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Über uns

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am12.01.20181. Auflage
Ein Haus, drei Etagen - und Menschen voller Liebe, Trauer, Glück Man weiß nie genau, was sich hinter der Wohnungstür unserer Nachbarn abspielt. Eshkol Nevo durchleuchtet ein Haus und seine Bewohner, erzählt klug, witzig und fesselnd von Alltag, Lügen, Liebe von Selbsttäuschung, Eigensinn und Glück. Er blickt in die ganz private Welt in einem Apartmenthaus in Tel Aviv - und erzählt dabei immer auch über unser Leben.

Eshkol Nevo, geboren 1971 in Jerusalem, zählt zu den wichtigsten Schriftstellern Israels und wurde vielfach international ausgezeichnet. Bei dtv erschienen zuletzt die Romane >Die einsamen LiebendenÜber unsDie Wahrheit ist< (2020). Nevo lebt mit seiner Frau und drei Töchtern in Ra'anana, Israel.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEin Haus, drei Etagen - und Menschen voller Liebe, Trauer, Glück Man weiß nie genau, was sich hinter der Wohnungstür unserer Nachbarn abspielt. Eshkol Nevo durchleuchtet ein Haus und seine Bewohner, erzählt klug, witzig und fesselnd von Alltag, Lügen, Liebe von Selbsttäuschung, Eigensinn und Glück. Er blickt in die ganz private Welt in einem Apartmenthaus in Tel Aviv - und erzählt dabei immer auch über unser Leben.

Eshkol Nevo, geboren 1971 in Jerusalem, zählt zu den wichtigsten Schriftstellern Israels und wurde vielfach international ausgezeichnet. Bei dtv erschienen zuletzt die Romane >Die einsamen LiebendenÜber unsDie Wahrheit ist< (2020). Nevo lebt mit seiner Frau und drei Töchtern in Ra'anana, Israel.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423434256
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum12.01.2018
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1193 Kbytes
IllustrationenFormat: EPUB
Artikel-Nr.2538076
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Erste Etage

 

Was ich versuche, dir zu sagen, ist, dass da unter der Überraschung noch etwas anderes war, über das Ayelet und ich nicht zu sprechen wagten, nämlich, dass wir irgendwo wussten - das heißt: ich wusste es -, so was in der Art könnte passieren. Die Anzeichen waren die ganze Zeit da gewesen, aber ich hab´s vorgezogen, sie zu ignorieren. Was ist praktischer als Nachbarn, die dir auf deine Tochter aufpassen? Überleg mal. Fünf Minuten, bevor du losmusst, nimmst du sie einfach, so wie sie ist, ohne Taschen, ohne Kinderwagen, klopfst an die Tür gegenüber, und das war´s. Sie ist glücklich, zu ihnen zu gehen. Sie sind glücklich, sie zu bekommen. Und du bist glücklich, den Kopf frei für deinen Kram zu haben. Außerdem ist das Ganze auch günstiger als ein normaler Babysitter. Na ja, es ist schon ein bisschen unangenehm, über solche Dinge zu reden, aber ich hab keine Kraft, hier rumzuzensieren, ich werd dir einfach alles erzählen, und du versprichst mir, dass du es nicht in eins deiner Bücher packst, okay?

So ein Rentnerpaar hat keinen Schimmer, was eine Stunde Babysitten auf dem freien Markt kostet. Die haben keinen Zugang zum Informationsnetz der Babysitterbranche. Was bedeutet, dass du nach Belieben einen Preis festlegen kannst. Also haben wir ihnen einen genannt. Zwanzig Schekel die Stunde. Vor neun Jahren war das vielleicht noch akzeptabel. Niedrig, aber im Rahmen. Inzwischen ist der Preis in unserer Gegend im Schnitt auf vierzig gesprungen, und wir sind bei zwanzig geblieben. Alle paar Wochen hat mich Ayelet erinnert, wir müssten ihnen den Satz anheben, weißt du. Und ich hab immer gesagt, ja, klar, machen wir. Aber wir sind bei zwanzig geblieben. Und sie haben nichts gesagt. Das sind ja höfliche, kultivierte Menschen, richtige Jeckes, er läuft zu Hause in Anzug und Krawatte rum, und sie ist Klavierlehrerin am Konservatorium, verwendet Ausdrücke wie gütigst. Selbst wenn sie was hätten sagen wollen, ihr Jeckesstolz hätte es nicht zugelassen. Und wir haben uns gesagt - na gut, haben es vielleicht nicht laut ausgesprochen, aber gedacht auf jeden Fall -, was haben die in ihrem langweiligen Leben denn sonst? Die sollten Danke sagen. Die sind es, die uns was zahlen müssten, für das Privileg, Ofri bei sich zu haben.

Ich weiß nicht mehr, wie alt genau sie war, als wir sie das erste Mal bei ihnen gelassen haben, aber es muss schon ziemlich früh gewesen sein. Wie lange dauert es, bis man wieder mit einer Frau schlafen kann, nachdem sie ein Kind gekriegt hat? Einen Monat? Anderthalb? Damit hat es angefangen. Mit der Sexsache. Im letzten Monat der Schwangerschaft hatte Ayelet auch noch Toxämie bekommen. Sodass nichts mehr ging. Einen Monat nach der Geburt hatte sie immer noch Blutungen. Und ich, ich war an beiden Enden schon angesengt, so spitz war ich. Wie die Geburtstagsglückwünsche, die wir früher gebastelt haben, erinnerst du dich? So was hab ich im Leben noch nicht gehabt, mitten bei einem Termin konnte ich eine Kundin anglotzen und mir vorstellen, wie ich sie packe, auf die Toilette schleppe und ihr die Kleider runterreiße. Und die Sache ist die, dass Frauen einen Riecher für dieses Ausgehungertsein haben. Scharenweise haben die mich in der Zeit angemacht. Scharenweise. Und ich bin ja nicht irgendein Brad Pitt. Von der Presenterin beim Spinning hab ich SMS gekriegt, das glaubst du nicht. Zeig ich dir bei Gelegenheit. Aber ich hab mich beherrscht. Hab die Zähne zusammengebissen, und Ayelet ihrerseits hat das honoriert. Natürlich hat sie nicht gesagt, »Ich honoriere das«, niemals würde sie so was sagen. Aber sie hat mir die ganze Zeit Sachen gesagt wie: Ich vermisse deine Berührungen, das fehlt mir genauso, wie es dir fehlt. Und eines Abends dann hat sie vorgeschlagen: Komm, wir bringen sie für ein paar Minuten zu Hermann und Ruth. Und hat mir mit dem Finger über die Schulter gestrichen, ganz langsam. Was so eine Art Zeichen ist, das wir haben.

Es war ihre Idee. Da lasse ich mich nicht von abbringen. Das erste Mal ist von Ayelet ausgegangen. Wir sind zusammen hin, haben bei ihnen geklopft und gefragt, ob sie Ofri für ein paar Minuten nehmen können. Ich glaube, sie haben genau verstanden, was los ist. Was diese Eile sollte. Sie sind eins von diesen alten Paaren, bei denen du sehen kannst, da glimmt noch was zwischen ihnen. Hermann ist so ein Stattlicher, Ranker. Sieht aus wie der deutsche Kanzler. Und Ruth hat weißes, langes Haar, das sie immer hochgesteckt trägt, was sie mehr wie eine Dame und nicht wie eine alte Frau aussehen lässt. Sie hat Ayelet gefragt, wann Ofri zum letzten Mal was gegessen hat, und Ayelet hat gesagt, sie sollte eigentlich nicht hungrig sein, auf jeden Fall wäre es auch nur für ein paar Minuten. Ruth hat gefragt, ob sie einen Schnuller nimmt, und gebeten, eine Windel dazulassen, sicherheitshalber. Und dann hat Hermann angefangen, Ofri so lustige Geräusche zu machen, und hat sie mit seiner Krawattenspitze am Bauch gekitzelt. Ofri hat ihn angelächelt. Lächeln ist in dem Alter instinktiv, nicht echt, weißt du. Und dennoch hab ich zu Ayelet gesagt, guck mal, wie sie ihn anlächelt. Und Ruth hat gesagt, Kinder sind verrückt nach Hermann.

Ofri mochte nie zu irgendjemand sonst, nur damit du verstehst. Selbst bei ihrer Großmutter hat sie als Baby immer geweint. Aber wie wir sie Ruth in den Arm gelegt haben, hat sie sich richtig eingekuschelt, hat ihren Kopf so an ihre Brust gelegt und mit den Fingerchen mit Ruths langen Haaren gespielt. Ruth hat sch-sch-sch gemacht und ihre Wange gestreichelt, und Ayelet hat sich über sie gebeugt und gesagt, in ein paar Minuten sind wir wieder da, gut, Süße? Und Ofri hat sie mit ihren klugen Augen angeschaut und dann den Blick auf mich gerichtet. Wobei es so aussah, als würde sie gleich weinen. Aber nein. Sie hat sich nur noch tiefer an Ruths Brust eingegraben, und Ruth hat gesagt, bitte, habt die Güte und sorgt euch nicht, wir haben schließlich drei Kinder und fünf Enkelkinder großgezogen. Und Ayelet hat noch mal gesagt, es ist auch nur für ein paar Minuten, und hat Ofri ein letztes Mal gestreichelt, über ihr Bäckchen.

Kaum war die Wohnungstür hinter uns zugefallen, hab ich Ayelet an den Po gefasst, aber sie ist erstarrt und hat gesagt: Augenblick, hörst du kein Weinen? Wir haben aufgehört und gelauscht, aber außer dem üblichen Möbelrücken bei der Witwe, die über uns wohnt, war nichts zu hören. Ein paar Sekunden haben wir noch abgewartet, sicherheitshalber, und am Ende hat Ayelet meine Hand genommen und gesagt, nur gütigst, wenn es beliebt, ohne Vorspiel, ja? Und hat mich hinter sich her ins Schlafzimmer gezogen.

Die Enkelkinder von Hermann und Ruth leben über die ganze Welt verstreut. Zwei in Wien, zwei in Pablo Alto. Und die Große lebt mit ihrer Mutter in Paris, kommt jeden Sommer zu Besuch und bringt die Jungs im Viertel um den Verstand mit ihrem ultrakurzen Mini, ihrem Mokkateint und den grünen Augen. Die warten unten vorm Haus auf sie wie brünstige Kater, und sie spielt mit ihnen. Berührt sie so mit der Hand beim Reden, aber lässt sie nicht ran. Eine richtige kleine Französin. Läuft schon auf Absätzen rum. Benutzt Erwachsenenparfüm. Letzten Sommer hat Ruth sie rübergeschickt, um uns nach Eiern zu fragen, und ich hab ihr ohne Hemd aufgemacht, und da sagt sie zu mir, mit ihrem französischen Akzent, Monsieur Arno, ziehen Sie sich was an, das ist nicht schicklich bei einer Dame, und gickelt dabei, so ein Flirtkichern. Ich hab ihr die Eier gebracht, ohne zurückzulachen, und hab mir gedacht, man merkt, dass dieses Früchtchen keinen Vater hat. Wäre ich ihr Vater, würde ich ihr sagen, sie soll diesen Mini ausziehen. Aber vergiss es, zu ihr kommen wir noch.

Auch die anderen Enkelkinder von Hermann und Ruth kommen ein-, zweimal im Jahr zu Besuch. Und dann ist es in ihrer Wohnung, aus der man sonst nichts hört außer Klavierklängen und den deutschen Sendungen auf dem Kabelkanal, plötzlich laut und voller Leben. Hermann baut ihnen alle möglichen Spielgeräte im Garten. Vor der Pensionierung hat er in der Luftfahrtindustrie gearbeitet, von daher hat er ein Händchen für solche Sachen. Er stellt ihnen Schaukeln, Rutschen und Klettergerüste hin und baut ihnen auch kleine Flugzeugmodelle, die sie mit Fernbedienung fliegen lassen können. Und wenn Sommer ist, holt er ihnen den Pool aus dem Schuppen. Ein Riesending, aus Hartplastik. Da setzt er dann einen Flugzeugträger rein, und sie müssen versuchen, ihre Flieger drauf zu landen. Danach holt er den Flugzeugträger raus, und sie ziehen Badesachen an, hüpfen ins Wasser und spritzen sich gegenseitig nass. Aber ohne zu toben. Das sind wohlerzogene Kinder. Nicht von hier. Die essen mit Messer und Gabel. Und sagen dir Schalom im Treppenhaus.

Wenn ihre Enkel zurückfliegen, blasen Hermann und Ruth Trübsal. Das ist schon Standard. Einen Tag nach der Abreise ist ihre Tür verschlossen, und dir ist klar, anklopfen ist nicht. Das kann man nicht erklären, so als hätte die Tür etwas Bleiernes, das ausstrahlt: Jetzt nicht. Zwei Tage, nachdem die Enkel abgereist sind, stehen sie dann selbst bei uns vor der Tür, sagen, wenn wir wollen, können wir ihnen Ofri gerne bringen. Hermann sagt zu Ofri, gib Hermann ein Küsschen. Und beugt sich zu ihr herab und hält ihr die Wange hin. Und sie küsst ihn vorsichtig, um sich nicht an seinen Bartstoppeln zu piksen. Und Ruth sagt zu Ayelet, es muss auch nicht lange sein. Ohne Geld. Und fügt leise, fast flüsternd hinzu, Hermann trägt jedes Mal so schwer daran, wenn die Kinder wieder fahren. Zwei Tage schläft er nicht, isst nicht, rasiert sich nicht. Ich weiß gar nicht, was ich mit ihm machen soll.

Die Sache...
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Autor

Eshkol Nevo, geboren 1971 in Jerusalem, zählt zu den wichtigsten Schriftstellern Israels und wurde vielfach international ausgezeichnet. Bei dtv erschienen zuletzt die Romane >Die einsamen LiebendenÜber unsDie Wahrheit ist