Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Die erste Liebe ist immer die letzte

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
158 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am24.01.20181. Auflage
Alle Erzählungen in diesem Band haben ein Thema gemeinsam: die Liebe. Sowohl die arabische wie die westeuropäische Welt bieten die Kulisse für verschiedene Ausdrucksformen und Spielarten der Liebe, für das Aufeinandertreffen von Traum und schonungsloser Realität.

Der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun gilt als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur aus dem Maghreb. Seine beiden Kinderbücher Papa, was ist ein Fremder? und Papa, was ist der Islam? wurden Bestseller. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Paris und Marokko. Der Illustrator Charley Case ist ein junger belgischer Künstler und Weltenbummler, der bereits 'Papa, was ist ein Fremder?' illustriert hat..
mehr

Produkt

KlappentextAlle Erzählungen in diesem Band haben ein Thema gemeinsam: die Liebe. Sowohl die arabische wie die westeuropäische Welt bieten die Kulisse für verschiedene Ausdrucksformen und Spielarten der Liebe, für das Aufeinandertreffen von Traum und schonungsloser Realität.

Der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun gilt als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur aus dem Maghreb. Seine beiden Kinderbücher Papa, was ist ein Fremder? und Papa, was ist der Islam? wurden Bestseller. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Paris und Marokko. Der Illustrator Charley Case ist ein junger belgischer Künstler und Weltenbummler, der bereits 'Papa, was ist ein Fremder?' illustriert hat..
Details
Weitere ISBN/GTIN9783688108121
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum24.01.2018
Auflage1. Auflage
Seiten158 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse667 Kbytes
Artikel-Nr.2584950
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1 Amour fou

Diese Geschichte ist erfunden. Ich habe sie mir eines Tages auf der Terrasse des Mirage über den Herkulesgrotten in Tanger ausgedacht. Mein Freund A. hatte mir ein Strandhaus zur Verfügung gestellt, damit ich mich etwas ausruhen und vielleicht auch schreiben könnte. An der unendlichen Weite eines Strands, an dem die Wellen des Atlantischen Ozeans zerschellen, in dieser Sand- und Schaumwüste wurde innerhalb weniger Monate ein Palast hochgezogen. Ich weiß nicht, wer ihn besitzt. Die Leute munkeln, es sei das Badehäuschen eines fernen Prinzen, der das Meer und die Stille dieser Gegend liebt. Andere wieder schreiben das Gebäude einem griechischen Reeder zu, der das Mittelmeer nicht mehr erträgt und diesen Ort ausgesucht hat, um seinen Lebensabend zu verbringen, vor allem aber, um der Justiz seines Landes zu entkommen.

Hier ist das Meer blau. Das Meer ist grün. Sein Schaumhaar glänzt weiß. Gegenüber hat das Badehäuschen des Prinzen oder Reeders die Farbe des Sandes angenommen. Es ist keineswegs häßlich. Es ist nur befremdlich wie diese Geschichte, die ich eines Abends erfand, als ich im Radio einer Sängerin lauschte. Gerüchte besagen inzwischen, es gehe dabei um eine Sängerin oder Tänzerin, die wirklich gelebt habe. Ich habe nicht versucht, das zu überprüfen. Die Leute lieben es, Geschichten zu erzählen und sich etwas auszumalen. Dies ist nur eine von vielen Geschichten.

Niemand soll sich mit einer der Personen hier identifizieren. Jede Fiktion ist ein Diebstahl an der Wirklichkeit, und manchmal kehrt sie dahin zurück und vermischt sich damit. Neulich erwähnte eine nahöstliche Zeitung das Verschwinden einer ägyptischen Schauspielerin. Eine andere Zeitschrift ließ durchblicken, jene Dame habe alles nur erfunden, um ins Gespräch zu kommen.

 

Diese Geschichte geschah vor einigen Jahren, als unser Land seine Tore offenherzig Besuchern eines ganz bestimmten Schlages öffnete: Männern, die aus weit entlegenen Teilen der arabischen Wüste kamen, um sich einige heiße Nächte zu gönnen. Schlaflose Nächte, in denen Alkoholfahnen die glasigen Blicke jener Männer verschleierten, die gewöhnlich ihre hervorstehenden Bäuche streichelten oder ihre spärlichen Bärtchen in einem von Mattigkeit gebräunten Gesicht glattstrichen. Sie setzten sich nicht gerne hin, sondern räkelten sich lieber in großen Satinkissen. Sie verschmähten Ledersofas; manche hockten sich an den Rand und ließen sich dann auf die dicken Wollteppiche gleiten. Sie machten es sich gemütlich, erteilten wortlos Befehle, mit den Händen oder Augen. Die Diener kannten die Bedeutung jedes Zeichens, es war nicht schwierig: Der zum Mund erhobene Daumen bestellte Getränke, eine kurze, fegende Bewegung der offenen Hand bedeutete den Musikern zu spielen, dieselbe Geste in umgekehrter Richtung ließ die Musik verstummen, der in Richtung Kulissen ausgestreckte Finger hieß die Tänzerinnen eintreten, ein der versteckten Tür zugewandtes Auge verlangte nach der Sängerin, usw.

Wenn sie sprachen, murmelten sie sich unverständliche Worte zu. Sie benutzten einen bei manchen Beduinenstämmen üblichen Dialekt. Weder Diener noch Musiker sollten etwas verstehen. Sie hatten ihren eigenen Kode. Doch hinter diesen Worten spürten alle Arroganz, Verachtung und das Verlangen nach sinnloser Demütigung. Die Diener verrichteten schweigend ihre Arbeit. Sie wußten, daß sie es mit besonderen Gästen zu tun hatten. Für sie war es eine Arbeit jede eine andere, außer daß die Ansprüche dieser neureichen Beduinen unerträglich waren. Die Gläser mußten ständig gefüllt sein, die Eisstückchen rund und nicht viereckig. Manche verlangten sie herzförmig. Die entkernten Oliven mußten aus Spanien kommen, in Metalldosen. Der Käse mußte aus Frankreich oder besser noch Holland stammen. Sie mochten das traditionelle Brot nicht und zogen die libanesischen Fladen vor. Die Kellner kannten diese Launen und richteten sich danach.

Liebten sie die Musik oder nur die Körper der Tänzerinnen? Zogen sie Sakinas Stimme allem anderen vor? Sakina war eine große Sängerin. Sie stammte aus einer mittellosen Familie und trat selten in einem solchen Rahmen auf. Ihr Vater begleitete sie immer. Er war pensionierter Lehrer und spielte die Flöte im Orchester. Ihre Soloeinlagen entlockten den auf den Kissen liegenden Männern, die Whisky wie Zitronenlimonade hinuntertranken, nostalgische Seufzer. Sie brüllten «Allah!» und «Oh, meine Nacht! Oh, mein Leben!». Sobald Sakina auftrat, stellten sie ihre Gläser ab und hauchten ihr aus der Handfläche Küsse zu.

Sakina war groß und hatte einen leichten Silberblick, was sie noch anziehender machte. Ihr langes schwarzes Haar fiel bis zum Po; sie spielte damit, wenn sie sich neigte, um den Schmelz der Stimme zu verstärken. Sie trug Kaftane aus feinem Stoff, die ihren Busen zur Geltung brachten. Sittsam enthüllte sie nichts und sah ihr Publikum nie an. Wenn sie sang, schien sie mit zum Himmel erhobenen Augen und dem Unbekannten entgegengereckten Armen in eine andere Welt zu flüchten. Diese Haltung gefiel den Männern sehr. Sie zahlten viel, um sie zu hören. Ihre Stimme erinnerte an Ismahan und an Oum Kalsoum. Sie verfügte über beide Register und hatte dadurch eine außerordentliche Stimme. Für sie war das ein Geschenk Gottes. Sie war gläubig, verrichtete jeden Tag ihre Gebete, trank keinen Alkohol und schminkte sich kaum. Manche nannten sie Lalla Sakina, als sei etwas Heiliges an ihr. Ihre Bewunderer schätzten ihre Zurückhaltung, ihre Scheu, die sie von allen anderen arabischen Sängerinnen unterschieden. Die Presse respektierte sie. Sie löste nie Skandale aus. Über ihr Privatleben war wenig bekannt. Man wußte, daß sie ledig war und sich weigerte, über ihre Familie oder ihre Pläne zu sprechen, wie es sonst allgemein bei Schallplatten- oder Kinostars üblich ist.

Sakina war schön und gelassen. Sie schüchterte alle ein, die versuchten, sie zu verführen, und wies ihre Annäherungsversuche elegant und bestimmt zurück.

An jenem Abend trug sie weiß und blau. Sie legte nur wenig Schmuck an und hielt wie Oum Kalsoum einen weißen Schal in der rechten Hand. Sie hatte nur ein einziges Lied gesungen, Tausendundeine Nacht, und dabei mehrmals den gleichen Refrain mit veränderter Stimme und wechselndem Rhythmus wiederholt. Die bereits betrunkenen Beduinen schrien und forderten ein Da Capo des letzten Teils. Sie kam dem mit Anmut nach. Das Lied handelte von leeren und vollen Gläsern, von Trunkenheit, von auf die Erde gesunkenen Sternen und langen, aus Träumen gewebten Nächten. Es ließ die Phantasie endlos schweifen.

Sakinas Gesten waren sparsam und angedeutet. Ihr Körper bewegte sich nur wenig. Alles war in der Stimme. Reine Erotik, die allein die Vorstellungskraft beflügelte, die Beduinen konnten kaum noch an sich halten. Manche stießen orgiastische Schreie aus. Es hatte etwas Anstößiges, auch Provozierendes. Wie immer gab sich Sakina erhaben gleichmütig. Sie kannte ihr Publikum.

Das Lied hatte mehr als eine Stunde gedauert. Sakina war erschöpft. Sie verneigte sich vor ihren Zuhörern und zog sich in ihre Loge zurück, wo ihr Vater sie kurz aufsuchte. Als sie sich danach abschminkte, klopfte es an der Tür.

Sie machte auf. Ein Diener reichte ihr einen riesigen, zellophanumwickelten Blumenstrauß, hinter dem sie sein Gesicht kaum noch sehen konnte. Er sagte: «Vom Scheik.» Sakina hielt den Kellner zurück und fragte ihn in vertraulichem Ton:

«Wer ist es? Welcher?»

«Der Häßlichste und Reichste von allen ... der kleine Füllige mit dem Ziegenbart. Man sagt, er sei ein Prinz. Er soll Analphabet sein, aber großzügig ... Spiel nicht die Stolze. Er ist bösartig und mächtig. Gott befohlen, Lalla Sakina!»

Wenige Minuten später kam der gleiche Kellner zurück. «Er bittet dich zu sich in den Salon. Keine Angst, er ist nicht allein. Ich glaube, er will dir nur Komplimente machen. Sei vernünftig! Achtung, diese Leute sind zu allem fähig. Nichts kann sie aufhalten. Die Petrodollars geben ihnen alle Rechte.»

Auf dem Weg zum Salon kreuzte sie ihren Vater. Er sah müde und verstimmt aus und sagte:

«Denk nach. Ich vertraue dir. Was für ein Beruf! Was muß man nicht alles tun, um in diesen Krisenzeiten zu überleben!»

Sakina trug ein schlichtes schwarzes Kleid und eine kleine, unechte Perlenkette. Sie trat ein und deutete eine Art Verbeugung an, um den Scheik und seine um ihn gescharten Gefolgsleute und Freunde zu begrüßen. In einer Hand hielt er ein großes Glas Whisky, in der anderen eine Gebetskette. Ohne sich zu bewegen, bedeutete er Sakina näher zu treten und sagte:

«Du singst gut, meine Liebe. Deine Stimme läßt mich erschauern. Ich muß sie oft hören und vor allem dich dabei sehen.»

«Danke, Herr! Sie schmeicheln mir. Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich mich zurückziehen.»

«Nein! Ich erlaube es nicht. (Er brach in schallendes Gelächter aus.) Was ich Ihnen zu sagen habe, ist wichtig. Seien Sie nicht in Eile. Wir haben die ganze Nacht, um darüber zu reden. Trinken Sie etwas: Orangensaft oder Cola.»

«Nein, danke. Ich muß nach Hause. Mein Vater erwartet mich.»

«Dein Vater ist schon weg. Es bedurfte nur einiger Scheine, und schon verschwand er. Du wirst doch dem Scheik den Abend nicht verderben wollen! Komm her zu mir. Was ich zu sagen habe, möchte ich in dein entzückendes Ohr flüstern.»

Eine Hand schob sie sanft, bis sie neben den Scheik sank. Er nahm ihre Hand, zog sie zu sich, streichelte ihre Taille und murmelte ihr ins Ohr:

«Du wirst meine Frau werden, meine Kleine ...»

Sie sprang auf und rief:

«Schämen Sie sich, Sie alter Bock. Sie denken, Sie könnten alles kaufen, Dinge, Körper, Karrieren, Würde ... Doch Sie...
mehr

Autor

Der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun gilt als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur aus dem Maghreb. Seine beiden Kinderbücher Papa, was ist ein Fremder? und Papa, was ist der Islam? wurden Bestseller. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Paris und Marokko. Der Illustrator Charley Case ist ein junger belgischer Künstler und Weltenbummler, der bereits "Papa, was ist ein Fremder?" illustriert hat..