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Wolga, Wolga

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Schöffling & Co.erschienen am02.04.20141. Auflage
Nach 'Buick Rivera' und 'Freelander' schickt der große Erzähler Miljenko Jergovi? in seinem neuen Roman 'Wolga, Wolga' wieder einen einsamen Helden auf die Reise. So entsteht eine Geschichte, die das Schicksal eines Mannes in zahlreichen Rückblenden mit der politisch-historischen Vergangenheit des ehemaligen Jugoslawien verbindet. Während des Kommunismus der siebziger Jahre sucht der vom Leben gestrafte D?elal Pljevljak im islamischen Glauben Trost und fährt regelmäßig mit seinem schwarzen Wolga von Split an der dalmatischen Küste nach Livno ins benachbarte Bosnien-Herzegowina, um in der Moschee zu beten. Durch die Begegnung mit einer ebenfalls muslimischen Familie beginnt seine Einsamkeit in einem Land voller Bespitzelung und Verrat gerade zu schwinden, da nimmt die Geschichte auf einer dieser Fahrten plötzlich eine tragische Wendung. Durch die raffinierte Verschachtelung der Geschichte und das geschickte Spiel mit Erzählperspektiven gelingt es Jergovi? immer wieder aufs Neue, ungeahnte menschliche Abgründe auszuloten und für Überraschungen zu sorgen.

Miljenko Jergovi?, geboren 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb. Er arbeitet als Schriftsteller und politischer Kolumnist und ist einer der großen europäischen Gegenwartsautoren. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt (gemeinsam mit seiner deutschen Übersetzerin Brigitte Döbert) mit dem Georg-Dehio-Buchpreis 2018. Der Österreichische Buchhandel verleiht ihm am 20. November 2022 den Ehrenpreis. Brigitte Döbert, geboren 1959, lebt in Berlin. Sie überträgt seit über zwanzig Jahren Belletristik, darunter 'Die Tutoren' von Bora ?osi? und das Werk von Miljenko Jergovi?, aus verschiedenen exjugoslawischen Staaten ins Deutsche und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (2016) sowie dem Preis der Leipziger Buchmesse (2016).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR21,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextNach 'Buick Rivera' und 'Freelander' schickt der große Erzähler Miljenko Jergovi? in seinem neuen Roman 'Wolga, Wolga' wieder einen einsamen Helden auf die Reise. So entsteht eine Geschichte, die das Schicksal eines Mannes in zahlreichen Rückblenden mit der politisch-historischen Vergangenheit des ehemaligen Jugoslawien verbindet. Während des Kommunismus der siebziger Jahre sucht der vom Leben gestrafte D?elal Pljevljak im islamischen Glauben Trost und fährt regelmäßig mit seinem schwarzen Wolga von Split an der dalmatischen Küste nach Livno ins benachbarte Bosnien-Herzegowina, um in der Moschee zu beten. Durch die Begegnung mit einer ebenfalls muslimischen Familie beginnt seine Einsamkeit in einem Land voller Bespitzelung und Verrat gerade zu schwinden, da nimmt die Geschichte auf einer dieser Fahrten plötzlich eine tragische Wendung. Durch die raffinierte Verschachtelung der Geschichte und das geschickte Spiel mit Erzählperspektiven gelingt es Jergovi? immer wieder aufs Neue, ungeahnte menschliche Abgründe auszuloten und für Überraschungen zu sorgen.

Miljenko Jergovi?, geboren 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb. Er arbeitet als Schriftsteller und politischer Kolumnist und ist einer der großen europäischen Gegenwartsautoren. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt (gemeinsam mit seiner deutschen Übersetzerin Brigitte Döbert) mit dem Georg-Dehio-Buchpreis 2018. Der Österreichische Buchhandel verleiht ihm am 20. November 2022 den Ehrenpreis. Brigitte Döbert, geboren 1959, lebt in Berlin. Sie überträgt seit über zwanzig Jahren Belletristik, darunter 'Die Tutoren' von Bora ?osi? und das Werk von Miljenko Jergovi?, aus verschiedenen exjugoslawischen Staaten ins Deutsche und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (2016) sowie dem Preis der Leipziger Buchmesse (2016).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783731760498
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum02.04.2014
Auflage1. Auflage
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2234 Kbytes
Artikel-Nr.2986642
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Zweiter Teil

Der einsamste Mann der Welt

Jahrelang, bis zum Kriegsausbruch in Slowenien und Kroatien, wurde in den jugoslawischen Massenmedien eine endlose, ermüdende Debatte geführt, die nur hie und da durch die Befunde von Wahrsagerinnen und einmal von dem Hellseher Vidoje belebt wurde, der März bis November 1989 in einer zweiunddreißigteiligen Serie der Ilustrovana Politika jeden einzelnen Schritt des Heldens unserer Erzählung mit Blick auf die astrologischen Hintergründe analysierte; für die einen ist die Religion an allem schuld, sie versuchen anhand von Beispielen zu belegen, dass der Mensch im Islam so gefangen ist wie ein Sklave in Ketten; andere sehen die Geschehnisse als Folge des nie verwundenen Traumas eines Vaters, dessen Tochter verschwand, ohne dass ihr Leichnam je gefunden wurde, obwohl mit den Jahren immer mehr Hinweise auftauchten; wieder andere plädierten aus eigener Anschauung dafür, dass oft genug nicht der Mensch, sondern der Alkohol im Menschen tötet; und so verteidigte ein jeder in den Feuilletons der Zeitungen und den Talkshows des Fernsehens seine These, und weil es bei uns schlicht nicht vorkommt, dass man die eigene Auffassung verwirft und eine fremde Meinung annimmt, fing, kaum war eine Runde ergebnislos beendet, die Auseinandersetzung wieder von vorn an, oft mit denselben Diskussionsteilnehmern, eventuell in anderen Fernsehstudios oder auf den Seiten anderer Zeitschriften und Revolverblätter, aber Runde für Runde auf niedrigerem Niveau und aus niedrigeren Beweggründen, es war, als würden die Diskussionsteilnehmer immer tiefer in einem Fass ohne Boden versinken, als würden die Diskussionen über Delal Pljevljak bis zum Ende der Welt oder zumindest solange es noch lebende Zeitzeugen gab weitergeführt, als würden die Diskussionsteilnehmer erst Ruhe geben, wenn ihre Auseinandersetzung mit dem Schicksal eines Mannes, den sie nie persönlich kennen gelernt hatten, den siebten Kreis des Abgrunds erreicht hätte, nur um dort unter dem giftigen Oleander, der menschliche Bosheiten als Früchte trägt, eine neuerliche Runde loszutreten, als würde die Diskussion nie zum Ende kommen, solange es Menschen gibt.

Doch seit Kriegsbeginn wird Delal Pljevljak nicht mehr erwähnt, heute ist er weitgehend vergessen. Offenbar hat man den Fall über all die Jahre nicht wegen der unlösbaren Rätsel so lebhaft diskutiert, vielmehr haben sich wohl Menschen in ganz Jugoslawien, Intellektuelle, Journalisten, Psychologen, Soziologen, Theologen, Anthropologen und Literaten, dieser langwierigen Debatte bedient, um ihre Ängste vor dem, was auf sie zukam, wegzudrücken. Vielleicht haben sie unbewusst in seinem Schicksal eine Metapher für das Land gesehen, in dem sie noch lebten und von dem sie sich panisch zu entwöhnen versuchten, damit sie der Strudel seines Untergangs nicht mit ins Verderben riss. Die Wahrheit wird sich uns nie erschließen, aber wir dürfen die mehrjährige Auseinandersetzung als letztes Symptom der Neurose einer Gesellschaft interpretieren, die vor ihrem Zerfall steht.

Delal Pljevljak wurde am 30. Mai 1933 oder 1929 geboren, nicht einmal das ist zuverlässig bekannt. Das erste Datum findet sich in allen militärischen Unterlagen vom Soldbuch, das 1951 im Militärdistrikt Zenica ausgestellt wurde, bis zum Pensionierungsbescheid, der, am 31. Januar 1987 von Brigadegeneral Rado? Nenezi? unterschrieben, Pljevljak jedoch nie ausgehändigt wurde. Die Dokumente, nach denen er vier Jahre älter wäre, stammen aus Pljevlja, wo der Name Delal im Geburtsregister nur einmal vorkommt, Delaludin Pljevljak, geboren in Krnja?, Mutter Devla, Vater Abdulrahman, königlicher Gendarm, derzeit stationiert in Berane. Das frühere Datum wird auch als Geburtsjahr eines Delal Pljevljak genannt, der 1937 in Berane eingeschult wurde, sowie 1941 in der Notiz des Kfz-Meisters Boina Pajkovi?, der Moretti, dem Befehlshaber der italienischen Division, mitteilt, er habe den fleißigen, intelligenten Knaben Delaludin als Lehrling angenommen, von Religion Muslim, und um Erlaubnis ersucht, dass der Junge täglich in der Kaserne eine Mahlzeit erhält.

Da Pljevljak selbst in allen Dokumenten als Namen des Vaters Abdulrahman angibt und er nach eigenem Bekunden die Grundschule in Berane besucht hat, da ihn der Krieg an der Ausübung des Kfz-Mechanikerhandwerks in Podgorica hinderte und auch, weil kein zweiter Delal Pljevljak in irgendeinem Dokument aus jener Zeit erwähnt würde, ist 1929 das wahrscheinlichere Geburtsjahr.

Die Gründe, warum er sich vier Jahre jünger macht und dieses Jahr in den Ausweispapieren steht, er auch zu Beginn des Prozesses in Sarajevo ebenso wie bei den Angaben zur Person bei der Aufnahme in das Gefängnis von Fo?a 1933 als Geburtsjahr angibt, ließen sich nicht ermitteln.

Das Rätsel der verlorenen oder verschwiegenen Jahre durchzieht Pljevljaks Biografie bis zum Schluss. Mitunter gewannen wir den Eindruck, kurz vor der Lösung zu stehen, aber unmittelbar danach verwirrte sich die Geschichte sofort wieder, so dass sich Delals Lebenszeit auf eine merkwürdige und etwas unmenschliche Art zusammenzieht und wieder ausdehnt. Kein einziges wichtiges Ereignis in seiner Biografie lässt sich zuverlässig datieren, es gibt immer eine zweite Möglichkeit, die um einige Monate oder Jahre verschoben ist, was manchmal geradezu symbolische Ausmaße annimmt, so ist etwa der Kaufvertrag für den Wolga, der sich zwischen Delals Unterlagen und unter Karamuji?s Papieren befindet, völlig identisch, bis auf das Datum, das um drei Tage differiert. Deswegen werden wir angesichts der Vorläufigkeit unserer Geschichte und mit dem Fernziel weiterer Untersuchungen oft das Datum, das uns weniger wahrscheinlich erscheint, stillschweigend übergehen und nur das wahrscheinlichere nennen, doch wir bitten den Leser, im Hinterkopf zu behalten, dass stets oder doch fast immer ein zweites Datum existiert, zu dem etwas geschehen sein könnte, das um ein oder zwei Tage in die Vergangenheit oder die Zukunft verschoben ist.

Abdulrahman Pljevljak und Devla, geborene Handi?, haben 1921 in Belgrad vor dem Schariarichter Hadschi Kasim Hadiavdi? geheiratet. Sechs Monate später kam zur Schande der Familie ein Sohn zur Welt, Ragib. Devla sagte, er sei vor der Zeit geboren worden, ganz mit Haaren bedeckt gewesen und hätte in der Verlängerung vom Rückgrat einen Schwanz gehabt, so dass sie im ersten Moment geglaubt hätte, sie hätte einen Teufel geboren, aber zum Glück sei da die Hebamme gewesen, Natalija hieß sie, sie betreute auch die Entbindungen bei Hofe. Natalija hatte Devla erklärt, so was komme schon mal vor, besonders bei Frühgeburten, Schwanz und Haare würden von selbst verschwinden, wenn die Mutter Gott inbrünstig darum bitte. Devla fragte, welchen Gott?, ob es etwas ausmache, dass ihr Gott der türkische, muslimische sei. Natalija antwortete, unter Erwachsenen mache das sehr viel aus, aber für ein Kind könne man den Gott unter jedem Namen anrufen, dem orthodoxen, dem türkischen wie auch dem - was der Himmel verhüten möge - römisch-lateinischen.

So haarig und klein sah Ragib wie eine Ratte aus, die aus einem Latrinenloch herausschaut. Das soll Abdulrahman gesagt haben, als er ihn zum ersten Mal sah, und so wurde es erinnert und später auch aufgeschrieben.

Gott weiß, wie die Nachricht von Devlas verfrühter Niederkunft nach Krnja? gelangte, Abdulrahman selbst hat sich ganz sicher nicht über seine Schande verbreitet, zunächst hieß es, seine Frau habe ihm ein Kind untergeschoben, und dann verbreitete sich ein schlimmes Gerücht: Sie hätte einen Satan geboren.

Man richtete ihm aus, er solle Krnja? meiden, und wenn er unbedingt kommen wolle, dann ohne Devla und das, was sie auf die Welt gebracht hatte. Die Leute, so wurde ihm gesagt, hätten ihr Gewehr aus dem Krieg aufgehoben und seien gewillt, es zu benutzen, denn sie würden um keinen Preis den Teufel mit seinen Hufen in Krnja? dulden. Am besten bleibe Abdulrahman in Belgrad, schütze dort den alten und den neuen König und gehe der griechischen Königin zur Hand, wenn sie Prinzen gebäre; sie würden schon ohne ihn zurechtkommen. Und noch eins: Auch den walachischen Nachbarn, deren Wort im Königreich eher gehört werde und mehr zähle, sei es auf keinen Fall recht, wenn sich der Teufel in Krnja? zeige.

Solche Gerüchte erreichten Pljevljak, und er versuchte sie anfangs zu ersticken, er sagte den Boten: Haltet ein, Leute, Moment mal, das ist kein Satan, das ist ein Wunder Gottes, mein Sohn wurde drei Monate zu früh geboren, und Gott hat ihm das Leben gerettet, er hat ihn mit Haaren bedeckt, damit er es warm hat, und nach nicht ganz sieben Tagen sind sie ausgefallen, er sieht wie andere Kinder aus, nur ein wenig kleiner, versündigt euch nicht, es könnte auf euch zurückschlagen!

Und die Boten werden genickt haben - denn man schüttelt den Kopf nicht vor der Staatsgewalt in Uniform, die einen Säbel an der Seite hängen hat; um den eigenen Kopf zu retten, schweigt man und wartet, bis sie von allein ausrutscht.

Zurück in Krnja? wurden die Boten gefragt, ob sie den Satan gesehen hätten. Da mussten sie wieder schummeln, aber nicht zu viel, also sagten sie, Abdulrahman habe sie nicht zu Hause empfangen und ihnen das Kind nicht gezeigt, aber Abdulrahmans Gesicht habe sich seit der letzten Begegnung verändert, es sei länger geworden, der Bart spitzer und grauer, er meckere leicht, wenn er rede, und ähnele insgesamt einem Ziegenbock.

Ein Savo Nesvanulica, ein gottesfürchtiger Christ, der in Pljevlja Spiegel verkaufte und mit seinem fahrenden Laden auch nach Krnja? kam, sagte den Pljevljaks und Handi?s, seiner Meinung nach sei der, der sich...


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Autor

Miljenko Jergovic, geboren 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb. Er arbeitet als Schriftsteller und politischer Kolumnist und ist einer der großen europäischen Gegenwartsautoren. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt (gemeinsam mit seiner deutschen Übersetzerin Brigitte Döbert) mit dem Georg-Dehio-Buchpreis 2018. Der Österreichische Buchhandel verleiht ihm am 20. November 2022 den Ehrenpreis.

Brigitte Döbert, geboren 1959, lebt in Berlin. Sie überträgt seit über zwanzig Jahren Belletristik, darunter "Die Tutoren" von Bora Cosic und das Werk von Miljenko Jergovic, aus verschiedenen exjugoslawischen Staaten ins Deutsche und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (2016) sowie dem Preis der Leipziger Buchmesse (2016).

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