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Das Weib ist ein Nichts

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
190 Seiten
Deutsch
Droschl, Merschienen am10.05.20121., Aufl
Hinter dem provokanten Titel, der den Tagebüchern Friedrich Hebbels entnommen ist und die rückschrittlichsten Theorien etwa Otto Weiningers zu unterstreichen scheint, verbirgt sich ein eigentümlicher, fiebriger Roman: Bibiana geht durch die Hände verschiedener Männer, die sie jeweils völlig neu formen, die ihr eine vollständig andere Identität verleihen, vom Namen bis zu ihrem Auftreten. In vollkommener Passivität nimmt sie diese unterschiedlichen Schicksale an, lässt sie diese Einschreibungen über sich ergehen. Krass wie in einem Kolportageroman sind diese Existenzen: sie ist nacheinander das Werkzeug eines Hochstaplers, die Muse eines armen Komponisten, die Geliebte eines reichen Geschäftsmannes und die Gefährtin eines sozialistischen Arbeiterführers, und in dieser letzten Rolle erleidet sie dann einen sinnlosen Tod auf den Barrikaden. Der Roman verstört. Bald nach Erscheinen schon zur Verfilmung vorgesehen (mit Greta Garbo in der Hauptrolle), rief er sehr bald kritische Stimmen hervor, die ihn auf der Folie des damaligen Emanzipationsstandes gelesen sehen wollten. Seine Kraft zeigt dieser noch ganz im expressionistischen Gestus geschriebene Roman gerade auch darin, wie fruchtbar er für die zeitgenössische Theoriediskussion zur Gender-Frage noch immer ist.mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR19,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextHinter dem provokanten Titel, der den Tagebüchern Friedrich Hebbels entnommen ist und die rückschrittlichsten Theorien etwa Otto Weiningers zu unterstreichen scheint, verbirgt sich ein eigentümlicher, fiebriger Roman: Bibiana geht durch die Hände verschiedener Männer, die sie jeweils völlig neu formen, die ihr eine vollständig andere Identität verleihen, vom Namen bis zu ihrem Auftreten. In vollkommener Passivität nimmt sie diese unterschiedlichen Schicksale an, lässt sie diese Einschreibungen über sich ergehen. Krass wie in einem Kolportageroman sind diese Existenzen: sie ist nacheinander das Werkzeug eines Hochstaplers, die Muse eines armen Komponisten, die Geliebte eines reichen Geschäftsmannes und die Gefährtin eines sozialistischen Arbeiterführers, und in dieser letzten Rolle erleidet sie dann einen sinnlosen Tod auf den Barrikaden. Der Roman verstört. Bald nach Erscheinen schon zur Verfilmung vorgesehen (mit Greta Garbo in der Hauptrolle), rief er sehr bald kritische Stimmen hervor, die ihn auf der Folie des damaligen Emanzipationsstandes gelesen sehen wollten. Seine Kraft zeigt dieser noch ganz im expressionistischen Gestus geschriebene Roman gerade auch darin, wie fruchtbar er für die zeitgenössische Theoriediskussion zur Gender-Frage noch immer ist.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783854208792
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum10.05.2012
Auflage1., Aufl
Seiten190 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2184 Kbytes
Artikel-Nr.3010905
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Musik

Der junge Musiker, Korrepetitor am Königlich Deutschen Opernhaus, den seine Exzellenz berief, Bibiana das Klavierspiel beizubringen, konnte dem Empfehlungsschreiben eines einflußreichen Gönners nicht nur den Nachweis vorzüglicher Studien, sondern auch den Nachweis einer makellosen politischen Vergangenheit hinzufügen und hatte überdies den Vorzug einer zu kurzen, sehr schmächtigen Gestalt, die ihn unter das nachsichtigste Militärmaß herabdrückte.

Dreimal wöchentlich, von fünf bis sechs Uhr nachmittags erschien er bei Bibiana, zerstreut und unbeholfen, bis sie vor dem Flügel saß. Dann stand er neben ihr und sah unverwandt auf ihre Hände, rügte Haltung und Fingersatz, ließ sich um keine Sechzehntelnote, um keine Pause, um kein Vorzeichen betrügen, half mit seinem ganzen Körper dem Takte nach, wenn ihre Finger über Läufe stolperten, vor einem zweimal, dreimal gestrichenen Notenzeichen stockten.

Bibiana, die ihn jedesmal mit einem Lächeln empfing, einmal weil seine ungelenke Gestalt sie belustigte, einmal weil ihm die Krawatte schief saß oder seine Weste so ungeschickt zugeknöpft war, daß oben ein Knopf und unten ein Knopfloch zuviel waren, blieb jedesmal, wenn er sie verließ, verdutzt von diesem Terror einer Sachlichkeit zurück, hinter der sie das leidenschaftliche Gewissen des Künstlers zu ahnen begann. Aber sie verzieh ihm, weiblich genug, eben darum nicht den Mangel äußerer Vorzüge, weil sie den reinen Willen zu spüren bekam, ohne das vermittelnde Gleichnis eines athletischen Körpers.

Die Abneigung gegen diesen Menschen, der die Gestalt eines Clowns mit der Seele eines Märtyrers verband, übertrug Bibiana auf das, was er sie lehrte, auf die Musik. Sie begriff, daß sie vor ihr und vor ihm nur vor einem einzigen fiebernden Geheimnis stand, vor einem Vulkan etwa, der einen mit glühenden Strömen tönender Lava überstürzt, wenn man ihm zu nahe kommt.

Sie vergaß zu üben, um ihn zu vergessen, ging aus, wenn er zur Stunde kam. Aber er wartete auf sie. Verstand er ihre Flucht, oder bangte er um das Honorar? Er wartete auf sie, bis sie endlich vor dem Flügel saß. Dann stand er neben ihr und sah ihr auf die Finger, die hinkend ihren Passionsweg über die Tasten begannen.

»Dis, Verehrteste, Dis«, verbesserte er ungeduldig. Bibiana, der es immer ein sonderbares Vergnügen bereitete, daß seine Ohren sich nicht das kleinste Zeichen unterschlagen ließen, wiederholte den beanstandeten Takt, hörte den harmonischeren Zusammenklang, aber nicht seine Notwendigkeit, spottete: »Ist das sehr wichtig?«

»Ist das sehr wichtig, daß Sie Musik betreiben?« fragte er erregt. »Denken Sie doch einmal nach: vielleicht fällt Ihnen etwas Besseres ein. Ich bin ein Dieb, wenn ich Ihnen das nicht endlich sage. Ich stehle Ihnen das Geld aus der Tasche, wenn ich Sie auch nur einen Tag länger im unklaren darüber lasse: Sie haben kein Gehör, sie haben keinen Rhythmus in den Gliedern, im Blut, Sie sind unmusikalisch. Glauben Sie, daß man das kaufen kann: Musik?«

Bibiana starrte neugierig in dieses Gesicht, das eine tiefere Erregung aufwühlte, als diese Auseinandersetzung rechtfertigte, ahnte, daß er gegen sie Güter verteidigte, die man nicht stehlen konnte, aber erniedrigen und die jeder ungestraft und ungetadelt erniedrigen durfte, ahnte, daß ihm eben das heilig war, was anderen zum Vergnügen diente, das Spiel, Spiel der Farben, Spiel der Worte, Spiel der Töne: Kunst.

Er nahm sich zusammen: »Verzeihen Sie mir. Eine halbe Wahrheit gibt es nicht. Verzeihen Sie mir.« Er griff nach seinem Hut.

»Aber Sie kommen doch wieder«, rief Bibiana ihm nach.

Unschlüssig blieb er stehen, wandte sich langsam um, lächelte verlegen, stotterte: »Ich glaube nicht.«

»Ich bitte Sie darum«, stammelte Bibiana, und erst viel später, als sich die Türe längst geschlossen hatte, fiel ihr ein, daß sie ihn nicht wiedersehen wollte.

Zur nächsten Lektion, der ersten, die Bibiana mit einiger Unruhe erwartete, traf ein Telegramm ein, das seine Abwesenheit für unbestimmte Zeit mit einem Gastspiel in einer kleinen deutschen Stadt entschuldigte. Sie zerdrückte das Formular in einer kleinen, zornigen Faust, befahl das Auto bereitzuhalten, widerrief die Anordnung eine halbe Stunde später, nahm ein Buch zur Hand, begann zu lesen. Aber unwiderstehlich trieb es sie, sich ans Klavier zu setzen.

Eine Stunde lang übte sie Tonleitern, übte Gegenbewegung, Dominante und Dreiklang in den Fingern und im Ohr, zwang ihren kleinen Händen die Spannungen der Oktaven ab, bis sie sich in den Gelenken lösten, verringerte den Abstand zwischen ihren Händen zu Quinten und Terzen, ließ sich den so verursachten Zwieklang der Läufe in die Ohren klingen, wiederholte sie pausenlos, bis ihre Finger geschmeidig wurden und schmerzten. Dann erst nahm sie die Etude vor und stellte den Chronometer ein.

Täglich, ehe sie zu üben begann, versuchte sie sich selbst zu hintergehen, türmte Lehrbücher, englische, französische Vokabeln, Romane und Handarbeiten sogar zwischen sich und das Klavier, beredete sich, wenn sie endlich doch davor saß, daß sie ihrer Langeweile dieses Opfer brachte. Den Chronometer neben sich, zwang Bibiana sich ein sauberes, sicheres Gefühl für den Rhythmus ab, empfand ein boshaftes Vergnügen darin, sich dieser automatischen Sachlichkeit zu fügen, hinter der sie ein mechanisiertes Gewissen zu ahnen begann, das eben von außen her ans Ohr klopft, unerbittlich Tempo und Takt vorschreibt, zum Handwerker der Musik den Unvorsichtigen, zum Virtuosen vielleicht erzieht, zu jener anderen, verblüffenden Spielart des Dilettanten, der mehr kann als will.

Als vierzehn Tage später ihr Lehrer wieder zur Lektion erschien, linkisch eintrat, mürrisch grüßte, unbeholfen durch das Zimmer stolperte, sich wie ein Ertrinkender mit den Augen und den Händen an den Flügel anklammerte, fühlte sich Bibiana so schmerzhaft enttäuscht von der quälenden Diskrepanz zwischen seinem Äußeren, das sie einfach vergessen hatte, und seinem leidenschaftlichen Willen, dem sie sich seit zwei Wochen, in diesem Augenblick begriff sie es, unterworfen hatte, daß sie besinnungslos vor Wut hervorstieß: »Aber wie sehen Sie denn wieder aus? Haben Sie denn in diesem Anzug geschlafen?«

Bestürzt fuhr er mit der Hand nach der Krawatte, rückte sie zurecht, zupfte Weste und Rock glatt, lächelte verlegen, murmelte: »Eigentlich habe ich wirklich in diesem Anzug geschlafen. Ich komme direkt von der Bahn. Entschuldigen Sie. Ich wollte Sie nicht warten lassen.«

Bibiana wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, fühlte, daß seine Hilflosigkeit ungefähr das Ärgste war, was er ihr in diesem Augenblick antun konnte, fühlte sich zugleich unbegreiflich gerührt. Ihre eigene Erregung zu meistern, deren sie sich diesem vernachlässigten Menschen gegenüber schämte, lenkte sie ein: »Hat Ihr Gastspiel zu dem erwünschten Erfolg geführt?«

Er sah sie verwundert an, versuchte die Frage zu überhören, die ihm unbequem war, eben weil sie ihn zu einer Antwort reizte, die seit Tagen angestaute Bitterkeit loszuwerden, bekannte endlich schwermütig: »Das Gastspiel hat nicht stattgefunden. Der Intendant war abwesend, und niemand hat an meinem Irrtum gezweifelt. Übrigens wurde er zehn Tage lang stündlich zurückerwartet, auch von mir. Gestern mußte ich leider abreisen. Urlaub und Geld, ausgeborgtes natürlich, waren zu Ende.«

»Aber das ist doch nicht möglich«, stammelte Bibiana, »das ist doch eine Perfidie.«

Er fuhr sich mit gespreizten Fingern nervös durch die Haare, versuchte zu lächeln, belehrte sie: »Es ist Ihnen scheinbar nicht bekannt, daß jedes Genie sich einmal durchsetzt, vorausgesetzt, daß es vorher nicht verhungert. Aber auch das wird einkalkuliert, und der Tod ist eine der unerläßlichsten Leistungen, die ein Künstler setzen muß, wenn er sich populär machen will. Und wenn er die Ausdauer hat, hundert Jahre tot zu sein, dann kann er so volkstümlich werden, daß man seinen Kopf zur Münze umprägt, in Umlauf bringt und in seine Melodien endlich auch die Melodie des Geldes klingt, die ihm fremd war.«

»Es tut mir sehr leid«, murmelte Bibiana verlegen und fühlte sich in eben dem Maße mitschuldig an seinem Mißerfolg, als er ihr an diesem Tag mißfiel, fühlte sich in eine Schuld verstrickt, an der sie keinen andern Anteil hatte als ihre Zugehörigkeit zur Gilde der Unbeträchtlichen, zu den Wahlverwandten der Wahllosen, zu den Unberührbaren des Herzens, die, von einem untrüglichen Instinkt geleitet, gegen jeden Bekenner der Zukunft haßerfüllt Front machen und von denen sie sich noch nicht ganz losgelöst hatte.

»Sie sind sehr gütig«, stotterte der Musiker verlegen, ahnte, jäh ernüchtert, die Konvention einer Frage, die ihn zu so voreilig vertraulichen Mitteilungen verlockt hatte, hatte das unangenehme Gefühl, daß er sich wie ein Tölpel benommen hatte und nicht einmal von einer schönen Frau, nur von sich selbst genarrt.

Bedrückt sah er Bibiana auf die Hände, die eben zu spielen begannen, vermeinte nicht recht zu hören, zu sehen, das waren Läufe, schülerhaft, kindlich, gewiß, aber wirkliche Läufe, bewegliche Finger, ein federndes Handgelenk, aus dem die kleinen Hände wie spielend Oktaven griffen, kein Zögern, kein Stocken, eine fast schmerzhafte Präzision. Diese Hände, zum ersten Mal sah er es, waren schön.

»Unglaublich«, murmelte er, begann erregt auf und ab zu gehen, blieb endlich vor ihr stehen, wiederholte fassungslos: »Unglaublich.«

Langsam stieg ihr das Blut ins Gesicht, sie lächelte schüchtern, sah ihn nicht an.

»Unglaublich«, wiederholte er verwirrt.

An diesem Tag, als er sie verließ, küßte er zum ersten Mal ihre...
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