Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Himmelsspitz

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
280 Seiten
Deutsch
Gmeiner Verlagerschienen am11.07.20112011
Isabel macht sich Sorgen um ihre achtjährige Tochter Lea, die schlafwandelt und von heftigen Albträumen geplagt wird. Die Ärzte raten zu einem Urlaub in den Bergen. Gemeinsam reisen Mutter und Tochter nach Fuchsbichl, einem kleinen Dorf in den Ötztaler Alpen, das am Himmelsspitz gelegen ist. Diesen Berg hatte Lea bereits im Fotoalbum ihrer Mutter entdeckt. Doch die Reise wird für die Familie zu einer harten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Sie stoßen auf Missgunst, dunkle Geheimnisse, zerbrochene Beziehungen - und tödliche Gewalt.

Die SPIEGEL-Bestseller-Autorin Christiane Tramitz ist gebürtige Münchnerin. Große Teile ihrer Kindheit verbrachte sie jedoch in der Bergwelt Tirols. Sie studierte Sprechwissenschaften und promovierte am Max-Planck-Institut für Verhaltensforschung. Früh begann sie zu schreiben und veröffentlichte die Erkenntnisse ihrer Forschungsprojekte zum menschlichen Verhalten als erfolgreiche Sachbücher. Für ihre Reportage »Zerrupfte Paradiesvögel« erhielt sie den Karl-Buchrucker-Förderpreis. Christiane Tramitz ist Mutter von Zwillingen und lebt in Oberbayern.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextIsabel macht sich Sorgen um ihre achtjährige Tochter Lea, die schlafwandelt und von heftigen Albträumen geplagt wird. Die Ärzte raten zu einem Urlaub in den Bergen. Gemeinsam reisen Mutter und Tochter nach Fuchsbichl, einem kleinen Dorf in den Ötztaler Alpen, das am Himmelsspitz gelegen ist. Diesen Berg hatte Lea bereits im Fotoalbum ihrer Mutter entdeckt. Doch die Reise wird für die Familie zu einer harten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Sie stoßen auf Missgunst, dunkle Geheimnisse, zerbrochene Beziehungen - und tödliche Gewalt.

Die SPIEGEL-Bestseller-Autorin Christiane Tramitz ist gebürtige Münchnerin. Große Teile ihrer Kindheit verbrachte sie jedoch in der Bergwelt Tirols. Sie studierte Sprechwissenschaften und promovierte am Max-Planck-Institut für Verhaltensforschung. Früh begann sie zu schreiben und veröffentlichte die Erkenntnisse ihrer Forschungsprojekte zum menschlichen Verhalten als erfolgreiche Sachbücher. Für ihre Reportage »Zerrupfte Paradiesvögel« erhielt sie den Karl-Buchrucker-Förderpreis. Christiane Tramitz ist Mutter von Zwillingen und lebt in Oberbayern.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783839237182
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum11.07.2011
Auflage2011
Seiten280 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2429524
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
1;I.;11
2;II.;105
3;III.;197
mehr
Leseprobe


Kapitel 2

Fuchsbichl, 40er-Jahre

Alles begann an einem eigentlich fröhlichen Tag, am Tag des Schützenfests.

Es geschah hoch oben in der Bergwelt, in einem Weiler, der sich Fuchsbichl nennt und damals aus nur acht Höfen bestand. Zur Geistlichkeit, zum Doktor, zur Schule, zum Telefon, zu wichtigen Lebensmitteln wie Zucker, Salz und Getreide verband die Dorfbewohner nichts als ein Pfad.

Unten, vom Tal aus, führte er zunächst steil nach oben durch einen dichten Wald, dann kam eine ebene Lichtung, in deren Mitte eine Bank stand, für die Alten und Kleinen zur Rast, wenn sie sonntags in die Kirche gingen. Daneben hatte man ein Marterl aufgestellt, an dem eine blecherne Vase mit frischen Alpenrosen befestigt war sowie eine Tafel, auf der stand:

Hier wurden vom Dunder derschlagen

Drei Schaf, a Kalb und a Bua

Herr, gib ihnen die ewige Ruah.

Der Pfad stieg wieder an, man verließ den weichen Boden und kletterte über glitschige Steinstufen weiter nach oben. Nach der Linkskurve vernahm man den Wolfsbach. Zuerst ein entferntes Rauschen, dann ein Poltern, und wenn man zur Brücke kam, hörte man sein eigenes Atmen nicht mehr, denn es verschwand im Tosen der schäumenden Wassermassen.

Hinter dem Bach erinnerte eine Pestsäule an noch schwerere Zeiten, als es die gegenwärtigen ohnehin waren.

Es ging die feuchte Wolfsschlucht entlang, von deren Felsen das Wasser in langen, gläsernen Fäden tropfte, die sich in der Tiefe zu einem durchsichtigen Vorhang verknüpften. Es roch nach Moos.

Hinter der nächsten Biegung war Stille. Der Lärchenwald kündigte die Nähe des Weilers an. Sobald sich die Zweige lichteten, sah man Bergwiesen. Am Waldesrand konnte man sich auf eine Bank setzen, die zweite auf dem Pfad, denn man war inzwischen eine Stunde unterwegs.

Fast jeder der seltenen Wandersleute nahm auf ihr Platz, denn der Anblick, der sich ihnen bot, war berauschend. Sanftheit inmitten der schroffen Bergwelt. Umgeben von schneebedeckten Gipfeln, an denen weiße Wolken wie Sahnehäubchen hingen, lag der Weiler in einem hügeligen Hochtal. Aus der Ferne wirkte der Ort schlafend, so als hätte die Zeit ihn vergessen. Seit Langem. Die Vergangenheit hatte die Gegenwart im Griff, und niemand glaubte, die Zukunft würde anderes versprechen. Und würde aus den Kaminen kein Rauch aufsteigen, hielte man das alles für das Gemälde eines liebestrunkenen Malers.

Von Weitem wirkten die Höfe wie hölzerne Spielzeughäuser, zerbrechlich und schief. Ihre Dächer waren mit Schindeln gedeckt, an den Wänden lag Holz geschichtet, darüber hingen Rechen, Sensen, Heustangen und Körbe. Vor jedem Haus, eingezäunt von Holzpfählen, hatte man Gemüsebeete angelegt. Es wuchsen Bohnen, Salat, Schnittlauch, Petersilie und allerlei Heilkräuter wie Salbei, Wermut, Baldrian und Ringelblumen. Die Kartoffeläcker und kleine Getreidefelder lagen hinter den Häusern. Die Stallungen befanden sich auf der Bergseite. Von ihnen aus führten eingezäunte Wege durch die Wiesen hoch in den Bergwald.

Das erste Haus gehörte dem Oswin Kneisl. Es wirkte etwas heruntergekommen, auf dem Balkonboden fehlten ein paar Bretter, einige Fensterläden hingen schief in ihren Angeln. Im mittleren Fenster des oberen Stockwerks war eine Scheibe zerbrochen. An der verwitterten Hauswand konnte man ein paar Heilige erkennen, die vor allerlei Gefahren schützen sollten.

Im Stall standen nur noch zwei Kühe, und die Hühner, die im Boden rund ums Haus scharrten, hatten auch bessere Tage gesehen.

Der Sohn vom Oswin war im Krieg gefallen, die Tochter hatte ins andere Tal geheiratet, und die Frau Kneisl hatte längst der Tod heimgesucht, den Oswin nun mithilfe selbst gebrannten Schnapses herbeitrank. Wenn die Sonne schien, saß er auf der Bank vorm Haus. Die Wärme tat seinem Rheuma im Buckel gut, den er seit seinem 16. Lebensjahr hatte. Schien die Sonne nicht und kam die Kälte, schmierte er Katzenfett auf die schmerzenden Stellen.

Er trug einen dichten, borstigen Bart. Aus seiner Nase wuchsen störrische Haare, vom Tabak dunkelgelb verfärbt. Der alte Kneisl schnupfte seit seinem 14. Lebensjahr. Den ersten Tabak hatte er dem Vater geklaut und in einer selbst geschnitzten Dose aus Birkenholz aufbewahrt. Das Tabakstehlen war sein harmlosestes Delikt gewesen. Seine wahre Leidenschaft hatte nämlich von jeher dem Wildern gegolten. Er schoss auf alles, was sich im Bergwald bewegte, Gämsen, Rehe, Füchse und manchmal auch auf streunende Katzen. Die Kadaver weidete er an verborgener Stelle aus, die Katzen aß er selbst, das andere Fleisch verkaufte er an hungrige Soldaten, die die Bergwälder durchstreiften.

Auf diese Weise verdiente er etwas Geld, das er am Sonntag im Tal verzechte.

Das Wildern hatte seine Seele derart im Griff, dass er auf jeden Schatten zielte, den seine Augen ausmachen konnten, ohne zu wissen, ob dieser zu einem Menschen- oder Tierkörper gehörte. So war es einmal zu einem schrecklichen Jagdunfall gekommen, wie es später im örtlichen Anzeiger hieß. Oswins Kugel traf aus Versehen einen verirrten Landstreicher, dessen Tod niemand bemerkt hatte, bis eine Mure seine von Füchsen und Dachsen abgeknabberten Knochen ins Tal schleuderte, wo sie von einem Wanderer gefunden wurden. Anhand der blechernen Erkennungsplakette aus dem Ersten Weltkrieg, die an einem Knochen baumelte, konnte man ihn identifizieren. Oswin als Täter ausfindig zu machen, das war jedoch nicht möglich. Und so blieb der alte Kneisl sein Leben lang sein einziger Zeuge. Fast. »Herr, es war doch nur ein Versehen«, beichtete er nämlich dem Herrgott und zündete für die arme Seele jeden Sonntag in der Kirche eine Kerze an.

An jenem ereignisreichen Tag des Schützenfestes war Oswin nachmittags bereits derart betrunken, dass er die turbulenten und tragischen Ereignisse auf der Bank vor seinem Haus verschlief.

Hinter dem Kneislhof lagen drei Gehöfte, deren Bewohner nicht unmittelbar in die Geschichte involviert waren, deren Namen folglich nichts zur Sache tun.

Hatte man diese Höfe hinter sich gelassen, gelangte man zum bescheidenen Häuschen des Fertl Granbichler.

Fertl lebte allein, heiraten hatte er nie gewollt. Von Geburt an war er zart, schwächlich und häufig krank. Den weiten und beschwerlichen Schulweg ins Tal schaffte er nur selten, deswegen unterrichtete ihn seine Mutter selbst, die die Tochter eines bekannten Dichters war und ins Granbichlersche Bauernleben eingeheiratet hatte.

Fertl liebte die Künste, das Schnitzwerk, mit dem er sich seine paar Groschen verdiente, und die Dichtung. Im Weiler hieß es, er habe sich seine Frau geschnitzt. Sie stand in der Stube, unter dem Kruzifix, in festlicher Tracht und mit einem schönen goldenen Haarkranz. Daneben hing in einem selbst geschnitzten Rahmen der Spruch:

Nun wird es still, und tiefe Einsamkeit

Wogt hin und her. Das Lüftchen, das noch wehte,

Wo ist es? Steh n hier stille Welt und Zeit?

Ja, Berge steh n: doch ach, Bestand erflehte

Kein Mensch, hin fährt er, wie an Alpenzinnen

Die Wolken lautlos zieh n und stumm zerrinnen.

Seine Tage verbrachte Fertl in der Werkstatt hinterm Haus, einem dunklen Raum, der vollgestopft war mit allerlei Holzsachen zum Richten oder Kaufen: Stubengetäfel, Treibkübel zum Buttern, Kasten, Truhen, Stühle, Kraxen und Besenstiele. In der Ecke türmte sich Gehölz, vor allem das der Zirbenkiefer, aus dem er Schüsseln und Teller drehte. In einem Regal lagen kleine, kunstvoll geschnitzte Holzfiguren. Der Boden war mit Sägespänen übersät. Am Fenster stand ein Schreibpult mit einer kleinen Lampe. Dort las und schrieb der Fertl Gedichte und Geschichten.

Bei den Fuchsbichlern galt der junge Granbichler als Sonderling. Wenn die Bauern kamen, um ihm ihre Sachen zur Reparatur zu bringen, wechselten sie nur wenige Worte mit ihm: »Fertl, geht s gut? Was macht die Schnitzerei?« Seine Antworten waren stets karg: »Das Leben werd s zeigen.«

Die Einzige im Ort, die früher, als sie beide noch klein waren, sprudelnde Worte aus seinem ansonsten verschlossenen Mund hatte vernehmen dürfen, war Agnes, die Tochter des Kraxnerbauern. Sie war so alt wie er und brachte täglich den Schulstoff aus dem Tal mit. Doch das Lesen, Schreiben und Rechnen beherrschte Fertl viel früher als all die anderen Kinder. Und während diese auf ihren Schultafeln noch das ABC kritzelten, saßen Fertl und Agnes in der Tenne. Fertl hielt das große Balladenbuch, das er aus einer Truhe seiner Mutter genommen hatte, auf seinen Knien und las vor. Agnes lag bäuchlings im Heu und wippte ungeduldig mit den Füßen, wenn er zwischendurch anhielt und fragte: »Soll ich weiterlesen?«

Als Agnes Brüste wuchsen und sich die Männer den Kopf nach ihr zu verdrehen begannen, meinte ihr Vater, der Kraxnerbauer, es würde sich nicht schicken, wenn sie ihre Zeit unsinnig mit Büchern verbrächte, heimlich in der Tenne und noch dazu mit einem Mann wie dem sonderbaren Fertl.

Folgte man dem Pfad ungefähr zehn Meter weiter die Hügeltreppe hinauf, stand rechts eine Kapelle, erbaut im Jahr 1750.

O Maria sei gegrüßt!

Mutter voll der Gnaden bist.

Bitt für uns bei Deinem Sohn,

bis wir steh n vor Gottes Thron.

Dies stand über der Eingangstür geschrieben.

Während des Ersten Weltkriegs hatte sich der kleine Fertl dort drei Tage lang versteckt, nachdem italienische Soldaten über den Weiler hergefallen waren und...

mehr

Autor

Die SPIEGEL-Bestseller-Autorin Christiane Tramitz ist gebürtige Münchnerin. Große Teile ihrer Kindheit verbrachte sie jedoch in der Bergwelt Tirols. Sie studierte Sprechwissenschaften und promovierte am Max-Planck-Institut für Verhaltensforschung. Früh begann sie zu schreiben und veröffentlichte die Erkenntnisse ihrer Forschungsprojekte zum menschlichen Verhalten als erfolgreiche Sachbücher. Für ihre Reportage »Zerrupfte Paradiesvögel« erhielt sie den Karl-Buchrucker-Förderpreis. Christiane Tramitz ist Mutter von Zwillingen und lebt in Oberbayern.