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Die blaue Gitarre

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am07.09.20171. Auflage
Von der Liebe, der Kunst und dem Scheitern - der neue Roman von John Banville. Oliver ist nicht nur ein Maler, den die Inspiration verlassen hat, sondern er ist auch ein Kleptomane, dem es ein fast erotisches Vergnügen bereitet, anderen Menschen persönliche Dinge zu entwenden. Als Polly, die Frau seines besten Freundes Marcus, zum Objekt seiner Begierde wird, nimmt eine tragische Entwicklung ihren Lauf.Im Zentrum von John Banvilles neuem Roman steht eine Viererkonstellation: zwei befreundete Ehepaare und die Dynamiken, die sich zwischen ihnen Bahn brechen. Protagonist Oliver war einmal ein erfolgreicher Maler, der eine glückliche Ehe mit seiner Frau Gloria führte, doch beides gehört der Vergangenheit an. Nachdem die Affäre mit Polly, der Frau seines besten Freundes, ans Licht gekommen ist, hat er sich in sein Elternhaus zurückgezogen und denkt nach, über die Liebe, die Kunst und den Tod, über Schuld und über menschliche Beziehungen, im Allgemeinen und im Besonderen. Doch dabei muss er bald erkennen, dass auch er einer Täuschung aufgesessen ist und die Rollen von Betrüger und Betrogenem - und von Schuld und Unschuld - nicht ganz so klar umrissen sind wie zunächst angenommen.Eine sprachlich und intellektuell beeindruckende Kontemplation über die Liebe, die Kunst und das Scheitern in beiden Disziplinen - John Banville begeistert einmal mehr.

John Banville, geboren 1945 in Wexford, Irland, gehört zu den bedeutendsten zeitgenössischen literarischen Autoren. Sein umfangreiches Werk wurde mehrfach, auch international, ausgezeichnet, zuletzt mit dem Franz-Kafka-Literaturpreis, dem Man Booker Prize (für »Die See«) und 2013 mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. John Banville lebt und arbeitet in Dublin.
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Produkt

KlappentextVon der Liebe, der Kunst und dem Scheitern - der neue Roman von John Banville. Oliver ist nicht nur ein Maler, den die Inspiration verlassen hat, sondern er ist auch ein Kleptomane, dem es ein fast erotisches Vergnügen bereitet, anderen Menschen persönliche Dinge zu entwenden. Als Polly, die Frau seines besten Freundes Marcus, zum Objekt seiner Begierde wird, nimmt eine tragische Entwicklung ihren Lauf.Im Zentrum von John Banvilles neuem Roman steht eine Viererkonstellation: zwei befreundete Ehepaare und die Dynamiken, die sich zwischen ihnen Bahn brechen. Protagonist Oliver war einmal ein erfolgreicher Maler, der eine glückliche Ehe mit seiner Frau Gloria führte, doch beides gehört der Vergangenheit an. Nachdem die Affäre mit Polly, der Frau seines besten Freundes, ans Licht gekommen ist, hat er sich in sein Elternhaus zurückgezogen und denkt nach, über die Liebe, die Kunst und den Tod, über Schuld und über menschliche Beziehungen, im Allgemeinen und im Besonderen. Doch dabei muss er bald erkennen, dass auch er einer Täuschung aufgesessen ist und die Rollen von Betrüger und Betrogenem - und von Schuld und Unschuld - nicht ganz so klar umrissen sind wie zunächst angenommen.Eine sprachlich und intellektuell beeindruckende Kontemplation über die Liebe, die Kunst und das Scheitern in beiden Disziplinen - John Banville begeistert einmal mehr.

John Banville, geboren 1945 in Wexford, Irland, gehört zu den bedeutendsten zeitgenössischen literarischen Autoren. Sein umfangreiches Werk wurde mehrfach, auch international, ausgezeichnet, zuletzt mit dem Franz-Kafka-Literaturpreis, dem Man Booker Prize (für »Die See«) und 2013 mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. John Banville lebt und arbeitet in Dublin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462317367
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum07.09.2017
Auflage1. Auflage
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2971 Kbytes
Artikel-Nr.2375696
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


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II.


 

 

 

 

 

 

 

Die Stille war das Erste, was mir auffiel. Wie ein strenger Frost legte sie sich auf das Haus, und unter ihr vereiste alles und erstarrte. Ich dachte an Winterabende in der Kindheit - ja, hier kommt sie, die Vergangenheit mal wieder -, wenn sich die Söhne unserer Nachbarn ringsherum, und auch die Töchter, diese wilden, frechen Rangen, auf dem Hügel draußen vor dem Pförtnerhaus versammelten und eimerweise Wasser auf die abschüssige Straße gossen, um sie in eine Rutschbahn zu verwandeln. Wenn die Nacht kam, stellte ich mir vor, ich könnte den Frost fallen sehen, einen glitzernden grauen Nebel, der aus der tiefblau glänzenden Finsternis des Firmaments herniederrieselte. Mir schien, als hörte ich ihn auch, ein unterdrücktes metallisches Klirren, überall um mich herum in der prickelnden Luft. Und später, als die Rutschbahn hart war wie geschliffener Stein, wie schwarz das Eis da gleißte im Sternenlicht, verführerisch und einschüchternd zugleich, war ich verlockt, genauso wie die andern loszusprinten, mit durchgedrückten, zitternden Knien bergab zu schlittern und mir von der kalten Luft die Lunge versengen zu lassen. Aber ich war ein Angsthase, hab mich nicht getraut, blieb oben im schützenden Schatten des Pförtnerhauses und schaute neidisch zu. Schneidend hallten die Stimmen der Schlitternden durch die schimmernde Dunkelheit, und die Bäume standen reglos wie stille Zuschauer bei diesem wilden Spiel, und auch die ungezählten Sterne schauten zu, steinhart und boshaft glitzernd. Jedes Mal, wenn sich ein Auto näherte, rannten die Kinder mit schallendem Gelächter auseinander, und der Fahrer kurbelte sein Fenster runter, rief ihnen Verwünschungen nach und drohte, die Polizei zu holen.

Der stille Ort, von dem ich rede, der Ort, wo ich jetzt bin, ist Fairmount House, meine Hundehütte mit der vornehmen Fassade am Hangman´s Hill, von mir auch insgeheim und mit trostlosem Humor Château Désespoir genannt. Ich muss sagen, es ist merkwürdig, wieder zu Hause zu sein, obwohl ich ja nur eine kurze Weile weg war - kann es denn wirklich sein, dass ich nur ein paar Tage fort gewesen bin? Da ist die Stille, wie ich sage, aber auch die eisige Ruhe meiner Frau, obschon Erstere weitgehend ein Effekt der Letzteren ist. Weder mein überstürzter Abschied noch meine schuldbewusste Rückkehr sind ihr einer Erwähnung wert. Sie scheint es mir nicht zu verübeln, dass ich weggelaufen bin, und kein Wort von Polly und alldem. Wie viel weiß sie? Hat sie mit Marcus geredet - hat er mit ihr geredet? Das wüsste ich nur allzu gern, getrau mich aber nicht zu fragen. Und so sitze ich wie auf glühenden Kohlen. Ihr Verhalten ist so zerstreut, so traumverloren abwesend; in dieser neuen Spielart ihrer selbst erinnert sie mich irritierend an meine emotionslose, entrückte Mutter. Wir gehen hier im Haus unserem jeweiligen Alltag nach, sie schaut mich kaum an, und wenn doch, bildet sich eine leichte Falte zwischen ihren Brauen, kein richtiges Runzeln, eher so ein erstauntes Krausziehen der Stirn, als könne sie sich nicht recht entsinnen, wer ich bin - im Grunde ein Echo von Polly und mir an dem Tag damals im Atelier. Ich würde ja sagen, dass dieses abwesende Verhalten eine stillschweigende Rüge ist, aber das glaube ich nicht. Vielleicht hat sie mich aufgegeben, vielleicht bin ich einfach aus ihren Gedanken verbannt. Sie konzentriert sich, wie es scheint, jetzt auf die Zukunft. Sie redet davon, dass sie wieder in den Süden will, zurück in die Camargue, die einst die Heimat der gottlosen, kriegsliebenden und siegreichen Katharer war und wo wir einige Zeit mehr oder minder in Frieden miteinander gelebt haben. Sie sagt, ihr fehlen die Salzwiesen dort unten, der enorme Himmel und die grenzenlose, sonnengleißende Aussicht. In Aigues-Mortes ist ein Haus zu vermieten, das will sie sich mal näher anschauen - sagt sie jedenfalls, dass sie sich es mal näher anschauen will. Ich weiß nicht, wie ernst man das nehmen muss. Heißt das, sie hat vor, mich zu verlassen, oder ist das bloß eine Hänselei, mit dem Zweck, mich zu verletzen, genau wie ihr Schweigen, oder mich zu beunruhigen? In Aigues-Mortes haben wir einander Treue gelobt, in einem Straßencafé, an einem sonnigen Herbstnachmittag vor langer Zeit.

Es blies ein heißer Wind, der den Himmel schabte, bis sein Blau weißlich und spröde war, und die Sonnenschirme auf dem kleinen Platz wie Peitschen knallen ließ. Ich langte über den Tisch zu Gloria hinüber, die ihre starke kühle, großknochige Hand in meine offene Handfläche legte, und das war´s, unser Gelübde.

Fairmount House kenne ich seit meiner Kindheit, obwohl, damals kannte ich es nur von außen. Damals wohnte dort ein begüterter Arzt mit seiner Familie, vielleicht war er auch Zahnarzt, das weiß ich nicht mehr. Ein Bau aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, auf dem Hügel, von dem aus hundert Jahre früher mein Namensvetter Oliver Cromwell seine Truppen zu ihrem ebenso niederträchtigen wie vergeblichen Überfall auf die Stadt geführt hatte. Nach der vernichtenden Niederlage der New Model Army und der Aufhebung der Belagerung hängte die siegreiche Katholische Garnison hier oben ein halbes Dutzend Captains der Rotröcke an einem eigens errichteten, grob zusammengezimmerten Galgen auf, an genau derselben Stelle, heißt es, wo zuvor der Lordprotektor seine Zelte aufgeschlagen hatte, ehe er sich geschlagen gab und wieder heimwärts rannte, wo ihn ein unrühmliches Ende erwartete. Das Haus ist standhaft und solide, zur Straße hin mit hohen Fenstern, die mit einer Gleichgültigkeit und einer Herablassung, wie sie Old Ironsides höchstselbst würdig gewesen wäre, auf die Stadt hinunterblicken. Ich hab mir immer vorgestellt, dass das Leben in diesen Mauern doch sicher seinem großartigen Äußeren entsprach, dass die Menschen, die dort lebten, sich genauso großartig und imposant fühlen müssten. Eine kindische Vorstellung, ich weiß, aber ich hing daran. Drei Jahrzehnte später kaufte ich das Haus, gleichsam als Rache, ohne recht zu wissen, Rache wofür - vielleicht für all die Male, die ich daran vorbeigegangen war und neidisch und voll Sehnsucht zu diesen blicklosen Fenstern hochgeschaut und geträumt hatte, dass ich es sei, der hinter diesen Fenstern steht, in samtener Hausjacke und mit seidener Halsbinde, in der Hand einen kristallenen Becher mit einem Burgunder, so dick und würzig wie das Blut seiner Ahnen, und mit hämischem Blick den Aufstieg jenes Knaben verfolgt, der mühsam den Hang überquert, den Ranzen auf dem Rücken, gebückt und schneckenhaft in seinem grauen Schuljackett.

Ich schlafe kaum in diesen Tagen, diesen Nächten. Beziehungsweise, ich gehe schlafen, umgehauen von jeder Menge Alkohol und ein paar Handvoll dicken, fetten K.-o.-Pillen, und dann, früh um drei oder um vier, schwupp, ratschen meine Lider hoch wie zwei kaputte Rollos, und ich bin hellwach und voll da - ein Zustand, wie ich ihn tagsüber anscheinend nie erreiche. Auch die Dunkelheit ist um diese Stunde von besonderer Art, mehr als bloß die Abwesenheit von Licht: ein eigenes Medium, etwas wie eine starre schwarze gallertartig Substanz, in der ich feststecke, eine gefällte Bestie, um die die Schakale des Zweifels, der Sorge und der Todesangst herumschleichen. Über mir ist keine Decke, nur ausgedehnte, tiefelose Leere, in die ich jeden Moment kopfüber hinaufgeschleudert werden kann. Ich lausche dem gedämpften Mühen meines Herzens und versuche vergeblich, nicht an den Tod zu denken, an Scheitern, an den Verlust von allem, was mir teuer ist, in der Welt mit ihren Dingen und Geschöpfen. Das Fenster mit den zugezogenen Vorhängen steht neben dem Bett wie ein konturloser dunkler Riese, der mich mit unverwandter, manischer Aufmerksamkeit beobachtet. Bisweilen scheint die reglose Starre, in der ich daliege, sich in eine Lähmung zu verwandeln, dann bin ich gezwungen aufzustehen und angstschlotternd durch die leeren Zimmer oben und unten zu schleichen, ohne auch nur das Licht anzumachen. Das Haus um mich herum sendet ein schwaches Summen aus, sodass ich mir vorkomme wie im Innern einer großen Maschine, sagen wir mal eines Generators im Stand-by-Modus, oder der Lokomotive eines Dampfzugs, der für die Nacht auf ein Nebengleis geschoben wurde und sich, noch immer bebend, an das Feuer, das Tempo und den Lärm des Tages erinnert. Auf einem Treppenabsatz werde ich stehen bleiben, die Stirn an die Fensterscheibe drücken, den Blick über die schlafende Stadt schweifen lassen und darüber nachdenken, was ich doch für eine Byron´sche Gestalt abgebe, wie ich hier oben hocke, einsam und scheinbar tragisch, kein Vagabundenleben mehr. So ist das bei mir, immer schaue ich entweder hinein oder schaue hinaus, eine kühle Fensterscheibe zwischen mir und der ersehnten Welt.

Ich habe den Verdacht, Gloria hasst dieses Haus, ich habe den Verdacht, sie hat es schon immer gehasst. Nur mir zuliebe war sie einverstanden, dass wir zurückkommen und wieder hier in der Stadt wohnen, nur wegen meiner Marotte, wieder dort zu sein, wo ich früher war. »Du willst unter den Toten leben, richtig?«, hatte sie gesagt. »Pass nur auf, dass du nicht selber stirbst.« Und ich bin tatsächlich gestorben, in einer Hinsicht jedenfalls, als Maler, meine ich, geschieht mir also recht. Rigor artis.

Wenn ich meine Frau doch nur ein bisschen besser verstehen könnte, ich meine, wenn ich sie besser kennen würde. Wir sind nun schon so lange zusammen, und doch komme ich mir immer noch vor wie ein altmodischer Bräutigam in der Hochzeitsnacht, der mit brennender Ungeduld und nicht...
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Autor

John Banville, geboren 1945 in Wexford, Irland, gehört zu den bedeutendsten zeitgenössischen literarischen Autoren. Sein umfangreiches Werk wurde mehrfach, auch international, ausgezeichnet, zuletzt mit dem Franz-Kafka-Literaturpreis, dem Man Booker Prize (für »Die See«) und 2013 mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. John Banville lebt und arbeitet in Dublin.Christa Schuenke, geboren 1948, übersetzt Lyrik und Prosa aus dem Englischen, u. a. Werke von Banville, Melville, Singer, Shakespeare. Sie erhielt u.a. den Wielandpreis und den Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW.