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In der Gegenwart

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
496 Seiten
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am02.05.20171. Auflage
Die Essays der weltberühmten Philosophin haben nachhaltig das politische Denken in Europa und in den USA bestimmt. »Das einzige Ziel dieser Essays ist«, schreibt Hannah Arendt, »Erfahrungen darin zu erwerben, wie man denkt. Sie enthalten keine Vorschriften darüber, was gedacht werden soll.«

Hannah Arendt, am 14. Oktober 1906 im heutigen Hannover geboren und am 4. Dezember 1975 in New York gestorben, studierte unter anderem Philosophie bei Martin Heidegger und Karl Jaspers, bei dem sie 1928 promovierte. 1933 emigrierte Arendt nach Paris, 1941 nach New York. Von 1946 bis 1948 arbeitete sie als Lektorin, danach als freie Autorin. Sie war Gastprofessorin in Princeton und Professorin an der University of Chicago. Ab 1967 lehrte sie an der New School for Social Research in New York.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextDie Essays der weltberühmten Philosophin haben nachhaltig das politische Denken in Europa und in den USA bestimmt. »Das einzige Ziel dieser Essays ist«, schreibt Hannah Arendt, »Erfahrungen darin zu erwerben, wie man denkt. Sie enthalten keine Vorschriften darüber, was gedacht werden soll.«

Hannah Arendt, am 14. Oktober 1906 im heutigen Hannover geboren und am 4. Dezember 1975 in New York gestorben, studierte unter anderem Philosophie bei Martin Heidegger und Karl Jaspers, bei dem sie 1928 promovierte. 1933 emigrierte Arendt nach Paris, 1941 nach New York. Von 1946 bis 1948 arbeitete sie als Lektorin, danach als freie Autorin. Sie war Gastprofessorin in Princeton und Professorin an der University of Chicago. Ab 1967 lehrte sie an der New School for Social Research in New York.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492964463
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum02.05.2017
Auflage1. Auflage
Seiten496 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1505 Kbytes
Artikel-Nr.2370288
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
(1) Das »deutsche Problem« ist kein deutsches Problem[1]

Beim »deutschen Problem«, von welchem heutzutage die Rede ist, handelt es sich um eine Ausgrabung aus der Vergangenheit, und wenn dieses Fundstück jetzt einfach als das Problem germanischer Aggression präsentiert wird, dann geschieht dies wegen der sanften Hoffnungen, die man sich auf eine Restauration des Status quo in Europa macht. Angesichts des Bürgerkriegs, der den Kontinent überzieht, war es deshalb anscheinend notwendig, zuerst einmal die Bedeutung des Krieges im Sinne des 19. Jahrhunderts als eines rein nationalen Konflikts zu »restaurieren«, in welchem eher Länder als Bewegungen und eher Völker als Regierungen Niederlagen erleiden und Siege erringen.

Folglich liest sich die Literatur über das »deutsche Problem« größtenteils wie eine revidierte Ausgabe der Propaganda aus dem letzten Krieg [d.h. dem Ersten Weltkrieg[1]], die lediglich den offiziellen Standpunkt mit dem passenden historischen Wissen ausschmückte und im übrigen nicht besser oder schlechter war als ihr deutsches Pendant. Nach dem Waffenstillstand ließ man die Papiere dieser belesenen Herrschaften auf beiden Seiten einer barmherzigen Vergessenheit anheimfallen. Der einzige interessante Aspekt dieser Literatur war der Eifer, mit welchem Wissenschaftler und Schriftsteller von internationalem Ruf ihre Dienste anboten - nicht um unter Einsatz ihres Lebens ihr Land zu retten, sondern um unter äußerster Geringschätzung der Wahrheit ihrer Regierung zu dienen. Der einzige Unterschied zwischen den Propagandisten der beiden Weltkriege besteht darin, daß diesmal eine ganze Reihe von Personen, die früher den deutschen Chauvinismus mit zusammengebraut haben, sich selbst den alliierten Mächten als »Experten« für Deutschland zur Verfügung gestellt haben, ohne durch diesen Wandel irgend etwas von ihrem Feuereifer oder ihrer Unterwürfigkeit einzubüßen.

Diese Experten des »deutschen Problems« sind die einzigen Überbleibsel des letzten Krieges. Während jedoch ihre Anpassungsfähigkeit, ihre Dienstbereitschaft und ihre Angst vor intellektueller und moralischer Verantwortung konstant geblieben sind, hat sich ihre politische Rolle geändert. Im Ersten Weltkrieg, der seinem Wesen nach kein ideologischer Krieg war, hatte man die Strategien der politischen Kriegführung noch nicht entdeckt, und die Propagandisten, die das Nationalgefühl des Volkes weckten oder ihm zum Ausdruck verhalfen, waren kaum etwas anderes als Moral-Aufbauer. Wenn man nach der ziemlich allgemeinen Verachtung urteilt, die ihnen von den Fronttruppen entgegengebracht wurde, versagten sie vermutlich sogar bei dieser Aufgabe; doch ansonsten waren sie sicherlich ganz bedeutungslos. In der Politik hatten sie nichts zu sagen, noch waren sie das Sprachrohr der Politik ihrer jeweiligen Regierungen.

Heute jedoch ist Propaganda an sich nicht mehr effektiv, insbesondere wenn sie vorzugsweise mit nationalistischen und militärischen anstatt mit ideologischen und politischen Begriffen operiert. Haß, beispielsweise, ist ganz offenkundig nicht vorhanden. Die Wiederbelebung des »deutschen Problems« hat deshalb bloß einen negativen Propagandaerfolg gezeitigt: Viele, die sich angewöhnt haben, die Greuelgeschichten des letzten Krieges abzutun, weigern sich schlicht zu glauben, daß es sich dieses Mal um grausige Wirklichkeit handelt, weil sie ihnen in der alten Form nationaler Propaganda dargeboten wird. Das Gerede vom »ewig gleichen Deutschland« und dessen ewigen Verbrechen dient nur dazu, den Schleier der Skepsis über Nazideutschland und dessen gegenwärtige Verbrechen zu breiten. Als 1939 - um nur ein Beispiel zu nennen - die französische Regierung die Parolen des Ersten Weltkriegs aus dem Arsenal hervorholte und das Schreckgespenst vom »Nationalcharakter« Deutschlands verbreitete, bestand die einzige sichtbare Wirkung darin, daß der Terror der Nazis nicht für voll genommen wurde. So sah das überall in Europa aus.

Doch während Propaganda viel von ihrer Anregungskraft eingebüßt hat, hat sie eine neue politische Funktion erhalten. Sie ist zu einer Form politischer Kriegführung geworden und dient dazu, die öffentliche Meinung auf bestimmte politische Schritte vorzubereiten. Wird dann das »deutsche Problem« herausgestellt, indem man die Vorstellung verbreitet, daß der wirkliche Grund des internationalen Konflikts bei den Greueltaten der Deutschen (oder der Japaner) zu suchen sei, dann hat dies den Effekt, die eigentlichen politischen Fragen zu verschleiern. Indem man den Faschismus mit dem Nationalcharakter und der Geschichte Deutschlands identifiziert, wird den Menschen weisgemacht, die Zerschlagung Deutschlands sei ein Synonym für die Ausrottung des Faschismus. Auf diese Weise wird es möglich, die Augen zu verschließen vor der europäischen Krise, die noch keinesfalls überwunden ist und es den Deutschen erlaubt hat, den Kontinent zu erobern (mit der Hilfe von Quislingen und Fünften Kolonnen). So können alle Versuche, Hitler mit der deutschen Geschichte zu identifizieren, nur dazu führen, daß dem Hitlerismus unnötigerweise nationale Respektabilität verliehen und ihm bescheinigt wird, daß er durch eine nationale Tradition sanktioniert sei.

Ob man Hitler mit Napoleon vergleicht, wie das die englische Propaganda manchmal getan hat, oder mit Bismarck, man entlastet in beiden Fällen Hitler und geht mit der historischen Reputation Napoleons oder Bismarcks großzügig um. Napoleon lebt in der Erinnerung Europas letzten Endes immer noch fort als der Führer von Armeen, die von einer wie auch immer verzerrten Vorstellung von der Französischen Revolution beseelt waren; Bismarck war weder besser noch schlechter als die meisten nationalen Staatsmänner Europas, die das Spiel der Machtpolitik im Interesse der Nation betrieben, wobei ihre Ziele eindeutig definiert und klar begrenzt waren. Obwohl Bismarck versuchte, an einigen Stellen die deutschen Grenzen auszudehnen, dachte er nicht im Traum daran, irgendeine der rivalisierenden Nationen zu vernichten. Widerwillig stimmte er aufgrund von Moltkes »strategischen Gründen« der Eingliederung Lothringens in das Reich zu, aber er wollte innerhalb der deutschen Grenzen keine fremden Teilstücke haben und besaß nicht die geringste Ambition, fremde Völker als unterworfene Rassen zu beherrschen.

Was für die politische Geschichte Deutschlands gilt, trifft sogar in weit größerem Maße auf die geistigen Wurzeln zu, die der Nazismus haben soll.
I

Es ist völlig abwegig, den Nazismus aus einer speziellen deutschen Charakteranlage oder aus der deutschen Tradition erklären zu wollen. Zum Nazismus gehört kein Teil der westlichen Tradition, sei er deutsch oder nicht, katholisch oder protestantisch, griechisch oder römisch. Weder Thomas von Aquin noch Machiavelli oder Kant oder Hegel oder Nietzsche - die Liste kann auf Grund der Literatur über das »deutsche Problem« ins Unendliche verlängert werden - tragen die geringste Verantwortung für das, was in den deutschen Vernichtungslagern geschehen ist. Ideologisch gesprochen, beginnt der Nazismus mit überhaupt keiner traditionellen Basis. Es wäre besser gewesen, diese Gefahr der radikalen Verneinung jeder Tradition zu begreifen, die von Anfang an der wichtigste Charakterzug des Nazismus war (im Unterschied zu den Anfangsstadien etwa des italienischen Faschismus). Schließlich waren die Nazis selbst die ersten, die um ihre totale Leere herum eine Nebelwand von gelehrten Interpretationen hochzogen. Die meisten Philosophen, die gegenwärtig von den übereifrigen Experten des »deutschen Problems« verteufelt werden, sind schon lange von den Nazis für sich reklamiert worden - aber nicht weil den Nazis an Respektabilität gelegen war, sondern einfach deshalb, weil sie begriffen, daß es kein besseres Versteck als den großen Spielplatz der Geschichte und keinen besseren Leibwächter als die Kinder dieses Spielplatzes gibt, will heißen die »Experten«, die man so leicht für seine Dienste gewinnen und so leicht irreführen kann.

Die grausigen Ausschreitungen des Nazi-Regimes sollten uns gezeigt haben, daß wir es hier mit etwas Unerklärlichem zu tun haben, das sich nicht einmal mit den schlimmsten Perioden der Geschichte vergleichen läßt. Niemals, weder im Altertum noch im Mittelalter, noch in der Neuzeit, wurde Zerstörung ein gut formuliertes Programm und seine Ausführung ein gründlich organisierter, bürokratisierter und schematisierter Prozeß. Es ist richtig, daß der Militarismus in Beziehung zur Wirksamkeit der Nazi-Kriegsmaschine steht und daß der...
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Autor

Hannah Arendt, am 14. Oktober 1906 in Hannover geboren und am 4. Dezember 1975 in New York gestorben, studierte Philosophie, Theologie und Griechisch unter anderem bei Heidegger, Bultmann und Jaspers, bei dem sie 1928 promovierte. 1933 emigrierte sie nach Paris, 1941 nach New York. Von 1946 bis 1948 war sie als Lektorin, danach als freie Schriftstellerin tätig. Sie war Professorin für Politische Theorie in Chicago und lehrte ab 1967 an der New School for Social Research in New York. Zuletzt erschien bei Piper "Was heißt persönliche Verantwortung in einer Diktatur?".