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Die Muschelöffnerin

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
574 Seiten
Deutsch
Verlag Krug & Schadenbergerschienen am10.12.2013überarbeitete Neuauflage
»Die Muschelöffnerin«, ein fesselnder, vielschichtig-erotischer Liebesroman, spielt in der viktorianischen (Halb-) Welt der wilden 1890er Jahre und erzählt von der schillernden Karriere der Nancy Astley: Als Kind arbeitet sie als Muschelöffnerin im elterlichen Austernrestaurant an der Küste von Kent. Zu ihren wenigen Vergnügungen zählen die Besuche in der Music Hall im nahegelegenen Canterbury. Dort sieht sie eines Tages die »Herrendarstellerin« Kitty Butler auf der Bühne - und ist hingerissen! Die junge Künstlerin lässt sich auf Nancys verliebte Schwärmerei ein und beginnt eine Liebesbeziehung mit ihr. Nancy folgt Kitty nach London. Bald schon stehen die beiden als Duo in Männerkleidern auf der Bühne und feiern Triumphe ...

Sarah Waters wurde 1966 in Wales geboren und lebt heute in London. Sie ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und hat seit 1998 fünf umfangreiche Romane veröffentlicht, von denen drei - darunter »Die Muschelöffnerin« und »Solange du lügst« - mit großem Erfolg verfilmt wurden. Sarah Waters gilt mittlerweile als eine der renommiertesten britischen GegenwartsautorInnen und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
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Produkt

Klappentext»Die Muschelöffnerin«, ein fesselnder, vielschichtig-erotischer Liebesroman, spielt in der viktorianischen (Halb-) Welt der wilden 1890er Jahre und erzählt von der schillernden Karriere der Nancy Astley: Als Kind arbeitet sie als Muschelöffnerin im elterlichen Austernrestaurant an der Küste von Kent. Zu ihren wenigen Vergnügungen zählen die Besuche in der Music Hall im nahegelegenen Canterbury. Dort sieht sie eines Tages die »Herrendarstellerin« Kitty Butler auf der Bühne - und ist hingerissen! Die junge Künstlerin lässt sich auf Nancys verliebte Schwärmerei ein und beginnt eine Liebesbeziehung mit ihr. Nancy folgt Kitty nach London. Bald schon stehen die beiden als Duo in Männerkleidern auf der Bühne und feiern Triumphe ...

Sarah Waters wurde 1966 in Wales geboren und lebt heute in London. Sie ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und hat seit 1998 fünf umfangreiche Romane veröffentlicht, von denen drei - darunter »Die Muschelöffnerin« und »Solange du lügst« - mit großem Erfolg verfilmt wurden. Sarah Waters gilt mittlerweile als eine der renommiertesten britischen GegenwartsautorInnen und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783944576220
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum10.12.2013
Auflageüberarbeitete Neuauflage
Seiten574 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2934 Kbytes
Artikel-Nr.3085559
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

KAPITEL 1

Haben Sie jemals eine Whitstable-Auster gekostet? Wenn ja, erinnern Sie sich bestimmt daran. Irgendeine Eigenheit der Küste von Kent macht die »Echten Whitstables« - so heißen sie richtig - zu den größten und saftigsten, den aromareichsten und doch mildesten Austern von ganz England. Whitstable-Austern sind zu Recht berühmt. Die Franzosen, die ja für ihren feinen Gaumen bekannt sind, überqueren regelmäßig den Kanal, um sie zu essen; die Muscheln werden, in Fässer mit Eis verpackt, an die herrschaftlichen Tafeln von Hamburg und Berlin geliefert. Ja sogar der König, habe ich gehört, reist mit Mrs. Keppel, seiner Geliebten, hie und da eigens nach Whitstable, um in einem Privathotel Austern zu essen, und was die alte Queen Victoria angeht, die aß jeden Abend eine »Echte«, sogar noch an ihrem Todestag, heißt es.

Sind Sie jemals in Whitstable gewesen und haben die Austernrestaurants gesehen? Mein Vater hatte eines; ich bin da geboren. Erinnern Sie sich an ein schmales Haus mit Wetterschindeln, blau gestrichen, die Farbe blätterte ein bisschen ab, und es lag zwischen der High Street und dem Hafen? Sehen Sie das gewölbte Schild noch vor sich, das über der Tür hing und besagte, dass man hier Astley s Austern, die besten in ganz Kent bekäme? Haben Sie vielleicht die Tür aufgestoßen und sind in den halbdunklen, köstlich riechenden Raum mit der niedrigen Decke getreten? Erinnern Sie sich an die Tische mit den rotkarierten Decken, die mit Kreide geschriebene Speisekarte auf der schwarzen Tafel, die Spirituslampen, die schwitzenden Butterklumpen?

Wurden Sie von einem Mädchen mit rosigen Wangen und einer kessen Art und Locken bedient? Das war meine Schwester Alice. Oder war es ein Mann, ziemlich groß und gebeugt, in einer schneeweißen Schürze, die vom Knoten seines Halstuchs bis fast auf die Stiefelspitzen reichte? Das war mein Vater. Und haben Sie, wenn die Küchentür auf und zu schwang, eine Frau gesehen, die konzentriert in die Dampfwolken blickte, welche aus einem Topf mit kochender Austernsuppe aufstiegen oder von einem zischenden Grill? Das war meine Mutter.

Und stand neben ihr vielleicht ein schmales, nicht weiter bemerkenswertes Mädchen mit sehr blassem Gesicht, das die Ärmel ihres Kleides bis zu den Ellbogen aufgerollt hatte, und immerzu fiel ihr eine Strähne ihres glatten, farblosen Haares in die Augen, und ihre Lippen bewegten sich unablässig zu den Worten eines Straßensänger- oder Music-Hall-Liedes?

Das war ich.

Wie Molly Malone in der alten Ballade war auch ich eine Fischhändlerstochter. Meinen Eltern gehörte das Restaurant und die Wohnung darüber. Ich wurde als Austernmädchen und Muschelöffnerin aufgezogen und mit allen Wassern dieses Handwerks gewaschen. Meine ersten Schritte machte ich um Wannen mit schlafenden »Echten« und eisgefüllte Fässer herum; noch ehe ich Griffel und Schiefertafel bekam, drückte man mir ein Austernmesser in die Hand und brachte mir bei, damit umzugehen. Als ich noch stockend mein Alphabet übte, konnte ich schon alle Gegenstände in einer Austernküche hersagen, Fische mit verbundenen Augen erkennen und ihre Unterschiede aufzählen. Whitstable war meine ganze Welt, Astley s Restaurant mein Heimatland und Austernsaft mein Lebenselement. Obwohl ich nicht lange an die Geschichte glaubte, die meine Mutter erzählte - dass sie mich als winziges Baby in einer Muschelschale gefunden hätten, als ein hungriger Gast mich gerade zum Mittagessen verschlingen wollte -, zweifelte ich doch achtzehn Jahre lang niemals an meiner Verbundenheit mit den Austern, suchte niemals jenseits der Küche meines Vaters nach Beschäftigung oder nach Liebe.

Mein Leben war schon sonderbar, sogar nach den Maßstäben von Whitstable, jedoch war es nicht unangenehm und nicht einmal besonders schwer. Unser Arbeitstag begann um sieben Uhr morgens und endete zwölf Stunden später, und während all dieser Stunden waren meine Pflichten dieselben. Während Mutter kochte und Alice und mein Vater servierten, saß ich auf einem hohen Schemel neben einer Wanne mit Echten und schrubbte sie und spülte sie ab und hantierte mit dem Austernmesser.

Manche Leute mögen ihre Austern roh, und da hat man es am einfachsten, denn man braucht bloß ein Dutzend Echte aus der Wanne zu nehmen, das Meerwasser abtropfen zu lassen, sie aufzumachen und mit ein bisschen Petersilie oder Kresse auf einen Teller zu legen. Aber für die, die ihre Austern gedünstet oder in Fett ausgebacken oder gegrillt oder in der Schale überbacken oder als Pastete haben wollten, musste ich mir weit mehr Arbeit machen. Ich musste jede Muschel öffnen, den Bart entfernen, ohne das Fleisch zu beschädigen oder etwas von dem Saft zu verschütten und sie dann zu Mutters Herd bringen. Da auf einen Essteller ein Dutzend Austern passt und Austern damals billig waren und unser Restaurant stark besucht war und fünfzig Gästen Platz bot - na, da können Sie sich selber ausrechnen, was für riesige Mengen Austern ich jeden Tag unters Messer nahm, und Sie können sich auch leicht vorstellen, wie rot und wund und salzig und aufgeweicht meine Hände am Ende meines Arbeitstages waren. Noch jetzt, mehr als zwanzig Jahre nachdem ich mein Austernmesser weggelegt und die Küche meines Vaters für immer verlassen habe, verspüre ich ein geisterhaftes Zucken im Handgelenk und in den Fingern, wenn ich beim Fischhändler ein Austernfass sehe oder den Austernmann in den Straßen rufen höre; und manchmal glaube ich immer noch den Saft und das Meerwasser unter meinem Daumennagel und in den Fältchen meiner Handflächen zu riechen.

Ich habe gesagt, dass es in meiner Jugend nichts als Austern für mich gab, aber das stimmt nicht ganz. Ich hatte Freundinnen und Cousinen und Cousins, wie alle Mädchen, die in einer kleinen Stadt und in einer großen alten Familie aufwachsen. Ich hatte meine Schwester Alice, die meine liebste Freundin war, mit der ich ein Zimmer und ein Bett teilte und die alle meine Geheimnisse erfuhr und mir alle ihre Geheimnisse erzählte. Ich hatte sogar so etwas wie einen Verehrer: einen Jungen namens Freddy, der mit meinem Bruder Davy und meinem Onkel Joe auf einem Schleppnetzkahn fuhr und in der Bucht von Whitstable fischte.

Und schließlich hatte ich noch eine Neigung, man könnte auch sagen eine Art Leidenschaft für die Music Hall und die Lieder dort, und ich sang sie so gern. Wenn Sie jemals in Whitstable gewesen sind, wissen Sie, dass das eine ziemlich unpassende und unbefriedigte Leidenschaft war, denn die Stadt besitzt weder eine Music Hall noch ein Theater - bloß einen einsamen Laternenpfahl vor dem Hotel Duke of Cumberland, an dem sich manchmal Straßensänger einfinden und wo der Mann mit dem Kasperletheater im August seine Bude aufstellt. Aber Whitstable ist mit dem Zug nur fünfzehn Minuten von Canterbury entfernt, und dort gab es eine Music Hall - das Canterbury Palace of Varietes -, wo die Vorstellungen drei Stunden dauerten und die Eintrittskarten Sixpence kosteten und die Darbietungen, wie es hieß, die besten in ganz Kent waren.

Das Palace war ein kleines und, wie ich fürchte, ziemlich heruntergekommenes Theater, aber wenn ich es rückblickend vor mir sehe, betrachte ich es noch immer mit den Augen einer Muschelöffnerin - ich sehe das Spiegelglas an den Wänden, den roten Plüsch der Sitze, die golden angemalten Gipsputten, die über dem Vorhang schwebten. Wie unser Austernrestaurant hatte auch das Theater seinen besonderen Geruch - den Geruch, der, wie ich jetzt weiß, in allen Music Halls herrscht: nach Holz und Fettschminke und verschüttetem Bier und Gas und Tabak und Pomade. Es war ein Geruch, den ich als junges Mädchen ganz unkritisch liebte. Später hörte ich, wie Theaterdirektoren und Künstler ihn als den Geruch des Gelächters, den Duft des Beifalls beschrieben. Und noch später lernte ich ihn anders kennen, nicht als Essenz der Freude, sondern des Kummers.

Doch ich greife meiner Geschichte vor.

Ich kannte die Gerüche und Farben des Canterbury Palace besser als die meisten anderen Mädchen - wenigstens zu der Zeit, an die ich jetzt denke, jenen letzten Sommer im Hause meines Vaters, als ich achtzehn wurde -, denn Alice hatte einen Verehrer, der dort arbeitete, einen Jungen namens Tony Reeves, der uns stark verbilligte Eintrittskarten besorgte oder uns sogar umsonst einließ. Tony war der Neffe des Direktors vom Palace, des gefeierten Tricky Reeves, und schon deshalb so etwas wie ein guter Fang für unsere Alice. Meine Eltern aber misstrauten ihm zunächst und hielten ihn für abgebrüht, weil er in einem Theater arbeitete und Zigarren hinter den Ohren trug und zungenfertig von Engagements und London und Champagner parlierte. Aber bald konnten sie gar nicht anders, als ihn zu mögen, denn Tony hatte ein so großes Herz und war so nett und gutmütig im Umgang, und wie alle Jungen, die um meine Schwester warben, betete er sie an und tat ihretwegen uns allen zuliebe, was er nur konnte.

Daher kam es, dass Alice und ich am Samstagabend so oft im Canterbury Palace zu finden waren, wo wir unsere langen Röcke unter die Sitze stopften und in den besten und beliebtesten Vorstellungen die Refrains der fröhlichsten Lieder lauthals mitsangen. Wie das übrige Publikum auch, waren wir wählerisch. Wir hatten unsere Lieblingsdarbietungen - Künstler, nach denen wir Ausschau hielten und riefen, Lieder, die wir wieder und wieder gesungen haben wollten, bis die Kehle der Sängerin - denn meistens waren es die Damen, die Alice und ich besonders liebten - ausgetrocknet war und sie nicht mehr singen konnte, nur noch lächeln und knicksen und sich verbeugen.

Und wenn die Vorstellung zu Ende war und wir Tony in seinem stickigen kleinen Büro hinter dem...
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Autor

Sarah Waters wurde 1966 in Wales geboren und lebt heute in London. Sie ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und hat seit 1998 fünf umfangreiche Romane veröffentlicht, von denen drei - darunter "Die Muschelöffnerin" und "Solange du lügst" - mit großem Erfolg verfilmt wurden. Sarah Waters gilt mittlerweile als eine der renommiertesten britischen GegenwartsautorInnen und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Bei diesen Artikeln hat der Autor auch mitgewirkt