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Straßen der Sehnsucht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am22.09.20171. Auflage
Berlin in der Krise: Hier macht eine Fernsehproduktion dicht, da wird ein Werbeetat gestrichen, dort ist eine New-Economy-Klitsche zahlungsunfähig. Und mit der Liebe klappt es sowieso nicht. Gibt es hier eigentlich irgendwo einen Aldi? In Berlin-Mitte, eben noch gefühltes Zentrum der New Economy, changiert die Stimmung zwischen Ratlosigkeit, Fatalismus und Entsetzen. Allen steht's bis hier. Auch in seinem zweiten Roman lässt Martin Schacht seine Berliner Glückssucher von einer Schlappe in die andere stolpern. Gerade lief doch noch alles so gut. Und wenn es nun tatsächlich wieder mehr um Inhalt und Moral als um Partys und Verpackung ginge? Dann wäre man nicht selbst schuld an der Misere, sondern die allgemeine Stimmung. Und bis die sich bessert, wird das teure Apartment untervermietet, versetzt, was nicht niet- und nagelfest ist, oder ein bisschen auf den Strich gegangen. Und bei allem hilft die unerschütterliche Gewissheit, dass man anderen etwas voraus hat. Auch wenn man nicht so genau weiß, was.

Martin Schacht, geboren 1965 in Rendsburg, lebt als Autor, Journalist und Regisseur in Berlin und Bangkok. Bei Rowohlt erschienen die Romane «Mittendrin», «Straßen der Sehnsucht» und «Mandalay Moon».
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Produkt

KlappentextBerlin in der Krise: Hier macht eine Fernsehproduktion dicht, da wird ein Werbeetat gestrichen, dort ist eine New-Economy-Klitsche zahlungsunfähig. Und mit der Liebe klappt es sowieso nicht. Gibt es hier eigentlich irgendwo einen Aldi? In Berlin-Mitte, eben noch gefühltes Zentrum der New Economy, changiert die Stimmung zwischen Ratlosigkeit, Fatalismus und Entsetzen. Allen steht's bis hier. Auch in seinem zweiten Roman lässt Martin Schacht seine Berliner Glückssucher von einer Schlappe in die andere stolpern. Gerade lief doch noch alles so gut. Und wenn es nun tatsächlich wieder mehr um Inhalt und Moral als um Partys und Verpackung ginge? Dann wäre man nicht selbst schuld an der Misere, sondern die allgemeine Stimmung. Und bis die sich bessert, wird das teure Apartment untervermietet, versetzt, was nicht niet- und nagelfest ist, oder ein bisschen auf den Strich gegangen. Und bei allem hilft die unerschütterliche Gewissheit, dass man anderen etwas voraus hat. Auch wenn man nicht so genau weiß, was.

Martin Schacht, geboren 1965 in Rendsburg, lebt als Autor, Journalist und Regisseur in Berlin und Bangkok. Bei Rowohlt erschienen die Romane «Mittendrin», «Straßen der Sehnsucht» und «Mandalay Moon».
Details
Weitere ISBN/GTIN9783688106004
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum22.09.2017
Auflage1. Auflage
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse691 Kbytes
Artikel-Nr.2454156
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Kapitel 2 Unter Geiern

Das Plus am Bel Air ist die Lage. In einem kleinen Park gelegen, entspricht es perfekt dem Wunsch gestresster Großstädter, einmal rauszukommen ins Grüne, aber dafür nicht mehr als eine halbe Stunde Zeit opfern zu müssen. Leider sieht man dem Café die Vergangenheit als Mehrzweckgaststätte an. Obwohl frisch gestrichen, verströmt der flache Pavillon mit seinen Glasbausteinen und unverblendeten Platten-Fugen-Wänden von außen noch den gewissen Charme einer Hauptstadt der DDR. Innen ist es allerdings recht angenehm.

Statt wie damals den Launen tyrannischer Kellner ausgeliefert zu sein, wird der Gast von hübschen, kurzhaarigen Schwulen und modischen Frauen, die ein bisschen zu viel lachen, begrüßt. Mit ein paar Eames-Schalen, gebügelten, weißen Tischdecken und einem Alabaster-Tresen hat man das Lokal auf elegante Sixties-Lounge gestylt. Gut gemeint und fast gelungen, könnte man sagen, wäre da nicht zum Leidwesen der Besitzer das Publikum, das doch recht durchwachsene Publikum.

Unglücklicherweise war das Bel Air kurz nach seiner Eröffnung einmal als Geheimtipp in der alljährlichen Hauptstadtreportage eines überregionalen Magazins erwähnt, was für ambitionierte Szenegastronomie natürlich beinahe einem Todesstoß gleichkommt. An Feiertagen oder Wochenenden dominieren deshalb Touristen und andere völlig unmögliche Gäste, auch wenn es zu Fuß fast zehn Minuten zum Scheunenviertel ist und man alles tut, um diesen Leuten den Laden zu vergällen.

Die Kännchen und die Schwarzwälder Kirsch hat man den Rentnern ebenso genommen wie den Touristen die Berliner Weiße, aber so einfach geben die sich nicht geschlagen. Nun sitzen sie herum und bestellen eben Latte Macchiato und Profiteroles, die Verwegenen auch schon mal zur Happy Hour einen Cocktail. Nicht ohne dabei den Kellnern mit ständigen Fragen, was denn was sei, auf die Nerven zu fallen. Alexander hat daraufhin beschlossen, die Happy Hour ganz abzuschaffen und 08/15-Cocktails wie die Caipirinha drastisch zu verteuern.

Nur abends funktioniert der Laden so, wie er und Daniel sich das erhofft haben: Es gibt ein paar nette Kleinigkeiten zu essen, und man ist dank Türsteher unter sich. In letzter Zeit allerdings ein bisschen sehr unter sich. Die Leute gehen unter der Woche weniger weg, man merkt es schon. Nur wenn noch zusätzlich ein DJ auflegt, ist der Laden voll. Das wiederum rechnet sich nicht, und außerdem beschweren sich die Anwohner, obwohl das nächste Wohnhaus fast hundert Meter entfernt ist. Früher haben sich die Leute gefreut, wenn sie eine gute Bar in der Nähe hatten. Die Leute werden alt und spießig.

Seit sie das Café zusätzlich zum Partyservice übernommen haben, ist Alexander nur am Jammern. Mal gibt es Ärger mit den Ämtern, dann langt das Personal in die Kasse, ein paar Tage später wird eingebrochen und die Anlage geklaut, der Ärger will einfach nicht aufhören.

«Versuch mal, einen vernünftigen Geschäftsführer zu finden», klagt Alexander. «Unmöglich! Und selbst wenn du einen hast, musst du trotzdem jeden Tag im Laden stehen. Die Leute wollen dich sehen. Kaum bist du ein paar Tage weg, heißt es: Der Laden kann ja nichts taugen, wenn selbst der Besitzer sich da langweilt.»

«Anlaufschwierigkeiten», meint Stella gelassen. «Mach doch einen Verein draus, mit Mitgliedsausweisen und einem freiwilligen Unkostenbeitrag. Rezessionsgastronomie auf Vereinsbasis läuft im Moment wie verrückt. Da ist es dann auch egal, wenn es schmuddelig aussieht und es nichts Ordentliches zu essen gibt.»

Sie kann sich nur wundern. Offenbar hat Alexander sich vorgestellt, er bräuchte nur einmal am Tag zum Abrechnen zu kommen, während Daniel sich weiter um den Partyservice kümmert. Doch ganz so einfach geht es eben nicht. Seit einer halben Stunde schon sitzt sie mit ihm in dem halb leeren Lokal und lässt seine Leidensgeschichte über sich ergehen. Ihre Gäste sind wie üblich spät dran. Glücklicherweise sieht sie jetzt die ersten kommen und scheucht Alexander zurück an den ungeliebten Tresen.

Schließlich ist es ein Frauenstammtisch. Einmal im Monat, jeweils am zweiten Mittwoch, trifft man sich im Bel Air und redet. So über dies und über das und wie die Stimmung ist, später meistens über Männer, obwohl das Thema ursprünglich tabu bleiben sollte. Aus dem Networking und den beruflichen Synergieeffekten, die sich Stella und Annette einstmals davon versprochen haben, ist wenig geworden, aber sie haben es immer nett und unverbindlich.

Eigentlich war einmal geplant, reihum bei den festen Teilnehmerinnen zu tagen, aber irgendwie ist man im Bel Air hängen geblieben. Und seit Annette geheiratet hat und in die Schweiz gezogen ist, bleibt die Organisation an Stella hängen, die froh ist, wenn sie sich nicht allzu viel kümmern muss.

Ohnehin ändert sich die Zusammensetzung der Runde ständig, und das liegt an der Berliner Ökonomie. Hier macht eine Fernsehproduktion dicht, da wird ein Werbeetat gestrichen, dort ist eine New-Economy-Klitsche zahlungsunfähig. Und die Leute, die bei diesen Firmen bequeme, gut bezahlte Jobs hatten, fliehen in der Hoffnung, dass man dort auf sie wartet, zurück nach München, Köln oder Hamburg. Kein Durchhaltevermögen, findet Stella. Kaum streicht man ihnen den Dienstwagen und das dreizehnte Monatsgehalt, werden sie panisch. Haben doch immer alle davon geredet, wie flexibel sie seien. Stella findet es interessant, zu beobachten, wer Berlin wortlos den Rücken kehrt, weil er angeblich irgendwo ein Superangebot hat. Ein halbes Jahr später sind die meisten wieder da, immer noch ohne Job.

Wie dem auch sei: Es gibt ihren Jour Fixe, und Stella ist stolz darauf, dass er inzwischen einen gewissen Ruf hat. Wer kommt, der kommt, und wer nicht, eben nicht. Gegen zehn sitzt noch ein halbes Dutzend Frauen beisammen. Eine frisch entlassene Redaktionsmanagerin feiert feuchtfröhlich ihre Kündigung und spendiert die dritte Runde Houdinis.

«Erst haben sie von zehn Redakteuren sieben entlassen», quakt sie fröhlich, «und dann haben sie sich überlegt, dass sie für drei Redakteure ja auch kein Redaktionsmanagement mehr brauchen.»

«Da ist wohl was Wahres dran», meint dazu säuerlich eine freie Producerin von Werbefilmen, die sich früher gern über Leute mit Festanstellungen lustig gemacht hat. «Da siehst du mal, wie es uns Freiberuflern geht. Du kriegst jetzt drei Monate Gehalt, wahrscheinlich eine Abfindung, vier Wochen Resturlaub und dann jahrelang Arbeitslosengeld. Unsereins reißt sich den Arsch auf und kriegt gar nichts.»

Stella vernimmt das mit einer gewissen Genugtuung. Lange genug hat sie sich anhören müssen, dass auf dem freien Markt viel mehr zu holen sei als mit Arbeitsvertrag und Festgehalt. Ganz antizyklisch ist sie persönlich nämlich ziemlich zufrieden. Seit einem halben Jahr arbeitet sie für eine kleine Agentur in Kreuzberg und macht die PR für ein kalifornisches Surf-Label und eine Jeansfirma, die ihre Stoffe angeblich auf Originalwebstühlen aus den vierziger Jahren herstellt. Das Gehalt ist nicht besonders hoch, doch die Arbeit macht Spaß.

«Prost, Kinder», ruft sie, bevor das Ganze in eine Grundsatzdiskussion über die Ungerechtigkeit des Sozialsystems oder das Freiberuflerunwesen an sich abdriftet. «Übrigens will ich wieder zum Sport gehen. Wer kann was empfehlen?»

Tatsächlich machen alle irgendetwas. Die eine schwört auf Yoga-Hermann, die andere auf einen süßen Trainer, das besonders große Schwimmbad, den Bauchworkout, den Wellnessbereich oder die Saftbar, so als wollten sie sich mit Judo oder Pilates auf den großen Verteilungskampf vorbereiten, der Deutschland heimsuchen wird. Natürlich bekommen alle aufgrund ihrer Beziehungen oder Presseausweise Sonderkonditionen in den Clubs, trotzdem findet Stella, dass es mit der Verelendung der Kreativen nicht so weit her sein kann, solange die, ohne mit der Wimper zu zucken, monatlich hundert Euro und mehr fürs Fitness-Studio hinblättern.

«Holmes Place allerdings», bemerkt eine frisch entgiftete DJ-Bookerin, die schon den ganzen Abend demonstrativ an ihrer Diet-Coke nippt, «würde ich dir nicht empfehlen. Da sehe ich dauernd den guten Felix. Oder seid ihr wieder lieb zueinander?»

Sind sie nicht. Stella übergeht die Spitze, doch eine Frau, die niemand eingeladen hat und von der Stella nur weiß, dass sie immer mit einem Mikrofon dort herumlungert, wo Prominente hineingehen, hakt nach: «Vorabendserien-Felix? Ach was? War da mal was zwischen euch? Na ja, ´nen guten Body hat er. Gibt´s ja oft genug zu sehen, wie er aus der Dusche kommt ...»

Stella überhört auch diese Bemerkung geflissentlich. Sie hat nicht vor, sich provozieren zu lassen. Genauso wenig, wie sie vorhat, sich in irgendeiner Form mit Felix zu befassen.

«Aber das nützt auch nichts mehr», mischt sich eine Storylinerin von Straßen der Sehnsucht ein. «Das ist so ein Junge, dem die Leute so lange erzählt haben, dass er hübsch ist, bis er angefangen hat, selbst daran zu glauben. Und Selbstgefälligkeit steht solchen Typen nicht. Man mag sie nur, solange sie nicht wissen, dass sie hübsch sind.»

«Weiß nicht», sagt Stella leicht dahin, so als würde es ihr nichts bedeuten. «Er ist ein netter Kerl. Ich freue mich, wenn es ihm gut geht.»

Auch darauf hat die Storylinerin eine Antwort.

«Fragt sich, wie lange noch. Ich finde, die Figur ist auserzählt. Ein Fahrradkurier, der es in zwei Jahren zum Facharzt bringt, also please! Wenn´s nach mir ginge ...»

Stella ist froh, als in diesem Moment die Tür aufgeht und zwei Männer mit blonden Perücken und viel zu engen Blusen am Türsteher vorbeistürmen und, in der offensichtlichen Absicht, sich...
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