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Die Nacht des Lichts

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am06.11.20171. Auflage
Auf einer Insel im Südpazifik trifft sich 1965 eine Gruppe kalifornischer Astronomen, um einen Kometen zu beobachten. Das Gestirn streicht vorbei, aber ein Junge stirbt - ein Erlebnis, das sie nicht mehr loslassen wird. Von nun treffen sich sich alle sechs Jahre, um den Kometen zu beobachten und ihr Leben neu zu vermessen. Der Roman beschreibt das nomadische Zuhause, das wir uns durch Freundschaften schaffen, er evoziert die Sehnsucht, mit der wir an ihnen bauen. Das Mobile der Figuren dreht sich in der Zugluft ihrer Biographien. Einfühlsam zeigt uns Greer die Farbe der Gefühle, die Räume aus Einsamkeit, die Kreuzungen aus Ehrgeiz und Passion. Der Roman ist ein Haus, in dem Helden wie Planeten kreisen.

Andrew Sean Greer hat einen eineiigen Zwillingsbruder, wuchs in einem Vorort von Washington D.C. auf und lebt mittlerweile in San Francisco. Schon mit seinem zweiten Roman »Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli« gelang ihm der internationale Durchbruch. Für »Mister Weniger« wurde Andrew Sean Greer 2018 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Auf Deutsch liegen außerdem die Romane »Geschichte einer Ehe«, »Die Nacht des Lichts« und »Ein unmögliches Leben« vor.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextAuf einer Insel im Südpazifik trifft sich 1965 eine Gruppe kalifornischer Astronomen, um einen Kometen zu beobachten. Das Gestirn streicht vorbei, aber ein Junge stirbt - ein Erlebnis, das sie nicht mehr loslassen wird. Von nun treffen sich sich alle sechs Jahre, um den Kometen zu beobachten und ihr Leben neu zu vermessen. Der Roman beschreibt das nomadische Zuhause, das wir uns durch Freundschaften schaffen, er evoziert die Sehnsucht, mit der wir an ihnen bauen. Das Mobile der Figuren dreht sich in der Zugluft ihrer Biographien. Einfühlsam zeigt uns Greer die Farbe der Gefühle, die Räume aus Einsamkeit, die Kreuzungen aus Ehrgeiz und Passion. Der Roman ist ein Haus, in dem Helden wie Planeten kreisen.

Andrew Sean Greer hat einen eineiigen Zwillingsbruder, wuchs in einem Vorort von Washington D.C. auf und lebt mittlerweile in San Francisco. Schon mit seinem zweiten Roman »Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli« gelang ihm der internationale Durchbruch. Für »Mister Weniger« wurde Andrew Sean Greer 2018 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Auf Deutsch liegen außerdem die Romane »Geschichte einer Ehe«, »Die Nacht des Lichts« und »Ein unmögliches Leben« vor.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104907642
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum06.11.2017
Auflage1. Auflage
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1648 Kbytes
Artikel-Nr.2530088
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1965 Vor dem Perihel



Kometen sind üble Gestirne. Wann immer sie im Süden erscheinen, geschieht Unvorhergesehenes, wird das Alte hinweggefegt und muss Neuem weichen.

- Li Tschun-fëng, 602-677 v. Chr.


Der Himmel hielt immer Wort.

So hatte sie das schon als Kind gesehen. Mochte es daheim Krach und laute Stimmen geben, mochten die Lehrer in der Schule ungerecht benoten, weil sie übel nahmen, wie viel ein Schulkind wusste: Wenn sich die kleine Denise aus dem Fenster lehnte und den Nebel San Franciscos beschwor, die Klippen freizugeben, erhaschte sie vielleicht einen Blick des aufgehenden Jupiters oder konnte eine Sternschnuppe vom Fell der Nacht zupfen. Selbst wenn dichter Nebel den Himmel verhüllte und das Dunkel sie frösteln machte, wachte sie am Fenster, denn sie wusste, dahinter waren unfehlbar die Sterne, auf sie war Verlass. Je größer sie wurde und je besser sie die Welt verstand, desto unverzichtbarer wurde ihr der Nachthimmel. An der High School und am College kicherten die anderen Mädchen, gingen ins Kino und hatten Rendezvous, Denise aber tauchte spätnachts am Palomar-Teleskop auf, unterhielt sich mit konsternierten Wissenschaftlern und bestand darauf, auch hindurchzuschauen. Oft ließ man sie. Keine Pubertät im üblichen Sinne - zwar schwärmte und träumte sie sich wie jedes junge Mädchen durch die fünfziger Jahre, doch Einstein und der gut aussehende Oppenheimer waren die Helden auf ihren Postern, und wenn sie einschlief, reiste sie auf der Jagd nach Quasaren bis weit hinter den Pferdekopfnebel. Ein seltsames Kind und sie wurde eine seltsame junge Frau. In ihrem Herzen war wenig Platz für andere; es war randvoll mit Sternen. Lange Jahre hielt sie deren ferne Glut für Liebe.

Doch nun, an Deck einer Fähre im Südchinesischen Meer, musste Denise einsehen, dass dieses Gefühl etwas ganz anderes war als Liebe. Mit fünfundzwanzig war sie zum ersten Mal der Liebe begegnet, und wie so oft beim ersten Mal hatte sie sich heftig in den Falschen verguckt und ihn verloren. Carlos hieß er. Das Ganze hatte keine sechs Monate gedauert und doch war es ihr stärker unter die Haut gegangen als erwartet. Hatte ihr je ein astronomischer Fehler so zugesetzt? Denise, spät dran mit einer Phase, der andere längst entwachsen waren, schwänzte Seminare, ließ Mahlzeiten aus, verkroch sich krank vor Kummer tagelang im Bett. Es wurde so arg, dass ihre Mutter eines Nachmittags im grünen Cape mit Hut und goldglitzernder Hutnadel in Denises sonnigem Apartment stand, sanft auf sie einredete und, verborgen in ihrer Alligatorhandtasche, ein Flugticket brachte. Sie tröstete ihre Tochter, und als Denise an ihrem Tiefpunkt das Ticket zum Vorschein kommen sah, war ihr zweierlei klar: erstens, dass ihre Mutter bezahlte, damit sie Carlos vergaß, ihr Amnesie kaufte, wie man sich im Restaurant mit Trinkgeld einen guten Tisch sichert. Und zweitens, dass sie das Angebot annehmen würde.

Es war der Fahrschein zu einem Ereignis, zu dem ihr Doktorvater, der berühmte Kometenentdecker Dr. Swift, einlud. In diesem Jahr nämlich, 1965, kehrte sein Komet wieder, traumhaft genau seiner Vorhersage gehorchend, und um dies zu feiern, würde er mit einigen Kollegen und höheren Semestern eine Exkursion auf die Insel unternehmen, wo er seine Entdeckung gemacht hatte. Der Aufwand wurde damit begründet, dass man den Meteorstrom beobachten wolle, der, ebenfalls Swifts Berechnungen zufolge, im März beim Periheldurchgang des Kometen intensiviert werden würde. Zwar wusste man längst, dass solche jährlich wiederkehrenden Lichtspektakel sich dem Moment verdankten, in dem die Erde eine Kometenbahn kreuzte, Swift aber wollte herausfinden, ob die jüngste Passage des Mutterkörpers den Meteorstrom speisen und ein besonders eindrucksvolles Schauspiel erzeugen würde. Er wollte seinen Kometen von einem Feuerwerk gekrönt sehen, und er hatte sich zur Beobachtung den dunkelsten Winkel der Erde ausgesucht. Der Star der Show - der Komet Swift - stand derzeit von der Sonne überstrahlt am östlichen Himmel, ein langschweifiger chinesischer Drache. Danach würde er 1977 wiederkehren, 1989 und so weiter.

Zu dieser Insel waren sie jetzt auf einer betagten Fähre mit ächzenden Planken unterwegs und trotzten den Hammerschlägen der Mittagssonne. Sämtliche Studenten - die Glücklichen, die aus Swifts Forschungstopf mitfinanziert worden waren, jene, die selbst Stipendien ergattert hatten, und die, die das Geld für die Reise irgendwie zusammengekratzt hatten - waren vor der Glut in den violettblauen Schatten des Sonnensegels geflohen und standen schwatzend und lachend dicht gedrängt beieinander. Denise sah sich den ausgelassenen Pulk Kommilitonen an und fragte sich, ob alle das Gleiche wie sie durchgemacht hatten. Sie waren Wissenschaftler, leidenschaftlich und überheblich. Waren sie alle ähnlich verkümmert und zu klein für die Liebe, als sie ihr endlich begegneten? Hatten sie ihre Herzen gestutzt wie Bonsaibäumchen? Wie hatten sie es bloß geschafft?

Denise schaffte es, indem sie sich ein ein bisschen betrank. Sie trank sonst wenig, aber sie hatte sich einen Flachmann Bourbon mitgebracht, und das linderte etwas, entsprach aber kaum dem, was 1965 von jungen Damen erwartet wurde. Fast ohne ihr Zutun sirrte ihr Verstand unablässig weiter. Ständig rechnete er Bahnkurven, Geschwindigkeiten und bestirnte die Welt mit Zahlen. Das machte Denise so brillant, unter allen Studenten an Bord war sie die begabteste. Zur Schonung ihrer auf Nachtsicht getrimmten Augen ging sie nie ohne Sonnenbrille aus, sie war besessen, und doch fand sie, diese Art Wahn verderbe das Leben ein wenig. Manchmal wünschte sie sich, dümmer auf die Welt gekommen zu sein. Diese verpatzte Liebe zum Beispiel: Ihr Verstand zerrte unerbittlich daran wie ein Hund an einem alten Lumpen.

Und so kam es, dass Denise - fünfundzwanzig Jahre alt und beinahe schön, das Gesicht lichtgescheckt unter dem rissigen Sonnensegel - nach nur der Hälfte der Überfahrt schon beschwipst war.

»Ist es nicht irre?«, fragte sie ihren Freund Eli, grinste, beugte sich von ihrer Taurolle aus mit ihrer Kamera rasch in die heiße Sonne und drückte genau in dem Moment ab, als Eli sich etwas in sein Buch notierte. Der junge Mann schnitt eine Grimasse und versuchte, ihr die Kamera zu entreißen, aber sie war schneller. Sie hatte den Apparat mitgebracht, um Eli zu ärgern, ebenso wie den Wasserzerstäuber, mit dem sie ihn und seine Frau eingesprüht hatte, bis Eli sich gezwungen sah, ihn zu konfiszieren. In zehn Minuten würde er auch ihre Kamera schnappen.

»Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist«, verkündete Denise munter.

»Ich würde sagen, ein halber Liter Bourbon ...«

Unter der Krempe ihres weißen Huts kniff Denise die Augen zusammen, am Himmel flirrte die Sonne wie Aluminium. »Was dagegen? Ich finde, ich habe allen Grund zu trinken.«

»Gib mir auch mal einen Schluck«, raunte er, als seine Frau wegsah. Er schielte zu Denise hoch und schluckte vergnügt. Möwen keiften rings um sie her.

Gesichter sind Räume. Denise empfand das ihre als ordentlich, teuer, aber lieblos möbliert. Als wären alle Vorzüge Erbstücke der französischen Verwandtschaft mütterlicherseits. Während diese Vorfahren sicher schön gewesen waren, verstand Denise es nicht, aus ihren Anlagen etwas zu machen. Ihre Züge waren hübsch, aber unscheinbar, sie wusste und akzeptierte das. Mit ihrem Gesicht empfand sich Denise als Untermieter der Schönheit. Stattdessen hatte Denise ihren Verstand, und in ihrem Gesicht konnte man zu jeder Zeit die Gedanken wie auf einem Stuhl sitzen sehen - oder in einer Ecke im Schneidersitz auf einem zerschlissenen Läufer.

Denise musste über Elis gieriges Schlucken lachen. »Schluss jetzt«, sagte sie, entriss ihm den Bourbon und ließ den Flachmann in ihre Handtasche zurückgleiten.

»Muss ich dir erst alles nehmen, was du hast?«

Sie grinste ihn an. Eli hatte sich allein in den zwei Jahren, seit sie sich kannten, stark verändert: das Ziegenbärtchen rasiert, die Locken abgeschnitten. Als sie ihm das erste Mal im Gang vorm Institutssekretariat begegnete, war er ihr so wild vorgekommen. Aber wie ein kühles Laken am Morgen hatte seine Frau ihren jungen Ehemann glatt gezogen.

»Pass auf, dass Kathy nicht über Bord geht«, sagte sie, und rasch wandte er den Kopf nach seiner Frau, einer rätselhaften, weltfremden Erscheinung mit Brille, langem schwarzen Haar und schlechter Haltung. Sie lehnte sich weit über die Reling und warf Brot ins Wasser.

»Kathy!«, rief er, und die Frau hob ausdruckslos das Gesicht. Sie stand zu weit weg, um wirklich zu hören.

»Frag, ob sie was trinken will«, sagte Denise.

Eli sah zu, wie seine Frau sich wieder ihren Brotwürfeln zuwandte, und die beschienene Sichel seines Gesichts war helle Angst. Dann kehrte er sich ab, und der Moment verlor sich im Schatten. »Sie möchte nichts trinken.«

»Ich frag sie selbst.«

»Du weißt, dass sie dir das Zeug sowieso abnehmen, wenn wir da sind.«

Sie hob den halb leeren Flachmann und lachte: »Eben!«

Das Sonnensegel knallte im Wind und gab den Blick auf das Meer und den heißen, lavendelfarbenen Himmel frei. Am Horizont war keine Insel zu sehen, weder vor noch hinter ihnen.

»Besprüh mich ein bisschen mit Wasser«, bat sie Eli, und er holte den Zerstäuber hervor und tat es. Sie quiekte, er griente, und die muslimischen Wachmänner drehten sich nach ihnen um.

Ihr war schwindlig, sie fühlte sich trocken wie Zunder, ihr war übel von den Wellen und...
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Autor

Andrew Sean Greer hat einen eineiigen Zwillingsbruder, wuchs in einem Vorort von Washington D.C. auf und lebt mittlerweile in San Francisco. Schon mit seinem zweiten Roman »Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli« gelang ihm der internationale Durchbruch. Für »Mister Weniger« wurde Andrew Sean Greer 2018 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Auf Deutsch liegen außerdem die Romane »Geschichte einer Ehe«, »Die Nacht des Lichts« und »Ein unmögliches Leben« vor.Uda Strätling lebt in Hamburg und hat u. a. Emily Dickinson, Henry David Thoreau, Sam Shepard, John Edgar Wideman, Aldous Huxley und Marilynne Robinson übersetzt.