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Die Maske

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Diogeneserschienen am28.02.20182. Auflage
Die mächtige japanische Kuki-Familie folgt einer menschenverachtenden Tradition: Der jeweils jüngste Sohn wird dazu erzogen, das Böse über die Menschheit zu bringen. Und so erhält Fumihiro eine Ausbildung, deren Ziel Zerstörung und Unglück ist, so viel ein einzelner Mensch nur vermag. Doch er hat andere Pläne: Fumihiro liebt das Waisenmädchen Kaori und will sie beschützen - und damit wird sein eigener Vater zu seinem schlimmsten Feind.

Fuminori Nakamura, geboren 1977 in Tokai, studierte Öffentliche Verwaltung und Staatsverwaltung an der Universität Fukushima. 2002 erschien sein Debüt ?Ju? (?Der Revolver?). Inzwischen hat er in Japan über ein Dutzend Romane veröffentlicht, die in viele Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Fuminori Nakamura lebt in Tokio.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextDie mächtige japanische Kuki-Familie folgt einer menschenverachtenden Tradition: Der jeweils jüngste Sohn wird dazu erzogen, das Böse über die Menschheit zu bringen. Und so erhält Fumihiro eine Ausbildung, deren Ziel Zerstörung und Unglück ist, so viel ein einzelner Mensch nur vermag. Doch er hat andere Pläne: Fumihiro liebt das Waisenmädchen Kaori und will sie beschützen - und damit wird sein eigener Vater zu seinem schlimmsten Feind.

Fuminori Nakamura, geboren 1977 in Tokai, studierte Öffentliche Verwaltung und Staatsverwaltung an der Universität Fukushima. 2002 erschien sein Debüt ?Ju? (?Der Revolver?). Inzwischen hat er in Japan über ein Dutzend Romane veröffentlicht, die in viele Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Fuminori Nakamura lebt in Tokio.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783257608724
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Verlag
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum28.02.2018
Auflage2. Auflage
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse882 Kbytes
Artikel-Nr.2515505
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Teil 1 Vergangenheit


1


»Was ich dir zu sagen habe, wird für dein Leben von großer Bedeutung sein.«

Ich war elf, als mein Vater mich in sein Arbeitszimmer rief. Er trug einen schwarzen Anzug und sank schwer in das weiche Ledersofa - er war ein alter Mann, und das Stehen machte ihn müde. Durch einen Spalt im Vorhang schien die untergehende Sonne. Im orangefarbenen Gegenlicht war Vaters Gesicht nur als Silhouette zu erkennen. Ich umklammerte ein ferngesteuertes rotes Auto, an dessen Rädern noch Dreck klebte, und fühlte mich klein und verloren in dem großen, kalten Raum. Es roch nach Alkohol, als Vater weitersprach.

»Es geht um deine Erziehung. Was nicht bedeutet, dass ich mir große Hoffnungen mache. Ich will ein Geschwür in diese Welt setzen. Unter meiner Obhut wirst du zu diesem Geschwür heranwachsen. Ein Stachel des Bösen, sozusagen.«

Ich konnte seine Gesichtszüge nicht sehen, aber es war unwahrscheinlich, dass er grinste oder sonst eine Miene verzog. Wie immer muss sein Blick starr und ausdruckslos gewesen sein.

»Meine anderen Kinder sind bereits erwachsen und geachtete Mitglieder der Gesellschaft. Und zwar deshalb, weil sie ungebeten in diese Welt kamen und ihren eigenen Weg gehen konnten. Dich aber habe ich mit einer bestimmten Absicht gezeugt. Als ich schon über sechzig war. Das hat in meiner, nein unserer Familie eine gewisse Tradition.«

Das Gegenlicht blendete mich noch immer.

»Mit Geschwür meine ich etwas, das die Welt ins Unglück stürzt. Jeder soll sich wünschen, niemals in diese Welt hineingeboren worden zu sein, oder zumindest denken, dass es hier nichts Gutes mehr gibt.«

Es klopfâte an die Tür. Auf Vaters Wink hin trat eine junge Hausangestellte ein. Ihre Augen waren groß und klar, der Nasenrücken schlank, die Lippen schmal. Vermutlich war sie genau sein Typ. Auf unserem Anwesen waren mindestens sieben von ihnen beschäftigt. Sie flüsterte ihm etwas zu, und er nickte. Sie solle sie hereinbringen, grummelte er. Die Hausangestellte ging leise aus dem Zimmer.

»Das jüngste Beispiel findet sich in der TaishÅ-Zeit, vor fast achtzig Jahren. Als unser Vorfahre die sechzig überschritten hatte, nahm er diesen Brauch wieder auf - den Brauch, der Welt ein Geschwür zu hinterlassen. Er schien zu spüren, dass sein Leben sich dem Ende näherte, die Welt aber nicht mit ihm enden würde. Das konnte er nicht akzeptieren. Schließlich hatte er immer alles bekommen, was er wollte, und war arrogant, so wie ich es auch bin. Wenn er denn sterben musste, sollte auch alles andere zugrunde gehen. Am 18. Juni 1915 brachte eine junge Frau sein Kind zur Welt. Ein Kind, das eine negative Kraft sein und überall Unglück säen sollte. Es sollte Menschen das Leben zur Hölle machen, so dass sie am Ende glaubten, das Leben hätte keinen Sinn. Und die Saat fiel auf fruchtbaren Boden. Auf dem Sterbebett, heißt es, hätte sich der alte Mann nicht mehr vor dem Tod gefürchtet. Er sei zuversichtlich gewesen, dass die vom Geschwür befallenen unglücklichen Menschen ihrerseits Unglück verbreiten und sich immer mehr Geschwüre bilden würden, wie endlos überquellender Schaum. So würde die Welt langsam, aber sicher für ihr eigenes Ende sorgen. Er war stolz darauf, eine Kreatur gezeugt zu haben, die auch nach seinem Tod, an seiner statt, das Leuchten der Welt in rabenschwarze Dunkelheit verwandeln würde. Noch bevor er starb, erfuhr der Alte vom Ausbruch des Pazifâikkriegs. Sein Geschwür hatte damit nichts zu tun, beging aber als hochrangiger Offizier alle denkbaren Greueltaten - derart teuflisch, dass Gott die Augen verschloss.«

Die Tür öffnete sich, und ein Mädchen betrat den Raum, das ich noch nie gesehen hatte. Ich spürte einen kalten Luftzug. Sie kam auf dünnen Beinen näher, und die schräg einfallenden Lichtstrahlen ergossen sich über ihr Gesicht, färbten es orange, spiegelten sich in den großen Augen. Mir stockte der Atem, so überrascht, ja gebannt war ich von diesen Augen, die mit dem Licht zu verschmelzen schienen. Dennoch versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen, da auch mein Vater sie ignorierte.

»Mit dem Reichtum und der Macht, die uns über Generationen hinweg vererbt worden sind, sind uns keine Grenzen gesetzt. Und wenn wir spüren, dass die Zeit knapp wird, setzen wir ein solches Geschwür in die Welt. Das ist viel unterhaltsamer, als an den Tod zu denken. Natürlich kam es nicht in jeder Generation dazu. Aber hin und wieder erinnert sich jemand daran und lässt den Brauch wiederaufâleben. Das habe ich getan. Vor einigen Jahren wollte eine religiöse Gruppe ein Atomkraftwerk unter ihre Kontrolle bringen. Als die Staatssicherheit das Vorhaben vereitelte, begingen sämtliche Sektenmitglieder Selbstmord. Bei der Radikalisierung dieser Gruppe spielte ein Student der Universität Tokio eine wichtige Rolle. Er war einer von uns, und zwar der Sohn jenes Offiziers aus der TaishÅ-Zeit.«

Das Mädchen war ungefähr gleich alt wie ich und trug ein weißes Kleid. Eine große Tasche in der Hand, schaute sie mich und meinen Vater fragend an. Wie benebelt nahm ich die zarte Schwellung ihrer Brüste wahr, und selbst als ich meinen Blick wieder auf Vaters verschattetes Gesicht richtete, sah ich noch immer das orange schimmernde Weiß ihres Kleides vor mir.

Der riesige ungeheizte Raum schien ihr unheimlich zu sein. An den Wänden hingen ausgestopfâte Hirschköpfe. Die Geweihe ragten weit in den Raum, und wie als Beweis, dass diese Köpfe nicht mehr lebten, lag eine dünne Staubschicht auf ihnen. Außer dem Sofa, auf dem mein Vater saß, gab es einen wuchtigen schwarzen Tisch und altertümliche Regale, die mit Töpferwaren und Büchern aller Art überfüllt waren.

»Zunächst musst du dir gewisse Fähigkeiten aneignen.« Vaters Lektion war noch nicht zu Ende. »Du musst Macht haben in dieser Welt, denn wenn eine mächtige und zugleich fähige Person zum Geschwür wird, ist sie besonders gefährlich. Du seist sehr intelligent, habe ich gehört. Das verdankst du deiner bisherigen Erziehung. Die Unterschiede zwischen den Menschen sind nicht so groß wie die zwischen Mensch und Affe. Talent bedeutet lediglich, sich mehr als andere anstrengen zu können. Und das kannst du, weil du es gewohnt bist, dich anzustrengen; das heißt, du verfügst über Ausdauer und Willenskraft. Doch von jetzt an musst du auch lernen, Trägheit und Resignation zu widerstehen. Jeden Gedanken ans Aufgeben zu verbannen. Weiter musst du lernen, wie man geschickt kommuniziert, wie man das Spiel zwischenmenschlicher Beziehungen beherrscht. Vor einer Woche hat ein junger Mann auf offener Straße wahllos Leute attackiert. Ich wünsche mir nicht, dass du dich mit derlei Kleinkram begnügst. Unter meiner Obhut sollst du ein außergewöhnlicher Mensch werden. Und wenn du vierzehn bist, zeige ich dir die Hölle.«

Mein Vater rührte sich keinen Millimeter. Er musste weit über siebzig sein, und seine Beine waren spindeldürr. Das Mädchen, noch immer mit der Tasche in der Hand, stand still neben mir.

»Eine Hölle, nach der du dich von der Welt abwenden wirst, grausam und schockierend. Und dieses Mädchen hier wird dabei eine Hauptrolle spielen. Ich warte aber noch bis zu deiner Pubertät. Zu dieser Zeit wird deine Psyche sowieso allerlei Komplikationen verursachen. Du wirst geradezu besessen sein vom Bösen und das Bedürfnis haben, die Menschen um dich herum mit diesem Bösen in dir zu vergifâten. Doch das ist nur der Anfang. Mit fünfzehn werde ich dir wieder die Hölle zeigen und noch einmal mit sechzehn. Mit achtzehn schließlich wirst du eine Wahrheit über dein Leben erfahren. All das ist bereits entschieden und wird sich nicht mehr ändern.«

Mein Vater bewegte sich ein wenig. Sein Gesicht tauchte kurz aus dem Schatten auf, und ich konnte sehen, wie vollkommen ausdruckslos es war. Dann verdunkelte es sich wieder.

»Dein Platz wird im Nervenzentrum dieses Landes sein oder aber auf einer Schlüsselposition in einer der Organisationen, die es bekämpfen. Dort wirst du Böses tun, bis diese Welt eines Tages, so hoffe ich, verenden wird. Dafür brauchst du Geld. Ich werde dafür sorgen, dass du mehr von meinem Vermögen bekommst als deine Geschwister.«

Er hielt inne und holte tief Luft. Noch immer ließ die untergehende Sonne die Augen des Mädchens im orangefarbenen Licht erstrahlen. Sie waren vor Furcht geweitet.

»Warum erzähle ich dir das alles? Es gibt drei Gründe: Erstens bin ich außerordentlich betrunken. Zweitens wirst du dich nicht lange an dieses Gespräch erinnern, weil du noch viel zu klein bist, in deinen kurzen Hosen und mit deinem Spielzeugauto in der Hand.«

Ich dachte, Vater würde jetzt lachen, aber er lachte nicht.

»Und drittens: Deine Mutter war eine gute Frau. Sie verbrachte ihre Nächte mit einem alten Mann wie mir und gebar dich. Sie verlor den Glauben nie. An das Gute, das ich in meinem Leben stets verachtete, oder nein, einfach nicht begreifen konnte. Ich bewundere das. Und es war meine Chance. Aber du wirst dieses Gespräch sowieso bald vergessen. Wer weiß, ob du überhaupt etwas verstanden hast. Es könnte genauso gut ein Traum sein.«

Vater erhob sich. Im Licht, das ihn vom Fenster her umflutete, wirkte sein Körper wie ein großes, schwarzes Nichts.

»Dieses Mädchen wird ab heute hier wohnen. Freundet euch an. Der Hölle zuliebe, die du eines Tages sehen wirst, dem Geschwür zuliebe, zu dem du heranwachsen wirst. Aber glücklich werdet ihr nie sein. Nie. Und jetzt geh schlafen. Dann wird dir alles wie ein Märchen erscheinen. Du bist ja noch...

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