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Nebelgrab

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Piper Verlag GmbHerschienen am04.09.20181. Auflage
Nach ihrem Wechsel von der Mordkommission in den Innendienst der Kieler Polizei ist es für Olga Island nun höchste Zeit, ihren Kopf von der nervenaufreibenden Verwaltungsarbeit freizubekommen und Urlaub zu nehmen. Mit ihrer Freundin Lotte reist sie deshalb in die Hüttener Berge, um sich zu erholen. Doch schon bei ihrem ersten Ausflug wird das unwegsame Waldgebiet von unheimlichen Schreien erschüttert. Was der Nebel am nächsten Tag freigibt, ist der wohl grausigste Anblick in Olga Islands bisheriger Karriere: die brutal zugerichteten Leichen zweier Wanderer, eingehüllt in eine Art Kokon aus Filzwolle.

Kirstin Warschau, geboren 1965 in Kiel, arbeitete lange als Diplomarchivarin in verschiedenen norddeutschen Archiven, ehe sie Pädagogik und Psychologie studierte und nach Berlin ging. Sie verfasste zahlreiche Kurzgeschichten, die in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht wurden, und schreibt die erfolgreichen Kiel-Krimis um ihre Ermittlerin Olga Island. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Kiel.
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Produkt

KlappentextNach ihrem Wechsel von der Mordkommission in den Innendienst der Kieler Polizei ist es für Olga Island nun höchste Zeit, ihren Kopf von der nervenaufreibenden Verwaltungsarbeit freizubekommen und Urlaub zu nehmen. Mit ihrer Freundin Lotte reist sie deshalb in die Hüttener Berge, um sich zu erholen. Doch schon bei ihrem ersten Ausflug wird das unwegsame Waldgebiet von unheimlichen Schreien erschüttert. Was der Nebel am nächsten Tag freigibt, ist der wohl grausigste Anblick in Olga Islands bisheriger Karriere: die brutal zugerichteten Leichen zweier Wanderer, eingehüllt in eine Art Kokon aus Filzwolle.

Kirstin Warschau, geboren 1965 in Kiel, arbeitete lange als Diplomarchivarin in verschiedenen norddeutschen Archiven, ehe sie Pädagogik und Psychologie studierte und nach Berlin ging. Sie verfasste zahlreiche Kurzgeschichten, die in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht wurden, und schreibt die erfolgreichen Kiel-Krimis um ihre Ermittlerin Olga Island. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Kiel.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783492990462
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum04.09.2018
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.5
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1130 Kbytes
Artikel-Nr.2512772
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2

Etwas stimmt nicht, denkt Olga Island und starrt in die Dunkelheit. Sie sieht nichts, und doch ist da jemand und atmet. Sie lauscht angestrengt. Ihr Herz klopft schmerzend. Jemand steht neben ihrem Bett.

Sie starrt in die Finsternis, bis ihre Augen tränen. An der Wand ist ein dunkler Schatten zu sehen. Eine kräftige Gestalt in einem langen Mantel. Wer ist das? Entsetzt schließt sie die Augen.

Die Dielen knarren.

Sie rührt sich nicht.

Ein Poltern draußen auf dem Flur. Die Matte vor der Haustür rutscht über das Linoleum, der Widerhall von Tritten ist zu hören, jemand rennt die Treppe nach unten.

Olga Island springt auf, greift nach ihrer Jacke, folgt den Schritten so schnell sie kann. Durch das Milchglasfenster im Treppenhaus fällt kaum Licht. Unten schlägt die Hoftür. Sie war nur angelehnt. Es ist hier wie überall: Keiner ist zuständig, niemand kümmert sich. Die Tür stand offen. Auch sie hat sich nicht darum geschert. Jetzt kommt die Quittung.

Plötzlich das Wasser, es kommt aus der Küche, fließt über die Schwelle, in den Flur, zur Tür hinaus, lässt den Fußabtreter aufschwimmen, läuft über den Treppenabsatz, die Stufen hinunter wie ein Fluss. Und sie kann es nicht verhindern.

Sie erreicht den ersten Stock, als die Hoftür krachend zuschlägt. Die Zeit dehnt sich, dann zieht sie sich zusammen. Alles dauert viel zu lange. Und draußen nur schwarzer Nebel. Das Kind, das der Mann unter seinem Mantel an seinen Körper presst, ist stumm wie ein Fisch. Wie hat er es nur gefunden? Er muss es schon bei sich gehabt haben, als er noch neben ihrem Bett stand. Sie hat es nur nicht bemerkt.

Jetzt steht sie im Hof und starrt in die Stille.

Nichts regt sich.

Kein Licht in den Nachbarhäusern.

Sie ist allein.

»Piotr!«, schreit sie aus Leibeskräften. »Piotr, ich weiß, dass du da bist!«

Es ist ihre Schuld. Sie hätte nicht einschlafen dürfen. So was darf einfach nicht passieren.

»Frau Island«, sagte eine männliche Stimme gereizt. »Was ist los? Geht es Ihnen nicht gut?«

Sie fuhr hoch und riss die Augen auf. In ihrem Zimmer war es so still wie in dem Hof, in dem sie eben noch gestanden hatte. Draußen vor dem Fenster leuchtete die Eingangsfassade der altehrwürdigen Bezirkskriminalinspektion Kiel, die ihrem Büro direkt gegenüberlag, im gleißenden Licht der Mittagssonne. Die Helligkeit schmerzte in den Augen. Sie blinzelte.

Henning Kruse, ihr Kollege, mit dem sie sich das Büro teilte, stand vor ihrem Schreibtisch und beäugte sie wie ein Insektenforscher einen seltenen Falter.

»Haben Sie nach dem Essen ein wenig gechillt?«, fragte er misstrauisch. »Auf Ihrer Stirn ist ja ein perfekter Abdruck Ihrer Computertastatur zu sehen.«

»Was?«, fragte sie benommen und wischte sich eilig einen Speichelfaden von den Lippen. Sie wollte überhaupt nicht aufwachen, sie wollte den Traum zu Ende bringen. Das Kind auf dem Hof war dem Mann ausgeliefert. Sie musste â¦

»Also geschnarcht haben Sie nicht direkt, aber wenn Sie mich fragen, hörte es sich irgendwie nach Albtraum an«, sagte Kruse, ohne eine Miene zu verziehen.

»Kann mich nicht erinnern«, log sie schulterzuckend, beugte sich hinunter und wühlte in ihrer Schreibtischschublade nach Taschentüchern. Diskret wischte sie sich den Schlaf aus den Augen.

Die Wassergeister lassen mich nicht los, dachte sie, immer wieder dieser Traum mit dem Wasser.

In ihrem Rücken rollte Kollege Kruse seinen Bürostuhl heran und setzte sich in der ihm eigenen steifen Art mit geradem Rücken an seinen Schreibtisch, der direkt vor der Wand stand. Auf diese Weise begegneten sich ihre Blicke nicht, wenn sie an ihrem PC saß. Stattdessen konnte sie sich das gerahmte Foto des Leuchtturms »La Vieille« ansehen, ein ausgeschnittenes Kalenderblatt, das sie über ihrem Arbeitsplatz angebracht hatte. Unzählige Male hatte sie sich schon dorthin gewünscht. Es war ein tolles Foto von diesem ganz besonderen Leuchtturm an der stürmischen bretonischen Küste. Sie stellte sich vor, wie sie dort an einem sonnigen Sommertag auf der Balustrade des Leuchtturmes stand und Wind und Wellen genoss. Leider war sie noch nie in der Bretagne gewesen, aber sie träumte davon. Über dem Schreibtisch ihres Kollegen hing der Leuchtturm von Westerheversand.

Mit umständlichen Bewegungen begann Kruse, seine Mappen und Papiere zu ordnen, die er eigentlich schon vor der Mittagspause fein säuberlich aufeinandergelegt hatte. Olga wurde das niederschmetternde Gefühl nicht los, dass sie schon viel zu viele Stunden ihres Lebens mit Henning Kruse in diesem Zimmer gehockt hatte. Und sie wollte sich daran einfach nicht gewöhnen, dass es immer so weitergehen sollte. Aber das war die Realität: Sie arbeiteten nebeneinander her, der Zufall hatte sie in einen Raum gesperrt, und Ort und Zeit ihrer Arbeit war alles, was sie miteinander verband. Mit einer leicht depressiven Niedergeschlagenheit dachte sie daran, dass sie seit Jahren Woche für Woche mehr Stunden mit Henning Kruse verbrachte als mit irgendeinem anderen Menschen, ihre Tochter Smilla ausgenommen. Was für eine verschwendete Lebenszeit.

Alles nur eine Zwischenlösung, so lautete ihr tägliches Mantra. Aber diese »Zwischenlösung« dauerte nun schon sieben Jahre an. So lange arbeitete sie inzwischen im Führungsstab der Bezirkskriminaldirektion Kiel. Eigentlich, das musste sie sich immer wieder klarmachen, war es eine gut dotierte Verwaltungsstelle, ein schlichter, übersichtlicher Nine-to-five-Job, damit aber zugleich genau das, was sie niemals hatte haben wollen. Trotzdem hatte sie das Angebot damals angenommen. Das lag zum einen an Smilla, die in jenem Herbst ein knappes Jahr alt gewesen war, als Olga Island ihre Arbeit als Mordermittlerin nach fast zwanzig Jahren im Dienst aufgegeben hatte.

Es waren nicht nur die Arbeitszeiten im Schichtdienst gewesen, die mit den Betreuungspflichten einer alleinerziehenden Mutter nur schwer in Einklang zu bringen gewesen waren. Der eigentliche Auslöser für einen Wechsel in den Innendienst war ein anderer gewesen. Bei einer schwierigen Mordermittlung hatte ein psychopathischer Täter ihre Tochter entführt und sie bei einer wilden Verfolgungsjagd in einem Heißluftballon hoch über Ostholstein mit dem Tod bedroht. Olga hatte sich damals geschworen, etwas in ihrem Leben zu ändern. Eine Mischung aus Hass, Wut, Resignation, Angst und Verzweiflung hatte sie umgetrieben und wochenlang nicht losgelassen. Sie hatte den Glauben verloren, mit ihrer Arbeit bei der Mordkommission irgendetwas Gutes bewirken zu können. Es war wie in einem Treibsand gewesen, ein strudelnder Abgrund hatte sich aufgetan, in dem sie zu versinken drohte. Man hatte sie krankgeschrieben und zu einer Rehamaßnahme in eine Kurklinik nach Süddeutschland geschickt, zusammen mit Smilla. Dort hatte man Olga Island zusammen mit anderen Kriminalbeamten und Lehrern im Burn-out einigermaßen wieder aufgepäppelt. Gegen Ende der Reha hatte sie sich die Frage stellen müssen, wie es beruflich weitergehen sollte. Schweren Herzens hatte sie schließlich den Antrag auf Versetzung gestellt.

Das Dienstzimmer, das sie mit Kruse teilte, war eigentlich recht geräumig, manche Kollegen sagten Tanzsaal dazu, aber trotz der Größe war es schwierig, sich im täglichen Tun aus dem Weg zu gehen. Am Anfang hatte Kruse sich redlich um eine gute Stimmung zwischen ihnen bemüht. Aber es gab kaum etwas, an dem sie wirklich zusammenarbeiten mussten, jeder hatte seine abgegrenzten, sehr beschränkten Aufgaben zu erledigen. Und Olga hatte einfach nie einen persönlichen Draht zu ihm gefunden. So waren die Jahre dahingegangen.

Smilla ging nun schon in die zweite Klasse. Sie war ein fröhliches, aufgeschlossenes und selbstständiges Mädchen, das seine Mutter nicht mehr ständig brauchte. Für Smilla hatte sich das alles gelohnt. Nur für sich selbst hatte Olga das Gefühl, mit ihren bald fünfzig Lebensjahren an einem Tiefpunkt festzustecken. In der letzten Zeit ertappte sie sich immer wieder bei dem Gedanken, alles hinzuschmeißen, nach Berlin zurückzugehen und noch einmal ganz von vorn anzufangen. Leider mangelte es ihr an Energie für diesen Schritt, und sie befürchtete, dass ihre Gedanken zu diesem Thema nur ein Traumgespinst bleiben würden.

»Wie kann man denn so müde aus der Wäsche gucken, wenn man eine ganze Woche Urlaub vor sich hat?«, fragte Henning Kruse übertrieben ironisch und freute sich, als hätte er einen tollen Witz gemacht. Er hatte seine ordnende Tätigkeit beendet und wollte offenbar erst einmal quasseln, bevor er sich etwas Neues vornahm.

Olga zuckte die Schultern.

»Eisenmangel vielleicht.«

Kruse war vor einem halben Jahr Vater eines seiner Meinung nach einzigartig prächtigen Sohnes geworden. Und wenn sie seinen Erzählungen Glauben schenken durfte, war er immer derjenige, der in den Nächten aufstand und das Kind versorgte. Trotzdem hatte er tagsüber im Büro noch genug Tatkraft übrig, um Olga mit ewig langen dienstlichen Telefonaten und aufgezwungenen privaten Gesprächen zu quälen.

Jetzt ignorierte er ihre medizinischen Ausflüchte und fragte stattdessen:

»Wo soll es hingehen?«

»Hüttener Berge.«

»Oh«, sagte Kruse. »Kenn ich gut. Die Wildnis hinter Eckernförde. Verlaufen Sie sich bloß nicht. Manch einer hat da nie wieder rausgefunden.«

»Jetzt krieg ich aber Angst«, sagte Olga Island und musste nun doch lächeln.

»Und ganz ohne Tochter?«

Sie nickte.

»Etwa ganz allein?«

Sein Blick war neugierig.

»Mit einer Freundin«, antwortete...

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Kirstin Warschau, geboren 1965 in Kiel, arbeitete lange als Diplomarchivarin in verschiedenen norddeutschen Archiven, ehe sie Pädagogik und Psychologie studierte und nach Berlin ging. Sie verfasste zahlreiche Kurzgeschichten, die in Anthologien und Zeitschriften veröffentlicht wurden, und schreibt die erfolgreichen Kiel-Krimis um ihre Ermittlerin Olga Island. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Kiel.