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Herzkörper

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
216 Seiten
Deutsch
Picus Verlagerschienen am23.02.20151. Auflage
Ihre Rituale sind ebenso brutal wie sinnfrei: Drei Jugendliche, die vor der Stumpfsinnigkeit ihres Daseins fliehen, wenden all ihre Aggressionen gegen Rocko, einen Obdachlosen, der ihnen als Punchingball für alle Lebenslagen dient. Rocko wiederum erträgt langmütig alle Misshandlungen - seine Sehnsucht gilt seinem früheren Leben und seiner ihm entwachsenen Tochter, die mit dem Vater nichts zu tun haben will.

Harald Darer, geboren 1975 in Mürzzuschlag, Steiermark, begann nach der Lehre zum Elektroinstallateur und einschlägigen Weiterbildungen mit dreißig Jahren zu schreiben. Seither zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien. Sein Debütroman 'Wer mit Hunden schläft' erschien 2013 im Picus Verlag und wurde für mehrere Preise nominiert. Harald Darer lebt und arbeitet in Wien.
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Produkt

KlappentextIhre Rituale sind ebenso brutal wie sinnfrei: Drei Jugendliche, die vor der Stumpfsinnigkeit ihres Daseins fliehen, wenden all ihre Aggressionen gegen Rocko, einen Obdachlosen, der ihnen als Punchingball für alle Lebenslagen dient. Rocko wiederum erträgt langmütig alle Misshandlungen - seine Sehnsucht gilt seinem früheren Leben und seiner ihm entwachsenen Tochter, die mit dem Vater nichts zu tun haben will.

Harald Darer, geboren 1975 in Mürzzuschlag, Steiermark, begann nach der Lehre zum Elektroinstallateur und einschlägigen Weiterbildungen mit dreißig Jahren zu schreiben. Seither zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien. Sein Debütroman 'Wer mit Hunden schläft' erschien 2013 im Picus Verlag und wurde für mehrere Preise nominiert. Harald Darer lebt und arbeitet in Wien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783711752819
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum23.02.2015
Auflage1. Auflage
Seiten216 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2206 Kbytes
Artikel-Nr.2992798
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Maria beschließt aufzustehen. Es ist vier Uhr früh. An Schlaf ist ohnehin nicht mehr zu denken, denkt sie. Es war eigentlich schon kurz nach dem Zubettgehen nicht mehr daran zu denken. Beim Versuch einzuschlafen sofort der Gedanke: Was wird sie fragen? Was soll ich antworten? Worauf soll ich nicht antworten und wie? Was ziehe ich an? Soll ich mich schminken? Oder nur ein bisschen? Oder gar nicht? Und so weiter. Zwischen diesen Gedanken immer wieder die Aussagen der Kolleginnen: Du bist jetzt unsere Frontfrau! Das im besten Fall beste Beispiel für uns alle! Und die Worte Vorzeigeführungskraft, Kämpferin und Generationswechsel, die gefallen sind, beim Empfang, den sie ihr nach Bekanntwerden der Entscheidung bereitet haben, der Applaus dazwischen, das Klirren von aneinanderstoßenden Sektgläsern und das Kauen auf hübsch mit rotem und gelbem Paprika garnierten Lachsmayonnaisebrötchen. Der Rummel wird nicht lange andauern, denkt sie, und spürt dabei die Erleichterung, die Sicherheit, die zurückkehrt, nachdem man aus einem Traum aufwacht und sich denkt: Es war nur ein Traum. Die Zufriedenheit, noch so da zu sein, wie man ein paar Stunden vorher ins Bett gegangen ist, nur etwas zerknüllter. Sie stellt sich vor, im Interview auf die Frage, die bestimmt kommen wird, die immer im Zusammenhang mit ihrem Beruf gestellt wird - ist es nicht Berufung?, so ein Beruf kann ja nur Berufung sein, täglich so viel Wirklichkeit, finden Sie nicht auch? -, zu antworten: Die Wirklichkeit hat mich nicht abgestumpft oder zerstört, nur, wie man sieht, etwas zerknüllt, wenn Sie so wollen. Sie versucht den Satz mit der brummenden elektrischen Zahnbürste im Mund auszusprechen, muss lachen und spuckt die Zahncreme in das Waschbecken. Sie schaut in den Spiegelschrank vor sich und denkt: Du bist knapp vierzig Jahre alt, Dr.iur., Rektorin der größten Fachhochschule für Sozialberufe des Landes. Kein Grund für Lampenfieber also.

Simone Remschnik sitzt auf der Rückbank eines silbernen Transporters mit kaputten Stoßdämpfern, aufgrund derer das Heck des Wagens nach jedem Kurvenausgang ein paar Mal hin und her schaukelt. Es ist ihr bereits mulmig im Magen geworden, weil sie in den auf ihrem Schoß liegenden Notizblock vertieft ist.

Musst du so schaukeln?, sagt sie zum Fotografen, der den Transporter fährt. Mir ist schon ganz mulmig im Magen von der Schaukelei.

Ich schaukel ja nicht absichtlich, sagt er, das Auto schaukelt von alleine. So langsam kann ich gar nicht um die Kurve fahren, dass es nicht schaukeln würde. Wir haben den mit den kaputten Stoßdämpfern.

Warum haben immer wir den mit den kaputten Stoßdämpfern?, sagt Remschnik und schaukelt hin und her.

Der Fotograf zuckt mit den Schultern. Gleich sind wir da, sagt er, während Remschnik wieder hin und her schaukelnd in ihren Notizblock hineinschaut und die Fragen durchgeht. Noch einmal schnell die Fragen durchgehen, denkt sie.

Remschnik, sagt Remschnik, freut mich sehr, und streckt Maria, die die Tür kurz nach dem Läuten aufgemacht hat, die Hand entgegen.

Satori, sagt Maria, freut mich auch, und drückt die ihr von Remschnik entgegengestreckte Hand, die den Händedruck kaum erwidert. Ihre Hand liegt in Marias wie ein lauwarmer, leicht feuchter Küchenschwamm.

Bitte, kommen Sie doch herein, sagt sie, öffnet die Tür jetzt ganz, stellt sich mit dem Rücken zur Wand des Vorzimmers und winkt Remschnik und den Fotografen, der vollbepackt mit Kamera, Scheinwerfer und Stativ hinter Remschnik steht, in die Wohnung herein. Gehen Sie ruhig weiter durch, sagt sie.

Wollen wir gleich hier?, fragt sie und zeigt mit einer Hand, die Handfläche der anderen Hand an ihren Oberschenkel gepresst, auf das Sofa, das mitten im Wohnzimmer steht, daneben ein Beistelltisch, auf dem auf einem mit Hardangermuster bestickten Untersetzdeckchen eine mit Bananen, Äpfeln und Pfirsichen gefüllte Obstschüssel, eine Kaffee- und eine Milchkanne, Espressotassen, eine Zuckerdose und ein Gugelhupf angerichtet sind.

Remschnik schaut den Fotografen an, der, nachdem er die Lichtverhältnisse kontrolliert hat, nickt und mit dem Aufbau seines Equipments beginnt.

Kaffee?, fragt Maria.

Gerne, sagt Remschnik.

Der Fotograf schüttelt den Kopf und winkt dankend ab.

Gehen wir den Ablauf kurz durch?, sagt Remschnik.

Bitte, sagt Maria.

Ich habe mir gedacht, wir beginnen mit Ihrer Wahl zur Rektorin und steigen dann in Ihren beruflichen und persönlichen Werdegang ein. Vor allem das Persönliche ist es, was unsere Leserinnen und Leser am meisten interessiert. Ist das in Ordnung?

In Ordnung, sagt Maria.

Der Fotograf richtet den Scheinwerfer auf sie und fängt an zu knipsen.

Remschnik holt aus ihrer Handtasche ein Aufnahmegerät und ein Smartphone und legt beides vor Maria auf den Tisch. Sie drückt auf die REC-Taste des Aufnahmegeräts und startet auf dem Smartphone die Aufnahmefunktion. Doppelt hält besser, sagt sie.

Remschnik: Frau Satori, Sie sind an der größten Fachhochschule für Sozialberufe des Landes zur Rektorin gewählt worden. Für Aufsehen hat Ihre Bestellung gesorgt, weil Sie die erste Frau sind, die diesen Posten einnehmen wird. Nervt es Sie, in dem Zusammenhang ständig auf Ihr Geschlecht angesprochen zu werden?

Satori: Nun, wäre ich ein Mann, wäre vielleicht ein kurzer Artikel in der Zeitung erschienen. Das große Medieninteresse an meiner Person war überraschend für mich, aber doch nachvollziehbar.

R: Empfinden Sie es als Ehre, in einem männerdominierten Bereich Vorreiterin sein zu können?

S: Ja, obwohl ich natürlich jetzt die Vorzeigequotenfrau bin.

R: Sind Sie eine Quotenfrau oder empfinden Sie diese Bezeichnung als Beschimpfung?

S: Ja, ich bin eine und das Wort wird in erster Linie als Schimpfwort gebraucht, ich fühle mich dennoch nicht beschimpft. Ich gehe davon aus, dass die Entscheidung, mich in diese Position zu wählen, in erster Linie meinen Leistungen für das Institut zuzurechnen ist und nicht der Quote. Wer noch auf der Liste zur Wahl gestanden ist, ist mir nicht bekannt.

R: Was, glauben Sie, war in Ihrer Laufbahn ausschlaggebend dafür, dass Sie das erreichen konnten, was Sie erreicht haben? Geht es darum, die richtigen Entscheidungen zu treffen?

S: Trotz harter Arbeit, Durchhaltevermögen und Zielstrebigkeit muss man am Ende des Tages sagen: Ohne die Unterstützung anderer, und, bezeichnen wir die Unbekannte als Glück, wäre mein Leben nicht so verlaufen, wie es verlaufen ist. Ob man seinen Weg, Ausweg oder nur mehr Ausweglosigkeiten vorfindet, ist nicht nur an richtigen oder falschen Entscheidungen festzumachen.

R: Sie kommen aus einfachen Verhältnissen, nicht wahr?

S: Ich würde eher sagen aus komplizierten.

R: Sie waren Leiterin des Studienfachs Soziale Arbeit und betonen immer, in erster Linie Sozialarbeiterin zu sein, erst dann Juristin. Empfinden Sie Ihre Arbeit als Berufung? So ein Beruf kann ja nur Berufung sein, finden Sie nicht auch?

S: Jus habe ich studiert, um in der Sozialarbeit gewissermaßen schlagkräftiger zu sein. Vor allem bei der Zusammenarbeit mit Behörden, Polizei und Gericht erfährt man eine Wertschätzung, die man sonst so leider nicht erhält. Bezüglich Berufung - sie denkt an den Satz, den sie sich in der Früh ausgedacht hat, sagt ihn aber nicht -: Erfahrungsgemäß ist es nicht die Beschäftigung mit tragischen, deprimierenden Fällen, was Sie andeuten, die einem zu schaffen macht, sondern die Auseinandersetzung mit sich selbst, die ständige Reflexion der eigenen Perspektive, der eigenen Vergangenheit. Daran scheitern auch die meisten der Studierenden, wenn sie scheitern. Im gesamten Studium, vor allem zu Beginn, sind die Studierenden gezwungen, sich und ihre Perspektive zu reflektieren. Und zwar mündlich und in der Gruppe. Das führt mitunter zu erstaunlichen Ergebnissen und Erkenntnissen bei den Studierenden.

R: Zum Beispiel?

S: Wutausbrüche, Tränen. Es ist vorgekommen, dass jemand aufgestanden ist, wortlos den Raum verlassen hat und nicht mehr erschienen ist.

R: Haben Sie Mitleid mit den Studierenden wenn das passiert?

S: Nun, Mitleid ist keine juristische und schon gar keine sozialarbeiterische Kategorie. Genauso wenig wie Hoffnung, Glück oder Gerechtigkeit.

R: Das klingt deprimierend.

S: Überhaupt nicht! Es ist überaus wichtig, Sentimentalitäten bei der Arbeit hintangestellt zu lassen. Es ist unsere Aufgabe, den Studierenden Werkzeuge in die Hand zu geben, mit denen sie professionelle Distanz zu den Klienten wahren können. Diese wird bei Praxisreflexionen und Fallanalysen trainiert. Dafür gibt es eine andere Kategorie, die zwar keine juristische, jedoch eine überaus wichtige sozialarbeiterische ist: Empathie. Erst diese schließt alle Sentimentalitäten von vorneherein aus und befähigt, das sage ich den Studierenden...
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Autor

Harald Darer, geboren 1975 in Mürzzuschlag, Steiermark, begann nach der Lehre zum Elektroinstallateur und einschlägigen Weiterbildungen mit dreißig Jahren zu schreiben. Seither zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien. Sein Debütroman "Wer mit Hunden schläft" erschien 2013 im Picus Verlag und wurde für mehrere Preise nominiert. Harald Darer lebt und arbeitet in Wien.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt