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Die Druckerin

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
444 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am21.07.20171. Auflage
Liebe, Mord und Kabbala Blume Liebes, die Druckerwitwe aus angesehener Rabbinerfamilie, war schon immer eigensinnig. Und jetzt hat sie sich in den Kopf gesetzt, ausgerechnet den menschenscheuen Außenseiter Nate zu heiraten, der sie auf unerklärliche Weise fasziniert. Zu spät erfährt sie, dass er mit einem schrecklichen Kainsmal gezeichnet ist. Hat Nate, früher ein vielversprechender junger Gelehrter, wirklich den Sohn des Menachem Mendel erschlagen, des großen Meisters der Kabbala?

Ruth Berger ist Historikerin und Autorin der Romane Die Reise nach Karlsbad, Die Druckerin, Miss Lucy Steele und Gretchen, die von der Presse alle begeistert aufgenommen wurden. Ruth Berger lebt in Frankfurt.
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Produkt

KlappentextLiebe, Mord und Kabbala Blume Liebes, die Druckerwitwe aus angesehener Rabbinerfamilie, war schon immer eigensinnig. Und jetzt hat sie sich in den Kopf gesetzt, ausgerechnet den menschenscheuen Außenseiter Nate zu heiraten, der sie auf unerklärliche Weise fasziniert. Zu spät erfährt sie, dass er mit einem schrecklichen Kainsmal gezeichnet ist. Hat Nate, früher ein vielversprechender junger Gelehrter, wirklich den Sohn des Menachem Mendel erschlagen, des großen Meisters der Kabbala?

Ruth Berger ist Historikerin und Autorin der Romane Die Reise nach Karlsbad, Die Druckerin, Miss Lucy Steele und Gretchen, die von der Presse alle begeistert aufgenommen wurden. Ruth Berger lebt in Frankfurt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783688103867
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum21.07.2017
Auflage1. Auflage
Seiten444 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2424640
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Es ist Jahrmarkt in Kamenka und die Stadt quillt über vor Menschen. Die Herbergen sind überfüllt, man schläft dicht an dicht auf den bloßen Bodendielen, auf den Bänken und Tischen, in den Gängen, dass kein Durchkommen ist vor lauter Leibern und Bündeln und Körben, und die Luft in den Räumen steht stickig und schwer, gesättigt mit dem Dunst von Schweiß, Knoblauch und Branntwein. In den Höfen und Ställen drängen sich Pferde und Ochsen zwischen den Wagen, es grunzt und schnaubt, wiehert und röhrt, Mist bedeckt jede freie Stelle. Der frische riecht noch, der von gestern und vorgestern ist schon getrocknet, denn es hat nicht geregnet, und bald wird man ihn als Brennmaterial einsammeln können. Das Kleinvieh zum Verkauf, Hühner, Gänse und Ziegen, nehmen die Händler oft mit in den Gastraum. Die einzige Schänke ist von Mittag bis Mittag geöffnet, und wer woanders keine Unterkunft gefunden hat, verbringt hier die Nächte. Am Rand der Stadt, hinter den Festungsmauern an der Straße gen Osten, hat ein fahrendes Bordell aufgemacht, dessen Besitzer, ein Hüne mit einer silberbeschlagenen Pistole im Gürtel, allmorgendlich Münze für Münze die Einnahmen des Vortags durchzählt, Kupfer, Silber und Gold genau taxiert und sich ausrechnet, ob es wohl reichen wird bis zum nächsten Jahrmarkt, drei Wochen später in Winniza, und er genügend zurücklegen kann für den langen Winter, der ihn an einen festen Standplatz bindet und die Einkünfte auf ein mickriges Geklecker reduziert.

Seine Kundschaft hier in Kamenka ist, wie üblich am südlichen Dnjestr, ein sehr gemischtes Völkchen. Wenn man im Jahrmarktsgetümmel durch die Straßen wandert, hört man Judendeutsch, Ukrainisch und Polnisch. Spitzt man die Ohren, mischen sich noch Tatarisch, Rumänisch und einiges andere Kauderwelsch darunter. Wer was spricht, erkennt man oft schon an der Tracht. Trotz der Hitze der letzten Tage haben sich Einheimische wie Zugereiste prächtig herausgeputzt. Jeder trägt die Insignien seiner Nation und seines Standes in mehreren Schichten am Körper; selbst die Pelzhüte der Juden und Kosaken dürfen nicht fehlen.

Im größten Trubel am Marktplatz quält sich eine Frau mit einem Kind an der Hand durch die Menge, auch sie gekleidet, wie es eigentlich nur am Feiertag angemessen wäre. Ihre Haube ist aus Brokat und reich mit Blütenmustern in Hellgelb, Grün und Rosa bestickt, dazwischen funkeln Perlen und Rubine. Um den Hals trägt sie eine Goldkette, an der ebenfalls Rubine prangen. Ihre blaue Joppe glänzt und ist an den Ärmeln und am Kragen mit Spitze besetzt, ihre Schürze aus Batist mit Stickereien und Bändern verziert. Es ist Blume Liebes, die Druckerin, Witwe des Abraham Abusch Drucker, mit ihrem Sohn Eisik. Halbwegs wohlhabend ist sie, besitzt ein Haus als Mitgiftgut aus dem Erbe ihrer Mutter sowie die Presse und Lettern von ihrem verstorbenen Mann. Ihre Druckerei mag klein sein, aber sie ist immer voll ausgelastet, sodass ihr nächster Konkurrent, der Friedel Ostrer flussaufwärts in Jampol, schon manchen Fluch über sie gesprochen hat. Auch ist sie aus angesehener Familie: Ihr Vater war einmal Richter zu Nikolsburg, ihr Großvater mütterlicherseits war der Autor der berühmten Schrift Me´or Enajim, das ist: Erleuchtung der Augen, und ein herausragender Gelehrter. Grund zu Stolz aber hat sie dennoch wenig, und manch einer verübelt ihr, wie sie erhobenen Hauptes und geschmückt wie eine Herrin über den Markt spaziert, das Mal ihrer Schande an der Hand. Der Eisik nämlich wird die Druckerei seiner Eltern nicht übernehmen können, geschweige denn ein Gelehrter werden wie so viele seiner Vorfahren. Er kann nicht einmal lesen, obwohl er schon acht, neun Jahre alt ist, denn er ist schwachsinnig. Man sieht es gleich, er ist ein typischer Fall, mit groben Gesichtszügen und einer zu kurzen, platten Nase, kleinen, schielenden Augen, die zur Nase hin von schräg verlaufenden Lidern begrenzt werden, und offenem Mund, aus dem manchmal die Zunge hervorlugt und der Speichel trieft. Hölzern bewegt sich sein plumper Körper, während er von seiner Mutter durchs Gedränge geschoben und gezogen wird. Einmal will er nicht weiter, lässt sich, wo er steht, auf die Erde nieder und stiert mit weinerlich verzogenem Gesicht nach unten. Die Leute müssen sich um das Hindernis herumquälen und schimpfen lauthals. Dabei gelten ihre Flüche weniger dem nichtsnutzigen Kind als seiner Mutter, die es gewähren lässt, statt ihm mit ein paar Schlägen das Herumsitzen auszutreiben. Blume Liebes aber weiß, dass sie ihren Sohn nach einer Ohrfeige erst recht keinen Schritt mehr vorwärts bringt. Obwohl ihr der Schweiß am Körper klebt, spricht sie ruhig zu ihm und gönnt ihm eine kurze Pause, bevor sie ihn mit sanfter Gewalt wieder auf die Beine holt. Er greint, während sie ihn weiterzieht, und fängt nach zehn Schritten laut an zu heulen. Blume beißt die Zähne zusammen und treibt ihn stetig voran. Was soll sie tun, sie kann nicht mitten im Getümmel zwischen den Marktständen stehen bleiben, bis es Mittag schlägt, bloß weil es ihrem behäbigen Kind zu viel ist, mehr als ein paar Dutzend Schritte am Stück zu gehen.

Was aber, muss man sich fragen, hat Blume Liebes am zweiten Tag des Jahrmarktes zwischen den Ständen und Wagen am Platz vor der großen Synagoge zu suchen, noch dazu mit ihrem blöden, lallenden Sohn am Rockzipfel? Warum verlässt sie ihre Werkstatt, wo sich zur Messezeit alle Stunde jemand einfindet, der ihr gleich ein ganzes Schock Bücher abkauft oder mehr, und wo sich im Laufe einer Woche so viele druckfertige Manuskripte ansammeln, dass sie auf ein halbes Jahr Arbeit damit hat? Will sie die Verhandlungen mit Käufern und Auftraggebern ihrem Pressmeister überlassen? Sie hat doch Magd und Lehrjungen, die ihr holen könnten, was auf dem Markt zu besorgen ist. Denn einkaufen will Blume, deshalb ist sie unterwegs, und sie weiß auch genau was: Strümpfe. Nicht irgendwelche, sondern gute, warme Filzstrümpfe für den Winter, lange bis übers Knie, und von einem ganz bestimmten Händler, der sie auch selbst herstellt. Bei dem hat sie im Jahr zuvor, da er am Ende der Messewoche die übrig gebliebene Ware von Haus zu Haus feilbot, ein Paar solcher Strümpfe erworben. Aus denen wird ihr Junge bald herausgewachsen sein, deshalb will sie ihm neue kaufen und gleich welche für sich selbst dazu, denn die alten haben sich sehr bewährt.

Doch dass sie jetzt Herzklopfen hat beim Abschreiten der Stände auf der Suche nach dem richtigen, kann an den Strümpfen nicht liegen. Daran wird wohl eher der Strumpfwirker schuld sein, auf den sie, das muss sie sich zugeben, im letzten Jahr ziemlich ein Auge geworfen und ihn dummerweise bis heute nicht vergessen hat. Warum, weiß sie selbst nicht, so ein grobschlächtiger, ungebildeter Mann, wie die einfachen Handwerker eben sind, rasiert noch dazu, mit einer kurzen Joppe und einem Gürtel drum. Bevor er den Mund auftat, hatte sie ihn für einen Goi gehalten. Eine Schönheit war er auch sonst nicht gerade, dunkle Haut wie ein Zigeuner, eine Spur schief im Gesicht, oder vielleicht war es nur die Nase, die krumm geraten war, und lange, tatarische Augen. Dafür besaß er einen Zug um den Mund, wenn er sprach, der es ihr antat, und eine sehr weiche, warme Stimme für einen so groben Klotz von einem Mann. Deshalb ließ sie sich zwischen Tür und Angel von ihm bezirzen, kaufte ihm Strümpfe für Eisik ab, die der gar nicht nötig hatte, und schwatzte fast eine Stunde mit ihm über dieses und jenes. Erst als sie merkte, dass die Nachbarin missbilligend herübersah, verabschiedete sie sich freundlich, aber bestimmt von dem Mann und verschloss ihre im Sommer sonst stets offene Tür fest hinter sich.

Jetzt, ein Jahr später, ist sie also auf der Suche nach ihm, auch wegen Eisik, sagt sie sich, oder vor allem wegen Eisik (und nebenbei der Strümpfe natürlich!). Denn ihr ist angenehm aufgefallen, wie der Strumpfwirker beim Anblick ihres Sohnes nicht zurückschreckte, sondern ganz ungezwungen mit ihm redete, als sei er ein gewöhnlicher kleiner Junge. Es kommt sehr selten vor, dass ein Mann, sei es ein Fremder oder ein Bekannter, freundlich zu Eisik spricht, ja überhaupt einmal das Wort an ihn richtet. So dumm er auch ist, er merkt dennoch, wie man ihn meidet. Im letzten Jahr hat sie gespürt, dass ihm die Ansprache des Strumpfhändlers wohl getan hat, und will ihm darum dieses Jahr dasselbe Erlebnis wieder verschaffen. Bisher allerdings vergeblich, denn sie ist hin und her und kreuz und quer gelaufen, mit dem immer wieder plärrenden Eisik im Schlepptau, der nicht weiß, dass sie ihm Gutes tun will, und hat den Gesuchten doch nicht finden können. Er scheint in diesem Jahr nicht gekommen zu sein.

Gerade als sie meint, die Suche aufgeben und unverrichteter Dinge in ihre Werkstatt zurückkehren zu müssen, sieht sie ihn kaum zehn Schritte vor sich mit seinem Bauchladen im Getümmel stehen. Kein Zweifel, er ist es, doch Blume bleibt erst einmal erschrocken stehen. Er sieht so anders aus als erwartet. In dem langen Jahr ist sein Gesicht, seine Gestalt ihrer Erinnerung langsam entglitten und zu einem Phantasiebild geworden, dem der Mann vor ihr nur noch vage ähnelt.

Mit einem Mal reißt sich Eisik los, läuft zu Blumes Erstaunen flink voraus und macht strahlend vor dem Strumpfhändler Halt. Der erkennt ihn, scheint´s, sofort, beugt sich samt seinem Laden zu ihm hinab und schüttelt ihm mit übertriebener Geste die Hand, wie es die großen deutschen Kaufleute miteinander halten. «Wie gehen die Geschäfte, Reb Eisik?», hört Blume, die inzwischen herangekommen ist, den Strumpfhändler fragen. Darauf erhält er natürlich keine Antwort, aber Eisik grinst ihn selig an, als hätte man ihm ein unerhörtes Kompliment gemacht. «Waren die Strümpfe dick genug», fährt der Mann fort, «dass Ihr warme Füße hattet im letzten...
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Ruth Berger ist Historikerin und Autorin der Romane Die Reise nach Karlsbad, Die Druckerin, Miss Lucy Steele und Gretchen, die von der Presse alle begeistert aufgenommen wurden. Ruth Berger lebt in Frankfurt.