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Die Nachtseite des Lebens

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
400 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am26.01.20181. Auflage
Noch immer krankt die ökologische Diskussion daran, daß die Natur gleichsam durch einen Weichzeichner betrachtet wird: hier das ebenso zerstörerische wie selbstzerstörerische Verhalten des Menschen, dort die empfindliche Balance einer unberührten, »unschuldigen« Naturwelt. Dieses Bild ist unhaltbar. Am Beispiel zahlreicher farbig und eindringlich geschilderter Tierbeobachtungen, die er mit den entsprechenden Verhaltensformen des Menschen vergleicht, zeigt Lyall Watson, daß die Wurzel des »Bösen«, der Heimtücke und der nackten Gewalt in der Natur selbst liegt; genauer: im blinden Egoismus der Gene. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Lyall Watson, geboren 1939 in Südafrika, promovierte an der Universität von London in Biologie. Er war u.a. Direktor des Zoos von Johannesburg, Filmautor bei der BBC und Leiter zahlreicher Expeditionen. Watson starb 2008.
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Produkt

KlappentextNoch immer krankt die ökologische Diskussion daran, daß die Natur gleichsam durch einen Weichzeichner betrachtet wird: hier das ebenso zerstörerische wie selbstzerstörerische Verhalten des Menschen, dort die empfindliche Balance einer unberührten, »unschuldigen« Naturwelt. Dieses Bild ist unhaltbar. Am Beispiel zahlreicher farbig und eindringlich geschilderter Tierbeobachtungen, die er mit den entsprechenden Verhaltensformen des Menschen vergleicht, zeigt Lyall Watson, daß die Wurzel des »Bösen«, der Heimtücke und der nackten Gewalt in der Natur selbst liegt; genauer: im blinden Egoismus der Gene. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Lyall Watson, geboren 1939 in Südafrika, promovierte an der Universität von London in Biologie. Er war u.a. Direktor des Zoos von Johannesburg, Filmautor bei der BBC und Leiter zahlreicher Expeditionen. Watson starb 2008.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105619872
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum26.01.2018
Auflage1. Auflage
Seiten400 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1369 Kbytes
Artikel-Nr.2585229
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Einleitung Mir jucken die Daumen ...


Ich lebe auf einem Schiff, einem Hochseetrawler, und habe die Erfahrung gemacht, daß ich am besten denken kann, wenn ich allein bin, ein gutes Stück weit draußen auf See.

Ich bin ein Naturforscher vom alten Schlag, im Grunde meines Herzens ein »Strandläufer« - ein Abenteurer, der fremde Strände »abkämmt« -, mit einer Schwäche für Steinchen und Knöchelchen und Muschelschalen, immer bereit, mich ganz von der Freude über solche Miniaturen durchdringen zu lassen. Schnell entzückt, verliere ich in diesem seligen Zustand die weitere Umgebung aus den Augen. Sie hört auf, mich zu umgeben. Sie wird zu einem Stück von mir. Und ich komme mir selbst abhanden.

Darum muß ich mich von Zeit zu Zeit zurückziehen und nach einem Stück blauer See umtun, nach draußen schippern, wo der Horizont eben ist und ich Abstand gewinnen kann. Gerade so viel, daß ich wieder die Ökologie im ganzen, die Form und den Lauf der Dinge in den Blick bekomme.

Den besten Aussichtspunkt haben die Bewohner von vorgelagerten Inseln, Leute wie Yeats und Joyce und Shaw, die mit der Silhouette des fernen Festlands vor Augen noch über jenes Maß an Detachiertheit verfügten, das es erlaubt, die großen Zusammenhänge zu erkennen.

Nach meiner Erfahrung gibt es keine bessere Denkfabrik als die tropische Bläue des Golfstroms, wo das Meer etwas von einer Wüste hat, wo die Vögel sich rar machen und selbst die fliegenden Fische sich nur ganz selten über die Wasserfläche erheben. Wo die Szenerie großenteils aus verstreuten Kumuluswolken besteht, durch die man träge hindurchgleitet, getragen von einem tiefen Warmwasserstrom, der sich zwischen unsichtbaren Ufern unablässig fortwälzt.

Hier flog mir die Idee zu, auf den Flügeln einer durch den Äther vagabundierenden Rundfunksendung, die sich von der zugeteilten Sollfrequenz ins Netz meiner - für etwaige Seenotrufe unterhaltenen - Funkverkehrsüberwachung verirrte. Ich kannte die Stimme; es war die eines anderen Insulaners auf der anderen Seite des Globus, die Stimme von Arthur C. Clarke von seinem Brückenkopf auf Sri Lanka, wo er wieder einmal ein Interview gab, das in alle Welt übertragen wurde mittels eines Satellitensystems, dessen Existenz er, zwanzig Jahre bevor man es 1965 in die Umlaufbahn schoß, vorausgesagt hatte.

Er wurde nach der Möglichkeit außerirdischer Intelligenz gefragt und antwortete wie gewöhnlich mit jener Mischung aus Optimismus und Sehnsucht, die seine Science-fiction-Geschichten so fesselnd macht. Aber der Interviewerin war nicht nach Metaphysik zumute, sie bohrte nach der Sensation: »Wo sind diese Zivilisationen?« und »Wann wird es zur Begegnung mit ihnen kommen?« wollte sie wissen.

Clarke stand ihr mit der üblichen Wortgewandtheit Rede und Antwort, ohne sich auf wohlfeile griffige Vereinfachungen festnageln zu lassen, doch dann schlug die Interviewerin einen Haken und entlockte ihm eine Auskunft, die mir vollkommen neu war. »Wenn es schließlich zur Begegnung kommt«, fragte sie, »müssen wir dann Angst haben?«

Clarkes Verblüffung über diesen Vorstoß war offenkundig.

»Es ist möglich«, sagte er, »daß außerirdische Völker kriegerisch und angriffslustig sind. Freilich haben wir uns immer mit dem Gedanken getröstet, daß sie, wären sie wirklich böse, sich selbst vernichten würden, lange bevor sie eine Chance hätten, uns gefährlich zu werden ...«

Es folgte ein langes Schweigen, bis der Meister ruhig hinzufügte: »... aber darauf würde ich mich nicht unbedingt verlassen.«

In der Tat. Es wäre töricht, nicht wahrhaben zu wollen, daß das Böse möglicherweise kein Privileg der menschlichen Natur ist. Augenblicklich scheint es in unserer Welt jede Menge davon zu geben, und es kann durchaus sein, daß es nicht auf unser spezielles Ökosystem beschränkt ist. Vielleicht ist es ein universales Phänomen. Und wenn dem so ist, ergibt sich für uns die Notwendigkeit, im Bösen eine Naturkraft, eine biologische Realität zu erkennen. Es als etwas zu erkennen, das in jeder Umwelt, so verschieden von der unseren sie auch sein mag, auftreten und dort wie hier mit einem eigenen Überlebenswert, einem eigenen und eigenartigen Aktionsprogramm den Evolutionsprozeß beeinflussen kann.

Clarkes hingeworfene Bemerkung öffnete da draußen, irgendwo westlich von Bimini, in mir die Schleusen für eine ganze Gedankenflut. Sie stieß Türen auf, von denen ich vorher nicht im Traum angenommen hatte, daß ich je einen Blick dahinter werfen würde. Und hier ist das Ergebnis.

Eine Naturgeschichte des Bösen. Ein Blick auf Ursprung und Sinn des Diabolischen. Eine Untersuchung der Nachtseite der Natur unter biologischem Vorzeichen, weil ich Biologe und überdies der Ansicht bin, daß es Zeit ist, sich dem Phänomen des Bösen auf anderen als den von Religion, Moralphilosophie und Kriminologie ausgetretenen Wegen zu nähern. Ich glaube, daß diese Analyseansätze letzten Endes scheitern müssen, nicht etwa weil sie das Böse unterschätzen würden, sondern weil sie sein Wesen verkennen.

Milton, Dante, Goethe und Robert Louis Stevenson sind meines Erachtens der Wahrheit näher gekommen, und ich habe mir ihre Einsichten zunutze gemacht, aber dies hier ist keine Dichtung. Es ist eine sehr persönliche Ansicht von der Natur, die sich ein neugieriger (und mit juckenden Daumen behafteter) Naturforscher gebildet hat, der zur Untermauerung ältester Intuitionen der Menschheit auf eigene Erfahrungen - wie übrigens auch auf neuere Resultate der Evolutionsbiologie, Anthropologie und Psychologie - zurückgreifen konnte.

Mein Thema beginnt mit der Ratlosigkeit, die uns alle befällt, wenn wir mit Meldungen konfrontiert werden wie der von der tauben und fast erblindeten zweiundneunzigjährigen Witwe, die sich einen Bruch des Handgelenks und des Beckens zuzieht, als sie von einem Jugendlichen überfallen und zu Boden gestoßen wird, dem es offenbar nur darum zu tun ist, ihr den Blindenstock zu stehlen.369[1] Mit dem Weh, das uns ergreift angesichts des Verhaltens zweier ansonsten unscheinbarer zehnjähriger Jungen, die ein Kleinkind entführen und quälen, ehe sie es auf einem Bahndamm totschlagen.211 Und mit dem totalen Versagen unseres Begriffsvermögens, wenn wir erfahren, daß während der Gerichtsverhandlungen in dem Strafverfahren gegen einen Jurastudenten, der mindestens achtundzwanzig attraktive junge Frauen brutal vergewaltigt und ermordet hat, wobei auf den verstümmelten Leichen der Opfer Bißwunden zurückblieben, sich auf den Zuschauerbänken im Gerichtssaal errötend und kichernd dutzendweise Frauen haargenau desselben Typs wie die Opfer drängeln.329

Wir bewegen uns hier auf unübersichtlichem Gelände. Und es wird auch dadurch nicht leichter, sich auf diesem Terrain zurechtzufinden, daß man solcherlei Verhaltensformen als »abnorm« klassifiziert. Sie sind offenkundig ungewöhnlich, aber vielleicht nicht unnatürlich. Wir müßten noch sehr viel mehr über ihre Ursprünge und ihre Hintergründe in der Geschichte des Organischen wissen, um sie als »psychopathisch« und damit dem normalen Verstehen entzogen abtun zu können. Meines Erachtens ist es nützlich, zu wissen, daß das Böse eine weitverbreitete Alltagserscheinung und vielleicht nicht einmal auf unsere Spezies beschränkt ist. Aber gleichzeitig sollten wir uns auch der Gefahr von Fehldeutungen bewußt sein. Nur allzu leicht zieht man voreilig unfundierte Schlüsse, besonders wenn es um andere Spezies als unsere eigene geht.

Auf einem windgebürsteten Strandstück in Patagonien, wo sich die Wüstenlandschaft des südlichen Argentinien in die kalten Wasser vor der Halbinsel Valdez hinabsenkt, geriet ich einmal unversehens in genau solch ein charakteristisches moralisches Dilemma. Ich hielt mich dort auf, um die großen Finnwale zu beobachten, die an dieser Stelle zum Kalben ungewöhnlich nahe ans Ufer kommen. Für uns sind sie die »richtigen« Wale, weil sie nicht nur langsam und daher leicht zu jagen sind, sondern auch so fettreich, daß sie noch im Tod an der Wasseroberfläche schwimmen. Heute werden diese Tiere glücklicherweise nicht mehr gejagt, es sei denn von einer wachsenden Schar von Tierschützern, die sie überwachen. Mein Besuch damals fiel allerdings in die Zeit gegen Ende der Saison, von »richtigen« Walen war nicht mehr viel zu sehen, und mein Interesse wurde mehr durch das Verhalten der »falschen« Wale gefesselt, derjenigen, die wir mit so unschönen Namen wie »Mörder« oder »Orca« (nach dem lateinischen Wort für Dämonen oder Unterweltbewohner) bezeichnen.

Mörderwale sind Raubtiere; sie jagen und fressen Haie, Rochen, Ottern, Robben und sogar andere Wale. In Patagonien haben sie eine Vorliebe für Seelöwen entwickelt und fressen, sofern vorhanden, jeder nicht weniger als drei Jungtiere täglich, die sie aus dem Flachwasser fischen oder - im Zuge einer furchterregenden Attacke, deren Wucht die fünf Tonnen schweren Wale weit die Uferschräge hinauf und mitten unter die sonnenbadenden Seelöwen trägt - direkt vom Strand wegschnappen.

Bei der Gelegenheit, von der ich spreche, hatten zwei Walmännchen sich satt gefressen und spielten jetzt einfach nur noch Katz und Maus mit einem Beutestück. Der letzte Gang ihres Menüs, ein geängstigtes lebendes Seelöwenjunges, flog, wechselweise von dem einen und dem anderen in die Luft geschnellt, wie ein Wasserball zwischen den beiden hin und her. Jedesmal, wenn der Seelöwe, nachdem er ins Wasser geklatscht war und sich anschließend mühsam wieder eine Orientierung verschafft hatte, auf den Strand zu entkommen versuchte, setzte ihm einer der...
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Autor

Lyall Watson, geboren 1939 in Südafrika, promovierte an der Universität von London in Biologie. Er war u.a. Direktor des Zoos von Johannesburg, Filmautor bei der BBC und Leiter zahlreicher Expeditionen. Watson starb 2008.