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Freelander

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
232 Seiten
Deutsch
Schöffling & Co.erschienen am02.04.20141. Auflage
'Freelander' nimmt den Leser - wie schon der Roman 'Buick Rivera' - mit auf eine rasante Fahrt. Der pensionierte Gymnasiallehrer für Geschichte Karlo Adum erhält ein Telegramm, das ihn zu einer Testamentseröffnung in seine Geburtsstadt Sarajevo zitiert. Widerwillig und eigens mit einer Pistole bewaffnet, verlässt er Zagreb und begibt sich auf eine abenteuerliche Reise.Je näher er in seinem treuen alten Volvo dem Ziel seiner Reise kommt, desto mehr Erinnerungen steigen in ihm auf: an seine hübsche, grausame 'Mama Cica', die gern mit deutschen und italienischen Offizieren flirtete; an den verrückt gewordenen Vater; an die von der Ustascha erhängten Kommunisten vor der Kathedrale; an die Fahrt zum Meer in einem Bus mit geistig behinderten Kindern und an seine eigenen Verfehlungen in einer Welt voller nationaler Animositäten.Miljenko Jergovic zeigt sich erneut als Sprachkünstler von fulminanter Erzählfreude. Inspiriert von der Landschaft, durch die die Reise geht, sinniert er mal melancholisch, mal urkomisch über die menschliche Dummheit und den Sinn des Lebens.'

Miljenko Jergovi?, geboren 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb. Er arbeitet als Schriftsteller und politischer Kolumnist und ist einer der großen europäischen Gegenwartsautoren. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt (gemeinsam mit seiner deutschen Übersetzerin Brigitte Döbert) mit dem Georg-Dehio-Buchpreis 2018. Der Österreichische Buchhandel verleiht ihm am 20. November 2022 den Ehrenpreis.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR19,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

Klappentext'Freelander' nimmt den Leser - wie schon der Roman 'Buick Rivera' - mit auf eine rasante Fahrt. Der pensionierte Gymnasiallehrer für Geschichte Karlo Adum erhält ein Telegramm, das ihn zu einer Testamentseröffnung in seine Geburtsstadt Sarajevo zitiert. Widerwillig und eigens mit einer Pistole bewaffnet, verlässt er Zagreb und begibt sich auf eine abenteuerliche Reise.Je näher er in seinem treuen alten Volvo dem Ziel seiner Reise kommt, desto mehr Erinnerungen steigen in ihm auf: an seine hübsche, grausame 'Mama Cica', die gern mit deutschen und italienischen Offizieren flirtete; an den verrückt gewordenen Vater; an die von der Ustascha erhängten Kommunisten vor der Kathedrale; an die Fahrt zum Meer in einem Bus mit geistig behinderten Kindern und an seine eigenen Verfehlungen in einer Welt voller nationaler Animositäten.Miljenko Jergovic zeigt sich erneut als Sprachkünstler von fulminanter Erzählfreude. Inspiriert von der Landschaft, durch die die Reise geht, sinniert er mal melancholisch, mal urkomisch über die menschliche Dummheit und den Sinn des Lebens.'

Miljenko Jergovi?, geboren 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb. Er arbeitet als Schriftsteller und politischer Kolumnist und ist einer der großen europäischen Gegenwartsautoren. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt (gemeinsam mit seiner deutschen Übersetzerin Brigitte Döbert) mit dem Georg-Dehio-Buchpreis 2018. Der Österreichische Buchhandel verleiht ihm am 20. November 2022 den Ehrenpreis.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783731760504
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum02.04.2014
Auflage1. Auflage
Seiten232 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1907 Kbytes
Artikel-Nr.2986640
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Der General verließ die Kirche vor Ende der Messe.

Sie mussten aufstehen, damit er aus der Bank kam. Seine Freunde gingen nicht, sondern sahen Mama Cica mit ungezogener Offenheit an und glotzten auf die noch immer jungen, kräftigen Brüste mit Brustwarzen, die sich unter der glatten, schimmernden schwarzen Seide abzeichneten und, während General Drinjanin an ihr vorbeiging und sie wahrscheinlich streifte, eine dankenswerte kroatische Bereitwilligkeit signalisierten. Unter dem Blick der beiden betete Mama Cica inbrünstig zu Gott, während sich diese, zusätzlich erregt von der Tatsache, dass das Kind der Frau zusah, an ihr weideten, sich an ihr vergingen, ihren Körper wie ihren Geist entehrten, während sie traurig und unzufrieden in metaphysischen Sphären dahinglitt.

Damals sahen sie General Drinjanin zum letzten Mal, und damals war Karlo zum letzten Mal in der Kirche. Keine fünfzehn Tage später kam die Freiheit, Partisanen in staubigen Stiefeln und Opanken, dreckig und verschwitzt, sie rochen nach Zwiebeln und Desinfektionsmitteln, Mottenpulver und Fäkalien. Mama Cica ekelte sich die ersten Tage vor ihnen, schimpfte über sie und schlug Karlo, der die Formel einfach nicht behalten konnte, in der weder Mona Grazia noch Modistin vorkamen, aber dann gewöhnte sie sich an sie, drängelte sich an ihre Körper und MGs, wenn sie die Aleksandar-Straße, die inzwischen nach Tito benannt worden war und zuvor Paveli?-Straße geheißen hatte, entlangging, und gewöhnte sich schnell an die Gerüche des Kommunismus.

Und der Vater, der unsichtbare Vater, der so leicht aus jeder Erinnerung verschwinden sollte und nicht in Professor Karlo Adum weiterlebte, jedenfalls weniger als Winston Churchill oder Aldo Moro, der Vater saß auch unter den Kommunisten nur in der Küche, verfluchte seinen Bruder und kratzte mit vier Fingernägeln in der Wand, bis er vor Schmerz ohnmächtig wurde. An der Kirche musste man vorbeigehen, als sei sie nicht da, ein Albtraum aus der Vergangenheit, das Gespenst auskurierter Mumps. Kamen aus der Sonntagsmesse Bekannte, Verwandte von Papa Ilija, Nachbarn, Männer, mit denen sie sich vor dem Krieg getroffen hatte, Menschen, die sie während des Krieges mit deutschen und italienischen Offizieren gesehen hatte, behandelte sie sie wie Luft. Mama Cica wurde gegrüßt, aber sie sah durch die Leute hindurch, sah, schön, jung und lächelnd, durch deren Körper und Köpfe hindurch eine bessere Zukunft im Vollsinn des Wortes. Sie hatte den Kommunismus gesehen und sich davon überzeugt, dass er nicht bloß leeres Gerede war, sondern etwas Erstrebenswertes, etwas, auf das man sich freuen und für das man seinen noch immer jungen und anziehenden weiblichen Körper einsetzen sollte.

Karlo begriff, dass auf diese Weise das Leben von Zeit zu Zeit von neuem beginnt, dass das Leben aus mehreren kleinen Leben besteht, in denen die Menschen ihre Gesichter wechseln. Bis zum letzten, mit dem man vor Gott tritt.

Wirklich vor Gott?

Wie viele alte Menschen fürchtete sich Professor Karlo Adum vor der Antwort auf diese Frage. Letztes Jahr hatte er die Fünfundsechzig vollendet, bald schon würde er noch ein Jahr älter sein; er hatte alle seine Angehörigen zu Grabe getragen, deutlich spürte er die Schwerkraft der Erde, und er wusste zuverlässig, dass vor ihm nur Leere war und nichts sonst. Die Angst vor dieser Leere konnte er nur abwenden, wenn er eines Sonntags seine Scham überwand und die Schwelle zur Kirche in Siget übertrat.

Jetzt, weit weg von Zagreb, hatte er wie immer bei solchen Gelegenheiten den Eindruck, dass ihm alle Kirchen der Welt offen stünden, also auch die in Siget; wenn er wieder daheim wäre, wollte er hineingehen und Gott danken, dass er wohlbehalten von der Reise zurückgekommen war.

Bevor Mama Cica im Sommer 2001 im Krankenhaus in Varadinske Toplice starb, besuchte er sie ein Jahr lang jedes Wochenende. Manchmal begleitete ihn Ivanka, aber öfter ging er allein. Sie hatten ihm gesagt, Mama Cica sei an Alzheimer erkrankt, ihr Verfall könne dauern und für ihn schmerzhaft sein, obwohl es ihr selbst gar nicht richtig zu Bewusstsein komme. Ihr ganzes Leiden bestehe in einer kurzen morgendlichen Unruhe, hervorgerufen vom Wetterwechsel, und es sei an den Ärzten, ihr auch darüber hinwegzuhelfen. Mama Cica sei im Paradies und habe alles vergessen, was diese Welt vom Paradies unterscheide.

Er hatte Frau Doktor Jambra?i? gefragt, wie das sein könne, dass die Krankheit der Mutter ihn beeinträchtige. Sie sah ihn überrascht an und antwortete: »Vielleicht auch nicht, wenn Sie kalt bleiben.«

Es war eine Beleidigung, eine weitere in der Reihe, die Genosse ?u?njar mit der Etymologie seines Nachnamens angestoßen hatte. Er erinnerte sich an die Jambra?i?, sie war damals Parteisekretärin im Rebro und wurde 1990 fortgejagt.

»Ich bin nicht schuld!«, schrie er sie im langen Gang des Krankenhauses an.

»Bitte, mein Herr, beherrschen Sie sich, hier liegen Kranke.«

Er glaubte also, ?tefa Jambra?i? hätte ihn verschaukelt, und dachte nicht mehr darüber nach, wie die Krankheit der Mutter ihn beeinträchtigen konnte.

In diesem Sommer begann die Hitze früh im Jahr. Ivanka kaufte dreimal in der Woche den Blauen Anzeiger und schrieb die Telefonnummern von verkaufswilligen Hausbesitzern auf Hvar, Kor?ula und Bra? heraus. Sie sagte, es sei höchste Eisenbahn, ein Haus zu kaufen, bald wären die Preise so hoch, dass sich nur noch Engländer und Russen Häuser auf den Inseln leisten könnten. Die Kroaten sind Abschaum, pflichtete er ihr bei, Scheiße sind die Kroaten: Sie treiben die Preise in die Höhe, verkaufen wie die Irren und hoffen, dass sie alles zurückbekommen wie beim letzten Mal, als sie an die Serben verkauft und die Häuser in den Neunzigern für einen Spottpreis beziehungsweise für umsonst wiedergekriegt haben. Aber die Engländer sind keine Serben, auch die Russen sind keine Serben, was jetzt verkauft wird, ist für immer weg. Morgen werden die Kroaten in Dalmatien nur noch Polizisten, Zimmermädchen und Huren sein und debile alte Engländer bedienen. Männer wie Frauen. Der Dalmatiner wird seinen Arsch für gutes Geld bereitwillig einem alten George hinhalten, und der George wird ihn gutmütig tätscheln, bis seine Augen aus den Höhlen treten und ihm das Kroatentum zum Hals heraushängt. Aber selbst dann werden sie die Hoffnung nicht aufgeben, dass es wieder ein 1991 geben wird und aus den serbischen Wochenendhäuschen kroatische Wochenendhäuschen werden.

So redete er mit Ivanka, die sich angewidert schüttelte und ihn zum Schweigen bringen wollte, wenn ihn jemand hört!, er solle kein dummes Zeug erzählen, doch er trieb es immer toller. Er wollte ihr das Wochenendhaus vermiesen, ihn entsetzte die Vorstellung, dafür ein Darlehen aufzunehmen, aber das konnte er ihr nicht offen sagen, sondern beschrieb immer anschaulicher und anatomisch detaillierter dalmatinische Zimmermädchen, die junge, nervöse russische Mafiosi oral befriedigten, während diese telefonisch einen Mord in Moskau bestellen, und dalmatinische Stricher, die es mit melancholischen, poetisch gestimmten, pensionierten Schuhmachern aus London treiben.

Und eines Samstags erkannte ihn Mama Cica zum ersten Mal nicht mehr.

»Wer sind Sie eigentlich, Genosse, dass Sie mich behelligen, während ich mich auf den Empfang von Genossen Rato Dugonji? vorbereite? Kennen Sie Rato Dugonji?? Machen Sie sich aus dem Staub, sonst landen Sie im Knast.«

»Mama, sei nicht verrückt, ich bin's, dein Sohn Karlo.«

Da lachte Mama Cica wie verrückt. Sie wäre fast erstickt vor Lachen, die Schwester musste ihr mit der Hand auf den Rücken hauen, damit sie Luft bekam, denn Mama Cica hielt es für sehr witzig, dass der alte Kerl ihr Sohn sein wollte. Wo gibt es denn Söhne, die dreimal so alt sind wie die Mutter? Denn sie war eine junge Schneiderin aus Sarajevo, Vorsitzende des Stadtrats für den Innenstadtbezirk und hohe Würdenträgerin beim Roten Kreuz, und sie hatte keine Zeit zu verlieren. Übers Wochenende sei sie zusammen mit ihrer Brigade zum Stadionbau in Ko?evo gewesen, dort würde die Jugend eines Tages Genossen Tito empfangen. Sie müsse Genossen Rato Dugonji? den Bericht übergeben, wie weit der Bau gediehen sei, und der Alte da halte sie auf. Behaupte, er sei ihr Sohn, und dabei war er älter als der Ustascha-Verbrecher Ademag Me?i?.

Professor Adum war erschüttert, wie schnell Mama Cica den Kontakt zur Wirklichkeit verloren hatte. Vergangene Woche noch hatte sie sich ganz normal mit ihm unterhalten. Deswegen fuhr er am Sonntag, diesmal mit Ivanka, wieder nach Varadinske Toplice. Er nahm seine Frau mit, damit es ihm nicht so schwer fiel, wenn ihn Mama Cica nicht erkannte, und ließ sie vorgehen.

»Ah, schön, ah, da ist meine Schwiegertochter«, freute sich Mama Cica, »mein Liebes, du bist lange nicht da gewesen, bestimmt schon einen Monat, ich weiß, ich weiß, dir fällt die weite Fahrt schwer. Wenn mir jemand erzählt hätte, dass es erwachsenen Menschen auf ihre alten Tage noch im Auto schlecht wird, ich hätte es nicht geglaubt, von dieser Krankheit haben die Ärzte auch noch nichts gehört, ich habe mich erkundigt. Aber du bist mich besuchen gekommen, meine Liebe …« Sie unterhielt sich mit Ivanka, ihm klopfte sie ein paar Haarschuppen vom Revers und richtete seine Krawatte: »Schau ihn dir an, jetzt ist er schon so alt und kann sich immer noch nicht die Krawatte richtig binden!«

Am folgenden Samstag fuhr er wieder allein nach Varadinske Toplice. Mama Cica saß in ihrem Sessel und rührte sich nicht. Dumpf sah sie vor sich hin, die Augen wie aus Holz geschnitzt, allerdings wie von Oma...


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Autor

"Miljenko Jergovic, geboren 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb. Er arbeitet als Schriftsteller und politischer Kolumnist und ist einer der großen europäischen Gegenwartsautoren. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt (gemeinsam mit seiner deutschen Übersetzerin Brigitte Döbert) mit dem Georg-Dehio-Buchpreis 2018. Der Österreichische Buchhandel verleiht ihm am 20. November 2022 den Ehrenpreis.Brigitte Döbert, geboren 1959, lebt in Berlin. Sie überträgt seit über zwanzig Jahren Belletristik, darunter "Die Tutoren" von Bora Cosic und das Werk von Miljenko Jergovic, aus verschiedenen exjugoslawischen Staaten ins Deutsche und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (2016) sowie dem Preis der Leipziger Buchmesse (2016)."

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