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Wer sich in die Provinz begibt, kommt darin um

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am08.06.2018Auflage
Leo Donat ist nach erfolgreicher Arbeitslosigkeit seit neuestem Privatdetektiv. Die Geschäfte laufen schlecht, als Dr. Dieter Durante, Programmleiter des Phönix Verlags, ihn aufsucht. Er soll das Verschwinden seines wichtigsten Regio-Krimi-Autors in Bayern untersuchen. Leo hasst Regio-Krimis so sehr wie er die Provinz hasst, aber irgendwie muss er sich seinen nächsten Joint ja finanzieren. Widerwillig macht er sich auf die Suche, die ihn quer durch die Republik führt. Er trifft Buchhändler und Touristen, Fans und schöne Frauen, aber vom Schriftsteller keine Spur. Stattdessen hat er es mit mehreren toten Regio-Krimi-Autoren zu tun. Leo wusste schon immer: Die Provinz ist gefährlich - auch für ihn.

Jens Schäfer schreibt Romane, Sachbücher, Drehbücher und Theaterstücke. Sein Wissen gibt er zudem in Schreib-Seminaren weiter. Er lebt und arbeitet in Berlin.
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Produkt

KlappentextLeo Donat ist nach erfolgreicher Arbeitslosigkeit seit neuestem Privatdetektiv. Die Geschäfte laufen schlecht, als Dr. Dieter Durante, Programmleiter des Phönix Verlags, ihn aufsucht. Er soll das Verschwinden seines wichtigsten Regio-Krimi-Autors in Bayern untersuchen. Leo hasst Regio-Krimis so sehr wie er die Provinz hasst, aber irgendwie muss er sich seinen nächsten Joint ja finanzieren. Widerwillig macht er sich auf die Suche, die ihn quer durch die Republik führt. Er trifft Buchhändler und Touristen, Fans und schöne Frauen, aber vom Schriftsteller keine Spur. Stattdessen hat er es mit mehreren toten Regio-Krimi-Autoren zu tun. Leo wusste schon immer: Die Provinz ist gefährlich - auch für ihn.

Jens Schäfer schreibt Romane, Sachbücher, Drehbücher und Theaterstücke. Sein Wissen gibt er zudem in Schreib-Seminaren weiter. Er lebt und arbeitet in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843717717
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum08.06.2018
AuflageAuflage
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2748 Kbytes
Artikel-Nr.2530977
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
2

Leo Donat war wie die Stadt, in der er lebte. Arm, aber sexy. Kreativ und cool. Hip und high. Obwohl, nein, high war er nicht. Er hatte gestern keinen Joint geraucht und war sogar extra früh ins Bett gegangen, um ja nicht zu verschlafen. Allerdings konnte er nicht einschlafen, weswegen er bis zwei die fünfte Homeland-Staffel schaute, die, die in Berlin spielt.

Es war kurz nach neun an einem warmen, sonnigen Junimorgen, als er den verblassten Nachkriegsbau verließ, in dem er seit zweieinhalb Jahren wohnte. Die Luft roch frisch und sommerlich, in der Nacht hatte es kurz geregnet. Sie roch auch nach totem Schweinefleisch und Brühe, drüben in Maximilians Wurstmanufaktur ging grade die Produktion los. Das würde ein guter Tag werden. Leo fühlte sich so fit wie lange nicht. Er trug den dunkelblauen Anzug, den er vor Jahren für die Beerdigung seines Vaters gekauft und seitdem nicht mehr angehabt hatte. Das war mit Sicherheit der einzige Anzug, der um diese Uhrzeit im Kranoldkiez spazieren getragen wurde. Das hier war Neukölln, aber nicht das weichgespülte vom Maybachufer, sondern das echte, das außerhalb des S-Bahn-Rings. Selbst der Anwalt drüben in der Glasower Straße hielt seine Sprechstunde in Trainingshose und Kunststoffparka ab, und das nicht aus modischen Gründen. Seine Klienten wollten von niemandem beraten werden, der aussah wie ihr natürlicher Feind.

In Damirs Backshop legte Leo einen Zwischenstopp ein, hier gab´s Hörnchen für 90 und Kaffee für 60âCent.

»Wieso du heute so schickimicki?«, fragte der stets gut gelaunte Damir, der den Laden vor drei Monaten übernommen hatte. Davor war Selcuk drin gewesen und davor die transsexuelle Kubanerin Gloria. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch Damir kapieren würde, dass man mit aufgebackenen Schrippen und Zigaretten im Kranoldkiez auf keinen grünen Zweig kam.

»Ich habe einen wichtigen Termin«, sagte Leo und legte eine Zwei-Euro-Münze auf den Tresen.

Damir musterte Leos Anzug.

»Polizei? Hast du angestellt?«

»Ich habe nichts angestellt«, erklärte Leo, »ich treffe gleich einen Klienten.«

»Leo hat Klient?«

Damir kramte in einem abgegriffenen Schuhkarton nach Wechselgeld.

»Warum?«

»Geschäftsgeheimnis.«

»Du hast Geschäft? Hier? Bist du Konkurrenz!?«

»Unsinn«, sagte Leo leise, als hätte man den Backshop verwanzt. »Ich bin Detektiv.«

»Ach so.« Erleichtert ließ Damir eine Handvoll Ein- und Zwei-Cent Münzen in Leos Hand rieseln.

»Viel Erfolg!«

»Danke.«

Zwei Jungs betraten den Laden. »Eine Marlboro.«

»Ihr seid viele viel zu klein für Rauch«, erklärte Damir kategorisch.

»Scheißegal, Mann. Gib uns die Kippen!«

Leo verzog sich nach hinten, um in Ruhe zu frühstücken. Das Hörnchen war gut, und der Kaffee in dem dünnwandigen Plastikbecher wie immer viel zu heiß. Leo sah auf die Uhr. Er war gut in der Zeit. Viertel vor zehn musste er im Prenzlauer Berg sein. Was ihn dort wohl erwartete? Der Klient hatte am Telefon von einer größeren und diffizilen Angelegenheit gesprochen, die viel Fingerspitzengefühl und möglicherweise auch etwas Zeit erforderte. Anscheinend war ein bekannter Schriftsteller spurlos verschwunden. Vielleicht waren drei, vier Tage drin. Leo konnte sie gut brauchen. Selbstständigkeit war eine feine Sache. Aber nur, wenn man auch Aufträge hatte. Alles andere war Scheinselbstständigkeit.

Die Kinder verließen den Laden. Mit Kippen. Leo kaufte eine Packung Kaugummi, um das Kleingeld wieder loszuwerden. Damir hielt ihm den Schuhkarton hin. Geschäftstüchtig war er, das musste man ihm lassen. Vielleicht hielt er doch länger durch als die anderen.

Leo warf die Münzen zurück in den Korb.

»Danke schön«, sagte Damir, »wird schöner Tag heute. Schön heiß!«

Unten auf der Karl-Marx-Straße standen bestimmt dreißig Menschen vor der Mausefalle herum. Was machten die denn da? Der ehemalige Nachtclub war doch schon seit Jahren geschlossen. Oder machte Kusserow & Becker nebenan etwa Totalausverkauf? Bitte nicht, der Badezimmerausstatter mit den unförmigen Zinnen auf dem Flachdach, die Leo immer an die unvollendeten Lego-Burgen seiner Kindheit erinnerten, war eines der letzten alteingesessenen Ladengeschäfte im Kiez. Elektro-Lapinsky gegenüber hatte vorletztes Jahr zugemacht und Betten-Mischek unten an der Ringbahnstraße letztes. Im einen war jetzt ein Bio-Supermarkt, im anderen eine Thai-Massage, die nach zwei Tagen ein großes Schild ins Fenster hängen musste: NO erotic massage. Es hatten sich zu viele Anwohner falsche Hoffnungen gemacht. Bald würden die ersten Studenten aus Westdeutschland einfallen und mit Papas Geld Drei-Zimmer-Wohnungen kaufen. Panta rhei, alles fließt, schon klar, aber musste es denn immer zum Schlechteren sein? Wann kapierten die Lokalpolitiker, die die Aufwertung des Bezirks begrüßten, endlich, dass die Leute, die hier lebten, keine Veränderungen wollten? Dass die einzige Gemeinsamkeit von Suzy´s Späti und der heilen Welt von Denn´s Biomarkt der falsche Apostroph war? Als Leo näher kam, sah er, dass die Leute auf den 171er warteten. Er hatte sich also mal wieder ganz umsonst aufgeregt. Erleichtert ging er die zugige Treppe runter zur U7. Die blaue Linie verband Rudow mit Spandau und brachte die Leute aus den Randbezirken in die City. Es roch nach Schweiß, warmem Maschinenöl und grünem Reinigungsgranulat. Ein paar maulende Fahrgäste kamen ihm entgegen.

»Die woll´n uns wohl für blöd verkoofen!«

Wegen Gleisbauarbeiten vom 3.â5. bis 15.â5. verkehrt der Zugverkehr unregelmäßig, verkündete das orange blinkende Schriftband auf den Richtungsanzeigern. Heute war der 3.â6. Das war mal wieder typisch BVG.

Eine schöne Frau in Jeansrock und hohen roten Sandalen stand alleine auf dem dunklen Bahnsteig. Sie war so in ihr dickes Buch vertieft, dass sie wohl nicht mitbekommen hatte, dass es zu Unregelmäßigkeiten kam. Für Juni war es viel zu heiß. Und der Polyesteranteil in Leos Anzug entschieden zu hoch. Weil er jetzt schon schwitzte, beschloss er, der Leserin Gesellschaft zu leisten. Nach einer Minute hatte er sie so weit, dass sie zu ihm rübersah. Nach eineinhalb lächelten sie sich an. Ein Lächeln, mit dem sie sich gegenseitig den Tag versüßten. Kurz darauf begann der U-Bahnhof leise zu vibrieren. Eine fast leere Bahn fuhr ein. Na also. Mit ein bisschen Glück würde er es noch rechtzeitig schaffen. Am Hermannplatz wechselte er in die U8, die Drogenbahn, die von Dealern gern zur Geschäftsanbahnung genutzt wurde. Am Alex herrschte ein Gedränge wie auf der Fanmeile beim WM-Finale. Bleichgesichtige Berlinerinnen und voll verschleierte Araberinnen, Jungs mit Kopfhörern, Mädchen mit Kinderwagen und Rumänen mit Akkordeons, Alkoholiker aus Russland, Drogendealer aus Afrika und Thailänderinnen aus dem Katalog, Kleinfamilien und Großfamilien, Opas mit Rollator und Omas mit Rennrad, Rollschuh- und Rollstuhlfahrer, Touristen aus aller Welt. Und natürlich jede Menge Schulklassen. Bayerische auf dem Weg zum Reichstag, sächsische auf dem Weg zur Mauergedenkstätte, schwäbische auf dem Weg zur Topographie des Terrors, bremische auf dem Weg zum Deutschen Historischen Museum, nordrhein-westfälische auf dem Weg zur Nordrhein-westfälischen und saarländische auf dem Weg zur Saarländischen Landesvertretung. Nachmittags würden sich alle bei Primark treffen. Leo eilte die Treppe hoch und suchte seine Haltestelle. Links die Weltzeituhr, dahinter der Fernsehturm, dann musste die Straßenbahn rechts fahren. Mit schnellen Schritten überquerte er diesen betonlastigen Unort. Hier hielt sich kein Berliner länger auf als unbedingt nötig.

Laut Fahrplan kam die nächste M4 in drei Minuten, laut Digitalanzeige in sechs, tatsächlich in zehn. Die Straßenbahn, die neuerdings Metrotram hieß, fuhr extra langsam, damit sie keine Touristen überrollte, die ständig mit ihren Rollkoffern in den Schienen hängen blieben. Leo stieg vorne ein und stellte sich neben ein rothaariges Skinhead-Mädchen, an dessen ausgemergeltem Körper ein T-Shirt mit Ick koof bei Lehmann-Aufdruck schlabberte und das nach vergorenem Gras roch. Die Türen schlossen sich, dann zischten sie mit majestätischer Langsamkeit los. Irgendwo klapperte ein loses Plastikteil. Hinter der Frankfurter Allee, die so breit war, dass ein Jumbojet zwischen ihren stalinistischen Prachtbauten hätte landen können, kramte Leo den Zettel aus der Hosentasche, auf dem er die Adresse notiert hatte: Greifswalder Straßeâ124. Hufelandstraße stieg er aus. Er musste suchen, ehe er das ausgebleichte Schild entdeckte: Phönix Verlag.

Irgendwie hatte Leo sich ein Verlagshaus anders vorgestellt. Repräsentativer, erhabener. Literarischer. Er hatte ein allein stehendes Gründerzeithaus mit Kastanienbäumen im Garten erwartet. Oder eine Bauhaus-Villa, vor der Eames-Stühle standen. Das hier war nur ein schmuckloser Zweckbau aus der Nachwendezeit in einer grauen,...
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