt von ihm, das ihr bis zu den Oberschenkeln hinunterreichte. Ihre Blicke kreuzten sich, und sie lächelte kurz. Sie fragte Jem: «Und, hat Phinus dich in die Tasche gesteckt?»

«Jetzt du, Mama! Du musst raten, wo Schlaffisprudel drin ist, in Pepsi oder in Coca. Mach die Augen zu.»

«Das ist kinderleicht.» Phinus erhob sich und drückte ihr einen Kuss auf das zerzauste Haar. Dann ging er an den Kühlschrank und nahm Eier, Speck und Butter heraus. Er stellte schon einmal die Pfanne auf den Herd und begann, leise vor sich hin pfeifend, Apfelsinen zu halbieren.

«Was ist denn Schlaffisprudel?», fragte Franka.

«Der ist nicht sexy!», rief Jem aus.

«Sehr gut», sagte Phinus zufrieden. Unterscheidungsvermögen, darauf kam es im Leben an. Zügig presste er die Apfelsinen aus. Dann kehrte er die letzte Schale mit der Innenseite nach außen und griff, in sich hineinkichernd, zu einem Messer.

«Nicht sexy?», sagte Franka. Sie hatte sich zu Jem an den Tisch gesetzt. Durch die selten geputzten Fenster fiel in breiten Bahnen staubiges Sonnenlicht auf sie. «Und was ist deiner Meinung nach denn wohl sexy, mein kleiner Experte? Ein nackter Popo?»

Ernst sagte Jem: «Nein, wenn ihre Haare so sind.» Er beschrieb eine Wellenlinie.

«Ja, das ist hübsch.»

Phinus mit seinem Apfelsinengebiss stand jetzt direkt hinter ihnen. Gleich würden sie sich kringeln vor Lachen.

Franka fragte: «Und was würden sie an dir sexy finden?» Dann sah sie über ihre Schulter. «Was hickst du denn so, Phinus? Möchtest du einen Schluck Cola?»

 

Es muss durch den roten Coca-Cola-Laster gekommen sein, der gerade vorbeigefahren ist. Der kleinste Auslöser genügt, der harmloseste Anblick, der alltäglichste Gegenstand. Die Welt ist zu einem Minenfeld geworden: Überall lauern Erinnerungen, die jeden Moment hervorspringen können. Seine Hände krampfen sich um das Lenkrad.

«Was für ein Seufzer!», sagt Franka neben ihm. Sie berührt sein Knie. «Soll ich das Steuer übernehmen?»

«Nein, nein.» Er blickt in den Rückspiegel. Es ist nicht viel Verkehr auf der Straße.

«Lass uns gleich mal eben bei dem Café auf dem Abschlussdeich halten.»

Er legt eine Hand auf die ihre und drückt sie kurz.

Sie passieren die Schleusen. Vor ihnen erstrecken sich dutzende Kilometer Deich, quer durch das Meer, das Meer, das gibt und nimmt, wie es in diversen Balladen besungen wird. Es ist Freitagnachmittag. Es ist fast Ostern.

Auf dem Parkplatz weht der Wind so heftig, dass sie, jeder auf seiner Seite, kurz mit den Autotüren zu kämpfen haben. Auf den glatten Eingangsstufen zum Café fasst Phinus Franka beim Arm. Ihr leichter Regenmantel flattert ihr um die Beine, ihm stehen die Haare senkrecht vom Kopf ab: In der Spiegelung der Glastür sehen sie aus wie jedes andere windzerzauste Ehepaar.

Drinnen hängen an allen Wänden - und sogar über der Theke mit den Kakaofläschchen, den marzipangefüllten Kuchen und den Würstchen in Blätterteig - gerahmte Schwarzweißfotos, auf denen schnurrbärtige Männer abgelichtet sind, die in Ölzeug heroisch die Elemente bezwingen. «Ein Volk, das lebt, baut an seiner Zukunft.» Vor und nach jedem Wochenende auf Terschelling oder Vlieland haben sie hier kurz Rast gemacht, in diesem unansehnlichen Lokal, das kaum größer ist als ein Schuhkarton, um sich diese Fotos anzuschauen, diese entschlossenen Baggerer und Baumeister, die zu ihren Kindern sagen konnten: «Ich habe das Meer Mores gelehrt, ich habe Ufer verbunden, ferne Provinzen erschlossen und die Entstehung neuen Landes möglich gemacht. Ich habe aus Chaos Ordnung geschaffen.»

Franka hat sich an einen Tisch am Fenster gesetzt, hinter dem das IJsselmeer in der Frühlingssonne glitzert.

Schnell geht er mit einem Tablett an den Fleischsalaten, den abgepackten Sandwiches und dem Schild «Brötchen mit warmem Kochschinken und Soße» vorüber. Er bestellt einen Cappuccino und einen Espresso.

«Was mag das wohl für eine Soße sein, die es zum Kochschinken gibt?», fragt er, als er den Kaffee vor Franka auf den Tisch stellt.

«Senf, meinst du nicht?» Sie hört sich müde an.

«Dann würden sie ja wohl Senf schreiben.»

«Hast du etwa Hunger?»

«Nein, du? Vielleicht meinen sie ...»

Sie beugt sich vor. Milde, beinahe amüsiert sagt sie: «Warum fragst du nicht einfach?» Sie hat das Kinn in die Hände gebettet.

Er schaut auf die feuerroten Striemen an ihren Fingerspitzen. Was, wenn sie ihre Nägel eines Tages aufgegessen hat? Wird sie unermüdlich weiternagen, Nacht für schlaflose Nacht, zuerst an ihren Fingern, dann an den Handknöcheln? Wird sie weitermachen, über die Handgelenke zu den Ellbogen, zu den Schultern, bis sie ihre leeren Arme nicht mehr spürt, weil sie dann einfach keine Arme mehr hat?

Sie steht auf. «Kurz aufs Klo.» Ihr Blick lässt nicht von ihm ab, und ihre Augenbrauen heben sich. «Was guckst du so?»

«Ich muss gerade denken, wie sehr ich dich liebe.»

Sie lacht. «So groß und doch so sentimental.»

Während sie sich umdreht, zupft sie den kurzen Rock ihres gelben Kostüms zurecht. Sie hat sich für diesen Ausflug sichtlich Mühe gegeben: kein Jogginganzug, kein schlabbriger Pullover. Irgendwo in den Tiefen ihres Bewusstseins beziehungsweise ihres Kleiderschranks hat sie dieses Kleidungsstück gefunden und gedacht: Darin sieht Phinus mich gern.

Der Rock spannt ums Gesäß. Sie ist dicker geworden, ein gutes Zeichen. Jetzt muss sie nur noch zusehen, dass sie wieder schläft.

Er hat von jeher über einen gesunden Schlaf verfügt. Er braucht nur sein Kopfkissen zu sehen,...

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