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Das Verbrechen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Droschl, Merschienen am09.05.20121., Aufl
Zum ersten Mal alle erhaltenen Erzählungen von Mela Hartwig in einem Band. Nachdem sie einige Jahre zuvor bereits als Schauspielerin Karriere gemacht hatte, betrat Mela Hartwig 1928 die literarische Bühne mit einem von Alfred Döblin und Stefan Zweig empfohlenen Erzählband, Ekstasen, der von den Zeitgenossen höchst zwiespältig aufgenommen wurde. 'Außerordentlich quälend und unerfreulich' seien ihre Stoffe, Zeugnisse eines 'durch die Psychoanalyse verjauchten Gehirns'. So wurden dann auch (bis auf den Roman Das Weib ist ein Nichts, 1929) ihre weiteren Werke nicht mehr zum Druck angenommen: die Kurzgeschichtensammlung Quer durch die Krise ist bis heute verschollen und der Roman Bin ich ein überflüssiger Mensch? blieb bis lange nach ihrem Tod unveröffentlicht. In diesem Band sind zum ersten Mal alle Erzählungen von Mela Hartwig gesammelt: die Novellen aus dem berühmten Erstling Ekstasen, andere Erzählungen aus deren Umfeld (z. T. nur im Nachlass vorhanden), die 1936 in einem französischen Exilverlag gedruckte Novelle Das Wunder von Ulm und die einzige nach 1945 noch erschienene Prosaveröffentlichung Georgslegende. Wie wenige andere Autoren steht Mela Hartwig zwischen den Polen des Expressionismus, mit seiner überreizten Sinnlichkeit und seinen stilistischen Neuerungen, und der nüchternen Beschreibungskunst der Neuen Sachlichkeit. Immer aber behandelt sie unerschrocken, mit großer Kunstfertigkeit und gestaltender Intelligenz schmerzhafte und daher gerne verschwiegene Themen; keine Autorin hat in ihren neurotischen Frauenfiguren solche Weiblichkeitsentwürfe gewagt, keine hat aber auch wie sie die sozialen Realitäten ihrer Zeit, Arbeitslosigkeit und mörderischer Antisemitismus, gestaltet.mehr
Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR19,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextZum ersten Mal alle erhaltenen Erzählungen von Mela Hartwig in einem Band. Nachdem sie einige Jahre zuvor bereits als Schauspielerin Karriere gemacht hatte, betrat Mela Hartwig 1928 die literarische Bühne mit einem von Alfred Döblin und Stefan Zweig empfohlenen Erzählband, Ekstasen, der von den Zeitgenossen höchst zwiespältig aufgenommen wurde. 'Außerordentlich quälend und unerfreulich' seien ihre Stoffe, Zeugnisse eines 'durch die Psychoanalyse verjauchten Gehirns'. So wurden dann auch (bis auf den Roman Das Weib ist ein Nichts, 1929) ihre weiteren Werke nicht mehr zum Druck angenommen: die Kurzgeschichtensammlung Quer durch die Krise ist bis heute verschollen und der Roman Bin ich ein überflüssiger Mensch? blieb bis lange nach ihrem Tod unveröffentlicht. In diesem Band sind zum ersten Mal alle Erzählungen von Mela Hartwig gesammelt: die Novellen aus dem berühmten Erstling Ekstasen, andere Erzählungen aus deren Umfeld (z. T. nur im Nachlass vorhanden), die 1936 in einem französischen Exilverlag gedruckte Novelle Das Wunder von Ulm und die einzige nach 1945 noch erschienene Prosaveröffentlichung Georgslegende. Wie wenige andere Autoren steht Mela Hartwig zwischen den Polen des Expressionismus, mit seiner überreizten Sinnlichkeit und seinen stilistischen Neuerungen, und der nüchternen Beschreibungskunst der Neuen Sachlichkeit. Immer aber behandelt sie unerschrocken, mit großer Kunstfertigkeit und gestaltender Intelligenz schmerzhafte und daher gerne verschwiegene Themen; keine Autorin hat in ihren neurotischen Frauenfiguren solche Weiblichkeitsentwürfe gewagt, keine hat aber auch wie sie die sozialen Realitäten ihrer Zeit, Arbeitslosigkeit und mörderischer Antisemitismus, gestaltet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783854208808
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum09.05.2012
Auflage1., Aufl
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1921 Kbytes
Artikel-Nr.3010906
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Das Verbrechen

Drei Tage lang schloß Agnes sich ein, nahm weder Speise noch Trank zu sich und spielte mit dem Gedanken, zu sterben. Sie verbrachte diese Zeit in einem Dämmerzustand des Bewußtseins, der jede ihrer Bewegungen lähmte und ihr Leben unter der Unwirklichkeit eines überreizten Willens begrub; Dunkelheit verkleisterte die Fenster, verklebte ihre Augen, wälzte Schatten und ein Chaos von Geräuschen ohne Sinn über ihr Bett hin, eine Gewitterwolke aus Angst, Dunkelheit und Tod, die sich immer tiefer auf sie herabsenkte, die farblosen Wände ihres verfinsterten Zimmers drängten sich immer enger um sie zusammen, wie ein Grab, bis ihr Atem nur mehr stoßweise und behindert von dem Alpdruck ihrer Vision durch ihren vertrockneten Kehlkopf rasselte.

Am vierten Tag wurde die Tür aufgebrochen, und mitten in der Helle des hereinstürzenden Tages stand ihr Vater vor ihren geblendeten Augen, die blicklos vor Entsetzen in sein verschlossenes Gesicht starrten, das von der Drohung ihres Entschlusses nicht im mindesten beunruhigt schien und das ihr die Furcht des Augenblickes in ein widerliches Grinsen verzerrte.

»Sie lebt«, schluchzte ein ältliches Mädchen, das nicht gewillt war, sich die Sensation dieses Augenblickes durch den Mangel an einer Leiche verkümmern und sich um das Recht ihrer Tränen prellen zu lassen. »Sie lebt.«

Ruhig und mit einem Mangel an innerem Entgegenkommen, der eindeutig die Absicht verriet, die exzentrische Stimmung zu zerreißen und durch eine Banalität lächerlich zu machen, ordnete der Herr des Hauses an: »Öffnen Sie die Fenster. Diese eingesperrte Luft verursacht Übelkeiten und Halluzinationen.«

Widerwillig und mit umständlicher Gewissenhaftigkeit zugleich kam das Mädchen dieser Aufforderung nach. Sie begriff, daß es um ihren eigenen Anteil an diesem Ereignis ging, daß man ihr ein Erlebnis entreißen wollte, das ihr zukam, daß man ihr Recht, Anteilnahme zu bezeugen, verkürzen wollte, und ihr Optimismus, von dieser Erkenntnis beunruhigt, wollte sich noch einige köstliche Augenblicke in diesem geheimnisvollen Zimmer sichern.

Der Chauffeur, der das Zimmer aufgebrochen hatte, und die Köchin hatten sich längst entfernt, das Schweigen im Zimmer wurde unbehaglich, während sie an den Schnüren der Vorhänge bastelte, die ihre Hände, ihr zu Gefallen, nur immer mehr verwirrten, bis eine ungeduldige Stimme ihr Zögern zu ihren Ungunsten entschied: »Sie können gehen.«

Aber während sie sich mit einem übermenschlichen Entschluß anschickte, diesem gefühllosen Befehl nachzukommen, auf die Lösung dieses Rätsels bis auf weiteres heroisch zu verzichten, als sie die Hand schon an die Klinke gelegt hatte, in ihr Schicksal ergeben, und nur noch eine stumme, schüchterne Sympathiekundgebung für das Fräulein wagte, die sich als ein zierlicher Knicks manifestierte, richtete sich Agnes plötzlich auf und schrie mit einer schrillen Stimme, die sich vor Angst überschlug und dem Mädchen das Blut in den Adern wollüstig gerinnen machte: »Bleiben Sie hier, Cilli, bleiben Sie hier.«

Aber ohne das geringste psychologische Verständnis für subjektives Zeitempfinden, das dem Mädchen diesen Augenblick zu einem Menschenalter der Genugtuung, aus Entsetzen, Grauen und Glück gemischt, zerdehnte, ohne Würdigung für den Konflikt des Gehorchens, in den sie geraten war, stand der Herr auf, schob sie ruhig, aber entschieden und ohne ein Wort zu verlieren zur Tür hinaus und schaute ihr rücksichtslos nach, bis sie in der Küche verschwand.

Dann schlug er die Tür krachend ins Schloß, daß Agnes aus der wohltätigen Betäubung einer beginnenden Ohnmacht aufschreckte, und begann ruhig sachlich das Verhör: »Was soll das heißen? Was bezweckst du damit?«

Agnes fühlte unbestimmt, daß das helle, nüchterne Licht des Tages ihn in den Vorteil setzte, daß es seine Sachlichkeit begünstigte, und bat: »Schließe die Vorhänge, das Licht tut mir weh.«

Ohne von diesem Ersuchen Notiz zu nehmen, fuhr ihr Vater fort: »Ich begreife, daß es dir Vergnügen bereitet, eine harmlose, alltägliche Angelegenheit zu einer Sensation herauszuputzen, aber ich für meine Person bedarf dessen nicht und lehne jede Beteiligung daran ab. Du scheinst dir darüber nicht klar zu sein, daß du meine persönliche Freiheit beeinträchtigst, indem du deine überschreitest. Ich habe nicht die Absicht, dich in der Ausübung deines Temperamentes zu beschränken, aber ich gebe dir zu bedenken, daß kein Mensch für sich allein besteht und daß er um jedes Recht, das er für sich in Anspruch nimmt, einen anderen Menschen verkürzt.«

»Ich habe keine Veranlassung mehr, auf dich in irgendeiner Form Rücksicht zu nehmen«, entgegnet Agnes, von dem unbestimmten Argwohn gereizt, daß ihr Vater sie nicht ernst nimmt. »Ich habe nicht die geringste Veranlassung mehr dazu nach dem, was geschehen ist.«

Ihr Vater scheint erstaunt: »Was ist denn geschehen? Du liebst große Worte. Über diese Unart der Pubertät solltest du hinaus sein, die mit Worten Erlebnisse ersetzen und erzwingen will. Ich beginne an ein Mißverständnis zu glauben. Ich wollte dich verheiraten, meinst du das?«

Agnes ringt nach Worten: »Du weißt sehr gut, daß ich nicht davon spreche.«

Er lächelt: »Du wirst dir die Mühe nehmen müssen und deutlicher sein. Ich weiß mit bestem Willen im Augenblick nicht, worauf du anspielst.«

Das Mädchen schweigt, will sprechen, schweigt. Aber das Schweigen nimmt ihr den Atem, sein Lächeln nimmt ihr den Atem, sie stammelt: »Warum willst du mich zwingen, das auszusprechen, was ich nicht einmal zu denken wage? Ich kann es nicht sagen.«

»Ich kann es dir nicht ersparen«, antwortet er ruhig.

Sie zögert, bedeckt das Gesicht mit beiden Händen: »Diese Vorstellung, diese widersinnige, abscheuliche Vorstellung. Sind wir denn Tiere? Ich kann es nicht denken, und du willst mich zwingen, es auszusprechen. Warum lebe ich noch? Ich will nicht wissen, was du gesagt hast, und ich heirate nicht, ich heirate diesen Mann nicht, den du mir aufzwingen willst, weil ...«

Sie stockt.

»Weil?« fragt ihr Vater höhnisch.

»Ich kann keinen Grund für meine Weigerung angeben, aber ich kann doch nicht nur deshalb heiraten, um dir zu beweisen, daß ich dich nicht liebe«, antwortet das Mädchen verzweifelt.

Agnes fühlt, daß ihr Vater lächelt, und dann hört sie ihn wie von fernher sagen: »Du siehst, man kann alles aussprechen. Rekapitulieren wir also: Ich habe dich darauf aufmerksam gemacht, daß du mich liebst, daß dein Verhalten ein psychisches Indiz nach dem anderen liefert und daß es gar keine andere Schlußfolgerung zuläßt. Ich habe erwartet, daß du lachst, ein Lachen, das dich und mich befreit. Und warum hast du nicht gelacht? Warum hast du dich in dein Zimmer eingeschlossen und mit deiner Verzweiflung meine Behauptung bestätigt?«

Das Mädchen starrt ihn entsetzt an: »Bestätigt? Was hat meine Verzweiflung bestätigt? Ich bin müde, ich bin müde, ich kann nicht mehr denken. Ich möchte sterben, ich kann nicht leben so. Du mystifizierst mich. Wie kann man darüber lachen?«

»Ich habe deine Hysterie unterschätzt«, fährt ihr Vater fort. »Wenn ich voraussehen hätte können, daß eine geringfügige Äußerung imstande ist, dein Gleichgewicht zu erschüttern, so hätte ich sie vielleicht für mich behalten. Vielleicht. Ich hätte mich zumindest der Mühe unterzogen und mich der geläufigsten psychoanalytischen Schleichwege bedient und dich die Wahrheit, wie jeden anderen Patienten eines Nervenarztes, dosiert verschlucken lassen. Du legst dieser Angelegenheit das Werturteil deiner Abwehr zugrunde, reklamierst ein gangbares physiologisches Phänomen als Einzelschicksal. Ich spreche jetzt als Arzt, als Psychiater, wenn du willst. Für mich bedeutet diese Tatsache lediglich eine Theorie, für die du ein außerordentlich sensibles Beweisobjekt darstellst. Ich bin aufrichtiger als du, aus Notwendigkeit, wenn du willst, weil ich mir als Arzt keine psychische Verlogenheit durchgehen lassen darf, wenn ich meine Patienten, die von meinem seelischen Gleichgewicht abhängig sind, nicht schädigen will. Ich bin aufrichtiger als du, sage ich, und gestehe es mir und dir ohne konventionelle Scham zu, daß ich jederzeit bereit wäre, dein Liebhaber zu sein, wenn ich nicht gerade unglückseligerweise dein Vater wäre. Aber ich bin mir bewußt, daß damit ein Verzicht geschieht, der nur in seiner Bewußtheit vereinzelt, an sich aber etwas sehr Alltägliches ist. Ich will sogar noch weiter gehen: Es macht mir Vergnügen, diesen Konflikt Aug in Aug mit dir auszutragen.«

»Vater«, unterbrach ihn das Mädchen, »Vater, hör auf. Es ist abscheulich. Es ist, als ob du mich schlügst.«

»Das würde dir unter Umständen sogar Vergnügen bereiten«, fuhr der Arzt unbeirrt fort. »Auch dieser Vergleich dient unbewußt als Zugeständnis. Das Symbol des Geschlagenwerdens, das du zur Charakterisierung der Gefühle heranziehst, die dieses Gespräch in dir aufwühlen, ist zweideutig. Du verwendest die dir geläufigere Erinnerung des Unlustgefühls zur Deckung für das triebhafte Lustgefühl, das diese Vorstellung dir gewährleistet.«

Agnes starrte ihn fassungslos an: »Ich werde wahnsinnig, ich werde wahnsinnig. Ich liege auf dem Seziertisch. Du schneidest mir die Bauchdecke auf und wühlst mit blutigen Händen in meinen Gedärmen, du schneidest mir das Herz aus der Brust, stopfst es mir in den Mund wie einen Knebel, damit ich nicht schreien kann, denn ich lebe ja noch, und ich würge an meinem eigenen Herzen, bis ich daran ersticke. Du kratzt mir das Gehirn aus dem Schädel wie eine Frühgeburt und füllst den Hohlraum mit deinem Samen an. Du ...« Ihre Worte erstickten in einem kreischenden, keuchenden Weinen,...
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