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Bei uns in Auschwitz

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
424 Seiten
Deutsch
Schöffling & Co.erschienen am01.01.2024
'Die Erzählungen des polnischen Auschwitzüberlebenden Tadeusz Borowski gehören zu den beklemmendsten Zeugnissen des 20. Jahrhunderts. Scheinbar moralisch indifferent beschreibt Borowski die Greuel der nationalsozialistischen Vernichtungslager und verzichtet dabei auf eine klare Trennung zwischen Opfer und Täter. Aus der Perspektive des Kapos, der als Aufsichtsperson eine Rolle zwischen seinen Mithäftlingen und deren Mördern einnimmt, schildert er den Wettlauf der Häftlinge ums Überleben. Mit einer erbarmungslosen Genauigkeit, die dem Leser nichts schenken will, berichtet er von der Mutter, die bei der Selektion ihr Kind verleugnet und der Arroganz der alteingesessenen Häftlinge gegenüber den Neuankömmlingen im Lager.Imre Kertész bewundert die 'klaren, selbstquälerisch gnadenlosen Erzählungen' Borowskis, die in der europäischen Lagerliteratur einzigartig sind. 'Ich wollte aufschreiben, was ich erlebt habe, aber wer auf der Welt wird einem Schreiber glauben, der eine unbekannte Sprache spricht? Das ist, als wollte ich Bäume und Steine überzeugen', sagt Borowski nach seiner Befreiung und Rückkehr nach Warschau.Die Erzählungen Borowskis sind jetzt - fast sechzig Jahre nach ihrer Entstehung - in der Neuübersetzung von Friedrich Griese wiederzuentdecken.'

Tadeusz Borowski, geboren 1922 in Schitomir (Ukraine), studierte Polonistik an der Untergrund-Universität in Warschau. 1943 wurde er verhaftet und nach Auschwitz deportiert, danach in andere Lager, zuletzt nach Dachau. Nach der Befreiung der Konzentrationslager hielt er sich in München auf, wo 1945 ein Gedichtband erschien. 1946 arbeitete er als Redakteur in Warschau, 1949/50 als Korrespondent in Berlin. 1951 nahm sich Tadeusz Borowski in Warschau das Leben.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR25,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

Klappentext'Die Erzählungen des polnischen Auschwitzüberlebenden Tadeusz Borowski gehören zu den beklemmendsten Zeugnissen des 20. Jahrhunderts. Scheinbar moralisch indifferent beschreibt Borowski die Greuel der nationalsozialistischen Vernichtungslager und verzichtet dabei auf eine klare Trennung zwischen Opfer und Täter. Aus der Perspektive des Kapos, der als Aufsichtsperson eine Rolle zwischen seinen Mithäftlingen und deren Mördern einnimmt, schildert er den Wettlauf der Häftlinge ums Überleben. Mit einer erbarmungslosen Genauigkeit, die dem Leser nichts schenken will, berichtet er von der Mutter, die bei der Selektion ihr Kind verleugnet und der Arroganz der alteingesessenen Häftlinge gegenüber den Neuankömmlingen im Lager.Imre Kertész bewundert die 'klaren, selbstquälerisch gnadenlosen Erzählungen' Borowskis, die in der europäischen Lagerliteratur einzigartig sind. 'Ich wollte aufschreiben, was ich erlebt habe, aber wer auf der Welt wird einem Schreiber glauben, der eine unbekannte Sprache spricht? Das ist, als wollte ich Bäume und Steine überzeugen', sagt Borowski nach seiner Befreiung und Rückkehr nach Warschau.Die Erzählungen Borowskis sind jetzt - fast sechzig Jahre nach ihrer Entstehung - in der Neuübersetzung von Friedrich Griese wiederzuentdecken.'

Tadeusz Borowski, geboren 1922 in Schitomir (Ukraine), studierte Polonistik an der Untergrund-Universität in Warschau. 1943 wurde er verhaftet und nach Auschwitz deportiert, danach in andere Lager, zuletzt nach Dachau. Nach der Befreiung der Konzentrationslager hielt er sich in München auf, wo 1945 ein Gedichtband erschien. 1946 arbeitete er als Redakteur in Warschau, 1949/50 als Korrespondent in Berlin. 1951 nahm sich Tadeusz Borowski in Warschau das Leben.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783731760603
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2024
Erscheinungsdatum01.01.2024
Seiten424 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1681 Kbytes
Artikel-Nr.2991179
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


III

Die Schulung verzögert sich noch, weil wir auf die Pfleger aus den benachbarten Lagern Janina, Jaworzno und Buna warten. Außerdem sollen Pfleger aus Gleiwitz und Myslowitz kommen, Lagern, die etwas weiter entfernt sind, aber noch zu Auschwitz gehören. Unterdessen vernahmen wir die hochtönenden Reden des schwarzhaarigen Schulungsleiters, des kleinen, hageren Adolf, der erst kürzlich aus Dachau gekommen und ganz mit Kameradschaft erfüllt ist. Er wird die Gesundheit im Lager durch die Ausbildung von Pflegern heben und die Sterblichkeit dadurch senken, daß er uns erklärt, wie das menschliche Nervensystem funktioniert. Adolf ist ungemein sympathisch und nicht von dieser Welt, aber als Deutscher versteht er nicht, wie sich die Dinge zu den Erscheinungen verhalten, er klammert sich an die Wortbedeutungen, so als seien sie die Wirklichkeit. Er sagt »Kameraden« und glaubt, wir seien wirklich »Kameraden«, er spricht von der »Verminderung des Leidens« und glaubt, das sei hier möglich. Auf dem Lagertor steht aus verflochtenen Eisenlettern »Arbeit macht frei«. Anscheinend glauben sie wirklich daran, diese deutschen SS-Männer und Häftlinge. Sie, die mit Luther, Fichte, Hegel und Nietzsche groß geworden sind. Einstweilen findet also keine Schulung statt, und so treibe ich mich im Lager herum, mache landes- und seelenkundliche Exkursionen. Eigentlich sind wir dabei zu dritt: Staszek, Witek und ich. Staszek zieht es für gewöhnlich zum Küchenblock und zum Magazin, wo er nach Leuten Ausschau hält, denen er mal etwas gegeben hat und die ihm jetzt etwas schuldig sind. Gegen Abend setzt dann die Prozession ein. Da kommen irgendwelche Typen zu uns, denen die Bosheit ins Gesicht geschrieben steht, aber dann setzen sie mit ihren glattrasierten Visagen ein freundliches Grinsen auf und holen allerlei unter ihren engsitzenden Jacken hervor, einen Würfel Margarine, Weißbrot aus dem Krankenbau, eine Wurst oder Zigaretten. Das werfen sie auf die untere Pritsche und verschwinden wie in einem Film. Wir teilen die Beute auf, ergänzen sie aus unseren Vorräten und kochen uns etwas in dem Kachelofen mit den bunten Majolika-Kacheln.

Witek zieht es zu dem Klavier. Der schwarze Kasten steht in dem Block, in dem auch der Puff ist, aber während der Arbeitszeit ist Spielen nicht erlaubt, und nach dem Appell spielen die Musiker, die jeden Sonntag Symphoniekonzerte geben. Das werde ich mir unbedingt mal anhören.

Gegenüber dem Konzertsaal fanden wir auf einer Tür die Aufschrift »Bibliothek«, doch nach Auskunft von Eingeweihten ist sie nur für Reichsdeutsche und enthält ohnehin nur ein paar Kriminalromane. Ich konnte das nicht nachprüfen, weil die Tür ständig verschlossen ist.

In diesem Kulturblock befindet sich neben der Bibliothek die Politische Abteilung und daran angrenzend das Museum. Dort werden Fotos aufbewahrt, die man aus Briefen herausgefischt und beschlagnahmt hat, sonst angeblich nichts. Schade, es wäre der ideale Ort für die halbgebratene menschliche Leber, von der mein griechischer Freund probiert hat, wofür er fünfundzwanzig auf den nackten Arsch bekam.

Aber das Wichtigste befindet sich im ersten Stock. Es ist der Puff. Seine Fenster stehen selbst im Winter halboffen. Nach dem Appell beugen sich Frauenköpfe in den verschiedensten Schattierungen aus den Fenstern, und aus den blauen, rosafarbenen und hellgrünen (diese Farbe mag ich sehr) Morgenmänteln ragen Arme hervor, schneeweiß wie Meerschaum. Es sind, glaube ich, fünfzehn Köpfe und dreißig Arme, nicht mitgerechnet die alte Madame mit dem mächtigen, epischen, legendären Busen, die über die Köpfe, Hälse, Arme und so weiter wacht. Madame zeigt sich nicht am Fenster, sondern amtiert als Zerberus am Eingang zum Puff.

Um den Puff steht die Lagerprominenz Schlange. Auf zehn Julias kommen tausend Romeos, und was für welche. Daher das Gedränge und die Konkurrenz um jede einzelne Julia. Die Romeos stehen in den gegenüberliegenden Blocks am Fenster, schreien, geben Handzeichen und locken. Unter ihnen sind der Lagerälteste und der Lagerkapo, die Ärzte vom Krankenbau und die Kapos der einzelnen Kommandos. Manche Julia hat einen festen Verehrer, und neben Beteuerungen ewiger Liebe, neben Versprechungen eines glücklichen gemeinsamen Lebens nach dem Lager, neben Vorwürfen und Neckereien sind auch konkretere Gespräche zu vernehmen, in denen es um Seife, Parfüm, Seidenhöschen und Zigaretten geht.

Unter den Männern herrscht große Kameradschaft; sie versuchen sich nicht mit unlauteren Methoden zu übervorteilen. Die Frauen an den Fenstern sind sehr zärtlich und verlockend, aber unerreichbar wie Goldfische im Aquarium.

So sieht der Puff von außen aus. Hinein kommt man nur über die Schreibstube, mit einer Karte, die man als Lohn für gute und fleißige Arbeit bekommt. Als Gäste aus Birkenau haben wir auch hier den Vortritt, aber wir haben verzichtet; wir tragen den roten Winkel und überlassen den Kriminellen, was ihnen zusteht. Diese Beschreibung wird daher, so leid es mir tut, nur aus zweiter Hand sein, aber sie stützt sich auf so gute Zeugen und alte Nummern wie den Pfleger M. (inzwischen allerdings Pfleger ehrenhalber) aus unserem Block, dessen Nummer dreimal kleiner ist als die beiden letzten Zahlen meiner Nummer. Er ist sozusagen Gründungsmitglied! Deshalb watschelt er auch wie eine Ente und trägt eine weite Hose mit Zwickeln, vorn zusammengehalten von Agraffen. Abends kommt er aufgekratzt und fröhlich in den Block zurück. Danach geht er zur Schreibstube, und wenn die »zugelassenen« Nummern aufgerufen werden und der Betreffende nicht da ist, schreit er »Hier«, schnappt sich den Passierschein und rennt zu Madame. Er drückt ihr ein paar Päckchen Zigaretten in die Hand, sie unterzieht ihn etlichen hygienischen Maßnahmen, und der frisch desinfizierte Pfleger eilt mit großen Sätzen nach oben. Auf dem Flur wandeln die vom Fenster bekannten Julias, nachlässig in ihre Morgenmäntel gehüllt. Eine von ihnen tritt dann an den Pfleger heran und fragt leichthin:

»Welche Nummer haben Sie?«

»Acht«, antwortet er und schaut sicherheitshalber auf seine Karte.

»Ach, das ist nicht für mich, das ist für Irma, die kleine Blonde«, murmelt sie enttäuscht und schlurft zum Fenster.

Darauf geht der Pfleger zur Nummer acht. An der Tür liest er noch, daß diese und jene Laster nicht praktiziert werden dürfen, sonst gibt es Bunker, daß nur das und das (im einzelnen aufgezählt) erlaubt ist, und zwar nur für soundso viel Minuten. Er schickt einen Stoßseufzer zu jenem Guckloch, durch das hin und wieder eine Kollegin hereinschaut, manchmal auch Madame oder der Kommandoführer des Puffs oder gar der Lagerkommandant persönlich. Er legt ein Päckchen Zigaretten auf den Tisch und … ach ja, er bemerkt noch, daß zwei Päckchen englische Zigaretten auf dem Nachttischchen liegen. Dann kommt es zu dem Geschäft, und hinterher geht der Pfleger hinaus und steckt zerstreut die beiden Päckchen englische Zigaretten ein. Anschließend wird er nochmals desinfiziert, und uns berichtet er dann froh und glücklich von allen Einzelheiten.

Hin und wieder versagt die Desinfektion, und infolgedessen brach neulich eine Epidemie im Puff aus. Der Puff wurde geschlossen, anhand der Nummern wurde festgestellt, wer dagewesen war, und die Betreffenden wurden von Amts wegen herbestellt und behandelt. Weil aber ein reger Handel mit den Passierscheinen betrieben wird, wurden nicht diejenigen behandelt, die es nötig gehabt hätten. Wie das Leben so spielt. Die Frauen vom Puff haben außerdem Ausflüge ins Lager unternommen. Nachts sind sie über Leitern aus dem Fenster geklettert und haben sich in Männerkleidern zu Saufgelagen und Orgien begeben. Damit war aber bald Schluß, weil die Sache dem Posten auf dem nächstgelegenen Wachtturm nicht gefiel.

Frauen gibt es auch anderswo - in Block 10, wo man Versuche mit ihnen macht. Sie werden (wie man hört) künstlich befruchtet, man impft sie mit Typhus und Malaria, nimmt chirurgische Eingriffe an ihnen vor. Den Mann, der das leitet, habe ich flüchtig gesehen: grüne Jägertracht, Tirolerhut mit Sportabzeichen, das Gesicht eines gutmütigen Satyrs. Dem Vernehmen nach ein Universitätsprofessor.

Gitter und Bretter schirmen diese Frauen von der Außenwelt ab. Immer wieder wird dort jedoch eingebrochen, und die Frauen werden befruchtet, auf ganz und gar unkünstliche Weise. Das wird den alten Professor fuchsen.

Die Männer, die das machen, sind vollkommen normal. Das ganze Lager spricht, sobald es satt und ausgeschlafen ist, nur von Frauen, das ganze Lager träumt von Frauen, das ganze Lager ist scharf auf sie. Der Lagerälteste kam auf Straftransport, weil er immer wieder durchs Fenster in den Puff gekrochen war. Ein neunzehnjähriger SS-Mann ertappte den Kapellmeister, einen dicken, würdigen Herrn, und einige Ärzte in unzweideutigen Stellungen mit Frauen, die in die Ambulanz gekommen waren, um sich Zähne ziehen zu lassen, und verpaßte ihnen mit dem Knüppel, den er bei sich hatte, unverzüglich eine entsprechende Tracht auf die entsprechenden Körperteile. Für die Herren war das keine Blamage - sie hatten einfach Pech gehabt.

Die Frauenpsychose im Lager nimmt zu. Deshalb behandelt man die Frauen im Puff wie normale Frauen, spricht mit ihnen von Liebe und häuslichem Leben. Von diesen Frauen gibt es zehn, aber das Lager zählt einige zigtausend Männer.

Darum wollen sie unbedingt ins FKL, nach Birkenau. Diese Männer sind krank. Und dabei gibt es ja nicht nur das eine...

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Autor

Tadeusz Borowski, geboren 1922 in Schitomir (Ukraine), studierte Polonistik an der Untergrund-Universität in Warschau. 1943 wurde er verhaftet und nach Auschwitz deportiert, danach in andere Lager, zuletzt nach Dachau. Nach der Befreiung der Konzentrationslager hielt er sich in München auf, wo 1945 ein Gedichtband erschien. 1946 arbeitete er als Redakteur in Warschau, 1949/50 als Korrespondent in Berlin. 1951 nahm sich Tadeusz Borowski in Warschau das Leben.