Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Die kurze Stunde zwischen Tag und Nacht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
510 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am13.10.20171. Auflage
Eine schicksalhafte Bekanntschaft in Jerusalem Ich beobachtete, wie er zielstrebig das Lokal durchquerte, und fragte, ohne die Augen von ihm zu nehmen: »Eli, wer ist dieser Mann?« Jerusalem - Paris - München: das sind die Städte, mit denen die Erzählerin schicksalhaft verbunden ist. Wahlheimat die eine, Wohnsitz des Geliebten und des Sohnes die beiden anderen. Doch egal, wo sich die >HalbjüdinJericho. Eine LiebesgeschichteJerusalem war immer eine schwere AdresseGrandhotel Bulgaria. Heimkehr in die VergangenheitVon der Erinnerung gewecktDu bist nicht so wie andre Mütter< zeitgeschichtliche Dokumentationen und eine tiefgreifende, berührende Beschreibung ihrer Familiengeschichte und ihres persönlichen Lebensweges präsentiert.«mehr

Produkt

KlappentextEine schicksalhafte Bekanntschaft in Jerusalem Ich beobachtete, wie er zielstrebig das Lokal durchquerte, und fragte, ohne die Augen von ihm zu nehmen: »Eli, wer ist dieser Mann?« Jerusalem - Paris - München: das sind die Städte, mit denen die Erzählerin schicksalhaft verbunden ist. Wahlheimat die eine, Wohnsitz des Geliebten und des Sohnes die beiden anderen. Doch egal, wo sich die >HalbjüdinJericho. Eine LiebesgeschichteJerusalem war immer eine schwere AdresseGrandhotel Bulgaria. Heimkehr in die VergangenheitVon der Erinnerung gewecktDu bist nicht so wie andre Mütter< zeitgeschichtliche Dokumentationen und eine tiefgreifende, berührende Beschreibung ihrer Familiengeschichte und ihres persönlichen Lebensweges präsentiert.«
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423433266
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum13.10.2017
Auflage1. Auflage
Reihedtv
Reihen-Nr.11697
Seiten510 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1746 Kbytes
IllustrationenFormat: EPUB
Artikel-Nr.2434248
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

»Tinalein!« ruft Ibi mit ihrer hellen Kristallstimme. »Wo steckst du denn?«

»Auf dem Balkon«, sage ich mit der Verdrießlichkeit, die Ibis ewig angeregte, mit Optimismus geladene Stimme in gewissen kritischen Situationen in mir hervorruft.

»Hast du etwa meine Party vergessen?«

»Wie könnte ich deine Party vergessen.«

»Warum bist du dann noch nicht hier? Wir wollten doch, bevor die Gäste kommen, noch ein bißchen in Ruhe quatschen.«

»Ich fürchte, meine Katze ist krank«, sage ich und finde, daß damit alles gesagt ist.

»Ja und?« fragt Ibi, die Tiere nicht ausstehen kann.

»Ich muß erst feststellen, ob sie wirklich krank ist, und wenn das der Fall ist, fliege ich morgen nicht.«

»Ja, ja, ja, du fliegst nicht«, sagt Ibi, die es ablehnt, meine Katzenprobleme ernst zu nehmen, »und jetzt komm schnell.«

Ich empfinde es als eine Ungerechtigkeit, daß ich mir dauernd die unergiebigen Geschichten über ihre Enkelkinder anhören muß, während sie sich glattweg weigert, dem Krankenbericht meiner Katze auch nur eine Sekunde Aufmerksamkeit zu schenken. Ich schaue auf die Terrasse hinaus. Bonni hat sich jetzt auf die Seite gelegt und alle vier Beine von sich gestreckt.

»Ibi«, schreie ich, »sie liegt da, als wäre sie tot.«

»Mach mich nicht meschugge, Tina, und beeil dich.«

»Ich bin noch nicht mal angezogen«, sage ich ernüchtert.

»Dann zieh dich an. Wie lange kann das schon dauern.«

»Mindestens eine halbe Stunde, wenn du mich in repräsentablem Zustand sehen willst.«

»Natürlich will ich das. Also mach dich sehr, sehr hübsch.«

»Das ist keine Frage von machen, sondern von sein, und ich finde ...«

»Was du findest, ist ganz egal, Hauptsache, wir finden dich hübsch.«

Ich hänge ein, schüttele mit einer Grimasse der Resignation den Kopf, entschließe mich dann zu lachen. Ibi hält es für die wirkungsvollste Therapie, auf meine diversen Stimmungen nicht einzugehen, und der Erfolg gibt ihr recht.

Ich gehe in die Küche, hole ein Stück rohe Leber aus dem Kühlschrank, lege sie auf ein Brettchen, nehme einen Topf mit Bierhefe, ein Messer und kehre, so bewaffnet, auf die Terrasse zurück.

»Du übertreibst, Bonni«, sage ich zu der Katze, die immer noch tot spielt, und stelle das Brettchen dicht vor sie hin.

Das winzige Dreieck ihrer Nase, eingebettet in zwei scharf getrennte Polster - das rechte beige, das linke schwarz -, beginnt zu zucken, die kleinen, silbergrau austapezierten Ohren stellen sich auf, der Schwanz schlägt in scheinbarem Unwillen einmal auf den Boden. Dann liegt sie wieder regungslos und heuchelt Desinteresse. Oder heuchelt sie nicht? Ich starte die Probe aufs Exempel und streue etwas Hefe über die Leber. Kaum steigt ihr der unwiderstehliche Duft in die Nase, reißt sie die Augen auf, hebt den Kopf und durchbohrt mich mit einem Blick, aus dem ich deutlich den Vorwurf herauslese: Das ist nichts anderes als ein gemeiner Trick.

»So ist es, meine Süße«, sage ich und beobachte, wie sie sich mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung erhebt und das umständliche Zeremoniell einer vornehmen Katze eröffnet, die zum Ausdruck bringen will, daß Fressen zwar eine proletarische Untugend ist, aber leider auch von ihr und ihresgleichen nicht umgangen werden kann.

Zuerst streift sie die Leber mit einem geringschätzigen Blick, dann wendet sie ihr das Hinterteil zu und fixiert in der entgegengesetzten Richtung eine Stelle, an der nichts steht, liegt oder krabbelt, was ihre Aufmerksamkeit fesseln könnte. Hat sie mir somit bewiesen, daß ihr nichts unangenehmer ist als der Anblick eines blutigen Stück Fleisches, beginnt sie mit kurzen, steifen Schritten einmal um das Brettchen herumzugehen und läßt sich erst, nachdem sie einen vollen Kreis beschrieben hat, davor nieder. Und jetzt, da das Zeremoniell beendet ist, fängt sie unter leisem Schnurren und mit beachtlicher Geschwindigkeit zu essen an. Als sie bis auf den letzten Anstandsbissen alles verschlungen hat, stehe ich beruhigt auf und gehe ins Schlafzimmer, um mich für Ibis Party hübsch zu machen. Ibi liebt es, sich mit Glanz und Flitter zu umgeben. Ihre Bewunderung für die Errungenschaften anderer ist naiv und neidlos und die Wahl ihrer Berühmtheiten anspruchslos. Es genügt, wenn der Betreffende mit einem klangvollen Namen oder Titel, einem Orden oder Preis, einem geistigen oder materiellen Produkt zweifelhaften Wertes aufwarten kann. Hauptsache ist, daß die Menschen, die sie um sich versammelt, nicht ganz alltäglich sind.

Damals, als sie mich auf unbegrenzte Zeit nach Jerusalem einlud - spontan und großzügig, wie nur Ibi sein kann -, hatte sie kaum eine Ahnung, was in all den Jahren aus mir geworden war. Ein kurzer Abschnitt in einem der letzten Briefe meiner Mutter hatte sie darüber aufgeklärt, daß ich hübsch, egoistisch und innerlich verhärtet sei, doch selbst dieser lakonische Bericht lag lange zurück. So wußte sie nichts anderes über mich als das, was ihr aus der fernen Vergangenheit geblieben war - die Erinnerung an die kleine Tochter ihrer Freunde, ein reizendes, aber verzogenes und kompliziertes Kind -, und das, was ich ihr im Telegrammstil kurz vor unserer Wiederbegegnung über mich mitgeteilt hatte: daß ich einen siebenjährigen Sohn hätte, ein Buch schriebe und alles in allem ein unglücklicher Mensch sei.

Ich hätte also, auch wenn einiges dagegensprach, ein sehr unangenehmer Hausgenosse sein können. Und als sie mich endlich sah, muß ihr ein Stein vom Herzen gefallen sein.

»Tinalein!« - und die ganze Freundschaft, die sie für meine Eltern und meinen Bruder empfunden hatte, war in ihre schwarzen Nachtfalteraugen geströmt -, »Tinalein, du hast dich ja gar nicht verändert.«

»Nein, überhaupt nicht«, hatte ich gleichzeitig gelacht und geweint. Später hatte sie mich dann ihre und Daniels einzige gemeinsame Tochter genannt, und als solche war ich stolz in ihrem Freundes- und Verwandtenkreis eingeführt worden.

Ibis Freunde, hauptsächlich Jecken, viele aus Berlin, alle Zugehörige des deutschen Kulturkreises, waren in drei Gruppen gegliedert: Zu der ersten zählten die Akademiker, Kollegen und Freunde, die sie von ihrem ersten Mann, einem Arzt, geerbt hatte; zu der zweiten die Intellektuellen, die ihr aus der zweiten Ehe mit einem Schriftsteller geblieben waren; zu der dritten das israelische diplomatische Korps, dem ihr gegenwärtiger Mann Daniel angehörte. Ich hatte die Ehre, von allen drei Gruppen angenommen, betreut, beschützt, erzogen, analysiert und beraten zu werden; denn ich war für sie, die seit über dreißig Jahren in einer Kleinstadt des Nahen Ostens lebten, das überzüchtete Produkt europäischer Kultur, Tradition und Zivilisation, war verkörperte Sehnsucht nach dem einst so sehr geliebten Abendland und Rückblick in eine immer noch lebendige Vergangenheit, war, kurzum, ein bunter, interessanter Vogel, der ihnen durch Not und Verwirrung zugeflattert war, mit bunten Flügeln ihre Sinne und mit verschreckten Augen ihre Herzen in Schwingung setzte. Als ein solcher wurde ich trotz meiner Unbildung, meines Hanges fürs Morbide und Negative, meines unverhohlenen Desinteresses Politik, kulturellen Veranstaltungen und ernsten, zukunftsträchtigen Fragen gegenüber, ja trotz meines total unkonventionellen Lebenswandels akzeptiert und geliebt. Was das bedeutet, kann man allerdings erst beurteilen, wenn man den Bildungs- und Gelehrsamkeitsdrang der Juden und den harten, gesunden Pioniergeist Israels kennt. Ich lernte ihn sehr bald kennen, aus der Entfernung schätzen, aus der Nähe fürchten. Denn natürlich wollte man mich bilden und mir gesunde, positive Reaktionen entlocken, natürlich wollte man, daß ich die großartige Einrichtung der Kibbuzim am eigenen Leibe erfahre und in dem Land, das ich so offensichtlich in mein Herz geschlossen hatte, haltbare Wurzeln schlage. Zu letzterem wäre ich auch nur zu gerne bereit gewesen, wäre mit Freuden in dieses Land zurückgekrochen wie in den Leib meiner Mutter, um ihm dann neugeboren zu entsteigen, ein frisches Geschöpf mit nicht mehr ganz so bunten Flügeln, aber blanken, zuversichtlichen Augen, ein Geschöpf, das die Zukunft, diesen hypothetischen Begriff, schlicht anerkannte und unter die Vergangenheit einen dicken Schlußstrich zog. Und war ich nicht mit diesen Träumen am richtigen Fleck? Waren sie nicht alle, die sich hier ein Leben aufgebaut hatten, aus einer anderen Welt gekommen? Hatten sie nicht alle ihre Gewohnheiten und Vorstellungen, ihre Pläne und Geleise gewechselt? Hatten sie sich nicht alle durchgebissen durch eine schwere Zeit der Umstellung und Anpassung, um dann rückblickend festzustellen, daß es sich gelohnt hatte, daß sie hier in ihrem eigenen Land glücklicher, freier, nützlicher waren als in den Ländern, in denen sie zu einer beargwöhnten Minorität gezählt hatten?

Ich beobachtete sie, studierte sie, versuchte ihnen auf die Schliche zu kommen. Wie hatten sie es geschafft? Was für Mittel hatten sie angewandt, um die Vergangenheit zu besiegen und die Zukunft zu erobern? Woher nahmen sie die Überzeugung, den Glauben, die Besessenheit?

Ich sah zu ihnen auf, bewunderte sie, versuchte ihre Eigenschaften zu den meinen zu machen. Aber es blieb bei einer oberflächlichen Nachahmung. Ich war ein Mensch ohne Überzeugung, ohne Glauben, ohne Zukunft. Meine Wurzeln steckten in der Vergangenheit, und die war mein Zuhause. Mein Leben war die Gegenwart und der Tod die Zukunft. Das war die Wahrheit, und es gelang mir nicht, sie aus mir herauszureißen.

Ich...
mehr

Autor

Angelika Schrobsdorff wurde am 24. Dezember 1927 in Freiburg im Breisgau geboren.1939 musste sie mit ihrer jüdischen Mutter aus Berlin nach Sofia emigrieren. Ihre Großeltern wurden in Theresienstadt ermordet. 1947 kehrte sie aus Bulgarien nach Deutschland zurück. Ihr erster Roman, 'Die Herren', sorgte 1961 wegen seiner Freizügigkeit für Aufruhr. 1971 heiratete sie in Jerusalem den Filmemacher Claude Lanzmann, wohnte danach in Paris und München und beschloss 1983, nach Israel auszuwandern. 2006 zog sie nach Berlin, wo sie im Juli 2016 verstarb.Angelika Schrobsdorffs erfolgreichstes Buch ist der Bestseller »Du bist nicht so wie andre Mütter«, der bislang allein im Taschenbuch fast 500.000 mal verkauft und mit Katja Riemann in der Hauptrolle verfilmt wurde. Im Deutschen Taschenbuch Verlag sind zahlreiche ihrer Bücher erschienen, neben »Du bist nicht so wie andre Mütter« u.a. >Jericho. Eine LiebesgeschichteJerusalem war immer eine schwere AdresseGrandhotel Bulgaria. Heimkehr in die VergangenheitVon der Erinnerung gewecktDu bist nicht so wie andre Mütter