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Blutbuche

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
480 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am21.05.2018
'Bitte helft mir! Er sagt, er reißt mich in Stücke.' Das und noch Schlimmeres steht in einem von drei kryptischen Briefen, die der polnischen Polizei zugespielt werden. Die Briefe sind auf Deutsch verfasst, und so erbittet man Amtshilfe bei der Berliner Polizei. Ein Gutachten soll klären, ob hier jemand unter grausamsten Bedingungen gefangen gehalten wird oder ob diese Briefe nur ein übler Scherz sind. Der Fall landet auf dem Tisch von Emma Carow, die für ihre genialen Analysen bekannt ist. Bei dem Versuch, das Rätsel zu lösen, wird sie mit ihren eigenen Dämonen konfrontiert.

Ule Hansen ist das Pseudonym eines Berliner Autorenduos. Astrid Ule ist zudem Lektorin und Dozentin für Kreatives Schreiben, Eric T. Hansen freier Journalist und Lesebühnengastgeber. Gemeinsam haben sie bereits mehrere Dreh- und Sachbücher verfasst. Sie teilen eine Leidenschaft für nächtliche Gespräche bei gutem Whisky, exzentrische Halloweenpartys und ziellose Streifzüge durch die vergessenen Ecken der Stadt.
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Produkt

Klappentext'Bitte helft mir! Er sagt, er reißt mich in Stücke.' Das und noch Schlimmeres steht in einem von drei kryptischen Briefen, die der polnischen Polizei zugespielt werden. Die Briefe sind auf Deutsch verfasst, und so erbittet man Amtshilfe bei der Berliner Polizei. Ein Gutachten soll klären, ob hier jemand unter grausamsten Bedingungen gefangen gehalten wird oder ob diese Briefe nur ein übler Scherz sind. Der Fall landet auf dem Tisch von Emma Carow, die für ihre genialen Analysen bekannt ist. Bei dem Versuch, das Rätsel zu lösen, wird sie mit ihren eigenen Dämonen konfrontiert.

Ule Hansen ist das Pseudonym eines Berliner Autorenduos. Astrid Ule ist zudem Lektorin und Dozentin für Kreatives Schreiben, Eric T. Hansen freier Journalist und Lesebühnengastgeber. Gemeinsam haben sie bereits mehrere Dreh- und Sachbücher verfasst. Sie teilen eine Leidenschaft für nächtliche Gespräche bei gutem Whisky, exzentrische Halloweenpartys und ziellose Streifzüge durch die vergessenen Ecken der Stadt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641201142
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum21.05.2018
Reihen-Nr.2
Seiten480 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3890 Kbytes
Artikel-Nr.2514862
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Emma Carow saß ihrem Vergewaltiger gegenüber und war die Ruhe selbst.

Sie konnte ihn riechen, obwohl gute drei Meter zwischen ihnen lagen. Den Klang seiner Stimme hören, obwohl er schwieg. Sie mied seinen Blick, aber sie wusste, er schaute sie an. Dennoch war sie ruhig. Ihre Hände zitterten nicht. Sie konnte frei atmen. Die ein, zwei Tropfen Schweiß auf der Stirn, die waren den Scheinwerfern geschuldet.

Sie wunderte sich über sich selbst. Wie konnte sie so gelassen sein?

Weil sie gut vorbereitet war? Sie wusste, was sie zu sagen hatte. Sie hatte es geprobt, hatte es aufgeschrieben und ausgesprochen. Immer wieder. Vor dem Spiegel. Im Auto, auf dem Weg hierher. In der Garderobe. Es hatte ihr nur noch nie jemand dabei gegenübergesessen.

Emma Carow saß unter einer Glaskuppel, die so aussehen sollte wie die, die den Reichstag krönte, nur kleiner. Um sie herum wuchs ein zylindrisches Stahlgerüst in die Höhe: der Gasometer in Schöneberg, Abschnitt 42. Ein Relikt aus den Zeiten, als das Erdgas noch überirdisch gelagert wurde. Damals umfing das stählerne Außenskelett einen flexiblen Innensilo, der je nach Bedarf aufgepumpt werden konnte. Vor dem Krieg war der Gasometer ein Symbol der allgegenwärtigen Industrie gewesen, die die Luft der Hauptstadt verpestete, heute war er ein nostalgisches Symbol für das, was Berlin schmerzlich fehlte: eben jene Industrie. In dieses Ding hatten die TV-Macher die Kuppelkulisse gesetzt, die sie umfing, Bombast im Kleinen. Fünf Gäste saßen neben Emma auf der roten Bühne. Hinter ihnen rot-gelbe Bühnendeko, vor ihnen Kameras. Und Zuschauer. Aufgereiht auf einer Tribüne. Sie erkannte keine Gesichter, die Lampen blendeten sie. Ihre Schwester war nicht darunter, das wusste sie. Sarah saß mit ihrem neuen Liebsten vor dem Fernseher. Emmas Kollegen wahrscheinlich auch.

Emma, dezent geschminkt, kreuzte die Beine in den hellen Wildlederstiefeln, dazu trug sie schwarze, enge Jeans und einen weißen Wollpulli, die Klamotten hatte Sarah ausgesucht: »Keine Widerrede.« Sie strich sich über die raspelkurzen blonden Haare und wunderte sich über sich selbst.

Neben ihr die Moderatorin.

Charlotte Langendorn. Breites Lächeln, einfach sympathisch, trotzdem seriös. Vertrauenswürdig. Sie hatte verstanden, was Emma zu sagen hatte, im Großen und Ganzen, sie hatten sich darüber unterhalten, damals schon, als Emma spontan in der Sendung angerufen hatte, zu der sie nun ins Studio eingeladen war, um die zehn Wochen war das jetzt her. Jung, die Langendorn, aber schon ein alter Hase, es war gut, so jemanden zur Seite zu haben. Dann die Pastorin, Feldwiese oder so. Über sie stand immer wieder mal was in der Zeitung - Frau mit großem Herzen, Pragmatikerin, in der Friedensbewegung aktiv. Der Strafrichter, Hoppe. Sie kannten sich. Der Promi natürlich, André Irgendwas. Hatte in irgendeiner TV-Show irgendein Lied über Frieden zwischen Mann und Frau gesungen, Frieden und Liebe oder so, das machte ihn zum Experten für Vergewaltigung.

Und Uwe Marquardt.

Ohne Mauer. Ohne Gitter. Ohne Handschellen. Frei saß er da, wie ein ganz normaler Mensch, ein Mensch, der lediglich die seltsame Angewohnheit hatte, Frauen wie sie drei Tage lang ans Bett zu fesseln und zu vergewaltigen.

Aber es war kein Problem. Überhaupt kein Problem. Denn sie hatte ihn überwunden. Oder war auf dem besten Weg dazu. Sie war stärker, sie war vorbereitet, sie wusste, was sie zu tun hatte, sie waren in der Öffentlichkeit, in der Öffentlichkeit hatte einer wie er keine Gewalt über sie. Nur im Dunkeln, nur mit Messer und Seil, nur damals, bevor sie Polizistin wurde, bevor sie eine Waffe hatte, bevor sie verstand, dass es Menschen wie ihn gibt auf dieser Welt - bevor sie begann, Menschen wie ihn zu studieren. So einer wie er, ein Feigling wie er, würde ihr vor den Augen anderer nichts antun.

Uwes Gesicht. Ganz nah, dieser inwärts gerichtete Blick, der Atem, der immer so laut war, die Härchen in seinen Nüstern, die glänzenden Stoppeln an seinem Hals, wohl noch schnell beim Friseur gewesen, seine vollen, drahtigen Haare, bestimmt geföhnt, seine Schläfen, der dünnste Part des menschlichen Schädels, da sollte man nicht mit dem Absatz gegentreten, seine ungewöhnlich hellen, wässrigen Augen, seine breiten Schultern unter dem karierten Hemd, seine Selbstzufriedenheit, sein Schwiegersohngrinsen, dieses penetrante Grinsen.

Wieso grinste er? Wusste er nicht, was jetzt kommen würde? Hatte er keine Angst davor, was sie jetzt sagen würde?

Die Langendorn redete, ans Publikum gewandt. Irgendwas lief vom Band, auf dem großen Monitor hinter ihnen, ein Einspieler: Jemand erzählte von einer Vergewaltigung. Eine junge Studentin, neunzehn, in Frankfurt am Main, will von einer Party aus einem Vorort nach Hause, es ist spät, die nächste S-Bahn fährt erst in zwei Stunden, da nimmt jemand sie im Auto mit, sie kennt ihn, ein Kommilitone, doch er fährt sie nicht nach Hause, er fährt in den Wald, zum Ferienhaus seiner Eltern, das muss sie sich ansehen, und außerdem braucht er dringend einen Kaffee, irgendwas sagt ihr, hier stimmt was nicht, aber es ist ihr peinlich, ihn zu konfrontieren, er war ja so nett und hat sie mitgenommen, man beschuldigt nicht irgendjemanden einfach nur so. Dann plötzlich ist dieses Jagdmesser in seiner Hand, plötzlich ist die Klinge an ihrem Hals. Über drei Tage hält er sie in der Hütte fest, vergewaltigt sie immer wieder, richtet sich mit ihr ein, als ob sie ein Paar wären, ein ganz besonderes Paar, dessen eine Hälfte winselnd und bettelnd ans blutgetränkte Bett gefesselt bleibt, bis der Vater des jungen Mannes unerwartet auftaucht und einen Krankenwagen ruft.

Emma hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie war sich kaum bewusst, dass der Einspieler ihre Geschichte erzählte.

Der Vergewaltiger heißt Uwe Marquardt. Sieben Jahre hat er in Haft verbracht. Jetzt ist er frei und, wie er sagt, geläutert: ein Mann, der gelernt hat, Frauen zu respektieren. Sie nicht als Beute, als Besitz, als Spielzeug zu betrachten, sondern als Menschen. Er hat auch ein Buch darüber geschrieben: Läuterung. Die lange Reise zu mir selbst. Das Buch verkauft sich gut, er hält Lesungen, gibt Interviews, wird von Stiftungen, Bildungseinrichtungen, Tagungen als Gastredner eingeladen. In dem Buch versichert er, dass er nur noch einen Wunsch habe, für den er alles tun würde: dass sein Opfer ihm verzeiht.

Heute sitzen sie sich zum ersten Mal öffentlich gegenüber, Täter und Opfer. Dieselbe Emma, die sich noch vor wenigen Wochen nicht vorstellen konnte, dass irgendwer von ihrer Geschichte erfuhr, die dann hinnehmen musste, dass er sie vor aller Welt in seinem Buch ausbreitete, die sich rechtlichen Beistand geholt hat, die bereit war, vor Gericht zu gehen, um die Hinweise auf sie im Text schwärzen zu lassen - dieselbe Emma hat sich nun zur öffentlichen Person gemacht und damit auf all dies verzichtet, es würde keine Schwärzungen geben, sie würde das Buch nicht mehr anfechten, weil sie etwas Wichtiges zu sagen hatte, etwas, das wichtiger war als der Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte.

Dann war der Einspieler vorbei, und Langendorn wandte sich an sie. Sagte etwas. Eine Frage, vermutlich die gleiche wie in dem Einspieler: Können Sie diesem Mann je verzeihen? Ganz genau hatte Emma sie nicht verstanden, weil sie nicht darauf geachtet hatte. Die Frage war auch egal. Sie wusste, was sie zu sagen hatte. Als sie sicher war, dass die Kamera auf sie gerichtet war, sprach sie.

»Uwe Marquardt ist nicht geläutert. Er wird erneut vergewaltigen, er kann nicht anders.«

»Aber woher ...«, versuchte es die Moderatorin.

»Ich bin vom Fach. Ich bin Fallanalystin«, sagte Emma. »Mein Spezialgebiet sind Serientäter. Ich analysiere Psychopathen und Soziopathen. Uwe Marquardt ist einer von ihnen. Er hat die Vergewaltigung nicht aus Neugier probiert, sie ist ihm nicht versehentlich passiert, er hat es getan, weil er Gewalt ausüben will, und er wird es wieder tun. In ihm steckt ein Serientäter, schlimmstenfalls ein Serienmörder.«

»... woher können Sie das wissen?«

»Das ist die Entwicklung, die wir bei seinesgleichen immer wieder beobachten. Es steckt in ihm und wird immer in ihm stecken. Er will noch immer vergewaltigen, kontrollieren, quälen und erniedrigen, er braucht das, die Macht über ein schwächeres Wesen. Das ist die einzige Emotion, die stark genug für ihn ist, um sie spüren zu können. Dagegen gibt es keine Therapie. Die Heilung von Psychopathen ist ein Mythos.« Der Moderatorin hatte es tatsächlich kurz die Sprache verschlagen, aber in der Pastorin regte sich Widerstand, das sah man ihr an. Emma fuhr fort: »Sicher, wir wollen alle daran glauben, dass ein Straftäter wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden kann. Bei vielen klappt das auch ... Doch Psychopathen sind ab einem bestimmten Punkt nicht mehr resozialisierbar. Herrn Marquardts Buch, seine Reue, seine Beteuerungen - das ist Show, Spiel, Spaß, er manipuliert die Öffentlichkeit, damit er ungestört weiter vergewaltigen kann. Ich bin heute Abend nur aus diesem einen Grunde hier: Sie zu warnen....

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Ule Hansen ist das Pseudonym eines Berliner Autorenduos. Astrid Ule ist zudem Lektorin und Dozentin für Kreatives Schreiben, Eric T. Hansen freier Journalist und Lesebühnengastgeber. Gemeinsam haben sie bereits mehrere Dreh- und Sachbücher verfasst. Sie teilen eine Leidenschaft für nächtliche Gespräche bei gutem Whisky, exzentrische Halloweenpartys und ziellose Streifzüge durch die vergessenen Ecken der Stadt.