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Vom Gebrauch der Wünsche

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Haymon Verlagerschienen am18.02.20141. Auflage
Leon ist noch im Kindesalter, als er jener Frau begegnet, die er sein Leben lang begehren wird. Aufgewachsen in einem Altersheim, in dem seine Mutter arbeitet, lernt er früh die Freuden und Schmerzen großer Leidenschaft kennen - früh gerät er zwischen die Fronten von Liebe und Tod. So will er sich mit dem Verlust des alten Giovanni, dessen bizarrem Charme Leon erlegen ist, nicht abfinden. Gleichzeitig erwacht die Begierde nach der geheimnisvollen Tänzerin Irmgard. Als er die Schöne Jahrzehnte später beim Tangotanzen wiedertrifft, zögert er keine Sekunde und nimmt sich, wonach er seit jeher trachtet. Mit emotionaler Wucht und sprachlicher Präzision fühlt Lydia Mischkulnig direkt an den Puls einer fatalen Leidenschaft und leuchtet zwischenmenschliche Abgründe aus, immer auf der Suche nach der Freiheit, der alle Figuren zustreben. Einmal mehr inszeniert Lydia Mischkulnig in ihrem Roman einen mitreißenden Tanz der Gefühle.

Lydia Mischkulnig, geboren in Klagenfurt, lebt und arbeitet meist in Wien. Mehrfach ausgezeichnet, u.a. Bertelsmann-Literaturpreis beim Ingeborg-Bachmann-Preis (1996), manuskripte-Preis (2002) und Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien (2007). Bei Haymon erschienen: Hollywood im Winter. Roman (1996, HAYMONtb 2012), Macht euch keine Sorgen. Neun Heimsuchungen (2009) und Schwestern der Angst. Roman (2010).
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Produkt

KlappentextLeon ist noch im Kindesalter, als er jener Frau begegnet, die er sein Leben lang begehren wird. Aufgewachsen in einem Altersheim, in dem seine Mutter arbeitet, lernt er früh die Freuden und Schmerzen großer Leidenschaft kennen - früh gerät er zwischen die Fronten von Liebe und Tod. So will er sich mit dem Verlust des alten Giovanni, dessen bizarrem Charme Leon erlegen ist, nicht abfinden. Gleichzeitig erwacht die Begierde nach der geheimnisvollen Tänzerin Irmgard. Als er die Schöne Jahrzehnte später beim Tangotanzen wiedertrifft, zögert er keine Sekunde und nimmt sich, wonach er seit jeher trachtet. Mit emotionaler Wucht und sprachlicher Präzision fühlt Lydia Mischkulnig direkt an den Puls einer fatalen Leidenschaft und leuchtet zwischenmenschliche Abgründe aus, immer auf der Suche nach der Freiheit, der alle Figuren zustreben. Einmal mehr inszeniert Lydia Mischkulnig in ihrem Roman einen mitreißenden Tanz der Gefühle.

Lydia Mischkulnig, geboren in Klagenfurt, lebt und arbeitet meist in Wien. Mehrfach ausgezeichnet, u.a. Bertelsmann-Literaturpreis beim Ingeborg-Bachmann-Preis (1996), manuskripte-Preis (2002) und Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien (2007). Bei Haymon erschienen: Hollywood im Winter. Roman (1996, HAYMONtb 2012), Macht euch keine Sorgen. Neun Heimsuchungen (2009) und Schwestern der Angst. Roman (2010).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783709935620
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum18.02.2014
Auflage1. Auflage
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1994 Kbytes
Artikel-Nr.2445463
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

I

Die Erinnerung an böse Menschen kann zauberhaft sein. Sie setzt mit dem Kind in einem Prachtbau ein.

Das Haus lag nicht in den ansteigenden Weinhügeln von Sievering, es thronte auf einer Anhöhe mitten in Sievering. Im Park um das einst herrschaftliche Anwesen aus dem Besitz einer vertriebenen Familie erhoben sich über hundert Jahre alte Mammutbäume, die alle unter Naturschutz standen. Die fossilen Riesenzypressen umringten den mächtigen Bau der Jugendstilvilla. Sie stammten aus Amerika. Wie sie hierhergekommen waren, interessierte noch keinen. Es wimmelte nur so vor Urzeit in diesem seltsamen Park, wo die Zeit an- und abebbte, ganz nach dem botanischen Gesetz der Pilze und Myzelien, Flechten und Moose. Darin waren die Gartenmöbel eingebettet und die Gartenkunst der innewohnenden Zeit gedieh im ewigen Wechsel mit der menschlichen Gepflogenheit, die Natur mit künstlichen Zerstörungsanflügen auszugleichen. Seit dem 19. Jahrhundert wuchsen die frostverträglichen Bäume, von einem Handlungsreisenden in der kaiserlichen Residenzstadt eingesetzt. Sie wuchsen und überdauerten die ständestaatlichen Zeiten, überlebten das Bombardement des Zweiten Weltkrieges und vegetierten weiter bis in die Restitutionsprozesse der neunziger Jahre, als niemand der einst Verjagten die Rückgabe der Villa einforderte, weil sie alle ermordet worden waren. So war der Besitz in Leons Herkunftsfamilie gefestigt.

Leon war ein Augenmensch. Er hob die Lider, um zu atmen und die Aura einzusaugen. Er kannte das geheimnisvolle Wort Mammutbaum und hier standen nun die monströsen Zeitzeugen einfach herum und der Kinderblick, welcher sich an Bilderbüchern geübt, verschlang die Welt, konnte sich nicht sattsehen.

Der schwere Wagen rollte über den Kies, bahnte sich den Weg, drang in die grüne Luft, wie ein Schiff mit dem Bug die milden Wasser einer Lagune teilt. Der Wind fuhr durch die Zweige, und überrascht, gleich auch etwas enttäuscht, doch in Verwunderung über die Wirklichkeit, die als Vorstellung nun entlarvt, sah er den Wald als nackte Tatsache; ihn bewohnten weder Kobolde noch wilde Kerle, weder mit Hörnern noch mit Krallen ausgestattete wilde Tiere. Er hatte Nadelbäume vor der Nase, die sich in die Höhe reckten, die an ihm vorüberzogen. Ein Rucken des Wagens erinnerte ihn daran, dass nicht die Stämme an ihm vorbeiglitten, sondern er an ihnen vorbeirollte. Er befand sich in Bewegung und diese Wahrheit fühlte sich wirklich und lebendig an. Nicht die Bäume kreisten um ihn, sondern er um sie. Die wilden Kerle, Monstren mit Klauen und Hufen, Stoßzähnen und Säbeln, waren wohl auch nur eine Erfindung von Menschen. Und auch Mutter war nur ein Mensch, der ein Leben als Kind hinter sich hatte, sich nun Mamu nannte, weil sie Mamu sein wollte, eine liebende, aufrechte Frau und Mutter, die gegen Atomenergie war und gegen den Atomtod demonstrierte, hoffend, eines Tages Politiker wählen zu können, die auf die Nachhaltigkeit der natürlichen Ressourcennutzung setzten.

Sie schwieg und bestaunte die Mammutbäume. Die Fahrt durch den Park genoss sie sichtlich. Sie legte den Kopf in den Nacken, die Kehle frei, sie war eine hingebungsvolle und sinnliche Frau. Sie hatte Vertrauen in die Natur: Hier sind sie. Schau, die Mammutbäume.

Mammut wie Mamu. Und als dieses Wort im Wageninneren sich ausbreitete, bogen sich die Wipfel, schaukelten die Stämme wie Masten von Yachten im Wind. Die Knickstelle eines Baumes lag da, ein offener Bruch, von Moos und Efeu überwachsen. Ein Hochgefühl befiel Leon. Er tauchte ins Paradies. Er fühlte die Kraft, eine Wucht an Lebenslust, als hätte so eine Kraft einst den Urknall ausgelöst. Als hätte er schon vor dem Urknall gelebt.

Leon öffnete die Tür und setzte die kleinen Füße, die in durchsichtigen Sandalen aus Plastik steckten, auf den gerechten Kies des Parkplatzes. Er hörte die Stimme der Mutter, die das vornehme Taxi bedankte. Sie verlangte eine Rechnung samt einkalkuliertem Trinkgeld. Mutter war keine gewöhnliche Mama, sondern Mamu, weil sie das Kind lange gestillt hatte, ihm eine gute und geduldige Kuh war. Mamu , sagte Leon und schmatzte schon, wenn er das Wort hörte. Er liebte sie auf eine besondere Weise, er verehrte sie und fand sie schön, und wünschte sich für sie einen Mann, also einen Vater. Ach, die Mammutbäume , wiederholte sie auf den Wald schauend, siehst du die Mammutbäume, Leon? Die kenne ich schon, seit ich Kind war. Hier bin ich , sagte sie zu den Bäumen und entstieg dem Auto. Sie breitete die Arme aus, als fasste sie Luft.

Es roch harzig. Der Geruch eines Konzentrats aus überstandenen Eiszeiten und Hitzeperioden, ein Existenzbe­weis von Leben und Tod der Organismen. Die Bäume hatten eine dicke Rinde aus groben, dichten und weichen Fasern, die an behaarte Elefantenhaut erinnerten und den harten Kern umschichteten. Die einheimischen Horden hatten auch in diesen Breitengraden Lendenschurze aus Fellen getragen und ihre Speere geschwungen, mit denen sie auf den Rücken der gefällten Baumleiber herumgesprungen waren und über erlegte Bäume und Tiere triumphiert hatten. Leons Yetis waren mitteleuropäische Urmenschen, die gegen Kälte und Eis das Winterfell eines Mammuts trugen. Natürlich wusste er, dass Bäume grün sind, dass sie leben, doch war er enttäuscht, dass der Mammutbaum letztlich nichts urwaldig Altes an sich hatte, nur eine Mischung aus Föhre und Tanne war, mit haariger Rinde, und nicht blutete, sondern harzte wie jede billige Fichte. Er hatte sich die Spezies als riesenwüchsigen Farn erhofft. Die gewöhnlichsten Illustrationen kindlicher Fantasien für das Große, Ausgestorbene und Überlebte sind von der Sehnsucht nach der Liebe überzuckert, die erst entzaubert wird, wenn die Geschichte wirkt, die durch das Altersheim geistert und in Urkunden Besitz als Beute der Feigheit entblättert.

Leon lernte, dass Benennungen nicht das bedeuteten, was man sich unter ihnen vorstellt. Mammut und Mamu. Mamu war diejenige, die ihn in den Bann gezogen hatte, ihn mit dem Geheimnis des Wortes gelockt hatte. Nicht die Mammutbäume waren es, sondern die Erzählung von ihnen, die jede Wirklichkeit als Idee formte, Luftballone, die an den Nadeln des Baumes zerplatzten. Der Klang der Worte bedingte Leons Bilder und er hatte Lust an der Erzählung gewonnen und damit Interesse für die Begeisterung seiner Mutter. Er identifizierte sich mit dem kleinen Mädchen, das hier geboren und aufgewachsen war, bei Verwandten in Pflege. Sie hatte die Mammutbäume als Paten gesehen, als Beschützer und Zeitzeugen. Dabei waren diese Pflanzen nicht alt genug für eine solche Instanz, nur riesig eben, aber eingesetzt von jenem reichen Handelstreibenden, dem früheren Besitzer, der hier Wurzeln schlagen wollte, bevor man ihn vertrieb. Die hergebrachte Botanik war somit kein Naturwunder.

Leon lebte mit Mamu allein in einem der zentralen Bezirke der Stadt. Sein leiblicher Vater war als sein persönlicher Vater nicht existent. Er war Garderobier und verdiente im Akademietheater sein Geld. Er hatte Schauspieler werden wollen, es jedoch nur zum Garderobier gebracht. Doch sein Traum vom Theater war nicht geplatzt. Leon bewunderte diesen Mann, als er ihn, oder war es irgendein Garderobier eines anderen Ranges, im Akademietheater beobachtete. Eines Tages würde er ihn auf sich aufmerksam machen, dachte er. Auch er wollte Schauspieler werden, noch lieber aber Artist, der auf dem Trapez seine Kunstflüge vollziehen würde, ganz ohne Sicherheitsnetz, was dem ignoranten Vater den Atem verschlagen sollte. Der Mann, als Garderobier sein Kind verleugnender Vater, hatte Mamu während der Schwangerschaft verlassen. Seine Familie hätte das Theater werden sollen. Er wusste es damals nicht besser und war gescheitert. Das Theater hatte ihn nicht gemocht. Er selbst war wiederum ein vaterloses Geschöpf, verlassen, weil sein Erzeuger nach Damaskus verschwunden war.

Leon spürte, dass er seinen Vater noch nicht einmal verloren hatte. Eine plötzliche Traurigkeit überschwemmte Leon, als er den Mann die Mäntel aufhängen sah. Er wollte selbst bestimmen, wann es Zeit wäre zu weinen, und deshalb verbot er sich die Tränen.

Leon wusste, dass er Vergangenheit anhäufte. Sie war in Sehnsucht gehüllt, vom Vater geliebt zu werden. Dabei wusste dieser nicht einmal, zu welcher Frau das Kind gehörte, das ihn beim Theaterbesuch anstarrte. Leon war froh, ein Bub zu sein. Diese Typen waren letzten Endes Väter ihrer selbst und viel leichter als eine Mutter in der Lage, ihre Familien zu verlassen. Ach, Leon vergaß darauf, dass Mädchen ganz anders verstrickt waren, er dachte nicht an seine Mutter, nur an den ihm fehlenden Vater.

Bis heute war sein Verrat tabu, blieb die Kluft zwischen ihnen. Leon verfügte über das natürliche Inventar zum Glück in menschlichem Ausmaß. Erst wenn die Trauer über die Vergangenheit einsickert, entsteht die ätzende Gewissheit der Trübnis jeglicher Hoffnung. Sie erzeugt das schale Gefühl, bald an der Leere der Zukunft zu resignieren. Welcher Zukunft? Noch gab es darauf keine Antwort.

Der Garderobier bewältigte jeden Nachmittag und jeden Abend die Mantelberge, die die Theaterbesucher auf seinen Tresen türmten. Leon konnte den schütter behaarten Kopf ausmachen, als er Schicht für Schicht vor sich abtrug. Das Gesicht war alt, fremd, und trotzdem rührten die traurigen Augen das Kind. Ein Vater, der mit den Mänteln anderer Leute fertig wurde, aber seinen Sohn ablehnte, überstieg sein Verständnis. Er suchte nach Erklärung und fand sie in der Überzeugung, all diese Mäntel zu verwalten, zu ordnen, um sie wieder auszuhändigen, musste eine Aufgabe sein, die seine gesamte Konzentration beanspruchte.

Mamu war mit Leon in die Kindervorstellung gekommen. Der...

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Lydia Mischkulnig, geboren in Klagenfurt, lebt und arbeitet meist in Wien. Mehrfach ausgezeichnet, u.a. Bertelsmann-Literaturpreis beim Ingeborg-Bachmann-Preis (1996), manuskripte-Preis (2002) und Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien (2007). Bei Haymon erschienen: Hollywood im Winter. Roman (1996, HAYMONtb 2012), Macht euch keine Sorgen. Neun Heimsuchungen (2009) und Schwestern der Angst. Roman (2010).